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Demokratie mit Eingreiftruppe: NGOs fordern mehr internationales Engagement vor den Wahlen im Kongo

Im rasenden Karussell der Krisen, Umbrüche und sonstigen Erschütterungen(Banken immer noch nicht reguliert, Bangkok unter Wasser, Griechenland vor dem Kollaps, Libyen einigermaßen befreit, Syrien vor dem Bürgerkrieg, Dürre in Ostafrika) muss man schon ziemlich gute Verstärker haben, um anderen Problemen Aufmerksamkeit zu verschaffen. 41 Nicht-Regierungsorganisationen versuchen es mit einem gemeinsamen Weckruf genau vier Wochen vor den Wahlen im Kongo. „Es ist der ultimative Test“ sagt Thierry Vircoulon, bei der International Crisis Group (ICG) zuständig für die Region Zentralafrika. „Schafft es das Land, seine junge Demokratie zu konsolidieren oder fällt es zurück in einen Zustand weit verbreiteter Instabilität, Unsicherheit und Gewalt?“

Kongo-Pessimisten behaupten, dass es aus diesem Zustand nie herausgekommen sei. Schließlich ist der der Ostkongo immer noch nicht befriedet und die soziale Lage immer noch horrend. Stimmt alles, und ist in der Schlussfolgerung des „Nichts-ist-besser-geworden“ doch falsch. 2006 im Jahr der ersten, halbwegs freien Wahlen nach vier Jahrzehnten Kleptokratie und Krieg, konnte der Kongo so am Boden, er konnte nur gewinnen. Jetzt, fünf Jahre später, hat er etwas zu verlieren. Nicht nur neue Straßen, einige renovierte Krankenhäuser und einen wilden Bauboom in den Städten, sondern, wenn auch sehr wackelige Gehversuche in parlamentarischer Kontrolle, eine Presse, die sich recht despektierlich über die politische Klasse äußern kann, und eine Zivilgesellschaft, die  selbstbewusster und frecher auftritt als in einigen Nachbarländern. Kritik an den Herrschenden ist im Kongo mit Risiken verbunden. Aber anders als in Ruanda oder Angola ist sie möglich.

Gerade deswegen, rufen die 41 NGOs, muss man den Kongo  jetzt wieder ins Scheinwerferlicht stellen. Enden diese zweiten Wahlen in Manipulation, Chaos und Gewalt, bedeutete das eine Katastrophe für die Kongolesen, eine neue Krise für die gesamte Region und ein Desaster für die internationale Gemeinschaft, allen voran die UN-Mission (MONUSCO) und die Europäische Union. Gerade die EU hat versucht, sich im Kongo als globaler Akteur in Sachen Sicherheit und Staatsaufbau zu etablieren. Ob ihr das gelungen ist, wird demnächst ausführlicher zu diskutieren sein. Fest steht jedenfalls: es hat ordentlich Geld gekostet – und der europäische Steuerzahler sollte sich durchaus dafür interessieren, ob dies nach diesen zweiten Wahlen als Fehlinvestition abgehakt werden muss.

Was fordern die NGOs (darunter, außer der ICG, das Ökumenische Netzwerk Zentralafrika, die International Federation for Human Rights, das Open Society Institute, die Église du Christ au Congo, das Pole Institute in Goma und die Menschenrechtsorganisation Voix des sans Voix)?
– mehr Transparenz und Dialogbereitschaft seitens der Wahlkommission CENI, gegen die sich in den vergangenen Monaten viel Wut und Frust seitens der Kabila-Konkurrenten gerichtet hat, allen voran der Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Etienne Tshisekedi.
– Mehr politischen Druck seitens westlicher Diplomaten
– ein klares Bekenntnis von Präsidentschaftskandidaten und Parteien, das Wahlergebnis, so es denn als frei und fair attestiert wird, zu akzeptieren und ihre auf Krawall gebürsteten Jung-Anhänger im Zaum zu halten (was vor allem, aber nicht ausschließlich an die Adresse des Kabila-Lagers geht)
– Eine UN-Mission, die notfalls Eingreiftruppen und Polizei einsetzt, um mögliche Ausschreitungen vor allem in den Großstädten zu verhindern, und die notfalls zwischen (Konflikt)Parteien vermittelt

Schief gehen kann vieles. Man muss sich nur die Zahlen ansehen: Über 32 Millionen registrierte WählerInnen sollen am 28. November zwischen elf Präsidentschaftskandidaten und 19010 Bewerbern um 500 Parlamentssitze entscheiden. Vorausgesetzt, die teilweise Arm langen Wahlzettel (Gesamtgewicht: 4000 Tonnen) samt Wahlurnen werden rechtzeitig an die 62000 Wahlbüros ausgeliefert. Gab es 2006 noch 300 Wahlbeobachter der EU (ein Klacks bei der Größe des Landes) wird Europa dieses Mal nur 148 Beobachter entsenden (ein Witz). Dazu kommen angeblich mehrere Zehntausend Beobachter von Kirchen und Zivilgesellschaft, sowie die Experten des Carter-Center, das auch gerade erst vor mangelnder Vorbereitung durch die CENI und wachsender Gewaltbereitschaft der Kontrahenten gewarnt hat.

 

In Memoriam Jean Paul Ngongo

Der kongolesische Menschenrechtler Jean-Paul Ngongo ist tot. LeserInnen dieses Blogs kennen ihn als Anwalt und Leiter der Organisation VOVOLIB (Voix des sans voix ni liberté – Stimme derer ohne Stimme und Freiheit). Er starb vergangene Woche nach schwerer Krankheit in seiner Heimatstadt Bukavu.

Ich traf Ngongo zum ersten Mal im Sommer 2007, zu einem Zeitpunkt, da die Sicherheitslage für Leute wie ihn besonders prekär war. Kritische Journalisten erhielten ebenso Todesdrohungen wie Anwälte und Aktivisten, die Menschenrechtsverletzungen und  Korruption durch Mächtige anprangerten und das bis dahin Undenkbare wagten: mutmaßliche Täter vor Gericht zu bringen.

VOVOLIB gehört zu den kongolesischen Organisationen, die sexualisierte Gewalt dokumentierten, lange bevor westliche Medien das Thema entdeckten. Ihre MitarbeiterInnen befragen Opfer (Frauen wie Männer) und benennen Verdächtige, auch wenn diese die Uniform der Armee tragen und damit vielerorts immer noch als „unantastbar“ gelten. Die wenigen Frauen in Bukavu, die 2007 den Mut hatten, gegen Soldaten oder Offiziere vor Gericht auszusagen, wurden von VOVOLIBs Anwälten vertreten und von Helfern betreut. Bei unserem ersten Gespräch im winzig kleinen Büro der Organisation berichtete Ngongo – noch sichtlich unter Schock – dass wenige Tage zuvor eine seiner Mitstreiterinnen vor ihrem Haus erschossen worden war. Sie hatte eine vergewaltigte Frau im Verfahren gegen einen Offizier begleitet.

Jean Paul Ngongo 2007 im Büro von VOVOLIB

Dass über die letzten Jahre in Südkivu spürbare, wenn auch immer noch viel zu kleine Fortschritte im Kampf gegen Straflosigkeit zu verzeichnen sind, ist vor allem Leuten wie Ngongo zu verdanken. Die kongolesische Justiz befindet sich immer noch in einem erbärmlichen Zustand, aber der ist eben nicht mehr ganz so erbärmlich wie 2007. Inzwischen sind in mehreren Fällen nicht nur Soldaten, sondern auch Offiziere wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden.

Zusammen mit anderen NGOs hat VOVOLIB die Verbrechen von Rebellengruppen dokumentiert wie zum Beispiel der Hutu-Milizen der FDLR. Deren politische Führungsspitze, die im europäischen Exil operierte, muss sich inzwischen vor der Justiz verantworten – nicht im Kongo, sondern vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Ich habe mich – und ihn – oft gefragt, wie man das aushält. Wie man über anderthalb Jahrzehnte den schlimmsten Tatort von Kriegsverbrechen seit 1945 auf der Suche nach Wahrheit buchstäblich umgräbt, zwischendurch selbst mit der Familie fliehen oder abtauchen muss, nur um nach dem Abzug einer Rebellentruppe sofort wieder mit Stift, Block und Aufnahmegerät die angerichtete Verheerung zu dokumentieren. Seine Frau, eine Krankenschwester, hat von dieser Verheerung ebenfalls viel gesehen. „Manchmal macht es einen müde“, war alles, was er dazu sagte.

