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Schweine im Wohnzimmer

 

Foto: Philipp Wente

Sie haben ein Körbchen in der Küche, lümmeln gern vorm Kamin, und nachmittags gehen sie mit dem Vater zur Arbeit: Rudi und Felix sind zwei ungewöhnliche Haustiere

Von Julia Nolte

Joschka Vermeulens Familie hat keine Katzen und keine Kaninchen – sondern zwei Schweine. Sie heißen Felix und Rudi und
sind Minischweine (Bergsträßer Knirpse). Das bedeutet aber nicht, dass sie winzig sind, nur kleiner als Schweinerassen, die wegen ihres Fleisches gezüchtet werden. Beide wiegen rund 50 Kilo, sind etwa so lang wie Schäferhunde, haben aber kürzere
Beine, dickere Bäuche und weiße Borsten. »Wenn ich erzähle, dass die Schweine bei uns im Haus leben, machen viele große Augen«, sagt Joschka.
Der 15-Jährige ist gerade aus der Schule gekommen. In der Küche dösen Felix und Rudi in ihrem Körbchen, das so groß wie ein Schlauchboot ist und in dem sie nachts schlafen. Kaum betritt Joschka den Raum, dreht sich Felix grunzend auf die Seite. »Du willst wohl gestreichelt werden«, sagt Joschka, legt sich vorsichtig zwischen die Tiere und krault Felix hinterm Ohr. »Schweine
muss man verstehen«, sagt der Junge, »das kann nicht jeder.«

Foto: Philipp Wente

Vor vier Jahren hatte die Familie aus Borken in Westfalen Minischweine in einem Haustierkatalog gesehen. »Zuerst haben wir gelacht, weil die Idee schon ein bisschen verrückt ist, aber dann haben wir uns wirklich welche zugelegt «, erzählt Joschka. Erst holten sie Rudi vom Züchter, ein Jahr später Felix. Die Familie baute den Tieren ein Gehege im Garten. Dort halten sie sich
auf, wenn die Vermeulens bei der Arbeit oder in der Schule sind. »Ein Schwein, das allein zu Hause ist, kann aus Langeweile nämlich die Sau rauslassen «, sagt Joschkas Vater Daan. Doch wenn die Familie zu Hause ist, dürfen auch die Schweine hinein. Dann liegen sie in der Küche, oder sie lümmeln im Wohnzimmer vorm Kamin – in die Zimmer im ersten Stock gehen sie selten,
weil sie nicht so gut Treppen steigen können. »Felix will immer den besten Platz vorm Feuer«, sagt Joschka. Um Rudi von dort zu vertreiben, zwicke er seinen Artgenossen einfach in den Hintern. »Felix ist frech, das mag ich, aber er kuschelt auch gern«, sagt Joschka.
Wenn es um ihre ungewöhnlichen Haustiere geht, werden die Vermeulens oft gefragt: Sind die denn stubenrein? Stinken die nicht? Immer antworten sie dann: Ja, sie sind stubenrein. Und nein, sie stinken nicht. Wenn die Schweine mal müssen, werden sie in den Garten gelassen. Den Mist sammelt die Familie auf – für den Kompost. Joschkas Mutter Barbara mag den Geruch sogar: »Es riecht wie im Zoo bei Nashörnern oder Elefanten.« Auch die Schweine selbst müffeln nicht. Täglich werden sie gebürstet, und alle sechs Wochen kommen sie in die Badewanne. Wenn sie eingeseift und abgeschrubbt werden, halten sie ganz still.
Die Schweine sind aber nicht nur die Haustiere der Familie. Sie gehen auch mit dem Vater zur Arbeit. Daan Vermeulen ist Krankengymnast, und Felix und Rudi helfen ihm bei der Behandlung. Gemeinsam bringen sie kranke Menschen zum Beispiel dazu, sich zu bewegen. Die Tiere einzusetzen, darauf kam der Vater durch Zufall: Eines Tages musste er Rudi mit in seine Praxis nehmen, weil die Familie in Urlaub war und er ihn nicht so lange allein lassen konnte. »Die Patienten sahen das Schwein, lachten und bewegten sich viel besser als sonst, weil sie von ihren Schmerzen abgelenkt waren«, sagt Daan Vermeulen. Seitdem arbeitet er zwei Tage pro Woche mit Schwein – ähnlich wie andere Therapeuten, die Pferde, Hunde oder andere Tiere einsetzen.
Heute hat Felix Arbeitsdienst. Daan Vermeulen packt nach dem Mittagessen Walnüsse, Karotten, kleine Tomaten und Mandarinen in seinen Arbeitskoffer – Leckerbissen, mit denen er Felix später belohnen wird. Dann bindet der Vater dem Schwein ein Hundegeschirr um, nimmt es an die Leine und sagt: »Felix, Auto!«

Foto: Philipp Wente

Über eine Holzrampe mit einer Gummimatte klettert das Schwein in den Kofferraum. Während der Fahrt reibt es seinen Rüssel an der Tür, bis es quietscht. »Er ist ein bisschen aufgeregt«, sagt Daan Vermeulen. Und zum Tier sagt er beruhigend: »Ja, Felix, gleich sind wir da!«
Das Ziel ist, wie meistens, ein Altersheim. Als Daan Vermeulen und Felix auf das Gebäude zugehen, drehen sich einige Fußgänger nach ihnen um. »Komischer Hund«, sagt ein Mann. Eine Frau zückt ihr Handy und fragt: »Süß, darf ich ein Foto machen?« Felix trottet weiter und pinkelt vor dem Heim in ein Beet. Im Eingang bleibt er kurz stehen und wackelt mit dem Rüssel. Er schnuppert. Dann folgt er seinem Herrchen in den Fahrstuhl und in den zweiten Stock, wo 20 Heimbewohner im Kreis sitzen und schon auf die beiden warten.
»Oh, da ist das Schwein!«, ruft eine alte Dame, die im Rollstuhl sitzt, erfreut. Felix ist der Star bei den alten Menschen. Sonst sitzen sie meist ganz still da, jetzt beugen sie sich vor und streicheln das Tier. Manche strecken die Hand aus, um ihn zu füttern. Eigentlich würde ein Schwein hier Angst bekommen, doch Felix ist daran gewöhnt. Er bleibt ruhig und wedelt mit dem Schwanz. Als er den Koffer nach einer Stunde leer gefressen hat, darf ihm die Dame im Rollstuhl die Leine anlegen. Geschafft! Die Leute haben sich bewegt, und so geht Daan Vermeulen zufrieden mit Felix nach Hause.
Auf klackernden Hufen kommt dort Rudi über das Wohnzimmerparkett und stupst Felix zur Begrüßung an. Joschkas Bruder Matthis bereitet schon das Abendessen für die Tiere zu: Schweinemüsli und Weizenkleie. Nach der Fütterung macht Rudi es sich vor dem Kamin bequem, der freche Felix hat heute nichts dagegen. Er lässt sich stattdessen erschöpft ins Körbchen fallen. Daan Vermeulen streicht ihm behutsam über den borstigen Kopf und sagt: »Hast du toll gemacht, Felix !«