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Der Krieg gegen die Frauen

Air MONUC sei Dank: Die Reise von Kinshasa nach Bukavu, vom Westen des Kongo an die Ostgrenze, dauert nur vier Stunden. Das Flugzeug ist eine solide aussehende Boeing 727, die russischen Piloten wirken stocknüchtern im Gegensatz zu ihren Landsleuten, die im Kongo mit altersschwachen Propellermücken auf eigene Rechnung Menschen, Tiere und Waren transportieren. Die UN-Flotte von Passagier- und Transportmaschinen hat dieses zerrissene Riesenland wenigstens an einigen Stellen wieder vernetzt.
Air MONUC befördert nicht nur UN-Personal, sondern, wenn Platz ist, auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, kongolesische Abgeordnete, Wahlhelfer, Journalisten. Und zwar umsonst. Hin und wieder muss man über die UN-Mission im Kongo Gutes verbreiten. Kritisiert und verschmäht wird sie oft genug.
Bukavu liegt in einer traumhaft schönen Region des Landes. „Die kongolesische Schweiz“, nennen sie manche. Berge und eine Kette großer Seen ziehen sich an der Ostgrenze entlang. Die Landschaft bietet sattes Grün in allen Nuancen. Maisfelder, Palmen, Avocado-und Banenenbäume. Marktstände voller Zwiebeln, Tomaten, Süßkartoffeln, Maniok und Zuckerrohr. Die Luft ist klarer und kühler. Eine Labsal nach sieben Tagen im drückend feuchten, moskitoverseuchten Kinshasa – vorausgesetzt, man vergisst, dass der Krieg hier und nicht in der Hauptstadt getobt hat. Für die Frauen im Osten ist er immer noch nicht zu Ende.
Jeden Tag zieht eine Karawane neuer Opfer in Bukavu den Hügel hinauf zum Panzi-Hospital, einer aufgeräumten Ansammlung von Steinpavillons. Frauen in Wickelröcken und Gummisandalen, die Kopftücher mit Witwe-Bolle-Knoten über der Stirn befestigt. Manche laufen gekrümmt, manche werden von Verwandten getragen, manche gehen abseits, weil sie nach Urin und Kot stinken. Sie kommen aus Kalehe, aus Kitutu oder Buniakiri, aus den Kleinstädten und Dörfen der Provinz Süd-Kivu, wo keine Blauhelme stationiert sind, und Hilfsorganisationen sich nur selten hinwagen.
Hier kontrollieren immer noch Hutu-Milizen große Gebiete. Das sind Angehörige jener „Interahamwe“, die 1994 in Ruanda innerhalb weniger Wochen 800.000 Tutsi ermordeten, bevor sie vor einer Tutsi-Rebellenarmee über die Grenze in den Kongo flohen. Der Genozid in Ruanda war der Auftakt des Massensterbens im Nachbarland. Was als ruandisch gesteuerte Intervention gegen die Interahamwe und das Hutu-freundliche Mobutu-Regime begann, mündete in einen Plünderkrieg unter Beteiligung von sechs Nachbarländern, Dutzenden von Warlords und ausländischen Rohstofffirmen. Soviel in aller Kürze zum „afrikanischen Weltkrieg“, an dessen Folgen fast vier Millionen Menschen gestorben sind, überwiegend Zivilisten.
In keinem anderen Krieg wurde Vergewaltigung so systematisch und brutal als militärische Strategie eingesetzt. Seit dem Friedensabkommen 2002 geschieht das Morden im Osten nur noch sporadisch. Die sexuelle Gewalt aber geht ungehindert weiter.
Alle Patientinnen, die laufen können, sehe ich an diesem Morgen beim Frühgottesdienst. Ein Studentenchor singt Kirchenlieder. „Ein bißchen was zur Aufmunterung“, sagt der Leiter des Krankenhauses, Doktor Denis Mukwege. Gut 200 Frauen drängen sich auf den Bänken, ziehen die Schultertücher enger, weil es kühl ist an diesem Morgen, murmeln immer lauter „Amen“, als der Prediger in Fahrt gerät, eine krümmt sich, schreit etwas heraus, die meisten recken einen Arm gen Himmel, andere verstecken ihre abgestorbenen Hände im Schoss. Ihre Vergewaltiger haben sie wochenlang an Bäume gefesselt und jede Blutzufuhr unterbrochen. Das ist ein Markenzeichen der Hutu-Rebellen.
Mukwege klopft ungeduldig auf seine Armbanduhr, weil der Prediger seine Redezeit von fünfzehn Minuten überzieht. Doktor Mukwege hat heute zehn Operationen auf dem Plan. Bei einigen Patientinnen muss er am Harn- und Darmtrakt operieren, damit die Frauen wieder Urin und Stuhlgang kontrollieren können. Das Stigma der Vergewaltigung ist schon schlimm genug. Wenn die Opfer auch noch stinken, stösst die Dorfgemeinschaft sie aus wie Lepra-Kranke. Bei anderen sind Beckenbrüche zu richten, Fisteln zu entfernen. Die Behandlung ist kostenlos, das Krankenhaus für kongolesische Verhältnisse gut ausgestattet, das Geld kommt größtenteils von ECHO, dem Nothilfebüro der Europäischen Kommission.
„Wissen Sie, was ich mache, wenn es zu schlimm wird?“ Doktor Cecile Mulolo springt von ihrem Stuhl auf und demonstriert ihre Gymnastikübungen. „Und dann mache ich mentales Trainung. Ich atme tief durch uns sage mir zehn Mal: ‚Du musst Deine Gefühle im Zaum halten, Du musst Deine Gefühle im Zaum halten.“ Mulolo ist die Chefpsychologin am Panzi-Krankenhaus, eine 33 jährige Mutter von zwei Kindern. Seit ein paar Monaten sind es drei, weil sie eine 14-jährige ehemalige Patientin bei sich aufgenommen hat. Doktor Mulolo hört sich die Geschichten der Frauen an, sie teilt ihnen mit, wie der AIDS-Test ausgefallen ist, sie sitzt stundenlang bei denen, die sich umbringen wollen, sie redet auf die Ehemänner ein, ihren Frauen beizustehen – auch wenn sie jetzt „beschmutzt“ sind.
Ausser Cecile Mulolo gibt es nur noch eine Psychologin in Bukavu, die auf Trauma-Therapie spezialisiert ist. Bei der redet sie sich den Horror von der Seele, denn manche Geschichten werden zu ihren eigenen Alpträumen. Die von Mama Mosambi zum Beispiel, der 36 jährigen Mutter aus Kitutu, der Hutu-Rebellen heiß geschmolzenes Plastik in die Vagina gossen, weil sie bei der Vergewaltigung gebissen und gespuckt hatte. Oder die von Mama Zawadi, der siebenfachen Mutter aus Buniakiri, die mit vier Familienangehörigen von Hutu-Rebellen entführt wurde, tagelang vergewaltigt wurde, und fliehen konnte, als man sie zwingen wollte, das Fleisch ihrer ermordeten Cousine zu essen. „Dahinter steckt immer das gleiche Ziel“, sagt Doktor Mulolo. „Wenn man die Frauen zerstört, zerstört man die Familie und irgendwann auch das ganze Dorf.“
Die Tür zu ihrem Büro geht auf, ein Patientin will sich verabschieden. Sie wird nach drei Monaten entlassen. Jetzt steht sie kerzengerade da, drückt lange die Hand der Psychologin. Doktor Mulolo sieht mich an, deutet auf die Frau. „Darf ich vorstellen: Mama Zawadi.“ Ich erkenne sie wieder, und frage sie, was sie beim Morgengottesdienst so verzweifelt gen Himmel geschrien hatte. „Gott war lange Zeit sehr weit weg,“ antwortet sie, „ich wollte ihm nur zeigen, dass ich ihn nicht vergessen habe.“ Das Krankenhaus hat ihr ein paar Dollar für die Rückreise nach Buniakiri mitgegeben.
Es ist eine Reise ins Ungewisse. Sie weiss nicht, wie man sie dort aufnehmen wird, ob immer noch Hutu-Rebellen in der Gegend sind. Sie nimmt meine Hand, bedankt sich auch bei mir. Weil ich die einzige „Muzungu“, die einzige Weisse, weit und breit bin, ordnet sie mich automatisch jenen zu, die dieses Krankenhaus bezahlen. Und sie möchte eine Bitte aussprechen. „Madame, schicken Sie Soldaten hierher, damit das endlich aufhört.“ Mir fällt nichts anderes ein, als ihr viel Glück zu wünschen, was in meinen Ohren wie der blanke Hohn klingt. Sie nickt dankbar und geht.