Ich selbst verdanke Jean Paul Ngongo lange Gespräche, ohne die ich die horrende Geschichte seines Landes nicht annähernd verstanden hätte. Auf mehreren Reisen ins Hinterland der Provinz habe ich ihn begleitet. Er war ein ziemlich schlechter Autofahrer und ein unschätzbarer Führer und Übersetzer. Seine Kontakte eröffneten mir Gespräche mit Bäuerinnen, Dorfältesten, Lehrerinnen, Ärzten, die ich allein oder im Tross einer ausländischen, weißen Delegation nie hätte führen können. Er vermittelte mir Interviews mit Gefängnisinsassen, Polizisten und Richtern, die ich sonst nie bekommen hätte.

Vor allem aber war er frei von politischer und ethnischer Ideologie, was im Kongo auch in Kreisen von Menschenrechtlern nicht selbstverständlich ist. Menschenrechte waren für ihn unteilbar und universal.

Jean Paul Ngongo wurde 44 Jahre alt. Er hinterlässt Frau und vier Kinder.

 

Maman Mayi fährt nach China

Avenue Bakaka in Kinshasas Stadtteil Bandal, eine typische kleine Geschäftsstraße. Ein halbes Dutzend Schneidereien, vier Apotheken, zehn Bierbuden. Vor fast jedem Laden hockt ein Straßenhändler vor seinem Stand mit Telefonkarten, Zigaretten, Papiertaschentüchern und Lutschern. Hier hat Maman Mayi Kossa ihr Geschäft eröffnet,  genauer gesagt: 20 mit leicht angestaubten Kleidern, Schuhen und Taschen voll gestopfte Quadratmeter. Boutique „Adorith“, Mode für Erwachsene und Kinder.

Als Dekoration hinter dem nicht mehr ganz durchsichtigen Fenster dienen vier weiße Schaufensterpuppen, die aussehen, als wären die unruhigen Jahre der Stadt an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Die Füße sind ramponiert, der Arm des Damenmodells zersplittert. Dem Herren fehlt der Kopf, was die Aufmerksamkeit umso mehr auf das hautenge schwarze Jackett über seinem Plastik-Waschbrettbauch lenkt, das glänzt wie frisch gegossener Teer und sich auch so anfühlt. Laut Etikett trägt ein Pariser Modedesigner namens Jean-Pierre Courier dafür die Verantwortung, eingekauft hat Maman Mayi das gute Stück, das jetzt mit Hose für 55 Dollar im Schaufenster steht, für 25 Dollar in Ghangzou, China. Wie fast alles andere auch in ihrer Boutique: die Herrenunterwäsche, die Rucksäcke mit Micky-Maus-Aufdruck, die Jeans stonewashed, die hautengen Kleider aus reinem Polyester. „Ich habe mir anfangs Ware von meinen Verwandten aus Europa schicken lassen“, sagt Maman Mayi. „Aber die war ziemlich teuer, und auf den Etiketten stand immer: Made in China.“ Da, dachte sich Maman Mayi, könne sie ja gleich selbst hinfahren, um Ware zu holen.

Mayi Kossa ist eine robuste 52-jährige Geschäftsfrau, eine Maman Commerçante, wie man die Händlerinnen in Kinshasa nennt. Verheiratet mit einem inzwischen pensionierten Angestellten der kongolesischen Zentralbank, acht Kinder – „wohl geraten“, wie sie betont. Der Umstand, dass alle die Universität besuchen, ist Grund zum Stolz, aber auch Ursache für die prekäre familiäre Haushaltslage. 660 Dollar kostet ein Studienjahr an der Protestantischen Hochschule in Kinshasa. Die Rente des Gatten, ohnehin nur unregelmäßig ausbezahlt, helfe da wenig, sagt Maman Mayi und macht ein pfeifendes Geräusch, als würde sie Luft aus einem Reifen lassen. Um acht Kinder durchzubringen, muss man schon nach China fahren. „Guangzhou“, sagt Maman Mayi, „herrliche Stadt“.

Dass China in Afrika angekommen ist, weiß inzwischen jeder. Dass es mittlerweile auch eine rege Migration und Reisetätigkeit von Afrikanern nach China gibt, ist weniger bekannt. „Low-End-Globalisierung“ nennen manche das etwas herablassend, als hätten nun auch die Kellerkinder entdeckt, dass es ein Leben außerhalb der eigenen Landesgrenzen gibt.
Apropos Grenzen: Ein Visum nach China, sagt Maman Mayi, sei sehr viel einfacher zu bekommen als ein Visum für ein EU-Land.

Sie brach zum ersten Mal 2006 nach China auf – ausgestattet mit der Erlaubnis ihres Mannes (in solchen Fragen ist Maman Mayi eher altmodisch) und knapp 500 Dollar, die sie mit den Gewinnen aus ihrem ersten „business“, einem Kosmetikladen, erwirtschaftet hatte. Kosmetik, sagt sie, sei ein krisensicheres Geschäft. Selbst wenn das Geld kaum fürs Essen reiche, „wollen die Leute immer gut aussehen.“ Also werde eher am Brot gespart als an der Hautcreme – oder an den Kleidern. Weswegen Maman Mayi beschloss, ins Modegeschäft einzusteigen.

„Die ersten drei Tage in Guangzhou habe ich nur gestaunt, wie gut dort alles funktioniert.“ Es gibt Strom „ohne Unterbrechung“. Wenn man den Wasserhahn aufdreht, kommt auch Wasser heraus. „Und dann dieses riesige Warenangebot.“ Guangzhou trägt nicht umsonst den Spitznamen „Fabrik der Welt“. Vom Frachtschiff bis zur Barbiepuppe wird hier alles produziert. Lippenstifte, Handspiegel mit ausklappbarer Haarbürste, Billigst-Jeans, Billigst-Hemden, Billigst-Miniröcke in allen Farben, die das Chemielabor hergibt, Mobiltelefone, Fahrräder, Billig-Computer, Wanduhren, die nicht nur die Zeit anzeigen, sondern auch fluoreszierende chinesische Landschaften mit rauschenden Wasserfällen erleuchten lassen.

Ein Prachtexemplar „für 18 Dollar“ hängt jetzt in Maman Mayis Wohnzimmer in Bandal. Fast die ganze Inneneinrichtung stammt inzwischen aus Guangzhou. Mindestens einmal, oft zweimal im Jahr reist Maman Mayi zusammen mit drei oder vier befreundeten Händlerinnen nach China, um Textilien, Schuhe, Handtaschen, Bettwäsche einzukaufen und in einem „Gruppencontainer“ zu verschiffen. Fast immer ist auch ein Stück fürs eigene Heim dabei. Der üppige Wandschrank mit Glasvitrinen, der Fernseher mit Plasma-Bildschirm, der Koffer große Radio-Recorder, der Computer – alles zu Niedrigstpreisen. Prunkstück der Inneneinrichtung ist die weiße Tiefkühltruhe, die wie ein königlicher Sarkophag fast den gesamten Raum blockiert. „Hat nur 450 Dollar gekostet“, sagt Maman Mayi. Über die letzten fünf Jahre hat sie den Traum vom Konsumleben der globalen Mittelschicht in ihr kleines Haus gewuchtet – zur Freude von Mann und Kindern, obwohl diese nun kaum mehr Platz haben, sich um die eigene Achse zu drehen. Bloß funktioniert gerade nichts von dieser modernen Pracht. In Bandal ist wieder einmal der Strom ausgefallen.

Mayi Kossa vor ihrem Haus in Kinshasa

Man könnte nun meinen, dass Maman Mayi im Besonderen und die Kongolesen im Allgemeinen China zunehmend zum gelobten Land erklären. Keineswegs.
China muss auf dem afrikanischen Kontinent gerade ein paar derbe Dämpfer einstecken. In Kongos Nachbarland Sambia, wo chinesische Konzerne mit oft rüden Methoden weite Teile des Kupferabbaus kontrollieren, ist gerade der alte Polit-Haudegen Michael Sata zum Präsidenten gewählt worden, der im Wahlkampf mit einer Kampagne gegen „chinesischen Neokolonialismus“ gepunktet hat. In diversen afrikanischen Ländern fangen mit viel Pomp eingeweihte Krankenhäuser oder Straßen „made by China“ schon nach einem Jahr an zu bröckeln. Chinesische Ingenieure gehen nicht eben respektvoll mit afrikanischen Arbeitern um, und weder in Soweto, noch in Lusaka oder Kinshasa ist man gut auf chinesische Zuwanderer zu sprechen, die auf dem Marktplatz gängige Produkte um ein Drittel billiger verkaufen als die einheimischen Händler.

