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Charles Taylor führt weiter Regie

Nur kurz nachgetragen: auch gestern, am zweiten Verhandlungstag im Prozess, gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor blieb die Anklagebank leer. Bereits bei der Eröffnung des Verfahrens am 4. Juni in Den Haag war Taylor in seiner Zelle geblieben. Aus Protest gegen die vermeintlich schlechte Ausstattung seines Rechtsbeistands hatte Taylor seinen Wahlverteidiger, den britischen Juristen Karim Khan, entlassen und erklärt, seinem Prozess so lange fern zu bleiben, bis der Sondergerichtshof für Sierra Leone ihm eine angemessene Verteidigung ermögliche. Taylor ist der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in elf Fällen angeklagt, weil er während des Bürgerkriegs im Nachbarland Sierra Leone die brutalste Rebellengruppe angestiftet und ausgerüstet haben soll.

Gestern nun ließ Taylor im Gerichtssaal ausrichten, was er sich unter angemessenem Rechtsbeistand vorstellt: mindestens einen, wenn nicht zwei Top-Juristen aus Großbritannien, sowie zwei weitere Rechtsanwälte – zu bezahlen durch das Gericht, da sich der Angeklagte als mittellos ausgibt. Das klingt zwar wie der pure Hohn in Anbetracht der Millionen von Dollars, die Taylor im Geschäft mit Blutdiamanten, Tropenhölzern und Kautschuk beiseite geschafft haben soll. Aber es ist schwer nachzuweisen, ob und wie er angesichts seiner international gesperrten Konten derzeit über sein Geld verfügt.
(Wer zum gestrigen Tag im Gericht mehr lesen möchte, dem sei der Bericht des Institute for War&Peace Reporting (IWPR) empfohlen. Überhaupt ist die Website des IWPR eine Fundgrube für alle, die sich für internationale Strafjustiz interessieren)

Inzwischen sind offenbar auch die Richter zu der Überzeugung gelangt, dass es mit Taylors Verteidigung gegen ein vergleichweise üppig ausgestattetes Team von Anklägern nicht zum Besten stand. Richterin Julia Sebutinde kritisierte die Gerichtsverwaltung, die sich schon vor Monaten um Taylors Beschwerden hätte kümmern sollen.

In einem Telefongespräch hat auch Karim Khan nachdrücklich gegen seine Arbeitsbedingungen protestiert. „Zehn Leute im Team des Anklägers gegen zwei im Team der Verteidigung … ich habe ja nie absolute Waffengleichtheit erwartet. Aber das hier war wirklich schlimm.“ Wochenlang hätten er und sein Assistent in Den Haag in Cafes arbeiten müssen, weil ihnen das Gericht kein Büro zur Verfügung gestellt habe.
Khan ist ein 37 jähriger, durchaus erfahrener Jurist, der bereits an den UN-Tribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda gearbeitet hat. Am Taylor-Prozess habe ihn unter anderem „die Herausforderung gereizt“. Und die besteht nach seiner Darstellung auch darin, selbst für die „berüchtigsten Angeklagten“ ein faires Verfahren nach höchsten rechtsstaatlichen Ansprüchen zu garantieren.

Um diese Herausforderung muss sich jetzt jemand anderes kümmern. Bis 31. Juli, so Richterin Sebutinde, müsse ein neues Verteidiger-Team angeheuert sein. Dann soll der Prozess fortgesetzt und Taylor womöglich auch unter Zwang vorgeführt werden. Ob dieser Zeitplan realistisch ist, darf bezweifelt werden. Kein seriöser Jurist kann sich innerhalb von fünf Wochen in diesen Berg an Ermittlungsakten einarbeiten.

Charles Taylor wird es recht sein. Bislang führt er Regie in diesem Drama. Nicht Richterin Sebutinde .

 

Nachrichten aus dem „kleinen Kongo“

Es ist ein bitteres Schicksal, der kleine Nachbar eines riesigen Landes zu sein, dessen Name dem eigenen auch noch zum Verwechseln ähnlich ist. Die Republik Kongo erstreckt sich immerhin über 340.000 Quadratkilometer und ist doch nur ein kleiner Lappen auf der Landkarte verglichen mit der sieben mal so großen Demokratischen Republik Kongo. Vor Ort unterscheiden die Menschen die beiden Länder anhand ihrer Hauptstädte: Kongo-Kinshasa und Kongo-Brazzaville. Als vergangenes Jahr im „großen Kongo“ gewählt wurde, stürzte sich die internationale Presse (die Autorin dieses Blogs eingenommen) auf Kinshasa. Wenn, wie am gestrigen Sonntag, im kleinen Kongo gewählt wird, kuckt kaum einer hin (die Autorin dieses Blogs eingenommen, hätten sie nicht die geschätzten Kollegen von der BBC vor fortgesetzter Ignoranz bewahrt).

Abgesehen vom Größenunterschied und dem Namenszusatz „Demokratisch“ sind sich beide Länder in vieler Hinsicht verblüffend ähnlich. Beide waren und sind reich an Rohstoffen. Folglich litten sie unter einer extrem brutalen Kolonialisierung. Im Fall des kleinen Kongo gingen Massenmord und Zwangsarbeit auf das Konto Frankreichs, im Fall des großen Kongo auf das Konto Belgiens. Beide Kolonien wurden im selben Jahr (1960) unabhängig. Beide Bevölkerungen waren in folgenden Jahrzehnten einem Ein-Parteiensytem unterworfen, wobei „Kongo-Brazzaville“ sich im Duell der Supermächte auf die Seite der Sowjetunion schlug und „Kongo-Kinshasa“ auf die Seite Amerikas.

Beide Länder vereinten nach Ende des Kalten Krieges denn auch all jene Faktoren, die zu den neuen Plünderkriegen führten: bittere Armut, lang schlummernde politische, ethnische und soziale Spannungen; eine Schwemme an Kleinwaffen; einen korrupten und relativ schwachen Staat – und eine nunmehr von ideologischen Fesseln befreite Gier nach Kontrolle über Rofstoffvorkommen. Im „großen Kongo“ geht es um Eisenerz, Kupfer, Diamanten, Gold, Holz und Uran. Der „kleine Kongo“ hat Holz, Diamanten, Kaffee, Kakao und vor allem Eröl zu bieten. „Kongo-Brazzaville“ ist derzeit der sechst größte Ölproduzent in Schwarzafrika.
Rebellionen, Plünderungen, Bürgerkrieg – das war der politische Dreiklang für beide Länder in den 90er Jahren. Und in beiden Ländern mischte nach Kräften der Nachbar Angola mit, der sich dank seines Ölreichtums und seiner schlagkräftigen Armee als Regionalmacht etabliert hat.

In welchem Kongo gerade eine Krise zu eskalieren drohte, konnte man nirgendwo besser ablesen als auf dem gleichnamigen Fluss, der die beiden Hauptstädte Kinshasa und Brazzaville trennt. Knallte es in Brazzaville, so verfolgten die Schaulustigen am anderen Ufer Blitz und Donner im Nachbarland, während von dort die Flüchtlingsboote Richtung Kinshasa aufbrachen. Knallte es in Kinshasa, bewegte sich die Flotte panischer Zivilisten mit Schnellbooten, rostigen Fähren und weniger wasserdichten Untersätzen in die andere Richtung.