 

„Ihr müsst bleiben“

„Bemba hat gewonnen“, rief der Zeitungsverkäufer durch das Autofenster.
„Sagt wer?“ rief ich zurück, worauf er mir die Schlagzeile „Bemba prends le pouvoir“ entgegenhielt. „Bemba übernimmt die Macht“. „Alerte Plus“ heisst das Revolverblatt, das, wie fast alle kongolesischen Tageszeitungen, einen Dollar kostet. Das war am Mittwoch, drei Tage nach der Stichwahl. Seither lancieren beide Seiten munter vermeintliche Siegesmeldungen in den Medien.

Es ist dasselbe Spiel wie nach dem ersten Wahlgang: Bembas Gefolgsleute lassen in seiner Hochburg Kinshasa „Meldungen“ über einen Erdrutschsieg verbreiten, um dann jedes anderslautende Ergebnis als Wahlfälschung denunzieren und die Stimmung entsprechend anheizen zu können.

Ein vorläufiges Ergebnis mit dem Siegel der Unabhängigen Wahlkommission wird es wohl frühestens Ende nächster Woche geben, spätestens am 19. November. Bis dahin heisst es: Radio Okapi hören, den einzigen Sender im Kongo, der landesweit zu empfangen ist, aus der kongolesischen Gerüchteküche meist verlässliche Nachrichten destilliert – und das in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Suaheli, Kikongo und Tshiluba.

Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der UN-Mission (MONUC) einquartiert, was der Redaktion Schutz vor Polizeirazzien und Überfällen bietet. Ein Besuch bei den Kollegen lohnt sich immer, zumal man in diesen Tagen mit grosser Wahrscheinlichkeit grimmig dreinblickende Herren aus schweren Geländewagen aussteigen und in einem der UN-Tagungsräume verschwinden sieht. Die Abordnungen der Herren Kabila und Bemba sind dann mal wieder zu einem Treffen geladen worden, auf dem MONUC die Spielregeln für die nächsten Wochen festlegen, ermahnen, drohen und signalisieren will: einen Gewaltausbruch wie im August lassen wir nicht noch einmal zu. Wobei die UN-Blauhelme allein als Druckmittel kaum ausreichen würden. In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass die Präsenz der EUFOR-Mission, so klein sie auch sein mag, Wirkung zeigt. Vielen Kinois sahen die europäischen Soldaten zeitweise als militärische Wahlhelfer für den vom Westen favorisierten Joseph Kabila. Inzwischen gelten sie als wirkliche Schutztruppe, die auf die Privatarmeen der beiden Kandidaten sehr viel mehr Eindruck macht, als noch vor einigen Wochen. Dafür verzeihen die meisten Bewohner der EUFOR auch die nächtlichen Hubschrauberflüge und den Absturz von zwei Aufklärungsdrohnen auf ihre Wohnviertel. Dass in Deutschland ernsthaft erwogen wird, einer Verlängerung der Mission abzulehnen und die Soldaten am 30. November nach Hause zu holen, versteht hier in Kinshasa kein Mensch. „Ihr müsst bleiben“, sagt der Kollege von Radio Okapi, der auf den schönen Vornamen Innocent hört, der Unschuldige. „Mindestens bis zur Regierungsbildung.“ Womit er sagen will: ‚Lasst uns bitte nicht mit unseren Politikern allein,. Ich weiss nicht genau, wenn er mehr fuerchtet – den vor Testosteron strotzenden Jean-Pierre Bemba, der bislang immer nach der Maxime gehandelt hat: ‚Wenn ich etwas nicht bekomme, was ich will, dann kriegt es auch kein anderer.’

Oder „petit Joseph“, wie viele Kongolesen ihren Präsidenten nennen. Kritischere Beobachter vergleichen ihn mit Baschar al-Assad, dem syrischen Amtskollegen: Überfordert vom Amt und dem Schatten seines Vaters, verachtet von den Generälen, weil er sich trotz Schulung in China militärisch nie bewiesen hat – und deswegen im Zweifelsfall skrupellos.

Sollte das Ergebnis tatsächlich so knapp werden, wie inzwischen viele vorhersagen, dann stellt sich dem Land womöglich ein anderes Problem als das der Gewalt: dann müssen zwei Männer, die sich gerne umbringen würden, einen Deal miteinander abschliessen – eine „Große Koalition“ auf kongolesisch. Innocent, dem Reporter von Radio Okapi, fällt bei diesem Szenario auch nichts anderes ein als ein Stoßseufzer gen Himmel. „Am Ende müssen wir auf Gott vertrauen.“ Die unendliche Geduld der Kongolesen mit dem Herrn und Retter erstaunt mich immer wieder. Denn wenn es wirklich einen Gott gibt, dann ist er diesem Land verdammt viel schuldig.

 