In Guangzhou, sagt Maman Mayi, gebe es eigentlich keine Probleme zwischen den Handel treibenden Völkern. „Aber manche Chinesen halten sich die Nase zu, wenn sie Schwarze sehen.“
Maman Mayi hat zwei Methoden entdeckt, mit solchem Rassismus umzugehen. Entweder läuft sie glühend vor Wut den ganzen Tag durch die Stadt. Oder sie redet sich ein, dass die Chinesen alle Afrikaner für Senegalesen halten. „Und die benutzen ja wirklich ein übles Rasierwasser.“ Meistens wählt sie die zweite Option. So kann sie sich besser auf das Geschäft konzentrieren.

Wie verständigt sie sich mit den chinesischen Großhändlern? Die sprechen kein Französisch, die Mamans Commerçantes aus Kinshasa können kein Englisch, geschweige denn Chinesisch.
„Kein Problem“, sagt Maman Mayi. „Wir kommunizieren mit dem Taschenrechner.“

 

Sartre in Kinshasa

Gibt es aufregendes Theater in Kinshasa? Mal abgesehen von den Dramen, Tragikomödien und Farcen der Wirklichkeit, die sich täglich auf den Straßen der Stadt abspielen?

Gibt es.

Man muss es nur finden. Die Adresse: Uele 6 bis, C/Kintambo. Also auf der Avenue Colonel Mondjiba entlang in Richtung Ngaliema, dann links ab auf die Avenue Komoroko. Vorsicht! Die dunkle Gasse rechts ist leicht zu verpassen. Hier steigt man am besten aus, zwischen Schlaglöchern, Pfützen und der offenen Kanalisation ist Platz für Fußgänger, nicht für Autos. Dann am Tor mit der Nummer 6 klopfen – und schon steht man mitten auf dem „Rollfeld der Autoren“.

Tarmac des auteurs heisst Kinshasas derzeit wohl spannendstes Hinterhof-Theater. Die Zuschauer sitzen auf Plastikstühlen, die Bühne besteht aus zusammengeschobenen Holzpaletten, für das Bühnenbild räumen Freunde des Hauses schon mal die eigenen Möbel herbei. Regnen darf es nicht, denn das Theater hat kein Dach. Ein Dach wiederum sollte es nicht haben, da man bei der tropischen Schwüle in einem geschlossenen Raum umkippen würde, und sich Tarmac des auteurs auf absehbare Zeit keine Klimaanlage wird leisten können. Was hier in jüngerer Zeit aufgeführt wurde, schafft schon Hitze und Reibung genug: zum Beispiel Jean-Paul Sartres Stück Geschlossene Gesellschaft, das bekanntlich in der Hölle spielt. Oder Immigration jetable (auf Deutsch in etwa: „Immigration zum Wegwerfen“) der rumänischen Autorin Alexandra Baldea, das von einem fiktiven afrikanischen Land mit einer korrupten, dekadenten Elite handelt und von seinen jungen Bürgern, die ihr Glück in Europa suchen und nicht finden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit dem Kongo sind rein zufällig.
„Die Attentäterin“, inszeniert nach dem Roman des algerischen Autors Yasmina Khadra über eine palästinensische Selbstmordattentäterin, lieferte reichlich Gesprächsstoff für die Zuschauer. Die bestehen aus Studenten, Angehörigen von Kinshasas Kunst-und Musikszene, ausländischen Diplomaten und NGO-Mitarbeitern. Und manchmal auch Angehörigen der Agence Nationale de Renseignements (ANR), des kongolesischen Geheimdienstes, der offenbar noch nicht so recht weiß, ob er das Treiben auf dieser Bühne für eine Gefährdung des Staates halten soll – oder für sozialkritischen, aber ungefährlichen Nischenaktivismus.

Bei der jüngsten Premiere haben die Herrn vom ANR vermutlich beim Anblick verblichener Fotos von Marx und Lenin an der Theatermauer gestutzt, wahrscheinlich auch bei Lektüre des Titels Le siège de Leningrad. Dabei geht es in dem Stück des spanischen Autors José Sanchis Sinisterra weder um den Zweiten Weltkrieg noch um Lenin, sondern um das tragikomische Zwiegespräch zwischen zwei Schauspielerinnen, Natalia und Priscilla, die, in den Kulissen ihres längst geschlossenen Theaters lebend und gegen Ungeziefer kämpfend, den alten Zeiten nachtrauern, da linke Intellektuelle und Künstler noch die Welt zu verändern glaubten. Theater als Bühne für das Theater. „Anfangs“, sagt Agnès Mujinga, eine der beiden Hauptdarstellerinnen, sei ihr der Text schon „sehr fremd“ vorgekommen. Aber auf der Bühne legt sie eine wuchtige Priscilla hin. Von gescheiterten Träumen können kongolesische Intellektuelle einiges erzählen – und das Gefühl der politischen Bedeutungslosigkeit kennen sie ebenfalls.

Als Sponsor des Ganzen trat die spanische Botschaft auf, was nicht nur gut für das Image des Theaters ist, sondern auch ein wenig Schutz vor übergriffigen Sicherheitsdiensten bietet.

Regisseur, Intendant, Dramaturg, Conferencier und manchmal auch Schauspieler des Tarmac des auteurs ist Israel Tshibamba Mouckounay, 33, der in Kinshasa immer wieder Autoren aus dem Kongo, Kamerun, Benin, dem Senegal und Europa zusammenholt. Für die folgenden Wochen hat er Lesungen und kleine Konzerte im Programm.

Kurz vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende November will Tarmac des auteurs dann eine kleine Pause einlegen, um nach der mehr oder weniger demokratischen Willensbildung dann wieder mit vollem Programm loszulegen. „Vorausgesetzt“ sagt Tshipamba und grinst, „wir sind dann noch am Leben“. Das Publikum lacht herzlich und greift zu Bier und Erdnüssen. Geheimdienstler scheinen nicht dabei zu sein. Oder sie lachen inzwischen unauffällig mit.

 

 

Arabischer Frühling, afrikanischer Herbst: Der Kongo vor den nächsten Wahlen

Am 23. Oktober wählen die Tunesier eine verfassungsgebende Versammlung, am 25. November gehen die Marokkaner an die Wahlurnen, am 28. November die Ägypter. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, welcher Herbst auf den arabischen Frühling folgt. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich auch zeigen, ob es im Afrika südlich der Sahara einen Herbst der Revolten geben wird. Senegal, Malawi, Guinea-Bissau, Uganda – all diese Länder waren in den vergangenen Wochen Schauplatz von Demonstrationen gegen Korruption, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Polizeibrutalität und gegen Staatschefs, die auf Biegen und Brechen an ihren Ämtern festhalten wollen – auch wenn die Verfassung es ihnen verbietet.

Am 28. November sollen auch im Kongo ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt werden. Gut sieben Wochen also noch bis zu den zweiten Wahlen seit Kriegsende. Höchste Zeit, der Hauptstadt wieder einen Besuch abzustatten.

„Willkommen im neuen Kinshasa“, sagt Monsieur Vicky, mein Fahrer, zur Begrüßung am Flughafen. So viel Neues lässt sich nach Sonnenuntergang nicht erkennen, aber nach ein paar Kilometern stadteinwärts fühle ich das Neue direkt unter dem Hintern: Kein Schlagloch, keine Sandpisten, keine Schlammwellen. Vickys schrottreifer Toyota Corolla rollt auf glattem Asphalt. Vierspurig in der einen, vierspurig in der anderen Richtung. Kinshasa bekommt geteerte Prachtstraßen. Dazu gibt es inzwischen Ampeln mit digitaler Zeitanzeige der Grün-und Rotphasen. Alles noch nicht optimal synchronisiert – manchmal haben die Autofahrer der Hauptverkehrsstraße ebenso grünes Licht wie die Fußgänger, die selbige gerade überqueren wollen. „Made in China“, sagt Vicky, der sein grundsätzliches Misstrauen gegen Chinesen relativiert hat, seit selbige mit Straßenwalzen und Teerlastern seinen Job als Taxifahrer erleichtern.