Es mag voreilig sein, diese Begebenheiten in der Zeitform der Vergangenheit zu schildern. Kinshasa ist, wie man zuletzt im März während eines Mini-Bürgerkriegs zwischen der Armee und Anhängern des Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba sehen konnte, alles andere als befriedet (ganz abgesehen vom Osten des Landes, wo immer wieder militärische Konflikte aufflackern). Gleiches gilt für „Kongo-Brazzaville“. Zwar hat der Rebellenführer Frédéric Bintsangou, auch bekannt unter dem Namen „Pastor Ntoumi“, der Gewalt abgeschworen und sich mitsamt seiner „Ninja“-Miliz in eine politische Partei, den „Nationalrat der Republikaner“, umgewandelt. Anfang Juni ließ er Frieden und Demokratie hochleben während einer Zeremonie, bei der 60 Kleinfeuerwaffen aus „Ninja“-Beständen verbrannt wurden. Aller Anfang ist mühsam. Die Schweizer NGO „Small Arms Survey“ das derzeit etwa 35.000 sogenannte Kleinwaffen, wozu auch Kalaschnikows zählen) im „kleinen Kongo“, in Umlauf sind. Die meisten im Südosten, wo bis 2003 die schlimmsten Kämpfe zwischen Armee und Ninjas stattfanden.

Die aktuellen Meldungen vom Wahlsonntag waren denn auch nicht geeignet, Optimismus zu schüren. Schon im Vorfeld hatten Dutzende von Parteien einen Boykott verkündet. Sie halten die Parlamentswahlen für ein Manöver des Präsidenten Denis Sassou-Nguesso, sich nach 23 Amtsjahren eine weitere Regierungszeit und damit ungehinderten Zugriff in die Staatskasse zu organisieren. Gestern meldete die BBC Chaos aus und vor den Wahllokalen. Tausende hatten ihre Wahlausweise nicht erhalten, unzählige Wählerlisten waren falsch ausgedruckt. Mit ersten Ergebnissen ist frühestens in einer Woche zu rechnen. Ein großer Teil der Wahlberechtigten hatte nach Beobachtung der BBC offenbar beschlossen, zu Hause zu bleiben. Auch Frédéric Bintsangou hat schon mal vorsorglich den Betrugsverdacht erhoben, womit er wohl Recht haben dürfte. Dass er selbst wieder zur Waffe greift, ist allerdings unwahrscheinlich, denn Präsident Sassou-Nguesso weiss das angolanische Militär auf seiner Seite.

Also freie Fahrt für den Kleptokraten? Nicht ganz. Ausgerechnet in Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht, haben Juristenorganisationen ein Verfahren gegen Sassou-Nguesso wegen Korruption und Veruntreuung angestrengt. Ob dieses über das Stadium vorläufiger Ermittlungen hinausgehen wird, bleibt abzuwarten. Aber man darf sicher sein, dass die Mehrheit der Bürger der Republik Kongo, die gestern den Wahlurnen ferngeblieben sind, den französischen Anwälten die Daumen drücken.

 

Schuldig! Das Sondergericht für Sierra Leone hat die ersten Urteile gefällt

Julia Sebutinde heißt die Frau, die gestern Rechtsgeschichte geschrieben hat. „Schuldig“, verkündete die Richterin am Mittwoch im Saal des internationalen Sondergerichts für Sierra Leone den drei Angeklagten – schuldig der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechen und anderer schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in elf Fällen, darunter Einsatz von Kindersoldaten, Versklavung, Vergewaltigung und Mord. Fünf Jahre nach Ende des sierraleonischen Bürgerkriegs sind damit die ersten Urteile gegen Kriegsverbrecher ergangen. Und zum ersten Mal wurden ehemalige Kriegsherren dafür verurteilt, Kinder als Soldaten missbraucht zu haben. Man soll mit dem Adjektiv „historisch“ sparsam umgehen, aber dieses Urteil darf man durchaus als historisch bezeichnen. Das Strafmaß soll am 16. Juli verkündet werden. Die Angeklagten werden mit aller Wahrscheinlichkeit in die Berufung gehen.

Um selbige angemessen vorzustellen, muss man noch einmal die Buchstabensuppe der verschiedenen Kriegsfraktionen sortieren. Alex Tamba Brima, Santigie Borbor Kanu und Brima Bazzy Kamara zählten während des Kriegs zum Führungskader des „Armed Forces Revolutionary Council“, des „Revolutionsrates der Streitkräfte“ – kurz AFRC genannt. Dahinter steckten Angehörige der Armee um den Offizier Johnny Paul Koroma, die 1997 die gewählte Regierung von Sierra Leone gestürzt und sich dann mit den Rebellen der „Revolutionary United Front“ (RUF) verbündet hatten. (Zur Erinnerung: bei der RUF handelt es sich um jene Rebellentruppe, die vom ehemaligen Kriegsherrn und Präsidenten Liberias, Charles Taylor, mit Kämpfern, Waffen und Logistik unterstützt worden ist)

Auf dem medialen Gradmesser der Grausamkeiten rangierten die AFRC-Kämpfer etwas unterhalb der RUF-Rebellen – nicht unbedingt, weil sie weniger brutal waren, sondern weil der AFRC erst sechs Jahre nach Beginn des Krieges in Erscheinung trat. Doch die Anklageschrift ist in weiten Teilen identisch mit der gegen die Führer der RUF. Sie bezieht sich auf einen Tatzeitraum, in der beide Gruppen eine Allianz bildeten. Gegen die RUF-Führer wird in einem getrennten Prozess in Freetown verhandelt, der vermutlich erst Ende des Jahres abgeschlossen sein wird. In einem dritten Verfahren gegen die Anführer regierungsfreundlicher Milizen ist in den nächsten Wochen mit einem Urteil zu rechnen. Im Vergleich zu anderen internationalen Strafgerichten haben Julia Sebutinde und ihre Kollegen, aber vor allem auch die Ankläger ein flottes Tempo vorgelegt.

Der Besucherraum des Gerichtssaals war am Mittwoch bis auf den letzten Platz besetzt. Zwei Stunden lang lauschten die Zuschauer der Urteilsverkündung durch Richterin Sebutinde – darunter auch zahlreiche Überlebende jener Gewaltorgie, die die RUF zusammen mit dem AFRC 1999 in Freetown anrichtete. Damals wurden in einer „Strafaktion“ tausende von Menschen getötet oder verstümmelt, Frauen vergewaltigt, Kinder verbrannt. Gut möglich, dass auch Jussu Jarka und andere Mitglieder der Vereinigung der Zwangsamputierten im Saal waren, die zuletzt in diesem Blog zu Wort kamen. Wenn nicht, verfolgten sie in ihrer Siedlung den Radionachrichten, und man darf annehmen, dass ihnen bei der Meldung über den Schuldspruch wenigstens ein kurzes Gefühl der Genugtuung vergönnt war.

Was bleibt noch nachzutragen?