„Bei Null wieder anfangen“

Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, hatte mich gestern zu sich nach Hause eingeladen. Seine beiden Töchter, sagte er, wollten endlich mal eine Weisse sehen.
Monsieur Vicky, der mit vollem Namen Vicky Miondo-Kamalandwa heisst, wohnt in Bumbu, was in Kinshasa nicht das schlechteste Viertel ist. Die Nachbarschaft könnte man als kongolesische untere Mittelschicht beschreiben. Hier wohnen Taxifahrer, Schneiderinnen, Schrotthändler, Friseusinnen und Gefängniswärter in gemauerten, verrußten Zwei-Zimmer-Quadern mit Wellblechdächern, 15 bis 20 Quadratmeter gross, ohne Küche und fließend Wasser, aber manchmal mit Strom, was die Anschaffung eines Fernsehers lohnt.
Mit einer braunen Couchgarnitur, einem Küchenregal, einem kitschigen Wandkalender, einem großen Hochzeitfoto und einer Bibel ist Monsieur Vickys Wohnung auch schon voll. Sowohl die Couch als auch der Fernseher haben die Regenflut vom Sonntag überstanden. Dieses Mal ist auch keine schlammige Kloake durch die Tür gekrochen. Nur die Trampelpfade im Viertel haben sich in schwimmende Müllhalden verwandelt.
Monsieur Vicky und seine Frau, die Schneiderin ist, haben ihr Erspartes in verschiedenen Kistchen und Fotoalben versteckt. Jeder Einbruch würde sie und ihren Traum um Jahre zurückwerfen: Monsieur Vicky möchte irgendwann mit 1000 Dollar in der Tasche zum Grosshafen nach Matadi fahren und sich ein gebrauchtes Auto kaufen. Dann wäre er nicht mehr Taxifahrer für seinen Boss, sondern Taxiunternehmer und könnte 100 statt 30 Prozent seiner Tageseinnahmen behalten. Dann könnte er irgendwann in ein Viertel umziehen, wo das Dach nicht alle paar Wochen leckt und der Strom nicht alle paar Tage ausfällt.
Im Moment stehen die Zeichen nicht günstig. Seit im Kongo der Marathon der Präsidentschaftswahlen begonnen hat, ist das Leben in der Hauptstadt deutlich teurer geworden. Für den Liter Benzin bezahlt man jetzt 490 kongolesiche Francs statt 350, für einen 25-Kilo-Sack Reis 8500 statt 5000 Francs. Die Inflationsrate ist angestiegen: Ein US-Dollar kostet jetzt 520 Francs statt 450. Bei der Verkehrspolizei sind die Preise geradezu explodiert. Seit sie sich „reformiert“ hat, halten die Uniformierten nicht mehr einfach die Hand durchs Fenster und geben sich mit ein paar hundert Francs zufrieden. Nein, jetzt gibt es eine Gebührenordnung, wonach für die „Missachtung eines Verkehrschildes“ bis zu 30 Dollar zu bezahlen sind – natürlich auch dann, wenn sich am Tatort kein Verkehrsschild befindet. Monsieur Vicky hat deshalb vor einigen Wochen zusammen mit tausenden anderer Taxifahrer gestreikt. 30 Dollars, das ist das tägliche Minimum, das Monsieur Vicky beim Besitzer seines schrottreifen Taxis abgeben muss.
Geholfen hat der Streik offenbar nicht. Auf dem Weg nach Bumbu hatten sich die Verkehrspolizisten mit ihren gelben Hemden und Helmen mitten auf der breiten Avenue Kasa Vubu postiert, um Autos herauszuwinken. Der Fahrer eines VW-Bus-Taxis, dessen Heckklappe durch ein Seil ersetzt war, um die geschätzten 20 Passagiere am Herausfallen zu hindern, sah wohl seine Tageseinnahmen verschwinden, drückte auf’s Gaspedal und hielt direkt auf den Polizisten zu. Der machte einen kleinen Schritt zu Seite und schlug dem Bus den ohnehin schon baumelnden Seitenspiegel von der Tür wie einen lockeren Zahn.
Solche Szenen verstören Monsieur Vicky mehr, als die Schiesserei zwischen den Privatarmeen der beiden Präsidentschaftskandidaten im August. Die passierte weit weg von seiner Wohnung im Diplomatenviertel Gombe. Den Strassenkampf mit den Behörden erlebt er jeden Tag. „Madame“, sagte er, „dieses Land muss bei Null wieder anfangen.“
Vor der Stichwahl am Sonntag war er noch einmal in sich gegangen und hatte als Wahlhilfe seine ganz persönliche Völkerkunde zu Rate gezogen. Demnach gibt es im Kongo zwar hunderte von Ethnien aber nur drei relevante Gruppen: „Die Leute aus Katanga“, sagt Monsieur Vicky, „erkennt man daran, dass sie zuviel trinken, den Weibern und dem Geld hinterhersteigen. Die Leute aus Equateur sind geradeheraus, jähzoring und manchmal brutal. Und die Menschen aus Bas Congo gehören zu den ruhigen Typen, beten viel und wollen mit niemandem Problem.“
Monsieur Vicky, der Kirchenchorsänger aus dem Bas Congo, hat am vergangenen Sonntag die Seiten gewechselt, und seine Stimme nicht mehr dem phlegmatischen „Katanga Boy“ Joseph Kabila gegeben, sondern dem ehemaligen Warlord und Mobutu-Zögling Jean-Pierre Bemba aus der Provinz Equateur. „Sehen Sie, Madame, nachdem wir zum zweiten Mal an diesem Tag im Kloakenschlamm von Kinshasa steckengeblieben waren, sehen Sie: Einer muss hier mal richtig aufräumen.“
Joseph Kabila gilt in den Vorhersagen, was immer sie in diesem Land wert sein mögen, immer noch als Favorit. Aber man geht inzwischen von einem knappen Ergebnis aus – Überraschung nicht ausgeschlossen.

 

Präsidentschaftswahlen im Schlamm

Auf die Gefahr hin, in wenigen Stunden eines Schlimmeren belehrt zu werden: Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen im Kongo ist weitgehend ruhig verlaufen.
In Kinshasa, wo die Einheimische und Ausländer nach den blutigen Feuergefechten im August neue Gewaltausbrüche am Wahltag befürchtet haben, hat strömender Regen offenbar die Gemüter gekühlt. Kinshasa hat sich in den frühen Morgenstunden dieses Sonntag in einen gigantischen Sumpf verwandelt. Und wer zettelt schon gern eine Straßenschlacht an, wenn er knöcheltief im Schlamm steckt.
Andererseits könnte das Wetter in der Hauptstadt die Wahlbeteiligung drücken. Bis mindestens zehn Uhr konnten die meisten Wahlhelfer getrost in Dämmerschlaf verfallen, was ihnen zu gönnen war, weil sie die Nacht zuvor bereits die Urnen und Wahlkabinen aus Pappe zusammengesteckt hatten. Bis Mittags hatten in vielen Wahlbüros gerade einmal ein Fünftel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben und von denen mussten viele durch hüfthohes Wasser warten, über bröckelnde Mauern klettern oder ihre Sandalen alle paar Schritte aus dem Schlamm fischen. „Und am Ende nuetzt es noch nicht mal was“, murrten drei betagte und beleibte Mamans, die mit gerafften Wickelröcken über ein fussbreites Holzbrett wankten, das jemand über einen gurgelnden Abwasserkanal gelegt hatte. Nur so gelangten sie in ihr Wahlbüro im Lyceé Technique de Kalamu. Nicht einmal der Präsident selbst kam ohne Dreckspritzer ins Wahllokal. Joseph Kabila stieg gegen Mittag aus seinem schwarzen Range Rover in den Schlamm, gab seine Stimme in einem Wahllokal im Stadtteil Gombé ab und verschwand mit dem schläfrig indigniertem Gesichtsausdruck wieder in seinem Wagen. Demokratische Hoffnungsträger sehen anders aus.
Der Regen mag rein polizeitaktisch ein Segen sein. Aber die stinkenden Pfützen, der schwimmende Müll und die überquellende Kloake haben diesem Tag auch jede Würde genommen, was zur aktuellen politischen Stimmung passt. Seit sich die Privatarmeen der beiden Kandidaten Ende August über mehrere Tage aus allen Rohren beschossen haben, weiss jeder, wie trügerisch die Ruhe sein kann.
In der zweiten Runde des Wahlkampfs wagte dann auch keiner der beiden Kandidaten einen einzigen öffentlichen Auftritt. Bei Amstinhaber Joseph Kabila dürfte wohl auch seine inzwischen berüchtigten Gabe, eine Rolle gespielt haben, mangels Charisma Wähler zu verprellen; sein Herausforderer und Todfeind Jean Pierre Bemba musste tatsächlich Angst haben, einen solchen Auftritt nicht zu überleben. An der Basis terrorisierten dafür ihre Anhänger nach Kräften die Parteibüros der jeweils anderen Seite, verhinderten Wahlversammlungen, zerstörten Wahlmaterial, „Vor der Wahl ist während der Wahl ist nach der Wahl“ lautet inzwischen das sarkastische Motto vieler Kongolesen. Und das schliesst mit ein, dass, wer es sich leisten kann, Wasser und Lebensmittel bunkert. Am 18. November soll der Sieger bekannt gegeben werden. Kabila wie Bemba haben beteuert, das Ergebnis zu akzeptieren. Und beide haben ihre Armeen aufgerüstet.