China beruft sich in seiner Außenpolitik auf das Prinzip der Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder. Tatsächlich mischen Pekings Bauingenieure kräftig in der kongolesischen Innenpolitik mit: Sie sind die vielleicht effektivsten Wahlhelfer des Präsidenten Joseph Kabila, der am 28. November für eine weitere Amtszeit gewählt werden möchte. Im Osten, wo er 2006 die meisten Stimmen einfuhr, ist seine Beliebtheit dahin geschmolzen, weil er sein großes Wahlversprechen nicht eingehalten hat: Frieden. Frieden durch die Entwaffnung von Rebellen, Reform und Disziplinierung der Armee, Bestrafung von Kriegsverbrechern.
Nicht, dass es überhaupt keine Verbesserungen gäbe. Aber für eine dermaßen von Gewalt geplagte Bevölkerung wirkt das Schneckentempo des Fortschritts wie ein Hohn, nicht wie ein Segen.

In Kinshasa und dem gesamten Westen des Landes war Kabila noch nie besonders populär. Die anhaltende Armut und die horrende Arbeitslosigkeit haben die Sache für den Amtsinhaber nicht besser gemacht.
„Und dann“, sagt Vicky,  „ist da noch das Problem mit den Kuluna.“ Bei dem Wort höre ich in seiner Stimme etwas, was ich sonst bei Vicky selten höre: Angst.

Kinshasa ist, gemessen an den katastrophalen sozialen Verhältnissen, immer noch eine erstaunlich friedliche Stadt. Aber seit einiger Zeit hat sie ein Gang-Problem. Musste man sich früher vor allem vor Polizisten, Soldaten und Geheimdienstlern in Acht nehmen, so machen inzwischen die Kuluneurs ganze Viertel unsicher. Der kongolesische Blogger Alex Engwete beschreibt sie als militärisch organisierte Trupps von Jungmännern (darunter offenbar auffallend viele Angehörige von Kampfsportclubs), die „nachts oder am helllichten Tag, ausgerüstet mit Stöcken, Messern und Macheten, einen öffentlichen Platz besetzen und Passanten wie Händlern alles abnehmen: Geld, Uhren, Handys, Verkaufsware, Kleider, Schuhe, Schmuck. Wer sich wehrt, riskiert Messerstiche, Stock- oder Machetenhiebe.“ Kuluna ist für die Bewohner in Kinshasa ein weiteres Synonym für das Versagen der Regierung im Allgemeinen und Kabila im Besonderen. Verlorene Wählergunst will Kabila nun mit geteerten Straßenkilometern zurückgewinnen, weshalb sein schläfriges Gesicht auf Plakaten an so ziemlich jeder Baustelle zu sehen ist. Überschrift: „Der Mann der Tat“.

In einem Nachkriegsland – so lautet die Einsicht der Experten in Sachen Staatsaufbau und Friedenssicherung – sind die zweiten Wahlen oft entscheidender als die ersten. Erst nach einer Legislaturperiode lässt sich absehen, ob das Prinzip einer (halbwegs) friedlichen und (halbwegs) durch Volkswillen herbeigeführten Ablösung (oder Bestätigung) eines Amtsinhabers ansatzweise verankert ist; ob sich im Parlament eine Opposition herausbilden konnte; ob der Staat nicht mehr nur als Selbstbedienungsladen wahrgenommen wird. In Liberia, wo am 11. Oktober gewählt wird, gibt es Anlass zu vorsichtigem Optimismus, wobei die Betonung auf „vorsichtig“ liegt. Von Afghanistan, wo sich Staatspräsident Hamid Karsai 2009 vor den Augen der internationalen Gemeinschaft eine weitere Amtszeit zurecht manipuliert hat, kann man das nicht behaupten. Und im Kongo?

Zwei gute Nachrichten zuerst: Wahlen sind dem kongolesischen Staat inzwischen einiges Geld wert. 2006 zahlte die internationale Gemeinschaft fast die gesamte Zeche (90 Prozent) für die Durchführung der Wahlen, dieses Mal kommt der kongolesische Staat für zwei Drittel der Kosten selbst auf. Und: Anders als 2006 bestimmen nicht mehr Kriegsherren die politische Szene, sondern Zivilisten. Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Milizenführer und vor fünf Jahren Kabilas mächtigster Gegenspieler, sitzt inzwischen auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. (Seine Partei, das Mouvement de libération du Congo (MLC) ist nunmehr ein Scherbenhaufen, was wiederum ein problematischer Nebeneffekt ist).

Kabilas größte Kontrahenten sind nun zwei andere: Etienne Tshisekedi, der große alte Mann der kongolesischen Opposition und Führer der Union pour la Démocratie et le Progrès Social (UDPS). 2006 noch hatte Tshisekedi die Wahlen boykottiert, was ein gewaltiger strategischer Fehler war. Dieses Mal will er Präsident werden. Konkurrenz droht Kabila auch von seinem ehemaligen Weggefährten Vital Kamerhe, der 2006 noch seinen Wahlkampf gemanagt und sich dann mit ihm überworfen hatte. Während Tshisekedis Hochburgen vor allem im Kasai liegen, kann Kamerhe dem Präsidenten in den östlichen Kivu-Provinzen gefährlich werden, weswegen seine Partei, die Union pour la Nation Congolaise (UNC), dort auch immer wieder behindert und eingeschüchtert wird.

Und in Kinshasa? Nun, hier ist es ruhig, sieht man einmal von sich häufenden Reibereien zwischen der Polizei und UDPS-Anhängern und von schwereren Straßenkämpfen zwischen Anhängern Kabilas und Tshisekedis Anfang September ab. Bei denen haben angeblich auch kuluneurs mitgemischt. „Terroristen“, nennt sie Vicky, als wir durch die Stadt fahren. Keine besonderen Vorkommnisse, nur der übliche Trubel auf den Märkten. Die Straßen sind besser geworden, es gibt immer mehr Banken und Supermärkte, Plakate kündigen den Bau von Luxusappartments an. Kinshasa wird demnächst gated communities haben, die Ungleichheit wird sichtbarer werden. Damit dürfte auch das Potenzial für Protest und Wut wachsen, wobei nie absehbar ist, wogegen sie sich richten werden. Ein Konvoi weißer Pick-Up-Trucks rast uns plötzlich entgegen, auf den Ladeflächen hocken brüllend und singend und Fäuste schüttelnd Dutzende von Jugendlichen. Vicky setzt schon zu einer Schimpftirade auf politische Krawallmacher an, doch der Konvoi erweist sich als Werbeaktion des Mobilfunkanbieters Vodacom.

Vor allem die UDPS verdächtigt Kabila lautstark, bereits im Vorfeld der Wahlen durch Manipulation bei der Wählerregistrierung, durch Neuziehung von Distriktgrenzen. Da ist sicher etwas dran. Aber im Zweifelsfall wird es sich die Opposition selbst zuzuschreiben haben, sollte Kabila erneut gewinnen. Per Verfassungsänderung hatten seine Parteigänger schon Anfang des Jahres die Änderung des Wahlverfahrens durchgesetzt: War bis dahin noch eine Stichwahl vorgesehen, falls keiner der Präsidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit im ersten Durchgang erzielt, gewinnt nun, wer sich in der ersten Runde eine einfache Mehrheit sichert – und sei es nur mit 20 oder 25 Prozent der Stimmen. Nicht gerade die feine Art, aber formal ging bei der Verfassungsänderung alles mit (einigermaßen) rechten Dingen zu. Um Kabila zu schlagen, müsste sich die Opposition nun also zusammenschließen und auf einen Spitzenkandidaten einigen. Das aber scheint aufgrund der Größe der Egos der beteiligten Akteure derzeit kaum realistisch.

Also doch wieder Kabila? Prognosen will dieser Tage in Kinshasa kaum jemand wagen. Aber Szenarien werden durchgespielt: Gewinnt Kabila deutlich oder knapp, wird die Opposition Wahlbetrug reklamieren und demonstrieren, was garantiert nicht ganz friedlich ablaufen wird. Verliert Kabila und erkennt er die Niederlage an, wäre das ein mittleres politisches Wunder. Allerdings mag niemand vorhersagen, dass die mit Waffen gut ausgestattete Garde des Präsidenten eine solche Niederlage still hinnehmen würde. Schließlich wäre sie danach arbeitslos. „Der 28. November wird ruhig verlaufen“, sagt Vicky. „Aber am 6. Dezember müssen Sie für uns beten.“ Dann sollen die vorläufigen Wahlergebnisse bekannt gegeben werden.