Johnny Paul Koroma, der Rädelsführer des AFRC, gilt bis heute als verschollen und ist wahrscheinlich tot. Seine Anhänger, von denen man noch einige auf Freetowns Straßen treffen kann, sind allerdings überzeugt, dass er irgendwann wieder auftauchen wird. Da es für sein Ableben keine Beweise gibt, wird die Anklage des Sondergerichts gegen ihn aufrecht erhalten.

Die ugandische Richterin Julia Sebutinde wird zusammen mit ihren Beisitzern für die die nächsten Monate nach Den Haag umziehen. Dort geht in wenigen Tagen der Prozess gegen Charles Taylor weiter. Ob der Angeklagte dieses Mal im Gerichtssaal erscheinen wird, weiß keiner.

Die marode Armee von Sierra Leone wird seit Kriegsende von britischen Militärs ausgebildet, wobei nicht nur der Umgang mit Maschinengewehr und Raketenwerfer, sondern auch die Genfer Konventionen auf dem Lehrplan stehen. Wie nachhaltig dieser Unterricht ist, bleibt abzuwarten. In Freetown tut die Militärführung jedenfalls etwas, um ihren ramponierten Ruf aufzubessern. „Die Armee hat kein Interesse mehr an Putschversuchen“, steht in großen Lettern auf Werbetafeln.

 

Die Macht der Beschneiderinnen

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Die Menschen in Sierra Leone haben vergangene Woche gleich zwei denkwürdige Ereignisse erlebt. Zuerst den –etwas missglückten – Prozessauftakt gegen Charles Taylor. Dann eine historische Sitzung im nationalen Parlament, an dessen Ende ein Gesetz gegen Kinderheirat verabschiedet wurde. Ab sofort gibt es ein Mindestalter: Die Braut muss mindestens 18 Jahre alt sein – der Bräutigam natürlich auch, aber um die Männer geht es hier nicht.
Mädchen im Alter von elf, zwölf oder dreizehn Jahren an 50 oder 60jährige Männer zu verheiraten, ist nicht nur in Afghanistan, sondern auch in einigen afrikanischen Ländern üblich. Bislang nannte man das in Sierra Leone „Tradition“, nun ist es zumindest laut Gesetz eine Straftat. Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass die „Tradition“ während des Krieges in Sierra Leone zum kollektiven Trauma geworden war: die Rebellen der „Revolutionary United Front“ (RUF) waren nicht nur berüchtigt für ihre Praxis, Zivilisten Arme und Beine abzuschlagen. Sie verschleppten auch tausende von jungen Mädchen als „bush wives“, als Kriegsbeute.
Das Bittere an dieser Erfolgsmeldung aus dem Parlament ist: im Entwurf des Gesetzes war auch das Verbot des Genitalverstümmelung vorgesehen – euphemistisch „Klitorisbeschneidung“ genannt. Dieser Absatz löste im Parlament heftige Diskussionen aus, in deren Verlauf sogar die Presse des Saales verwiesen wurde. Als die Journalisten wieder Einlass fanden, war die entsprechende Passage aus dem Entwurf gestrichen. „Für viele Politiker wäre es das Ende ihrer Karriere“, erklärte ein Abgeordneter dem britischen Nachrichtensender BBC, „wenn sie in der Öffentlichkeit einen Bann fordern würden.“
Möge ihnen der Himmel auf den Kopf fallen.
Aber mit frommen Wünschen ist den Betroffenen nicht geholfen. Bis zu 90 Prozent aller Mädchen und Frauen in Sierra Leone sind Opfer dieser Tortur geworden, was unter anderem die hohe Todesrate von Frauen im Wochenbett, die wachsende HIV-Infektionsrate und den erbärmlichen Gesundheitszustand so vieler Frauen erklärt. Doch genitale Verstümmelung gehört zur Inititation von Mädchen in die Welt der Erwachsenen. Traditionelle Frauenbünde, die „Bundu Societies“, richten das Ritual aus, die Beschneiderinnen (oftmals identisch mit den Hebammen) sind hoch angesehene Mitglieder der Dorfgemeinschaften. Mütter bestärken ihre Töchter, Großmütter ihre Enkelinnen – und sollte tatsächlich ein Mädchen den Mut haben, sich der Verstümmelung zu verweigern, muss sie sich auf ein Leben als Gebrandmarkte einrichten. Sie hat die eigene Gemeinschaft gedemütigt, ist auf dem Heiratsmarkt „verdorbenes Gut“, hat ihre Eltern damit auch um den dringend benötigten Brautpreis gebracht.
Nun könnte man meinen, dass der elfjährige Bürgerkrieg und die Umwälzungen der Nachkriegszeit die Macht der Tradition gebrochen haben. Zumal Sierra Leone im Jahre fünf des Wiederaufbaus immer noch einen kläglichen vorletzten Platz auf dem UN-Entwicklungsindex einnimmt (Rang 176 von 177 Ländern), was vor allem der hohen Müttersterblichkeit zuzuschreiben ist.
Doch offensichtlich ist die Tradition nicht schwächer sondern stärker geworden. Weil der Krieg auf dem Land alle modernen staatlichen Strukturen zerstört hat, sind die traditionellen Geheimgesellschaften als ordnende Kräfte wieder umso attraktiver geworden. Und sie sind ein Wirtschaftsfaktor innerhalb der Dorfgemeinschaft. Mehr Eltern haben nun wieder Zeit und Geld für die Initiationsrituale ihrer Kinder. An dieser „Friedensdividende“ verdienen nicht nur tausende von Beschneiderinnen, sondern auch die Dorfchefs, die einen Teil der Einnahmen kassieren.
Womit wir wieder bei der Politik wären. Eine Frau, die keiner Geheimgesellschaft angehöre und damit die herrschenden Traditionen in Frage stelle, habe als Politikerin keine Chance, sagt Zainab Bangura. Die muss es wissen. Sie war 2002 die einzige weibliche Gegenkandidatin des amtierenden Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah. Bei der Wahl erhielt sie gerade einmal ein Prozent des Stimmen, nachdem das Gerücht umging, sie sei gegen die Klitorisbeschneidung. Das bestreitet sie übrigens vehement, obwohl sie als Mädchen bei ihrer eigenen „Beschneidung“ fast verblutet wäre. Die heutige First Lady, Patricia Kabbah, ging damals für ihren Mann bei den „Bundu Societies“ auf Stimmenfang, indem sie die „Beschneidung“ von 1500 Mädchen bezahlte. Am 11. August wird in Sierra Leone ein neuer Präsident gewählt. Man darf gespannt sein, wie die Kandidaten dieses Mal um die Unterstützung der „bundu societies“ werben.
Bleibt nun die Frage, wie dann überhaupt ein Gesetzesantrag zur Vorlage kommen konnte, der ein Verbot gegen Genitalverstümmelung enthielt. Die Antwort liegt in folgenden Namen: Olayinka Koso-Thomas, Rugiatu Turay, David Tambajoh – so heißen einige der Gynäkologinnen, Frauenrechtlerinnen und Journalisten, die noch während des Krieges in den 90er Jahren in der Hauptstadt Freetown die erste Kampagne gegen Genitalverstümmelung starteten. In Freetown leben vor allem Angehörige der Krio, Nachkommen befreiter Sklaven und die einzige ethnische Gruppen, die Genitalverstümmelung nicht praktiziert. Wie so vieles ist auch dieser Kampf ein Konflikt zwischen Stadt und Land. Noch ist das Land stärker als die Stadt. Viel stärker.