 

Im Gefängnis von Kinshasa

Noch einen Tag bis zur Stichwahl um das Präsidentenamt. Kinshasa herrscht angespannte Ruhe – bis auf weiteres. Kleinere Trupps von Anhängern der beiden Kontrahenten, Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba, ziehen in Autokonvois johlend durch die Strassen, beschimpfen sich, beschmeissen sich mit Strassendreck. Kein schöner Anblick, aber immer noch besser als die Feuergefechte, die sich Kabilas und Bembas Privatarmeen Ende August nach dem ersten Wahlgang lieferten.
Schüsse werden dafür aus dem Gefängnis Makala gemeldet, der grössten Strafvollzugsanstalt des Kongo. Anfang der Woche waren 14 Häftlinge ausgebrochen – angeblich allesamt Komplizen des Mörders von Laurent Kabila, dem Vater und Amtsvorgänger des jetzigen Präsidenten. Daraufhin verhängte die Gefängnisleitung eine Besuchersperre, was für die Insassen verheerend ist. Hinter Gittern zu verhungern, ist im Kongo eine häufige Todesursache. Viele Häftlinge ernähren sich von den Lebensmitteln, die ihre Familien hereinbringen. Am Donnerstag war es dann laut kongolesischer Presse zum Aufstand gekommen, den die Polizei niedergeschlagen habe. Vier Tote, melden die Agenturen. Wir, meine Kollegin Judith Reker und ich, machen einen Ausflug nach Makala.
„Centre Penitentaire et de Reeducation de Kinshasa“ steht in fetten Buchstaben an der schmutzig weissen Betonmauer. Dahinter ragen die Dächer der elf Zellenblocks empor. Makala war ursprünglich für 1500 Insassen gebaut worden, und schon damals hat sich die Grösse der Zellen nicht an den Kriterien eines humanen Strafvollzugs orientiert. Derzeit sitzen 3700 Gefangene ein. 3700 hungrige Gefangene.
Immerhin, das Besuchsverbot ist aufgehoben. Polizisten mit abgegriffenen Kalaschnikows über der Schulter halten hunderte von Frauen in Schach, die in der schwülen Hitze seit Stunden mit Tüten in der Hand und überquellenden Schüsseln auf dem Kopf darauf warten, zu ihren Männern, Brüdern oder Vätern gelassen zu werden. Ihre Gesichter sind regungslos. Nur nicht auffallen, keine Gefühlsregung zeigen, die die Aufmerksamkeit der Polizisten provozieren könnte. Ab zwölf Uhr wird das Tor geöffnet, und sie dürfen im Gänsemarsch passieren. Es ist eine Prozession stoischer Machtlosigkeit. Immer wieder, als gelte es die Langeweile zu durchbrechen, ziehen die Polizisten Frauen aus der Reihe, verwehren ihnen für heute den Zutritt.
Wir hingegen werden erstaunlich freundlich begrüsst. Ohne Kameras, nur mit Blocks und Kugelschreibern wirken wir offenbar harmlos. Ein kongolesischer Kollege, Reporter bei einem Privatradio, ist inzwischen mit von der Partie. Er hat die Handy-Nummer des Gefängnisdirektors. Nach drei Stunden Warten, telefonieren und wieder Warten, stehen wir plötzlich in seinem Büro. Für kongolesische Verhältnisse, in denen kein amtlicher Termin ohne tagelanges Verhandeln, Genehmigungen in vierfacher Kopie und Entrichten von „Gebühren“ zustandekommt, ist das ein Wunder.
Direktor Kitungwa Dido hat offenbar Gründe, unangemeldete Medienvertreter in seine „Anstalt für Strafvollzug und Umerziehung“ hineinzulassen. Mit donnernder Stimme diktiert er uns, das obligatorische Hochglanzporträt des schläfrigen Joseph Kabila im Rücken, ein Dementi. „Hier gab es keinen Gefangenenaufstand, sondern ein paar Mörder und Vergewaltiger haben zwei Mauern durchbrochen. Niemand wurde getötet, sondern acht Leute verletzt. Unsere Polizei die Ordnung wiederhergestellt, aber auf niemanden geschossen. Und außerdem leidet hier niemand Hunger. Die Gefangenen werden gut versorgt. Aber die Medien schreiben ja heute was, sie wollen!“
Wir notieren eifrig, was ihn sichtlich besänftigt.Das Büro ist der einzige klimatisierte Raum. Der Direktor spielt mit der Fernbedienung seines Fernsehers, gerade läuft ein Fußballspiel. Er schimpft weiter auf die Presse. „Könnten wir uns vielleicht mit eigenen Augen ein Bild machen?“ flötet Francis, unser kongolesischer Kollege. ‚Jetzt ist Feierabend’, denke ich, ‚jetzt schmeisst er uns raus.’
Zehn Minuten später stehen wir in Begleitung eines Polizisten und eines Häftlings, der das Vertrauen des Direktors geniesst, vor dem ersten Zellenblock. Hinein dürfen wir nicht, auch keine Gespräche mit anderen Insassen führen.“Werdet nützlich für die Gesellschaft“ steht auf Französisch über dem Eingang.Um die Lüftungsspalten des Zellenblocks sprießt schwarzer Schimmel.
Unsere beiden Begleiter zeigen uns voller Stolz die Gefängnisküche – eine offene Feuerstelle mit verrußten, fettigen Kesseln voll Reisbrei, der aussieht, als würde er nicht zum ersten Mal gegessen. Einige Insassen schöpfen ihre Tagesration in einem Plastikbecher ab und suchen sich dann einen Platz möglichst weit weg von den knietiefen Abwasserrinnen.
„Und jetzt die kaputte Mauer, Madame“, sagt unser Bewacher, als handele es sich um eine Sehenswürdigkeit. Was irgendwie zutrifft, denn das erste Loch ist enorm, fast mannshoch. Acht oder zehn Mann haben offenbar einen der Eisenträger gestemmt, die seit Jahren zwischen den Gemüsebeeten rosten, und ihn gegen die Ziegelwand gerammt. Damit war der Durchgang zum Hof des zweiten Zellentrakt frei, wo sie scharf nach links abdrehten und ein kleiners Loch in die Seitenmauer schlugen. Weiter kamen sie offenbar nicht in ihrem bizarren Ausbruchsversuch. Wir klettern über die Ziegeltrümmer und leere Tränengaskanister. Links sieht man Einschusslöcher in der Mauer. „Na ja, vielleicht gab’s ein paar Warnschüsse “, sagt unser Bewacher.
Womöglich versuchten hier Mörder und Vergewaltiger zu fliehen, womöglich waren es auch Untersuchungshäftlinge, die seit Jahren einsitzen, ohne dass sie je einen Richter oder eine Anklageschrift gesehen hätten.
„Haben Sie sich jetzt mit eigenen Augen überzeugen können?“ fragt Direktor Kitungwa zum Abschied. „Dies ist eine ordentliche Haftanstalt. Unser Problem ist nur die Überbelegung.“ Wir nicken.
Auf dem Weg zurück in die Stadt kommen uns wieder kleine Gruppen von Demonstranten entgegen. Ein Trupp grölender Kinder schwingt Poster von Jean-Pierre Bemba, der gern die Ärmsten der Armen, obdachlose Frauen und Strassenkinder, gegen ein paar kongolesische Franc für sich marschieren lässt. Die Polizei macht in der Regel kurzen Prozess: Knüppel raus und ab nach Makala. Dort bleiben sie dann. Bis irgendjemand laut genug protestiert, was selten vorkommt. Oder bis jemand sie freikauft. Was auch selten passiert. In Anbetracht der angespannten Lage, könnte es in Makala in den nächsten Tagen noch sehr viel voller werden.

