Warum zoffen sich Geschwister so oft und so gerne? Und sollen sich die Eltern in solche Streitereien einmischen oder sich heraushalten?
Von Anne-Katrin Schade und Tanja Busse
In den Weihnachtsferien hätte alles so friedlich sein können. Mama musste nicht arbeiten, Papa wollte freiwillig Karten spielen, und Oma hatte Plätzchen mitgebracht. Friede, Freude, Ferien – wären da nur nicht die Quälgeister, die auch Bruder oder Schwester heißen. Der kleine Bruder heulte, weil er andere Geschenke wollte. Am liebsten die der Geschwister. Als man ihn dann in den Schwitzkasten nahm, brüllte er so lange nach der Mama, bis sie ihn tätschelte und einen böse anguckte. Und die ältere Schwester glaubt sowieso immer, sie sei etwas Besseres. Besonders als sie, angemalt mit Lippenstift und Wimperntusche, zur Silvesterparty mit Freunden stolzierte, während man selbst zu Hause bleiben musste.
Viele Jungen und Mädchen würden zu gerne auf ihre Brüder und Schwestern verzichten. Doch etwa zwei von drei Kindern in Deutschland wachsen mit Geschwistern auf. Diesen rund 14 Millionen Kindern bleibt nichts anderes übrig, als zu teilen – vom Spielzeug über das Essen bis zu der Zeit, die ihre Eltern mit ihnen verbringen. Das ist viel, was sie an andere abgeben müssen. Zu viel, denken einige. Und so streiten sich Geschwister. Sie brüllen sich an, zwicken oder hauen sich. Irgendwie will jeder gewinnen, aber meist gibt es keinen Sieger. Denn wenn am Schluss der eine weint, fühlt sich auch der andere, wenn er ehrlich ist, ziemlich mies.
Die jüngsten Kinder in einer Familie können zum Beispiel unter den älteren Geschwistern leiden, weil diese so tun, als ob sie stärker, klüger und schöner sind. »Da können die Kleinen nicht mithalten. Sie kommen sich hoffnungslos unterlegen vor«, sagt Angela Schuh. Sie ist eine Psychologin, die Kinder behandelt, und hat ein Buch mit Tipps geschrieben, wie man sich mit den Geschwistern besser verstehen kann. Den jüngeren Kindern rät Angela Schuh, mit den Eltern über ihre Gefühle zu sprechen. Das bedeutet nicht, dass sie damit ihre Geschwister verpetzen. Die Jüngeren sollen Mama oder Papa erzählen, wenn es ihnen schlecht geht, weil sie manche Sachen nicht so gut können wie die Geschwister. Erst dann würden viele Eltern merken, dass die Jüngsten Hilfe brauchen, sagt die Fachfrau.
Doch auch die Ältesten können leiden, weil sie vielleicht glauben, alles besser können und wissen zu müssen. Und häufig sind die Eltern zu ihnen strenger. Darum beneiden viele Erstgeborene ihre jüngeren Geschwister, denen Mutter und Vater mehr durchgehen lassen. Und ab und zu rächen sich die Älteren dann an den Jüngeren und sind besonders gemein. Dabei wollen die Kleinen von ihren älteren Geschwistern meist gemocht werden. Das sei den Großen aber oft nicht bewusst, sagt Angela Schuh. Deshalb sollten die Älteren einmal ausprobieren, was passiert, wenn sie nett zu den jüngeren Geschwistern sind: sie loben oder ihnen helfen. Dann kann die kleine Nervensäge sich plötzlich als Engel entpuppen, der zur großen Schwester oder zum großen Bruder aufsieht.
Falls Geschwister aber so sehr quengeln, dass man unmöglich freundlich zu ihnen sein kann, sollte man dem Quälgeist in die Augen schauen und laut sagen: »Geh weg, lass mich in Ruhe!« Zudem kann es helfen, wenn man dem Bruder oder der Schwester verspricht, dass man später für sie Zeit hat. Meist hören Geschwister darauf und trollen sich.
Doch die Streitereien können auch so schlimm werden, dass sich die Kinder verletzen und sich kaum mehr vertragen. In dem Fall sind eigentlich Mama und Papa gefragt. Aber die wissen oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. So geht es zum Beispiel der Mutter von Mona und Lotte. Mona ist zehn Jahre älter als Lotte, und trotzdem will Lotte alles immer genauso machen wie ihre große Schwester. Als Mona zum ersten Mal ihren Freund eingeladen hatte, guckte Lotte durchs Schlüsselloch und erzählte am nächsten Tag alles ihren Freundinnen in der Schule. Als Mona das hörte, schimpfte sie los. Und Lotte schimpfte zurück. Und dann haben sie sich sehr gestritten und gehauen. Die Geräusche, die aus dem Zimmer kamen, waren so laut wie eine Kettensäge, fand die Mutter. Und so etwas wollte sie nicht hören. Also hat auch sie geschimpft. Dass die Kleine oft so fies ist und dass die Große die Kleine nicht schlagen soll. Mona und Lotte haben aufgehört zu streiten und zugehört. Aber am nächsten und übernächsten Tag haben sie wieder gestritten.
»Vielleicht wäre das nicht passiert, hätte die Mama noch einmal mit Lotte und Mona gesprochen. Und zwar mit jeder einzeln«, sagt Angela Schuh. So hätte sie jedem Kind zugehört, und beide hätten sich verstanden gefühlt.
Der Kinderarzt Remo Largo denkt, dass es besser ist, wenn sich Eltern möglichst aus den Streitereien heraushalten. Denn vielleicht zoffen sich Mona und Lotte auch nur so viel, weil sie sich wünschen, dass ihre Eltern sich mehr um sie kümmern? Bloß können sie das nicht so richtig sagen. Sie spüren das nur. Und deshalb streiten sie. »Wenn so etwas passiert, müssen Eltern vorsichtig sein«, sagt der Kinderarzt. Da hilft es nicht, wenn die Mutter oder der Vater schimpft. Stattdessen müsse man mehr mit den Kindern unternehmen, ihnen etwas vorlesen oder gemeinsam kochen – und das nicht nur in den Ferien, sondern das ganze Jahr über.
Denn letztlich wollen Geschwister doch eigentlich viel lieber zusammen toben, als immer nur zu streiten. Auch wenn der Bruder oder die Schwester noch so nervig sein können, ist es schön, sie zu haben. Wenn es drauf ankommt, dann halten Geschwister oft doch zusammen, verschwören sich zum Beispiel gegen die Eltern oder trösten sich. Und schließlich hängt man ja auch nicht immer so viel aufeinander wie in den Weihnachtsferien.