 

Der unsichtbare Angeklagte

Es sollte der nächste große Auftritt der internationalen Strafjustiz werden. In der Besuchergalerie des Gerichtssaals hatte das diplomatische Corps hinter kugelsicherem Glas Platz genommen. Vor dem Gerichtsgebäude drängelten sich die Übertragungswagen – und dann erschien die Hauptperson einfach nicht.
Charles Taylor zog es zur Eröffnung seines Prozesses Montag morgen vor, in seiner Zelle zu bleiben. Sein Wahlverteidiger Karim Khan erklärte den sichtlich verblüfften Richtern, Staatsanwälten und Zuschauern, sein Mandant werde solange nicht am Prozess teilnehmen, bis sein Anwaltsteam finanziell und personell besser ausgestattet sei. Dann legte der Jurist sein Mandat nieder. Dem folgte ein einstündiges multiethnisches Wortgefecht zwischen dem Briten Khan, der Vorsitzenden Richterin Julia Sebutinde aus Uganda, ihrem Beisitzer aus Samoa sowie dem amerikanischen Chefankläger. Alle Spielarten der englischen Sprache schwirrten durch den Saal – es sei denn, der sierraleonische Simultandolmetscher hatte versehentlich die Kopfhörer aller Anwesenden auf Krio geschaltet, was die kreolische Hauptsprache in Sierra Leone ist. Schließlich rauschte Taylors Verteidiger unter Protest und mit wehender Robe aus dem Saal, was ihm nachträglich noch ein Verfahren wegen Missachtung des Gerichts einbringen dürfte. Sage keiner, dass internationale Strafjustiz nicht unterhaltsam sein kann. Ob die Menschen in Sierra Leone, die den ersten Prozesstag am Radio oder auf großen Videoleinwänden verfolgten, das komisch fanden, darf allerdings bezweifelt werden.
Das Problem ist: der Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten gilt schon qua Prominenz des Angeklagten als ein Prüftstein für die globale Strafgerichtsbarkeit. Einen solches Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten und nur im Beisein eines Pflichtverteidigers zu führen, ist zwar möglich, macht aber – gelinde gesagt – keinen guten Eindruck.
Taylor ist der Kriegsverbrechen und Verbrechen in elf Fällen angeklagt, weil er die berüchtigste Rebellengruppe des sierraleonischen Bürgerkriegs mit Geld, Waffen und liberianischen Truppen unterstützt haben soll. Der Prozess vor dem internationalen Sondergericht in Sierra Leone war aus Sicherheitsgründen nach Den Haag verlegt worden, weil man befürchtet hatte, dass ein Verfahren in Freetown den fragilen Frieden in der Region hätte gefährden können. Taylor, das ewige Gespenst.
Nun zeichnet sich ein anderes Szenario ab: Taylor, der Unsichtbare. Der zweite Verhandlungstag ist für Ende Juni angesetzt. Dass die Anklagebank dann besetzt sein wird, ist unwahrscheinlich. Und am Montag abend wußte in Den Haag noch niemand so recht, wie es weitergehen soll.

 