Für das Problem der Kuluna diskutiert man in Vickys Nachbarschaft im Viertel Bandal inzwischen ganz eigene Lösungen. „Den ersten drei Kerlen, die man erwischt, einfach mit der Machete die Hand abschlagen.“ Wir stecken trotz mehrspuriger Fahrbahn im Stau und haben reichlich Zeit, das Für und Wider solcher Maßnahmen zu debattieren. Weder mein Plädoyer gegen Selbstjustiz noch gegen grausame Bestrafung scheinen ihn besonders zu beeindrucken. Einzig mein Argument, dass ansonsten nur islamistische Fundamentalisten Dieben und Räubern die Hand abschlagen, bringt ihn ins Wanken. Muslime sind ihm so suspekt wie bis vor kurzem noch Chinesen.

 

Einer fehlte noch – zur Verhaftung von Goran Hadzic

Einer fehlte noch. Nach der Verhaftung von Ratko Mladic war der Eindruck entstanden, das UN-Jugoslawien-Tribunal (ICTY) hätte seine Fahndungsliste abgearbeitet. Aber da war immer noch Goran Hadzic.
Wer bitte?

Hadzic, Goran, Jahrgang 1958. Karrierestationen: Lagerarbeiter und überzeugter Kommunist; dann Politfunktionär und überzeugter Nationalist; Mitbegründer und kurzzeitiger Präsident der ebenfalls kurzlebigen Republik Serbische Krajina, die sich auf dem Territorium des heutigen Kroatien befand; vom ICTY wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht – unter anderem wegen Massakern begangen von serbischen Einheiten unter Hadzics Oberbefehl an Kroaten. Verhaftet am vergangenen Mittwoch in einem Wald in der Region Fruska Gora in Serbien, als ein Helfer ihm Geld bringen wollte. Man sei, so heißt es aus Belgrad, dem Verdächtigen auf die Spur gekommen, weil dieser versucht habe, ein Bild des italienischen Malers Amedeo Modigliani zu verkaufen.

Mit etwas mehr Ermittlungsdruck und politischem Willen hätte Serbien den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Hadzic wohl schon früher festnehmen können – lange bevor dieser auf dem Kunstmarkt auf sich aufmerksam machte. Letztlich ist die Verhaftung ein Erfolg für jene Ermittler in Serbien, denen es um die Fahndung nach Kriegsverbrechern immer ernst gewesen war; für das UN-Tribunal, das seinen politischen Druck auf Serbien aufrecht hielt und damit eine zunehmend „Tribunal müde“ EU zwang, das Gleiche zu tun; und für die Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer – unter anderem jene 250 Menschen (überwiegend Kroaten), die 1991 von serbischen Milizen aus dem Krankenhaus von Vukovar verschleppt und exekutiert wurden.

Bleibt die Frage, wie ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher an ein Ölbild von Modigliani kommt. Nach Auskunft der serbischen Staatsanwaltschaft hatte Hadzic das Bild mit seinen Profiten aus dem Schmuggel von Treibstoff und Heizöl bezahlt – und zwar angeblich bereits 1991, im ersten Jahr des Kroatien-Krieges.

Das weist auf ein gern übersehenes Phänomen des Krieges hin: Oft gehen dieselben Männer, die Massenvertreibungen und Massaker befehlen, jedes erdenkliche Geschäft mit den Anführern des vermeintlichen Todfeinds ein. Vor und nach dem Krieg – und natürlich mittendrin: Sie dealen mit Zigaretten, Benzin und so ziemlich mit allem, was man in Raubkopie herstellen kann. Wenn es darum geht, in der Kriegsökonomie abzukassieren, spielen ethnischer Hass oder politische Ideologie keine Rolle mehr. Nicht einmal beim Waffenhandel, selbst wenn die Ware am Ende beim Gegner landet. In seinem Buch „McMafia“, erschienen 2008, beschreibt der britische Journalist Misha Glenny sehr genau die Vernetzung von organisierter Kriminalität und organisierter Kriegstreiberei.

Hadzic ging übrigens in den letzten Jahren auf der Flucht dann doch das Geld aus. Ähnlich wie im Fall von Ratko Mladic war sein Netz von Unterstützern aus Kreisen des Geheimdienstes und – vermutlich  – auch der serbisch-orthodoxen Kirche arg geschrumpft. Am heutigen Freitag soll er von Belgrad nach Den Haag gebracht werden.

Die Frage ist, was mit dem Modigliani passieren wird. Das Bild soll bis zu 15 Millionen Euro wert sein. Keine schlechte Grundlage für einen Fonds zur Entschädigung der Opfer.

 

Der Landklau im Südsudan

Es war eine durchaus erstaunliche Rede, die Salva Kiir, Präsident der Republik Südsudan, vergangenen Samstag zum Tag der Unabhängigkeit in Juba gehalten hat. Zwischen Pathos und Euphorie verabreichte er einige (Selbst)Kritik – adressiert an die eigene politische Elite und den zerstrittenen Vielvölkerstaat, der nun unter einer eigenen Fahne zusammengehalten werden muss.

Der Südsudan, der immerhin seit über fünf Jahren autonom regiert wird, habe sich, so Salva Kiir, bislang unfähig gezeigt, „die wichtigsten Grundbedürfnisse seiner Bürger zu befriedigen.“ Man breche „untereinander Konflikte vom Zaun“, die man auch friedlich lösen könne. „Von heute an haben wir keine Ausreden und keine Sündenböcke mehr. Es ist unsere Verantwortung, uns selbst, unser Land und unsere Ressourcen zu schützen.“ Stimmt alles, und man sollte den Mann in den kommenden Monaten und Jahren immer wieder an diese Worte erinnern.

Das Land schützen – damit ist nicht nur der Schutz vor Angriffen von außen gemeint. Die Landfrage war und ist eine Schicksalsfrage im Sudan. Landkonflikte haben eine erhebliche Rolle im jahrzehntelangen Bürgerkrieg gespielt und sie sind eines der zentrale Probleme für den neuen Staat im Süden.

Wem gehört das Land? Wer darf es wann und wie nutzen? In Europa sind Antworten darauf relativ einfach. Land ist entweder in öffentlichem oder privatem Besitz, Genaueres erfährt man beim Kataster – und Grundbuchamt. Aber in den meisten afrikanischen Ländern sind die Besitzverhältnisse alles andere als klar.

Beispiel Südsudan: Nicht, dass hier Platzmangel herrschte. Auf einer Fläche etwas größer als Frankreich leben rund neun Millionen Menschen. Die große Mehrheit, fast 80 Prozent, ernährt sich durch Viehzucht und Ackerbau. Krieg und Flucht haben alte Besitz-und Nutzungsverhältnisse oft zerstört oder verwischt. Jetzt kommen neue Probleme hinzu: moderne Gesetze kollidieren mit Gewohnheitsrecht. Neue Gemeinde- oder Provinzgrenzen zerteilen angestammte Gebiete bestimmter Volksgruppen, zerschneiden traditionelle Wege von Viehhirten zu Wasserstellen und Weideland. Rückkehrer , die während des Krieges in den Norden geflohen waren und nun vom Regime in Khartum systematisch heraus geekelt werden, stellen Ansprüche auf Land.

Reichlich Konfliktstoff also in einer neugeborenen Nation, in der es noch keine funktionierende Justiz gibt und Landkommissionen auf zentraler und einzelstaatliche Ebene nicht arbeitsfähig sind.

Reichlich Gelegenheit auch für „risikobereite Investoren“, sich riesige Flächen in – gelinde gesagt – dubiosen Verträgen zu sichern. In ihrer Studie „The New Frontier“ (Die neue Grenze – oder: das neue Grenzland) haben mehrere Untersuchungsteams im Auftrag der norwegischen Hilfsorganisation „Norwegian People’s Aid“ (NPA) Landverträge im Südsudan untersucht. Mit dem beunruhigenden Ergebnis, dass „ausländische Interessenten zwischen 2007 und Ende 2010 insgesamt 2.64 Millionen Hektar Land (26.400 Quadratkilometer) für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und die Produktion von Biotreibstoff entweder erworben oder zu erwerben versucht haben.“

Sich ausländische Investoren ins Land zu holen, ist per se nicht schlecht. Wenn ein Staat auf der Welt dringend eine Steigerung der Produktivität im Agrarsektor benötigt, dann ist es der Südsudan. Trotz fruchtbarer Böden ist dort ein Drittel der Bevölkerung auf Nahrungshilfe von außen angewiesen.