 

150 000 Kämpfer, 30 000 Kindersoldaten

Der Kongo-Blog meldet sich zurück – rechtzeitig zum Countdown für die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober.
Krisenplanung heisst das Wort der Stunde in Kinshasa: bei der UN-Mission, in den Botschaften, EU-Büros und bei den Hilfsorganisationen bereitet man sich auf alle denkbaren Szenarien vor – auch auf einen neuen Gewaltausbruch nach der Stichwahl zwischen Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba. Zur Erinnerung: Nach Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses am 20. August war es zu schweren Kämpfen zwischen Kabilas Präsidentengarde und Bembas Privatarmee gekommen, in deren Verlauf mindestens 20 Kongolesen getötet wurden und auch ausländische Botschafter sowie der UN-Missionschef William Swing ins Kreuzfeuer gerieten.
Nach wochenlangen Drohgebärden und Hasstiraden in ihren jeweiligen loyalen Medien haben sich die beiden Kampfhähne dann am 13. September endlich zu einem persönlichen Gespräch getroffen, sich die Hand geschüttelt und versichert, dass sie sich nicht gegenseitig umbringen wollen. Einen friedlichen Verlauf der Stichwahl in knapp drei Wochen garantiert das noch nicht. Weder Kabila noch Bemba sind bereit, ihre Milizen in Kinshasa zu reduzieren oder gar zu entwaffnen.
Womit wir bei der Wurzel des Problems wären: Die Reform des Sicherheitssektors samt Demobilisierung von Kriegsparteien und Aufbau einer regulären Armee war die zentrale Aufgabe der kongolesischen Übergangsregierung und der internationalen Geberländer. Doch ausgerechnet in diesem Punkt haben alle Beteiligten kläglich versagt. 150.000 Kämpfer, darunter 30.000 Kindersoldaten, sollten entwaffnet und in das Zivilleben zurückgeführt, weitere 150.000 Kämpfer in eine neue nationale Armee integriert werden – eine gigantische Aufgabe, gewiss. Trotzdem ist das Ergebnis nach drei Jahren kläglich, wie jetzt amnesty international konstatiert hat: die ehemaligen Kriegsherren behielten einen signifikanten Teil ihrer Privatarmeen unter ihrem Kommando. Die Demobilisierungsprogramme versanken im Chaos. Unzählige Kämpfer liessen sich offiziell demobilisiern, kassierten die 110 Dollar Wiedereingliederungshilfe – und schlossen sich postwendend der nächsten Miliz an. Die bislang ausgebildeten Brigaden der kongolesischen Armee sind erbärmlich ausgerüstet, erhalten oft monatelang keinen Sold und terrorisieren in vielen Fällen die Zivilbevölkerung, die sie eigentlich schützen sollen. Von den 30.000 Kindersoldaten sind höchstens 19.000 demobilisiert worden. Mindestens 11.000 marschieren wahrscheinlich immer noch mit Milizen – darunter mehrere tausend Mädchen, die von Kämpfern als „Kriegsbräute“ oder „Kriegsbeute“ mitgeführt werden.
Damit nicht genug: Im Juli 2006 hat die staatliche Demobilisierungsbehörde CONADER, die selbst wahrlich kein Vorbild an Effizienz und Elan ist, aus Geldmangel sämtliche Aufnahmezentren für demobiliserte Soldaten geschlossen. Also just zu jenem Zeitpunkt, als die politischen Spannungen im Kongo durch die Präsidentschaftswahlen wieder spürbar wuchsen.
Inzwischen versuchen UN-Blauhelme und kongolesische Polizei, wenigstens die Hauptstadt Kinshasa zu einer „Stadt ohne Waffen“ zu machen. Aber den paar Kalaschnikows, die sie hin und wieder einsammeln, stehen glaubhafte Gerüchte gegenüber, wonach sich sowohl das Lager von Kabila als auch das von Bemba mit weiteren Schusswaffen eingedeckt haben.
Hilfreich wäre jetzt nicht nur diplomatischer Druck. Den kriegen die beiden Kontrahenten deutliche von allen Seiten zu spüren: Aus Brüssel, aus New York, aus Pretoria. Hilfreich wäre jetzt vor allem eine massive militärische Präsenz von UN und EU. Doch die Blauhelme sind mehrheitlich im Osten des Landes damit beschäftigt, kleinere Rebellengruppen in Schach zu halten. Und ein großer Teil der Kampftruppen der EUFOR hockt immer noch „auf Abruf“ in Gabun, anstatt in Kinshasa Streife zu fahren. Ansonsten spüren die Kinois die Anwesenheit dieser Tage eher auf schmerz- und schreckhafte Weise.
Am Dienstag vergangener Woche stürzte unbemannte Drohne der EUFOR über der Hauptstadt ab, wobei ein Mensch getötet und zwei verletzt wurden. Dann ertönten abends Explosionen aus dem Botschaftsviertel. So mancher Einwohner wähnte sich bereits in der nächsten Runde des Strassenkampfes zwischen Kabila und Bemba. Was war passiert? Dienstag war der 3. Oktober, Tag der deutschen Einheit, den die deutsche Botschaft unbedingt mit einem Feuerwerk feiern musste. Kein Wunder, dass die Kongolesen zunehmend Zweifel an den Absichten und der Kompetenz der Europäer haben.

 

Bis Anfang Oktober macht der Kongo-Blog eine Pause. Dann gehe ich wieder auf Reisen: nach Kinshasa, um die Stichwahl zwischen Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba zu beobachten; nach Bunia, Bukavu und wo immer es mich sonst noch hintreibt.

 

„Ein UN-Protektorat für den Kongo“

Acht Tage lang hatte ich im Juli den parteilosen Parlamentskandidaten Jean-Claude Kibala im kongolesischen Wahlkampf begleitet. Nun, da die unabhängige Wahlkommission endlich auch das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 30. Juli veröffentlich hat, steht fest: Kibala hat um rund 2000 Stimmen den Einzug in das Parlament in Kinshasa verfehlt. Über 40 Kandidaten hatten sich in seinem Wahlkreis Mwenga in der Provinz Süd-Kivu um drei Sitze beworben. Kibala ging am Ende auf Platz vier leer aus, was nicht zuletzt seinem Status als Parteiloser geschuldet war. Laut kongolesischem Wahlgesetz können politische Parteien die Wählerstimmen für all ihre Kandidaten auf einen Spitzenreiter vereinen, was Parteilose eindeutig benachteiligt.

Kibala hat die letzten 17 Jahre in Deutschland studiert und als Ingenieur gearbeitet und ist nach den Wahlen wieder nach Troisdorf bei Bonn zurückgekehrt, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Während seines Wahlkampfs musste er sich mit Hutu-Milizen, korrupten Polizisten, trinkfesten russischen Piloten und am Ende auch noch mit einem schießwütigen Soldaten herumschlagen. Das war, wie das folgende Interview zeigt, offenbar nicht genug, um ihm die Lust an der kongolesischen Politik zu nehmen.