Die Opfer des Charles Taylor

Sie hätten ihn gerne gesehen, wie er da sitzt auf der Anklagebank im makellosen Anzug, flankiert von Sicherheitsbeamten. Sie hätten gern erlebt, wie er, der selbstherrliche Schwadroneur, nur reden darf, wenn die Richterin ihm das Wort erteilt. Vielleicht hätte Charles Taylor irgendwann durch die kugelsichere Glasscheibe in den Zuschauerraum geblickt auf die Männer und Frauen aus Grafton, dem Dorf der Versehrten. Jussu Jarka, der zwei stählerne Greifhaken hat, wo andere Leute Hände haben, Edward Conteh mit seinem Armstummel, an den keine Prothese passt, oder Kadiatu Fofanah, die Frau ohne Beine. Sie hätten gern das Gesicht jenes Mannes studiert, der einst gesagt hat: „Auch Sierra Leone wird die Bitterkeit der Krieges schmecken.“
Eigentlich sollte der Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Staatspräsidenten Charles Taylor heute in der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown beginnen, in Saal II des internationalen Sondergerichts. Das Gericht liegt an der Jomo Kenyatta Road mitten in der Stadt, ein schön geschwungenes Gebäude, das von Weitem wirkt wie ein unbekanntes Flugobjekt: zwei Rundbauten, darüber ein Dach, dessen Hälfte wie Tragflächen gen Himmel ragen. Drumherum Dutzende von weißen Bürocontainern, eine Haftanstalt und Mauern mit Stacheldraht. Eine Festung mit eigener Stromversorgung, Sicherheitsschleusen und Cafeteria, in der Staatsanwälte aus den USA, Richterinnen und Richter aus Uganda, Sierra Leone, Samoa und Österreich in der Mittagspause anstehen. Außerdem Gefängniswärter aus Nordirland und Südafrika, Gerichtsdiener aus Großbritannien, Archivare aus Tansania. Für den militärischen Schutz sorgen Blauhelme aus der Mongolei. Ein Babylon des Völkerrechts mitten in Westafrika, errichtet mit Hilfe der Vereinten Nationen, um die Hauptverantwortlichen des elfjährigen Plünderkrieges in Sierra Leone zur Verantwortung zu ziehen. Acht ehemalige Rebellen- und Milizenführer sitzen derzeit in der Haftanstalt des Sondergerichts und warten auf ihre Urteile. Der neunte und prominenteste Angeklagte hat hier nur kurze Zeit eine Zelle belegt. Aus Sicherheitsgründen hat man den Prozess gegen Liberias Ex-Präsidenten Charles Taylor nach Den Haag verlegt. Ein Gerichtsverfahren in Westafrika, so die Befürchtung, könnte den immer noch fragilen Frieden in der Region gefährden, vor allem in Taylors Heimatland Liberia. „Das Gericht“, sagt Jussu Jarka, der Mann mit den Greifhaken, „wird schon wissen, was es tut“.Jussu Jarka
„Gewidmet den Opfern des Konflikts in Sierra Leone“, steht auf der Messingplakette am Eingang des Sondergerichts in Freetown. „Konflikt“ ist ein zu mildes Wort für das, was sich zwischen 1991 und 2002 in diesem Land abgespielt hat. Auch die Anklageschrift gegen Taylor gibt das Grauen nur unvollkommen wieder: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in elf Fällen – darunter „terroristische Akte gegen die Zivilbevölkerung“, „sexuelle Gewalt“, „Rekrutierung von Kindersoldaten“, „Verschleppung und Zwangsarbeit“. Die Täter waren Angehörige der „Revolutionary United Front“, eine Rebellengruppe angeführt von einem ehemaligen Hochzeitsfotografen namens Foday Sankoh. Die RUF rekrutierte massenweise Kindersoldaten in ihren „Small Boys Units“ und „Small Girls Units“. Andere Kinder wurden Einheiten zugeteilt, deren Namen ihre Spezialität des Tötens auswies: Es gab „Burn House Units“, es gab die „Born Naked Squad“, deren Opfer sich vor ihrer Ermordung nackt ausziehen mussten, oder die „Cut Hands Commandos“, die Zivilisten wie Jussu Jarka oder Kadiatu Fofanah Arme und Beine abschlugen. Taylor hatte die RUF finanziert und ausgerüstet, um in den neunziger Jahren eine ihm nicht genehme Regierung in Sierra Leone zu stürzen und sich Zugang zu den Diamantenvorkommen des Nachbarlandes zu verschaffen.
Der Fall Taylor ist nach dem Prozess gegen Slobodan Milosevic das zweite Gerichtsverfahren, in dem sich ein ehemaliges Staatsoberhaupt für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während seiner Amtszeit verantworten muss. Die Anklageerhebung allein ist ein Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts und für den Grundsatz „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit“. Die Frage ist nur: Reicht das, um den Überlebenden in Sierra Leone Genüge zu tun?
Dass das Sondergericht laut Mandat nur die „Personen mit der größten Verantwortung“ anklagen kann, war anfangs schwer zu vermitteln in einem Land, in dem jeder mindestens einen Ermordeten kannte – und im Zweifelsfall auch einen Mörder. Aber inzwischen hat sich herumgesprochen, dass hier ein Gericht der Straflosigkeit den Kampf angesagt hat. Es gibt in Sierra Leone kaum ein Dorf, das noch nicht von Vertretern des Sondergerichts über seinen Sinn und Zweck aufgeklärt worden ist. Nur kann ein internationales Gericht allein nicht die Gräueltaten und Traumata von elf Jahren Krieg aufarbeiten. Der Idealfall, sagt die österreichische Juristin Renate Winter, Richterin an der Berufungskammer des Sondergerichts, sei ein Dreieck, bestehend aus internationalem Tribunal zur Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen, einer Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Aufarbeitung und Dokumentation der Verbrechen sowie eine nationale Strafjustiz, die gegen die zweite, dritte oder vierte Garde der Kriegsverbrecher vorgeht. Von einer funktionstüchtigen nationalen Gerichtsbarkeit ist in Sierra Leone auch fünf Jahre nach Kriegsende fast nichts zu sehen; die Wahrheits- und Versöhnungskommission hat zwar einen in internationalen Fachkreisen hoch gelobten Abschlussbericht herausgegeben. Der aber hat in einem Land mit einer Analphabetenrate von 65 Prozent kaum Beachtung gefunden. Und dem internationalen Sondergericht wird zum Teil der eigene Erfolg zum Problem. Es war eine enorme logistische Leistung, innerhalb kürzester Zeit in einem kriegszerstörten Land ein funktionierendes Gericht aus dem Boden zu stampfen. Im Vergleich zu anderen internationalen Tribunalen ist das Sondergericht in Freetown eine karg ausgestattete Einrichtung. Gemessen an den Lebensumständen der meisten Einheimischen ist es eine Luxus-Oase mit eigener Strom- und Wasserversorgung. Die Angeklagten erhalten drei Mahlzeiten am Tag, werden ärztlich betreut, haben Zugang zu Fernseher und Fitnessgeräten. Im übrigen Land knurren die Mägen, es grassieren Malaria, Diarrhö, und wer Glück hat, kann sich für einen Becher Reis in den Diamantenfeldern den Rücken krumm schuften. „Kriegsverbrecher müsste man sein“, sagt Edward Conteh, ein bulliger 66-jähriger Großvater, der jeden Morgen Gott dafür dankt, dass er „mir einen starken Körper und acht afrikanische Söhne geschenkt hat“.
Conteh lebt heute mit anderen Schicksalsgenossen in Grafton, einer Art Vorstadtsiedlung für Versehrte, eine Autostunde von der Hauptstadt Freetown entfernt. Eine norwegische NGO hat ihnen Häuser gebaut. In einem Block haben sich die Blinden eingerichtet, daneben die Polio-Kranken und auf der anderen Seite der Hauptstraße die Amputierten. Hier draußen starrt sie keiner an, hier sind sie die „Normalen“. Jussu Jarka hatten RUF-Rebellen im Januar 1999 beide Unterarme abgeschlagen, weil er seine Tochter vor ihnen schützen wollte. Edward Conteh geriet in eine RUF-Patrouille, als er im belagerten Freetown Essen für seine Familie suchte. Dem alten Sorie schlug ein zwölfjähriger Kindersoldat die Hand ab, um sie mit anderen Trophäen in einer Plastiktüte seinem Kommandanten zu präsentieren. Und Kadiatu Fofanah hackte man beide Füße ab – als „Strafe“ für einen Fluchtversuch;Kadiatu Fofanah
Diese Geschichten erzählen sie sich in ihrer Siedlung heute wie Anekdoten aus einer Kneipenschlägerei. Man steht dann dabei und weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. „Mensch Sorie,“ sagt Conteh und haut seinem einarmigen Nachbarn auf die Schulter, „bei dir mussten sie drei Mal zuschlagen, bis der Arm ab war, so zäh bist du“. Das sei ihre Art, den Horror zu verarbeiten, sagt Conteh. Das und ihr Kampf für Entschädigung. Denn trotz ausdrücklicher Empfehlung der sierra-leonischen Wahrheitskommission haben die Kriegsverwundeten, Verstümmelten und Geplünderten bis heute keinen Cent erhalten. „Warum so viel Geld für die Auseinandersetzung mit den Tätern ausgeben“, fragen sie, „wenn die Opfer leer ausgehen?“
Einmal in der Woche fahren einige der Amputierten aus Gratfon mit dem Sammeltaxi in die Stadt, um zu betteln. Das Wohlwollen und die Spendenfreude der Leute hält sich in Grenzen. Sierra Leone ist ein bitterarmes Land, in der der tägliche Überlebenskampf mehr Platz einnimmt als die Aufarbeitung des Krieges. Mit ihren Prothesen und Stümpfen sind die Amputierten lebende Mahnmale, eine permanente Erinnerung an elf Jahre Wahnsinn – und nicht jeder will erinnert werden. Edward Conteh weigert sich zu betteln, er verdient sich ein bisschen Geld als Fotograf von Passbildern. „Die Hand darf halt nicht zittern.“
Das Geld für ein Sammeltaxi zum Prozess gegen Charles Taylor hätten sie schon irgendwie zusammengebracht. Aber der sitzt nun eben auf einer Anklagebank in den Niederlanden. Also warten die Amputierten in Grafton auf den Boten aus Freetown, der ihnen Videoaufzeichnungen der Verhandlung bringen wird. Das sehen sie sich dann im „Straßenkino“ an, einer jener Bretterbuden mit Fernseher, Generator und Bierausschank, in denen sonst nigerianische Seifenopern oder Kung-Fu-Filme gezeigt werden. Edward Conteh kann es bis heute nicht verwinden, dass Foday Sankoh, der RUF-Führer und Weggefährte Taylors, kurz nach Beginn seines Prozesses friedlich an den Folgen eines Schlaganfalls starb. Von Charles Taylor erhofft er sich mehr Durchhaltevermögen.
Der Angeklagte Taylor, so viel sei noch gesagt, gilt als mustergültiger Häftling. Er habe „vorzüglich kooperiert“, sagen die Wärter in Freetown. Auch aus Den Haag, wo Taylor nun neben dem Häftlingsblock des UN-Jugoslawien-Tribunals einsitzt, sind keine Klagen zu hören. Der ehemalige Präsident beschwere sich allerdings über die „eurozentrische Küche“ und mangelnde soziale Kontakte. Sein Verteidiger hat bei der Gefängnisleitung beantragt, seinen Mandanten während der Aufschlusszeiten mit den Häftlingen des UN-Jugoslawien-Tribunals zusammenzubringen. Wenn man den Berichten aus dem Gefängnisinneren trauen darf, haben diese hinter Mauern einen Mini-Kosmos jenes alten Jugoslawiens wieder aufleben lassen, das sie in den neunziger Jahren so gründlich zerstört hatten. Sie spielen zusammen Schach, tauschen beim Töpferkurs Kriegsanekdoten aus und lernen gemeinsam Englisch. Taylor hat in seinem Haftblock bislang nur Kontakt mit Thomas Lubanga, einem ehemaligen Warlord aus dem Kongo, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Rekrutierung von Kindersoldaten angeklagt ist. Taylor spricht englisch, Lubanga französisch. Folglich haben sich die beiden nicht viel zu sagen.