Die Frage ist nur: Wer sind die Investoren? Wer kontrolliert sie und ihre Verträge? Und wer stellt sicher, dass die Menschen, das Land und die Ressourcen dabei geschützt werden?

Der Sudan hat mit dem Phänomen des land grabbing reichlich Erfahrungen – und die sind zumindest aus Sicht der Bevölkerung durchweg schlecht. Schon in den 60er und 70er Jahren, als der Begriff noch gar nicht existierte, forcierte die Regierung in Khartum Programme zur groß angelegten Mechanisierung der Landwirtschaft: Große Agrarflächen wurden an Polit-Funktionäre, Armeeoffiziere und Privatunternehmer vergeben, Kleinbauern und Viehhirten vertrieben. Besonders hart betroffen von dieser Art der staatlichen „Landnahme“ waren die Nuba-Berge und die Region Blauer Nil, deren Bewohner sich genau aus diesem Grund während des Bürgerkriegs auf die Seite der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM/SPLA schlugen. In den Nuba-Bergen, die zum Territorium des Nordens gehören, ist der Krieg inzwischen neu aufgeflammt – mit offenbar verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.

Land grabbing bekam in den vergangenen Jahren eine neue Qualität: Weil Preise auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel zunehmend dramatischen Schwankungen ausgesetzt sind, verlegen sich reichere Staaten darauf, in anderen Ländern gigantische Agrarflächen auf Jahrzehnte zu pachten, um mit den Erträgen die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. „Die neue Welle des Outsourcing“ nennt das der Economist. Das sudanesische Regime hat sich für solche Deals ganz besonders empfänglich gezeigt und rund 1.5 Millionen Hektar seines besten Agrarlandes an Ägypten, Südkorea und mehrere Golfstaaten verpachtet. Auf 99 Jahre.

In der Vergangenheit betraf das überwiegend Terrain im Norden des Landes. Im Süden verloren Dörfler und Kleinbauern ihr Land in den ölreichen Gebieten, um Platz und „Pufferzonen“ rund um Ölfelder und Pipelines zu schaffen. NPA dokumentiert nun in seiner Studie mehrere fragwürdige Landdeals im Südsudan: Im ölreichen Einzelstaat Unity hat die amerikanische Investment Firma „Jarch Management“ schon 2009 400.000 Hektar von einem südsudanesischen Joint-Venture geleast, das von der Familie eines Warlords geführt wird. Der hatte im Bürgerkrieg mal auf der einen, mal auf der anderen Seite gekämpft, sein Besitzanspruch auf das verpachtete Land basiert schlicht auf der Macht seiner Miliz.

Jarch-Boss Philippe Heilberg, ein ehemaliger Wall Street-Banker mit guten Beziehungen zur Washingtoner Polit-Szene, erklärte damals gegenüber der Financial Times, er habe sich auf Landgeschäfte in Staaten spezialisiert, die von Zerfall bedroht seien.

Kaum hundert Kilometer südlich der Hauptstadt Juba hat eine amerikanische Firma namens „Nile Trading and Development“ von einer ominösen einheimischen Kooperative 600.000 Hektar gepachtet – mit einer Option auf weitere 400.000 Hektar, um mechanisierte Landwirtschaft zu betreiben, Biotreibstoff herzustellen und auf diese Weise auch in den Emissionshandel einzusteigen. Und im Einzelstaat Eastern Equatoria hat sich ein Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den Großteil eines Nationalparks gesichert, um den Ökotourismus aufzubauen. „Öko“ klingt immer gut. Doch erkundigt man sich in Juba nach diesem interessanten Vorhaben, runzeln die wenigen Landrechtsexperten und Umweltschützer die Stirn. Bis jetzt gebe es dort lediglich eine solide ausgebaute Start-und Landebahn, und der Tourismus beschränke sich auf luxuriöse Jagdausflüge von Scheichs samt ihrer Entourage.

Verfasser der NPA-Studie ist David Deng, Sohn eines südsudanesischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, Stipendiat und Absolvent der Jura-Fakultät der New York University. Auffällig sei, so Deng bei einem Treffen in Juba, dass die betroffene Bevölkerung in vielen Fällen überhaupt noch nicht wisse, dass ihnen das Land unter den Füßen weggezogen wurde. „Die meisten Investoren haben ihre Gebiete noch gar nicht angerührt“, sagt Deng, was wiederum den Verdacht nahelegt, dass auch Spekulanten am Werk sind, die die betreffenden Flächen mit vielfachem Gewinn weiter verpachten wollen.

Was also wäre zu tun?
„Erst einmal müsste man ein Moratorium verhängen“, sagt Deng. „Keine weiteren Verpachtungen, bis nicht klare gesetzliche Grundlagen und Kontrollmechanismen geschaffen sind.“ Von den meisten Deals wussten weder die zuständigen Ministerien noch das Parlament in Juba. Regierung und Parlament werden dann auch untersuchen müssen, inwieweit die bereits geschlossenen Verträge annulliert werden müssen. Vorausgesetzt, sie meinen ernst, was Salva Kiir in seiner Rede am vergangenen Samstag beschwor. Dass von nun an nur noch eines zähle: „Das Gemeinwohl, das Gemeinwohl, das Gemeinwohl.“

 

Wenn der Erzfeind zur Feier kommt – oder: Warum Omar Al-Bashir auf der Gästeliste des Südsudan steht

Der Countdown zur Unabhängigkeit läuft, und die Herrschaften im südsudanesischen Informationsministerium machen sich zunehmend Sorgen um das Protokoll und die Sitzordnung auf der Ehrentribüne. „Wir wissen immer noch nicht, wer Ägypten vertritt“, sagt der Herr im Ministerium. „Und was sollen wir tun, wenn Gaddafi kommt?“

„Verhaften“, sage ich. Seine Miene verrät, dass er das nicht für einen konstruktiven Vorschlag hält. Zumal ein anderer potenzieller Gast noch viel größeres Kopfzerbrechen bereitet: Omar Al-Bashir. „Irgendjemand aus Khartum“, sagt der Herr im Ministerium, “muss ja die alte Flagge des Sudan entgegennehmen, wenn wir unsere neue Fahne hissen. Das ist der wichtigste Teil der Zeremonie.“

Vor einigen Monaten schien dieser Punkt des Protokolls politisch noch Sinn zu machen. Bashir hatte nach dem Referendum der Südsudanesen für die Unabhängigkeit im Januar eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen signalisiert. Über anhaltende Streitpunkte wie die zukünftige Aufteilung der Öleinnahmen, Fragen der Währung und Staatsbürgerschaft schien eine Einigung vorstellbar.

Aber inzwischen stehen die Zeichen wieder auf Konfrontation. Tendenz: Eskalierend.

Bashir hat, nach südsudanesischer Provokation, die Grenzregion Abyei überrollen lassen und blockiert seit Wochen den Handelsverkehr zwischen Norden und Süden, was zu empfindlichen Versorgungsengpässen führt. Inzwischen droht er mit einer Sperrung der Pipeline, durch die das Öl aus dem Süden exportiert wird.

„Und dann“, sagt der Herr im Ministerium, „ist da noch das Problem mit dem Haftbefehl.“

Nicht, dass die südsudanesische Regierung ernsthaft erwägen würde, Bashir im Fall seiner Anreise in Handschellen zu legen (auch wenn viele Südsudanesen diesen Anblick sehr genießen würden). Das Problem ist: Die Regierung in Juba möchte möglichst viele, möglichst hochrangige Gäste begrüßen. Barack Obama wird nicht kommen, womöglich aber Hillary Clinton, vielleicht sogar Vize-Präsident Joe Biden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon soll den 193. Staat der Vereinten Nationen mit aus der Taufe heben. Aber neben oder auch nur in Sichtweite eines Mannes sitzen, der vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verdachts auf Völkermord gesucht wird? Das geht gar nicht.

Was tun?

Hoffen, dass Al-Bashir in Khartum bleibt und seinen Außenminister nach Juba schickt, um die sudanesische Fahne abzuholen, die dort keiner mehr sehen will.