Er resümiert seine Erfahrungen, kommentiert die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Privatmilizen von Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba und die Risiken des 29. Oktober, wenn Kabila und Bemba in einer Stichwahl um das Präsidentenamt gegeneinander antreten sollen.

Herr Kibala, am Ende fehlten ungefähr 2000 Stimmen, um einen der drei Parlamentssitze für Ihren Wahlkreis Mwenga zu gewinnen. Einfach nur Pech – oder hätten Sie einen anderen Wahlkampf führen müssen?

Kibala: Ich bereue die Kandidatur nicht, und für einen parteilosen Kandidaten, der wie ich auch noch von außen kommt, ist es ein gutes Ergebnis. Letztlich hatte ich einfach zu wenig Zeit. Meine Familie ist in Deutschland, und ich musste überhaupt erst das Geld verdienen, um Wahlkampf zu führen. Mein Wahlkampf hat nur zwei Wochen gedauert. Dort wo ich aufgetreten bin, Plakate geklebt, Hände geschüttelt und mit den Menschen geredet habe – also in den größeren Städten wie Kamituga, Mwenga und Kitutu – habe ich sehr gut abgeschnitten. Vergessen Sie nicht: Mein Wahlkreis ist etwa so groß wie das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es gibt keine brauchbaren Straßen, für eine kurze Strecke von 30 Kilometern braucht man manchmal sechs Stunden mit dem Motorrad. Hätte ich die Zeit gehabt, auch mehrere Dörfer zu besuchen, hätte es vielleicht gereicht.

Wie sehr hat die Sicherheitslage Ihren Wahlkampf erschwert? Am letzten Tag des Wahlkampfs sind Sie ja noch beschossen worden – offenbar von einem betrunkenen Soldaten.

Die Sicherheitslage hat den Wahlkampf klar erschwert. Bei Reisen aus Kamituga in die umliegenden Städte mussten wir ständig aufpassen, um nicht in eine Patrouille der Hutu-Milizen zu geraten. So etwas kostet Zeit und Nerven. Ein Sicherheitsproblem ganz anderer Art waren einige meiner Konkurrenten im Wahlkampf. Die Kongolesen wollen zwar Demokratie, sie haben aber noch nicht akzeptiert, dass man einen Wahlkampf mit Argumenten und nicht mit Drohungen führt.

Sind Sie bedroht worden?

Nicht so, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Aber einige meiner Konkurrenten haben traditionelle Dorfchefs aufgestachelt, mich zu verhexen …

Und was ist passiert?

(Lacht) Nichts, aber ich bekam Streit mit meinem Bruder, einem Arzt, der auch zu meinem Wahlkampfteam gehörte. Offensichtlich hatte ein Dorfchef von einem meiner Gegenkandidaten den Auftrag erhalten, mich zu verhexen. Ich hatte in Kitutu, einer Stadt in meinem Wahlkreis, den Bau einer Brücke vorgeschlagen, um den Verkehr über den Fluss zu erleichtern. Der läuft bislang über eine Fähre, an der einige Leute gut verdienen. Also hat ihnen die Idee mit der Brücke nicht gepasst. Beim Besuch in Kitutu warnte mich mein Bruder nun eindringlich, dem Dorfchef ja nicht als Erster die Hand zu schütteln, weil der mich sonst verhexen würde. Ich habe gesagt: „Was soll das? Du bist Arzt, du hast gelernt, wissenschaftlich zu denken. So was kannst du doch nicht glauben.“ Aber bei der Ankunft am Fluss hat er sich dann zwischen den Dorfchef und mich geworfen, um ihn als Erster zu begrüßen und jede mögliche Hexerei von mir abzulenken …

… was immerhin von großer Hingabe zeugt …

… Das schon. Und mein Bruder war auch ein paar Stunden ziemlich bedrückt, weil er meinte, es hätte nun ihn erwischt. Passiert ist gar nichts. Nur unsere Motorräder hatten am selben Tag noch zwei Pannen, womit für meine Begleiter natürlich klar war: Der Hexer hatte zugeschlagen, aber eben nur die Maschinen und nicht die Menschen erwischt.

Der gut organisierte und ruhige Ablauf des Wahltags am 30. Juli wurde schnell überschattet von den blutigen Kämpfen zwischen der Präsidentengarde von Joseph Kabila und bewaffneten Anhängern seines Rivalen Jean Pierre Bemba. War das vorauszusehen?

Bemba hatte schon während des Wahlkampfs die Stimmung enorm aufgeheizt. Und Kabilas Fraktion war sich aufgrund ihrer unangefochtenen Popularität im Osten des Landes ihrer Sache offenbar zu sicher. Als die Wahlkommission dann am 20. August das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahlen verkündete, hatte Bemba nach meinen Informationen seine Trupps bereits in Stellung gebracht für den Fall, dass Kabila schon nach dem ersten Wahlgang als Sieger feststünde. Hätte Kabila im ersten Wahlgang tatsächlich die absolute Mehrheit bekommen, hätten wir jetzt womöglich wieder Krieg. Weil es aber eine Stichwahl geben wird, ist erst mal wieder Ruhe.

Haben auch die UN und EU die Lage falsch eingeschätzt?

Es war jedenfalls ein Fehler zuzulassen, dass die beiden größten Rivalen so viele bewaffnete Männer an ihrer Seite behalten durften. Man hätte noch vor Wahlkampfbeginn mit einer Demilitarisierung in Kinshasa beginnen und anbieten müssen, dass die Präsidentschaftskandidaten von der UN geschützt werden.

Droht also eine neue Eskalation nach dem zweiten Wahlgang am 29. Oktober, wenn der Verlierer endgültig feststeht?

Schwer zu sagen, denn ich weiß nicht, wie sehr und wie effektiv derzeit von der internationalen Gemeinschaft Druck auf Bemba und Kabila ausgeübt wird. Ich habe auch schon von Vorschlägen gelesen, den Kongo für die nächsten fünf Jahre unter UN-Protektorat zu stellen und in dieser Zeit erste demokratische Strukturen auf dezentraler Ebene, also in den Provinzen, aufzubauen. Angesichts des politischen Personals in Kinshasa glaube ich manchmal, das wäre das Beste, was den Kongolesen passieren könnte. Jedenfalls kommt jetzt auch eine enorme Verantwortung auf das Parlament zu, die bereits geplante Dezentralisierung und Reform der Provinzen voranzutreiben. Denn die Fixierung auf Kinshasa als Zentrum der politischen Macht und der Pfründe ist gefährlich.

Nach dem vorläufigen Ergebnis der Parlamentswahlen wird weder die Parteien-Allianz um Kabila noch jene um Bemba eine absolute Mehrheit haben. Ist das eine Chance oder eine Gefahr für die Entwicklung einer Demokratie im Kongo?

Einerseits ist es gut, weil damit klar ist, dass kein „starker Präsident“ die kongolesische Politik dominieren kann. Andererseits werden wir damit auch keine stabile Regierung haben, sondern wahrscheinlich eine Serie von Regierungsumbildungen.
Was das Risiko erneuter Gewalt nach dem zweiten Wahlgang betrifft, so liegt hier aber auch eine Chance: Sollte es einem der beiden Kandidaten noch vor dem 29. Oktober gelingen, unter den Parlamentariern eine Mehrheit für einen Premierminister zusammenzubringen, dann könnte man die Spannungen und das Gewaltpotenzial dieser Stichwahl womöglich deutlich reduzieren. Dann wäre vorab schon klar, wer zunächst einmal regieren wird – und die Stichwahl würde unter sehr viel weniger Druck stattfinden.