 

Die Golddealer mit den blauen Helmen

Neuigkeiten aus dem Kongo. Leider mal wieder unerfreuliche, was dieses Mal den – nein: einigen – Blauhelmen der UN zu verdanken ist. Wie die BBC berichtet, sollen pakistanische Blauhelme im kriegszerrütteten ostkongolesischen Bezirk Ituri am illegalen Goldhandel beteiligt gewesen sein und – schlimmer noch – eine der Bürgerkriegsmilizen mit Waffen ausgestattet haben. Die Vorwürfe betreffen ein pakistanisches Battalion, das im Jahr 2005 in der Goldgräberstadt Mongwbalu stationiert war. Die Goldminen von Mongwbalu waren das größte Beutestück in einem ethnisierten Krieg zwischen Milizen der Hema und der Lendu. Zur Erinnerung: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wartet derzeit Thomas Lubanga, ehemals Chef der Hema-Partei „Union des Patriotes Congolais“ (UPC) und ihrer Miliz, auf seinen Prozess wegen Rekrutierung von Kindersoldaten.
Die pakistanischen Blauhelme sollen nun vor zwei Jahren mit Lubangas Gegnern von der „Front Nationaliste Intégrationiste“ (FNI) Geschäfte gemacht haben. Die kontrollierten 2005 die Goldminen, erpressten „Schutzgelder“ und tyrannisierten die Bewohner. Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) und kongolesischen Menschenrechtsorganisationen sind pakistanische Offiziere in das Goldgeschäft eingestiegen. Unter ihrer Beteiligung soll Gold im Wert von mindestens zwei Millionen Dollar aus dem Land geschmuggelt worden sein. Damit nicht genug: Um die Beziehungen zu den lokalen Warlords zu fördern, sollen die Blauhelme den Milizionären jene Waffen zurückgegeben haben, die diese zuvor bei bei Demobilisierungsprogrammen der UN abgeliefert hatten. Geschäftspartner der Pakistanis waren demnach zwei lokale Kriegsherren mit den Spitznamen „Kung Fu“ und „Dragon“
Im UN-Hauptquartier waren diese Vorwürfe offenbar bekannt. Im August 2006 traf ein UN-Ermittlerteam in Mongbwalu ein, um die Vorfälle zu untersuchen. Die pakistanischen Offiziere gaben sich zunächst kooperationswillig, was sich schlagartig änderte, als die UN-Beamten die Festplatte eines Computers beschlagnahmen wollten. Da fuhren nach Recherchen der BBC plötzlich UN-Panzerfahrzeuge vor dem Quartier der Ermittler auf, die sich daraufhin „gründlich eingeschüchtert“ sofort ausfliegen liessen. Seitdem dümpelt die Untersuchung vor sich hin.
Hier nun eine Auswahl von Stellungnahmen der Betroffenen.
„Der Untersuchungsbericht ist noch nicht fertig. Aber ich streite mit aller Entschiedenheit ab, dass Blauhelme die Milizen wiederbewaffnet haben.“ (William Swing, Leiter der UN-Mission im Kongo)
„Da waren auch Truppen aus anderen Ländern im Kongo. Warum pickt die BBC unsere Soldaten heraus? Die UN können untersuchen, was sie wollen. Soweit wir wissen, haben sie bislang nichts gegen uns vorgebracht.“ (Generalmajor Wahid Arshad, Pressesprecher der pakistanischen Streitkräfte)
„Die UN haben eine Menge Informationen von Human Rights Watch erhalten, und 18 Monate später ist immer noch nichts passiert. Es sieht so aus, als ob da was unter den Teppich gekehrt wird.“ (Anneke Van Woudenberg, Kongo-Expertin von Human Rights Watch)
„Sollte der Untersuchungsbericht ergeben, dass es hier zu Verstößen und Vergehen gekommen ist, wird der Generalsekretär Ban Ki-Moon die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.“ (Michele Montas, Pressesprecherin der UN in New York)
Das Problem ist: Ban Ki-Moon hat über die pakistanischen Soldaten ungefähr so viel Einfluss wie über die Klimaerwärmung. Im Rahmen der UN gibt es kein Gremium, das Blauhelme für Verbrechen und Vergehen bestrafen, die sie während ihrer Einsätze begehen. Das liegt allein in der Verantwortung der Entsendeländer, und die kümmern sich in der Regel einen feuchten Kehricht um Straftaten, die ihre Soldaten bei UN-Einsätzen begangen haben. Das war – und ist – zu beobachten, bei den Vorwürfen gegen UN-Soldaten wegen sexuellen Mißbrauchs von Frauen und Mädchen in Bosnien, Mozambique oder dem Kongo. Das wird auch jetzt gelten, sollten sich die Vorwürfe gegen die pakistanischen Blauhelme bestätigen. Zumal Ban Ki-Moon wie schon seine Vorgänger in einem zusätzlichen Dilemma stecken: es ist unendlich schwierig, für Friedenseinsätze genügend UN-Truppen zu finden. Den westlichen Länder sind ihre Soldaten für solche Missionen zu schade. Und aus dem Rest der Welt kommt nicht immer das professionellste Personal, um es milde auszudrücken. Mit Ausnahme von Ländern wie Indien und eben Pakistan, deren Truppen bei der UN in New York heiss begehrt sind. Schon allein deswegen wird Ban Ki-Moon nichts weiter tun können, außer ein paar rhetorischen Floskeln der Empörung und Betroffenheit in die Welt zu setzen.
Also alles wie gehabt? Nein, nicht ganz. Berichterstattung über Skandale bedeutet immer auch Beschämung der Verantwortlichen. Pakistan wird derzeit von Pervez Musharraf, einem General, regiert, der bekanntermaßen derzeit reichlich innenpolitische Probleme hat. Die internationale Bloßstellung seiner Soldaten ist das letzte, was er derzeit brauchen kann. Bleiben also zwei denkbare Optionen: Entweder versucht die pakistanische Militärführung nun erst recht, alles unter den Teppich zu kehren. Oder sie tritt die heilsame Flucht nach vorn an und ermittelt selbst gegen die Beschuldigten. Was die UN-Mission im Kongo angeht: die wäre gut damit bedient, den Untersuchungsbericht, der nun plötzlich innerhalb von drei Wochen fertig sein soll, als erstes den Menschen in Ituri vorzulegen. Die werden sich einiges dazu zu sagen haben.