P.S.: Das Verfassen dieses Blogeintrags wurde unterbrochen durch ein ungeduldiges Klopfen an der Tür des Hotelzimmers. Razzia. Die Polizei war ausgeschwärmt, um Juba von Waffen zu „säubern“. Straßensperren überall, Durchsuchungen von Haus zu Haus. Ein großer, spindeldürrer Polizist schob mich beiseite und pflanzte sich hinter dem Bett auf. Sein Englisch war  rudimentär, mein Juba-Arabisch gleich Null. Der folgende Dialog verlief holpriger, als sich das in deutscher Übersetzung liest:

Er: „Waffe! Wo ist Waffe?“

Ich: „Wie bitte? Ich habe keine. Wieso sollte ich eine Waffe haben?“

Er: „Waffe hier?“ (Stochert mit einem Stock unter dem Bett herum.)

Ich: „Ich bin Journalistin. Ich habe keine Waffe.“

Er: „Sie geben Waffe. Wir wollen nur Waffe.“ (Hebt die Matratze hoch)

An dieser Stelle unterdrücke ich mühsam den deutschen Reflex, nach seiner Dienstnummer und einem Durchsuchungsbefehl zu fragen. Stattdessen öffne ich mit dem höflichsten Lächeln Schranktür und Tasche:

Ich: „Hier! Nix Waffen! Nur Wäsche! Okay?“

Er richtet sich auf, verheddert sich in meinem Moskitonetz und verliert offenbar das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Ein Gesicht wahrender Ausweg muss her. Er deutet auf meine Cargohosen und meine Sandalen.

„Sie sehen aus wie Soldat. Soldat immer Waffe! Kein Problem.“

Spricht’s und verschwindet.

 

Der Krieg, den keiner sieht: Die Katastrophe in den Nuba-Bergen

Noch gut zwei Wochen bis zur großen Unabhängigkeitsfeier im Südsudan, der zukünftigen „Republik Südsudan“. Der Flughafen in der Hauptstadt Juba wird für den Anflug Dutzender Staatschefs ausgebaut, Bauarbeiter klatschen Mörtel auf den Rohbau der Ehrentribune, Putzkommandos säubern die Straßen und verweisen auf die jüngste Errungenschaft: Abfallkörbe, ökologisch korrekt nach Papier, Plastik und Glas getrennt. Nur wirken diese Szenen surreal, wenn man bedenkt, dass einige hundert Kilometer weiter nördlich der Krieg wieder ausgebrochen ist.

Was viele Beobachter seit langem befürchtet hatten, ist eingetreten: Während sich der Südsudan auf dem Sprung zur Nation mit beschränkter Lebensfähigkeit befindet, zerfällt der mühsam ausgehandelte Frieden zwischen Khartum und Juba an den Rändern des ehemaligen Kriegsgebietes. Also in jenen Gebieten an der Nord-Süd-Grenze, deren territoriale Zugehörigkeit und politische Zukunft entweder ungeklärt oder in der Bevölkerung umstritten ist: In der Grenzregion Abyei, und in den Einzelstaaten Blauer Nil und Südkordofan.

Für erstere war im Friedensabkommen 2005 zunächst eine Sonderverwaltung und dann ein eigenes Referendum über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden vorgesehen, das bis heute nicht stattgefunden hat. Letzteren war innerhalb des Nordsudan zumindest größere Autonomie in Aussicht gestellt worden, was sich ebenfalls als Illusion erwiesen hat.

In Abyei rollte Ende Mai Khartums Armee samt verbündeten Milizen ein. Ein nicht unwichtiges Detail: Dem Einmarsch war ein Hinterhalt der südsudanesischen Armee gegen abziehende nördliche Truppen voraus gegangen. Eine völlig irrsinnige Provokation, die Sudans Präsident Omar al-Bashir den Vorwand für eine verheerende Machtdemonstration lieferte. Die Folgen: Dutzende Tote, 100.000 Vertriebene, eine in Teilen verwüstete Stadt und bis auf die Knochen blamierte sambische UN-Blauhelme, die sich in ihrem Stützpunkt verbarrikadierten, statt die Zivilbevölkerung zu schützen. Die gute Nachricht: Khartum und Juba haben inzwischen vereinbart, das Gebiet zu demilitarisieren. Nun sollen etwas robustere Peacekeeper aus Äthiopien einrücken. Man darf gespannt sein, wann den Worten Taten folgen.

Die viel schlimmere Katastrophe entfaltet sich jenseits der zukünftigen Grenze zwischen Norden und Süden, in den Nuba-Bergen. Die Nuba hatten im Bürgerkrieg auf Seiten des Südens gekämpft, aber ihr Land ist Teil des Nordens geblieben. Ihre Kämpfer stehen weiter unter Waffen und tragen nach wie vor die Uniform der SPLA, der südsudanesischen Armee. Sämtliche Fristen zur Demobilisierung verstrichen. Und wieder hatte Khartum einen Vorwand, zuzuschlagen. Was das Bashir-Regime als legitimes Vorgehen gegen feindselige bewaffnete Kräfte bezeichnet, beschreiben Augenzeugen als Krieg gegen die Zivilbevölkerung der Nuba durch massive Luftangriffe und „ethnische Säuberungen“. Prominente Sudan-Aktivisten wie die Schauspielerin Mia Farrow warnen vor einem „neuen Darfur“. Der Ökomenische Rat Sudans spricht von „Menschen, die wie Tiere gejagt“ würden. Kirchenführer verlangen eine Flugverbotszone wie im Fall Libyens. US-Präsident Obama hat einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen gefordert, Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle, derzeit in Khartum und Juba unterwegs, zeigt sich „tief besorgt“.

Und die UN? Zeigt sich auch besorgt und muss unter anderem um ihre Blauhelme fürchten. Denn denen fallen in Südkordofan die Bomben aus sudanesischen Flugzeugen förmlich vor die Füße. Khartum hat außerdem angedroht, UN-Helikopter abzuschießen. Viele Nuba wiederum werfen den ägyptischen Peacekeepern vor, mit dem Bashir-Regime zu sympathisieren. In wenigen Tagen spielt das ohnehin keine Rolle mehr.

Am 9. Juli wird der Süden offiziell unabhängig, am selben Tag läuft auch das Mandat für UN-Mission im Sudan (UNMIS) aus. Im Süden (wo sie herzlich wenig Erfolge vorzuweisen hat) wird sie mit neuem Auftrag und vermutlich noch aufgeblähterem Apparat bleiben. Khartum aber hat bereits klargemacht, dass es keine neue Mission und schon gar keine Peacekeeper mehr dulden wird.  Weil auch die wenigen Hilfsorganisationen ihre ausländischen Mitarbeiter aus Südkordofan abziehen mussten (darunter auch Cap Anamur, das dort seit Jahren medizinische Hilfe geleistet hat), wird es in zwei Wochen dort keine ausländischen Zeugen mehr geben für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.

Bleibt die Frage: Was treibt Omar al-Bashir dazu, jetzt einen Flächenbrand nach dem anderen auszulösen, obwohl er nach dem südsudanesischen Referendum eine friedliche Sezession versprochen hatte? In Darfur fliegt die sudanesische Luftwaffe wieder verstärkt Bombenangriffe, in Abyei können die Menschen zum wiederholten Mal die Ruinen ihrer Häuser wegräumen, in Südkordofan droht ein anhaltender Krieg, denn die Nuba-Kombattanten verstehen viel von Guerilla-Strategie.

„Ein verwundeter Wasserbüffel“, so hat ihn ein südsudanesischer Regierungsvertreter genannt. Bashir ist innenpolitisch angeschlagen, der Verlust des Südens wirkt härter nach, als viele angenommen haben. Es sind offenbar vor allem Armeekreise, die um ihre Pfründe und ein System fürchten, in dem alle Macht und alle Ressourcen dem Zentrum gehören und so gut wie nichts den Menschen in der Peripherie des Landes. In Khartum machen wiederholt Putschgerüchte die Runde, in den Nachbarländern Libyen und Ägypten haben sich die Machtverhältnisse dramatisch geändert, sicher scheint für die herrschende Elite gar nichts mehr. Das könnte Khartums verheerende Reaktion auf die südsudanesische Provokation in Abyei erklären (noch ein Hieb gegen die UN-Mission: Sie hat es sträflich versäumt, den Süden dafür öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen).