Langfristig hängt die politische Entwicklung im Kongo davon ab, ob sich die politische Klasse im Land ändert oder nicht. Wenn unter Politik weiterhin nur die Beteiligung an Pfründen, das Verschachern von Rohstoffen und die Nähe zur Macht verstanden wird, dann bleibt eh alles, wie es ist. Wenn sich langsam eine Politikergeneration heranbildet, die zum Beispiel begreift, wie wichtig die Rolle einer Opposition ist, dann kann sich etwas ändern.

Was sollte Ihrer Meinung nun die Internationale Staatengemeinschaft tun?

Ich sage Ihnen, was sie nicht tun soll: In der kongolesischen Presse werden angebliche Vorschläge westlicher Diplomaten kolportiert, wonach der Gewinner der Stichwahl dem Verlierer eine Regierungsbeteiligung zusichern soll. Gewissermaßen zur Befriedung. Was soll das? Wozu dann nochmal 46 Millionen Dollar für eine Stichwahl ausgeben? Ein solcher Kuhhandel würde bei den Kongolesen große Enttäuschung und Verbitterung auslösen.

Planen Sie einen neuen Anlauf in die Politik?

Ich möchte in den Kongo zurück. Und ich möchte politisch eingreifen. Wahrscheinlich werde ich mich in meiner Heimatprovinz Süd-Kivu um ein politisches Amt bewerben.

Was sagt Ihre Familie dazu?

Uhhhh … (längere Pause) Da ich ja nicht ins Parlament gewählt wurde, werde ich auch nicht gezwungen sein, zwischen Süd-Kivu und Kinshasa zu pendeln. Das macht die Aussicht auf einen Umzug leichter, weil wir uns als Familie dann gemeinsam in Süd-Kivu niederlassen würden.

 

Gute Nachrichten

Zur Abwechslung gibt es heute nur gute Nachrichten über den Kongo – wenn sie auch nicht alle direkt aus dem Kongo stammen.

Die erste kommt aus dem Südsudan, wo – auf neutralem Boden – die Regierung Ugandas einen Waffenstillstand mit der „Lord’s Resistance Army“ des Rebellenführers Joseph Kony unterzeichnet hat. Der ist seit Dienstag morgen, 6 Uhr Ortszeit in Kraft und könnte, wenn er denn hält, die Grundlage für ein Friedensabkommen sein. Seit 20 Jahren bekriegen sich Konys „Widerstandsarmee des Herrn“ und die ugandische Armee. Leidtragende sind wie immer die Zivilisten – genau gesagt, das Volk der Acholi in Norduganda, das seit zwei Jahrzehnten von der Armee in Internierungslagern eingepfercht und gleichzeitig von Kony terrorisiert wird. Seine „Widerstandsarmee“ besteht zu großen Teilen aus entführten Kindern, die er mit oft bestialischen Methoden in Killer verwandelt hat.
Was hat das mit dem Kongo zu tun? Nun, Kony’s Truppen hatten sich zuletzt in einen Nationalpark in der Province Orientale im Nordosten des Kongo zurückgezogen. Diese Region hat schon genug unter den kongolesischen Plünderkriegen der Jahre 1996 bis 2003 gelitten. Das letzte, was die Menschen dort brauchten, war eine ausländische Rebellengruppe, die zwecks Eigenversorgung umliegende Dörfer plünderte. Nun haben sich Kony und seine Kämpfer, wie im Waffenstillstandsabkommen vereinbart, offenbar auf den Weg in Auffanglager im Südsudan gemacht – und der Kongo hat ein Problem weniger.

Um das Problem der Kindersoldaten kümmert sich unter anderem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC lautet die englische Abkürzung) – und damit wären wir bei der zweiten guten Nachricht.
Am Montag hat der ICC formal Anklage gegen Thomas Lubanga erhoben – einen Milizenführer aus dem Bezirk Ituri im Osten des Kongo, der für Massaker, Vergewaltigungen, Plünderungen und die systematische Rekrutierung von Kindersoldaten verantwortlich zeichnet. Lubanga war bereits im März aus einem Gefängnis in Kinshasa nach Den Haag überführt worden. Er ist der bislang einzige Untersuchungshäftling des ICC, teilt sich das holländische Gefängnis aber mit serbischen und kroatischen Häftlingen, gegen die vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien verhandelt wird. Den Haag ist, wie man sieht, nicht nur Regierungsitz der Niederlande, sondern auch die Stadt mit der höchsten Konzentration mutmaßlicher Kriegsverbrecher.
Für das ICC, das 2002 mit großen Fanfaren ins Leben gerufen worden war, ist der Fall Lubanga die große Premiere, der erste Prozess. Schlagzeilen über das Ereignis sucht man allerdings vergeblich. Zum einen ist das öffentliche Interesse an einer internationalen Strafjustiz deutlich gesunken, seit der größte Fisch im Netz, Slobodan Milosevic, seinem Urteil durch vorzeitiges Ableben entgangen ist. Zum anderen ist Thomas Lubanga zweifellos nicht der einzige und auch nicht der schlimmste Kriegsherr des Kongo. Bloss waren andere warlords, wie zum Beispiel der Präsidentschaftskandidat Jean-Pierre Bemba, bereits hochdotierte Mitglieder einer Übergangsregierung, als das ICC endlich aus den Startlöchern kam.

Und trotzdem ist der Fall Lubanga nicht nur für Rechts-Experten interessant. Lubanga ist einer der Hauptgründe für das Engagement Europas im Kongo. 2003, als für das Land bereits ein Friedensabkommen in Kraft war, eskalierte in Ituri ein Krieg zwischen Lubangas Kämpfern aus der Volksgruppe der Hema und den verfeindeten Milizen der Lendu. Angefacht wurde das Massenmorden durch ethnische Hasspropaganda, freizügige Waffenlieferungen aus dem benachbarten Uganda, und Konkurrenz um die reichhaltigen Goldminen, Holzbestände und anderen Rohstoffquellen der Region. Über 50.000 Tote waren zu diesem Zeitpunkt zu verzeichnen; die Blauhelme der UN sahen dem Morden machtlos zu; humanitäre Helfer fürchteten ein „Mini-Ruanda“. Nicht zuletzt ihren Appellen war es zu verdanken, dass im Juni 2003 „Operation Artemis“ begann: die Befriedung von Bunia, der größten Stadt in Ituri durch (hauptsächlich französische) Soldaten unter der Fahne der EU, die damit zum ersten als Interventionsmacht im Kongo auf den Plan trat.

Bunia ist heute wieder unter Kontrolle der Blauhelme, die Kindersoldaten von einst verdienen sich inzwischen ein paar Dollar mit Chauffeure von Moped-Taxis. Die größte Gefahr für die Zivilbevölkerung geht nicht mehr von Milizen aus, sondern von der kongolesischen Armee, die das Hinterland sichern soll, keinen Sold bekommt und ihrerseits deswegen Dörfer plündert. Was wiederum dazu führt, dass die Leute sich inzwischen weniger für Thomas Lubanga und den Internationalen Strafgerichtshof interessieren, als für die Frage, warum das lokale Gericht in Bunia nicht reihenweise plündernde Soldaten der regulären Armee bestraft. Auch das ist für kongolesische Verhältnisse schon ein Fortschritt: wenigstens gibt es wieder ein lokales Gericht.