 

In eigener Sache

Den werten Leserinnen und Lesern wird es aufgefallen sein: Aus dem Kongo-Blog ist Böhm’s Logbuch geworden. Keine Sorge, der Kongo bleibt weiter Thema. Aber künftig wird es an dieser Stelle nicht nur Reiseberichte aus Kinshasa, Bukavu oder Kamituga geben, sondern auch aus Serbien, Sierra Leone, Liberia, Kosovo – und wo immer sonst ich mich herumtreibe. Außerdem bietet das Logbuch Berichte und Kommentare zu aktuellen außenpolitischen Ereignissen. Viel Spaß beim Lesen.

 

Frieden macht nicht satt – eine Reise zu den Diamantenfeldern von Sierra Leone

„Können Sie kaufen – für 20.000 Leones“, sagt der Mann und hält uns seine Handfläche entgegen. Darauf liegt, kaum grösser als der (allerdings beträchtliche) Dreck unter meinem Fingernagel, ein Rohdiamant. Der Mann ist Diamantensucher, aber er weiß nicht, wieviel sein Fund wirklich wert ist. Er will einfach nur etwas zu essen kaufen. 20.000 Leones – das sind umgerechnet sechs Euro. Oder zwei Wochen Vorrat an Reis, Cassava, Zwiebeln und Bananen für seine Familie.
Über zehn Stunden hat unsere Autofahrt von der Hauptstadt Freetown nach Tongo Fields im Diamantengebiet von Sierra Leone gedauert. Waschbrettpisten und Schlaglöcher mit dem Durchmesser von Klodeckeln erlauben oft nur Schneckentempo. Als Labsal für die Bandscheiben gestatten wir uns kurze Pausen in den Dörfern am Straßenrand. Überall ist Markttag, im Angebot ist das afrikanische Standardsortiment: Mangofrüchte, Flip Flops, Telefonkarten, Limonade und aufgebügelte Altkleider aus Europa. Manche Händler haben ihre Ware in den Fensterhöhlen zerschossener Häuser ausgelegt. Gleich nebenan decken Bauarbeiter neue Lehmhäuser mit Wellblechdächern, wieder ein paar Meter weiter legen Frauen die Wäsche über niedergebrannten Mauern zum Trocknen aus. Ruinen und Rohbauten – dieses Nebeneinander beschreibt den Zustand des ganzen Landes: fünf Jahre nach Kriegsende steckt Sierra Leone irgendwo zwischen Alptraum und Neuanfang. altkleiderhandel-in-ruinen.jpg
Kaum jemand in der westlichen Öffentlichkeit interessierte sich seinerzeit für diesen Konflikt, in dem 50.000 Menschen starben. Dank Hollywoods neuestem Polit-Thriller „Blood Diamond“ haben nun zumindest die Fans von Leonardo DiCaprio eine Ahnung, worum es damals (unter anderem) ging: um Sierra Leones riesige Diamantenvorkommen. Und um Rebellengruppen, die sich den Zugang zu diesen Bodenschätzen mit einer Terrorkampagne gegen Zivilisten sicherten. Zum Beispiel in den Tongo Fields.
Momoh Brima, ein Diamantensucher, hat sich bereit erklärt, uns seinen Arbeitsplatz zu zeigen. Ein Trampelpfad führt hinter seinem Dorf auf einen Hügel, links und rechts türmen sich Sandhaufen, als wäre eine Heerschaar Maulwürfe am Werk gewesen. Verlassene Diamantenfelder, umgepflügte, aufgerissene Erde mit brackigen Wasserpfützen. Hervorragende Brutplätze für Malaria-Mücken.
Plötzlich tut sich gigantisches Loch vor uns auf, eine Grube, gut fünfzehn Meter tief und zwanzig Meter im Durchmesser. Auf dem Grund schimmert giftgrünes Wasser. „Haben wir gegraben“, sagt Brima, ein schmächtiges Kerlchen mit einer charmanten Zahnlücke, „in drei Monaten. Mit nichts als Muskeln und Schaufeln.“
Die „digger“, die Gräber, füllen den Sand in Säcke, balancieren die Last auf dem Kopf nach oben. Ein ächzender Generator pumpt Wasser und Schlamm nach oben zu den „washers“, den Wäschern – 50, vielleicht 60 Männer, die mit gekrümmten Rücken den Schlamm aussieben. Ihre Augen sind auf das Drahtgitte fixiert, als könnte schiere Willenskraft die wertlosen Kiesel in Edelsteine verwandeln. Der Himmel ist strahlend blau, die Temperatur liegt bei über 30 Grad, es gibt kein Trinkwasser, keinen schattigen Unterstand. Und weit und breit keinen Arzt, falls einer der „digger“ in der Grube abrutscht und in die Tiefe stürzt. Berufsrisiko.
Diamantensucher in den Tongo Fields
Momoh Brima war 19 Jahre alt, als die Rebellen der „Revolutionary United Front“ (RUF) 1991 seine Heimatregion besetzten, um mit den Gewinnen aus dem Diamantenschmuggel ihren Krieg gegen regierungstreue Milizen zu finanzieren. Die Diamantenfelder wurden damals zu kleinen Gulags, die Gräber und Wäscher verrichteten Zwangsarbeit – es sei denn, sie waren rechtzeitig über die Grenzen nach Liberia oder Guinea geflohen. In den Tongo Fields hatten mal die Rebellen, mal die Milizen die Oberhand – und wer immer gerade eine Schlacht gewonnen hatte, zog danach plündernd und mordend durch die Dörfer. Brima und seine Kollegen in der Schlammgrube tragen die Bilder dieses Krieges mit sich herum: Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt und als „bush wives“ verschleppt; zwangsrekrutierte Kinder mussten zur „Initiation“ in die Truppe die eigenen Eltern umbringen; Menschen wurden die Hände abgehackt, die Initialen der jeweiligen Rebellentruppe in die Haut gebrannt. Es gab Fälle von Kannibalismus.
Momoh Brima wollte sich „Blood Diamond“ neulich im Strassenkino ansehen, einer dieser Bretterbuden, in der Fußballspiele der englischen Premier League, nigerianische Seifenopern und Kung-Fu-Streifen gezeigt werden. Gleich zum Auftakt des Films überfallen Rebellen ein Dorf und verstümmeln Zivilisten. Brima ergriff die Flucht, lief hinaus auf die Strasse. „Das habe ich nicht ausgehalten“, sagt er und starrt in die riesige Grube.
Nach dem Krieg haben sich Momoh Brima und die anderen Männer zusammengeschlossen, das Geld für eine staatliche Schürflizenz zusammengekratzt, eine eigene „Verfassung“ für ihre Kooperative aufgesetzt und feierlich beschlossen, dass ab sofort jeder Arbeiter täglich zwei Tassen Reis und 500 Leones ausbezahlt bekommt. Das sind 15 Cent. Aus den 500 Leones ist nie etwas geworden, und die zwei Tassen Reis hat er zum letzten Mal vor drei Tagen erhalten. Die Zeiten, als man für Rohdiamanten nur eine Handbreit tief im Flussschlamm graben musste, sind vorbei. Heute müssen sich die Männer mit Schaufeln und blossen Händen immer tiefer in die Erde wühlen.
Die Ausbeute von einer Woche Schufterei
Diamanten aus Sierra Leone gelten heute als „konfliktfrei“, der Export läuft zum großen Teil legal. Doch das Geschäft lohnt sich nur noch für große Firmen mit schwerem Gerät. Internationale Konzerne kaufen immer mehr Schürfrechte auf, aber sie brauchen kaum Arbeitskräfte. Und von ihren Investitionen und lächerlich geringen Exportsteuern haben bislang allenfalls Politiker und traditionelle Dorfchefs profitiert, nicht aber die Bevölkerung.
Nichts als Schlamm
Der einzige, der an Brimas Grube reich wird, ist der Landbesitzer, ein älterer Mann mit zerrupftem Bart und dem traditionellen Titel eines „section chief“. Für die Nutzung des Geländes kassiert er saftige Gebühren. Gleich neben dem riesigen Loch beobachtet er aus einer schattigen Hütte die schweißüberströmten Männer. Er ist ihr Zwischenhändler, kauft ihnen alle Diamanten mit mindestens einem Karat ab. Mit den Arbeitern hat er dabei leichtes Spiel. Keiner der Gräber oder Wäscher weiss, den Wert eines Rohdiamanten einzuschätzen. Keiner kennt die Unterschiede in Klarheit, Konturen, Farbe. Momoh Brima hat eine vage Ahnung, dass Diamanten in Europa zu Schmuck verarbeitet werden. Aber er weiss nicht, dass die Steine, die sie hier nach wochenlanger Knochenarbeit für zwanzig, vielleicht auch fünfzig Euro an den „section chief“ verkaufen, in Paris, London oder Berlin für ein paar tausend Euro über den Ladentisch gehen.