Bashir und seine Hardliner schlagen nun gnadenlos gegen jedes weitere Aufbegehren am Rand ihres geschrumpften Territoriums zurück. Und so, fürchten Beobachter, werden die Nuba-Berge zum neuen Süden in einem Nord-Süd-Krieg.

Hätte das verhindert werden können? Vielleicht. Sudan-Experten und NGOs haben schon länger die Alarmglocken schrillen lassen. Aber kein internationaler Akteur – und die Staatengemeinschaft hat mittlerweile enorm viel finanzielle und politische Ressourcen in dieses arabisch-afrikanische Krisenland investiert – widmete den drei „Randthemen“ Abyei, Südkordofan und Bleur Nil viel Aufmerksamkeit, die Medien (also auch die Autorin dieses Blogs) ebenso wenig.

Je düsterer die Perspektive, desto absurder erscheinen die wenigen Hoffnungsschimmer: Die chinesische Regierung hat Omar al-Bashir, wegen schwerster Verbrechen in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht, nächste Woche nach Peking eingeladen. Streng betrachtet ist das ein Skandal und Affront gegen den Gerichtshof. Pragmatisch betrachtet ist es vielleicht die einzige Chance, auf einen „verwundeten Wasserbüffel“ einzuwirken. Washington hat inzwischen null Einfluss in Khartum, von der EU brauchen wir gar nicht zu reden. Einzig China kann vermutlich derzeit in den Khartumer Betonschädeln etwas bewegen. China hat Milliarden in den Sudan investiert. Es braucht Sudans Öl – und an den innersudanesischen Fronten möglichst Ruhe. Das wird die Regierung in Peking ihrem Gast wohl klarmachen.

So ganz sicher fühlt sich Bashir übrigens auch in Peking nicht mehr. Er hat sich vorab Zusicherungen geben lassen, dass er als Gast beim großen Freund nicht verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wird.

 

Mladic schon wieder verschwunden ?

Und schon ist er wieder weg. Nach seiner Festnahme und dem ersten Auftritt vor dem UN-Jugoslawien-Tribunals (ICTY) ist Ratko Mladic von der Bildfläche und den Bildschirmen verschwunden. Der nächste Gerichtstermin ist für den 4. Juli angesetzt, ein langwieriges Verfahren wird folgen, und das öffentliche Interesse daran dürfte deutlich geringer sein als im Fall Dominique Strauss-Kahn. Medial – und damit auch in unseren Köpfen – scheint das leidige Kapitel der Jugoslawien-Kriege mit den Bildern von Mladics Verhaftung abgeschlossen.

Das ist es natürlich nicht.

Mehr noch als andere Verfahren vor dem UN-Jugoslawien-Tribunal bietet der Fall Mladic Material für eine europäische Geschichts-und Gegenwartsstunde. Juristisch geht es um die Frage nach seiner Verantwortung für den Massenmord von Srebrenica, die Zerstörung Sarajevos und andere Verbrechen. Historisch und politisch geht um internationale Mitverantwortung. Zum Beispiel um die Doktrin der „Realpolitik“ in London, Berlin oder Paris Anfang der 90er Jahre, wonach die Verhinderung „ethnischer Säuberungen“ mitten in Europa nicht im nationalen Interesse Großbritanniens, Frankreichs oder Deutschlands stand. Und natürlich um das dramatische Versagen der UN, vertreten durch niederländische Blauhelme, gegenüber den bosnischen Muslimen in Srebrenica, die zu schützen sie versprochen hatten. Mladic konnte an jenem 11. Juli 1995 die Enklave einnehmen, weil er seitens der UN nicht auf eine Schutzmacht für die Zivilbevölkerung traf, sondern auf einen selbstgefälligen, trägen Apparat. Die UN-Hierarchen waren vor allem mit der eigenen Bürokratie beschäftigt, die Mitgliedsländer mit der Unversehrtheit ihrer Blauhelm-Soldaten. Unterlassene Hilfeleistung ist noch eine milde Formulierung für das, was da im Juli 1995 in der sogenannten Schuutzzone passiert ist. Die „Mütter von Srebrenica“ kämpfen sich seit Jahren durch die Instanzen der niederländischen Justiz, um sowohl die UN als auch die Niederlande rechtlich zu belangen. Die Erfolgsaussichten stehen nicht gut. Aber immerhin haben sie die grundsätzliche Frage aufgeworfen: Wer zieht eigentlich die Vereinten Nationen zur Verantwortung, wenn sie ihren (völkerrechtlichen) Pflichten und Zusicherungen nicht nachkommen?

Daran muss man sich erinnern, um die Verbitterung der Überlebenden zu verstehen. Die Bilder von Mladic’s Festnahme mögen bei den „Müttern von Srebrenica“ und anderen Opfergruppen kurz Genugtuung ausgelöst haben. Aber es wäre geradzu obszön, ihnen nun weis machen zu wollen, das Kapitel der Jugoslawien-Kriege sei abgeschlossen. Es wird auch nach dem Urteil im Mladic-Prozess nicht abgeschlossen sein. Dass Gerichte einen „Schlussstrich“ ziehen können, ist eine ebenso vermessene wie gefährlich-naive Erwartung. Sie können Pflöcke gegen die Straflosigkeit einschlagen. Sie können – und das ist ebenso wichtig – mit ihren Ermittlungen und Urteilen den Spielraum für Lügner, Leugner und Verdränger verkleinern.

Aber „das Tribunal kann durch seine Urteile allein keinen Frieden und keine Aussöhnung in der Region stiften.“ Patrick Robinson, jamaikanischer Richter und Präsident des Tribunals, hat das gesagt, als er Anfang vergangener Woche zum halbjährlichen Rapport beim UN-Sicherheitsrat in New York antrat. Robinson hat wiederholt einen Fonds zur Entschädigung der Opfer gefordert, finanziert durch freiwillige Beiträge von Mitgliedsländern. Keine sehr populäre Idee in Zeiten von Wirtschafts-und Eurokrise. Aber Gerechtigkeit und Aussöhnung – oder zumindest die Annährung daran – beruhen eben auch auf der Anerkennung dessen, was der einzelne erlitten hat. Auf allen Seiten, der bosniakischen, kroatischen, serbischen, kosovo-albanischen.

Und weil wir schon beim Geld sind: Das Tribunal wird noch etwas mehr davon brauchen. Das Haager Gericht befindet sich seit mehreren Jahren in der prekären Lage, seine eigene Schließung vorzubereiten, während der Gerichtsbetrieb gleichzeitig auf Hochtouren läuft. Der vermeintlich letzte Prozess gegen Radovan Karadzic soll bis 2014 abgeschlossen sein. Doch jetzt kommt der Fall Mladic hinzu – und womöglich finden die serbischen Behörden auch noch den letzten auf der Fahndungsliste des ICTY, den kroatischen Serbenführer Goran Hadzic. Ein Gericht, das mindestens zwei Megaprozesse noch vor sich hat und gleichzeitig seine eigene Abwicklung betreiben muss, wird anfällig für Fehler.

Wie gesagt, Bitten um mehr Finanzen und Personal werden derzeit nirgendwo gern gehört. Aber sehen wir es einmal so: Ratko Mladic wäre der internationalen Justiz beinahe durch die Lappen gegangen. In den letzten Jahren hatte die Entschlossenheit der meisten EU-Mitgliedsländer spürbar nachgelassen, Serbiens Weg in die Union kompromisslos von der Auslieferung aller gesuchten Kriegsverbrecher abhängig zu machen. Am Ende haben einige wenige dafür gesorgt, dass die EU Kurs hält: Mehrere NGOs, das niederländische Parlament und die Anklagebehörde des UN-Tribunals unter dem Belgier Serge Brammertz, der in diesem Fall dafür sorgte, dass seine deutliche Kritik an den Belgrader Ermittlungs– und Verwirrungsstrategien von niemandem mehr überhört oder herunter gespielt werden konnten. Und so fanden die serbischen Behörden Ratko Mladic nach fast sechzehn Jahren.  Scheinbar total überrraschend bei einem seiner Cousins auf dem Land.
In einem Europa, das derzeit wenig Schlagzeilen produziert, auf die man stolz sein könnte, war das die beste Nachricht seit langem. Dafür sollte man dem Tribunal den entsprechenden Respekt zollen – und die nötigen Ressourcen, damit es seine letzten Prozesse ordentlich zu Ende bringen kann.