Bleibt zum Schluss noch eine eingeschränkte gute Nachricht: in Kinshasa ist es bis auf weiteres ruhig geblieben. Eine Kommission, in der auch Angehörige beider Kampfparteien vertreten sind, soll nun herausfinden, wie es zum Gewaltausbruch bei der Bekanntgabe des Ergebnisses Präsidentschaftswahlen vor knapp zwei Wochen kam, bei der über 20 Kongolesen starben und auch mehrere Botschafter unter Beschuss gerieten.

Die „Unabhängige Wahlkommission“ sucht unterdessen nach Geldgebern für die Durchführung des zweiten Wahlgangs. 46 Millionen Dollar braucht sie, zehn Millionen sind bislang zugesagt. Völlig unklar ist noch, wieviele internationale Wahlbeobachter dieses Mal zur Verfügung stehen. Denn nach den jüngsten Feuergefechten ist drängt es wohl niemanden, einen solchen Job zu übernehmen. Zumal die UN-Mission immer noch nicht weiss, wo die Munitionlieferungen geblieben sind, die vorige Woche auf mehrere Lastwagen in Kinshasa eingetroffen sind. Aber da wären wir schon wieder bei den potenziell schlechten Nachrichten. Und auf die wollten wir ja dieses Mal verzichten.

 

Eisige Ruhe

Es wird – bis auf weiteres – nicht mehr geschossen in Kinshasa. Sagt Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, am Telefon. Letzterer hat aufgehört zu beten, was er in unruhigen Zeiten in Kinshasa immer tut, „weil alles andere ja nicht hilft“. Drei Tage hat er sich wie fast alle unbewafffneten Bewohner Kinshasas zuhause eingeschlossen. “Madame“, sagt er, „sowas kann sich unsereins nicht leisten.“ Also fährt er wieder durch Gombe, dem Diplomaten-und Regierungsviertel, wo von Sonntag bis Montag die Kämpfe tobten. Inzwischen hat man die Leichen von den Strassen geholt, die Anwohner bessern zerschossene Scheiben aus, inspizieren die Einschusslöcher und in böser Vorahnung das Aufgebot an Feuerkraft, das jetzt überall herumsteht. Der am Dienstag vereinbarte Waffenstillstand zwischen den Herren Kabila und Bemba hält zwar vorerst an, doch in Kinshasas Strassen patrouillieren nicht nur EUFOR, UN-Blauhelme und kongolesische Polizei, sondern auch, in voller Montur, die Kampfparteien: Kabilas Präsidentengarde (zu erkennen an roten Mützen) und Bembas Truppe (zu erkennen an roten Halstüchern). Nach Deeskalation und „Normalisierung“ sieht das nicht aus.

Wer den ersten Schuss abgegeben hat, wird sich womöglich nie rekonstruieren lassen. Fest steht nur soviel: Die Sympathiebekundungen westlicher Diplomaten für Joseph Kabila haben sich als böse Fehleinschätzung erwiesen. Erstens hat man seine Unbeliebtheit im Westen des Landes unterschätzt. Im kriegszerrütteten Osten mag er als der Mann gelten, der den Frieden gebracht hat. In Kinshasa gilt er als Gallionsfigur der „Katanga Boys“, einer Machtclique aus der rohstoffreichsten Provinz, die Millionen in die eigene Taschen gewirtschaftet hat, während die Hauptstadt weiter vor sich hinrottet.

Aber so wurde Kabila in den Augen der Kinois zum „Mann des Auslands“ – und damit auch zur Zielscheibe seiner Propaganda, wonach Kabila von UN und EU samt ihrer Soldaten ins Amt gehoben werden soll. Mit dieser Kampagne hat er im ersten Durchgang 20 Prozent erhalten und, wichtiger noch, Kabila um die absolute Mehrheit gebracht.

Der wiederum wollte anfang der Woche in Kinshasa offenbar ein Exempel statuieren und Bembas Truppen entwaffnen. Das eskalierte am vorigen Montag zu jener Schlacht, in deren Verlauf Bembas Residenz unter Artilleriebeschuss geriet – just in dem Moment, als sich dort 14 Botschafter und der Chef der UN-Mission aufhielten, um die Kämpfe zu stoppen. Kofi Annan musste in New York zum Telefon greifen und Kabila auffordern, seine Präsidentengarde zurückzupfeifen.

Die Folge: ausgerechnet Bemba, dem der Ruch des Kriegsverbrechers anhängt, wird nun von Blauhelmen geschützt; Kabila wiederum dürfte seine Siegeschancen im zweiten Wahlgang drastisch reduziert haben. Schon seit Monaten kursiert im Kongo ein Kürzel für die Koalition, die sich vor dem zweiten Wahlgang gegen den amtierenden Präsidenten bilden soll: TSK – „Tous sauf Kabila, alle außer Kabila“. Das wird vermutlich der Schlachtruf der nächsten Wochen.

Bloß mag man sich die Stichwahl, so sie denn stattfindet, lieber gar nicht vorstellen. Beide Seiten haben ihre Gewaltbereitschaft hinreichend demonstriert und sind offenbar nicht gewillt, eine Niederlage zu akzeptieren. Kabila, kann auf 10.000 bis 15.000 Gardisten zurückgreifen, Bemba auf eine zur Privatarmee hochgerüstete „Leibwache“ – und auf tausende von jungen, männlichen Anhängern in den Armenvierteln von Kinshasa, die er per Flugzettel, Radio und Fernsehen in den letzten Wochen gehörig aufgeheizt hat.

Wie immer im Kongo läuft auch dieser Konflikt natürlich nicht ohne ausländische Hintermänner ab: Bemba, dessen Rebellengruppe einst von Uganda finanziert und hochgerüstet wurde, dürfte immer noch gute Drähte nach Kampala haben. Kabila wiederum ist der erklärte Favorit Angolas, das sich in der Gegend als Regionalmacht versteht, Militärausbilder in den Kongo geschickt hat und einigen Einfluss in der Präsidentengarde besitzt. Für die Petro-Kleptokraten in Luanda ist Joseph Kabila Garant für ungehinderten Zugang zu den reichen Rohstoffvorkommen des Kongo.

Wie es jetzt weitergehen wird, weiss niemand so recht. Die UN versucht bislang ohne Erfolg, Kabila und Bemba an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ihre Kampftruppen zu entwaffnen, ist vermutlich ein aussichtloses, weil zu gefährliches Unterfangen. Vielleicht kann man ihnen zumindest einen Teilabzug ihrer Kämpfer aus der Hauptstadt abhandeln. MONUC wird Einheiten aus dem Osten nach Kinshasa verlegen, EUFOR wohl bis nächstes Jahr bleiben müssen – und zwar mit Verstärkung und robusterem Mandat. Und den beiden Präsidentschaftsanwärtern, die sich anschicken, die Zukunft ihres Landes in Grund und Boden zu schießen, könnte man wenigstens mit Sanktionen drohen, mit Sperrung ihrer Konten, Einreiseverbot in Europa und den USA.
„Das sind ganz miese Zeiten“, hat Freddy Tsimba in einer e-mail geschrieben. Freddy Tsimba, das ist der Bildhauer aus Kinshasa, der Skulpturen aus Munitionsresten zusammenschweißt. Um Patronenhülsen zu sammeln, muss er jetzt nicht mehr nach Kisangani ins ehemalige Kriegsgebiet fahren. Die findet er seit dieser Woche auch in den Strassen von Kinshasa. „Ich habe einen ganzen Sack gesammelt. Es hört einfach nie auf.“