Wir sind nach nicht einmal einer Stunde im Diamantenfeld dem Hitzschlag nahe. Schlamm verschmierte Männer haben einen Kreis um uns gebildet. Es hat sich herumgesprochen, dass wir keine Diamantenhändler sind, sondern Journalisten und NGO-Mitarbeiter. Die Männer bitten um Geld, sie brauchen neue Siebe, Medikamente für die Kinder. Einer versucht es mit einem ungeschliffenen Heiratsantrag: „Mädchen, Du gehörst jetzt mir!“ Wir treten den Rückzug an. „Lady“, ruft sein Kollege aus der Grube hinterher, „wie wär’s, wenn Sie uns wenigstens einen Bagger spenden? Oder ein bisschen Reis?“ Fünf Jahre Frieden – und sie sind noch nicht ein einziges Mal satt geworden.

 

Europas Dilemma im Kongo

Es herrscht wieder Ruhe in Kinshasa – Friedhofsruhe, muss man sagen, denn die Leichenhäuser der Stadt sind überfüllt. Diplomaten und Hilfsorganisation schätzen die Zahl der Toten inzwischen auf bis zu 500, darunter viele Zivilisten. Den zweistündigen Hauptstadtkrieg hatten am vergangenen Donnerstag Milizionäre des ehemaligen Vize-Präsidenten Jean-Pierre Bemba begonnen, die sich einem Regierungsultimatum zu ihrer Entwaffnung nicht fügen wollten. Daraufhin schossen Armee und die Garde von Präsident Joseph Kabila mit allem zurück, was die Waffenarsenale hergaben.
Was die aktuelle Befindlichkeit der Hauptkontrahenten angeht: Bemba befindet sich immer noch unter dem Schutz der südafrikanischen Botschaft und bereitet sich offenbar auf eine erste Exilstation in Portugal vor. Präsident Kabila, der ebenso wie sein neuer Premierminister Antoine Gizenga während der Kämpfe keinen Ton von sich gegeben hatte, fand am Montag seine Stimme wieder und lobte Armee und Präsidentengarde für ihren verheerenden Einsatz.
Und nun?
Das fragt man sich auch innerhalb der Europäischen Union. Die hatte vergangenes Jahr Kongos historischen Wahlmarathon mit mehreren hundert Millionen Euro finanziert, hatte zur Absicherung der Wahlen sogar einige hundert Soldaten in die Hauptstadt entsandt – und seither verhalten optimistische Prognosen gestellt. Nun hat sich Bemba, die Führungsfigur der Opposition mit immerhin 42 Prozent der Wählerstimmen im Rücken, durch den Einsatz seiner Miliz (die er am Ende offenbar selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte) von der politischen Bühne katapultiert. Und Kabila, den die internationale Gemeinschaft im Wahlkampf um die Präsidentschaft ziemlich unverhohlen unterstützt hatte, entpuppt sich als Möchtegern-Terminator, der seinen Erzrivalen ohne Rücksicht auf Verluste beseitigen will.
In Kinshasa sind Ende vergangener Woche nicht nur unzählige Zivilisten getötet worden, sondern auch diverse Botschaften unter Beschuss geraten. Spanien und Griechenland meldeten Granateneinschläge, der nigerianische Botschafter wurde von einer Kugel ins Bein getroffen, das Gebäude des UN-Kinderhilfswerks UNICEF beschossen. Am Dienstag traten nun die europäischen Botschafter in Kinshasa vor die Presse und kritisierten in undiplomatischer Schärfe den „voreiligen und unangemessenen Gewalteinsatz“ seitens der Regierung. Verhandlungsoptionen über die Auflösung von Bembas Miliz seien nicht ausgeschöpft worden. „Eine Warnung an Kabila“, kommentierte dazu die Tageszeitung „Le Potentiel“, eines der wenigen seriosen Blätter in der kongolesischen Hauptstadt.
Dessen Umgang mit der Opposition kritisieren Menschenrechtsorganisationen schon seit Monaten. Kabila-kritische Medien werden schikaniert; die UN zeigt sich „besorgt“ über Anzeichen massiver Korruption bei den Gouverneurswahlen, die größtenteils zugunsten des Kabila-Lagers ausgegangen sind.
Bleibt die Frage, ob Kabila derzeit für Warnungen empfänglich ist. Die Hardliner in seinem Lager wollen Bemba wegen Hochverrats vor Gericht sehen und würden eine Zuflucht in Europa (auch wenn sie derzeit als Ausreise zur medizinischen Behandlung deklariert wird) als europäischen Affront ansehen.
Die Europäische Union, die USA und die UN-Institutionen haben als Geldgeber des Kongo zwar Druckmittel in der Hand. Doch erstens bietet sich China jederzeit als finanzstarker Konkurrent der westlichen Geberländer an, der seine Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe ausdrücklich nicht an lästige Bedingungen wie Einhaltung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien knüpft. Und zweitens könnte die Front der europäischen Länder schnell Risse zeigen. Der Kongo ist unendlich reich an begehrten Rohstoffen. Das macht es sehr verführerisch, bilateral mit Kinshasa ins Geschäft zu kommen.