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Und da waren es schon zwei – der Internationale Strafgerichtshof hat einen neuen Untersuchungshäftling

Still ist es geworden um den Internationalen Strafgerichtshof. Fünf Jahre nach seinem Arbeitsbeginn ist noch kein Prozess eröffnet, mühen sich die Ankläger mit drei Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher im Kongo, im Sudan und in Uganda ab und hatten gerade mal einen Angeklagten in Untersuchungshaft: den kongolesischen Kriegsherren Thomas Lubanga.
Hatten, denn seit heute sind es zwei. In der Nacht zum Donnerstag wurde Lubangas Landsmann Germain Katanga aus Kinshasa nach Den Haag überstellt.
Wie Lubanga gehörte auch Katanga zu jenen Warlords, die zwischen 1999 und 2003 in Ituri, im Nordosten des Kongo, Massaker und Massenvergewaltigungen verübten – in einem Krieg, der von ethnischem Hass ebenso geprägt war wie vom Kampf über die Kontrolle der riesigen Goldvorkommen in der Region.
Lubanga führte damals Partei und Miliz der Hema an, Katanga kämpfte auf der gegnerischen Seite der Lendu. Jetzt können sie im Gefängnis von Scheveningen zusammen Tischtennis spielen. Oder sich mit dem dritten Flurgenossen, dem ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor, über alte Zeiten unterhalten.

Das Scheveninger Gefängnis verzeichnet die wohl größte Ansammlung mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Hier sitzen nicht nur die Angeklagten des UN-Jugoslawien-Tribunals, sondern auch die Untersuchungshäftlinge des Internationalen Strafgerichtshofs und derzeit eben auch Taylor, der prominenteste Häftling des Internationalen Sondergerichts für Sierra Leone. Ein Blick durch die Gitter vermittelt denn auch einen guten Überblick über den aktuellen Zustand der internationalen Strafjustiz: Das UN-Jugoslawien-Tribunal, dessen Amtszeit sich dem Ende zuneigt, hat trotz diverser Rückschläge Rechtsgeschichte geschrieben. Es hat bislang 52 Kriegsverbrecher rechtskräftig verurteilt, erstmals gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt Anklage erhoben und Präzedenzfälle bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen im Krieg geschaffen. Das ist keine schlechte Bilanz nach 14 Jahren, auch wenn die „ganz großen Fische“ nicht ins Netz gegangen oder wieder entschlüpft sind. Slobodan Milosevic entzog sich einem Urteil durch vorzeitiges Ableben; um den flüchtigen Serbenführer Radovan Karadzic ranken sich Gerüchte, wonach die USA ihm seinerzeit Straffreiheit zugesichert haben; und der Hauptverantwortliche für den Völkermord in Srebrenica, Ratko Mladic, ist immer noch auf freiem Fuß.

Bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Afrika tut sich das Völkerstrafrecht deutlich schwerer. Das UN-Ruanda-Tribunal hat nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten inzwischen über 20 Hauptverantwortliche des Genozids von 1994 verurteilt, darunter einen ehemaligen Premierminister und vier Kabinettsmitglieder. Aber die Reputation des Tribunals ist (unter anderem) durch den Vorwurf lädiert, nur gegen Angehörige und Anhänger der damals amtierenden Regierung ermittelt, nicht aber Verbrechen der damaligen Tutsi-Rebellen untersucht zu haben. Die standen 1994 unter dem Kommando des heutigen Staatschefs Paul Kagame.

Das Völkerstrafrecht befindet sich immer in einem Spannungsfeld zwischen realer Machtpolitik und dem moralischen Anspruch, die Kultur der Straflosigkeit zu beenden. Auch der Internationale Sondergerichtshof für Sierra Leone hat das zu spüren bekommen. Charles Taylor, Liberias Staatspräsident und Hauptanstifter des Bürgerkriegs in Sierra Leone, wurde eben nicht festgenommen, als das Gericht im Juni 2003 Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte. Da war er noch amtierender Präsident und Kriegsherr. Er wurde vielmehr erst Jahre später aus dem nigerianischen Exil ausgeliefert – zu einem Zeitpunkt, da Taylor politisch und militärisch so weit „entmachtet“ war, dass seine Verhaftung der einflussreichsten Macht in der Region, den USA, opportun erschien.

Dem internationalen Strafgerichtshof wiederum wirft man vor, dass er sich an wirklich „große Fische“ gar nicht herantraut. Sein Strafverfahren im Fall Uganda beschränkt sich auf die Führer der „Lord’s Resistance Army“, deren Massaker und Zwangsrekrutierungen von Kindern zweifellos geahndet werden müssen. Aber die Verbrechen der Gegenseite, der ugandischen Armee und der für sie verantwortlichen Politiker, bleiben unerwähnt. Im Fall Sudan/Darfur hat es bislang nur zu zwei Ankagen gereicht – gegen einen Minister und einen Janjaweed-Kommandanten. Und im Fall Kongo?
Lubanga und Katanga haben sich zweifellos schlimmer Kriegsverbrechen schuldig gemacht. So viel läßt sich trotz Unschuldsvermutung sagen. Aber in der Galerie der Warlords, die das Land zugrunde gerichtet haben, sind sie „kleine Fische“ eines kleineren regionalen Krieges inmitten eines großen Krieges gewesen.
Der Chefankläger des Strafgerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, hatte sich Ituri wohl nicht zuletzt deswegen als einen der ersten Ermittlungsfälle ausgesucht: es war ein regionaler Konflikt, dessen Beteiligte keine mächtigen Schutzherren und kein politisches Kapital mehr hatten.
Dieses Kalkül des Argentiniers ist keineswegs verwerflich, zumal diese „kleinen Fische“ für einen ethnisch motivierten Terror mit mehreren Zehntausend Toten verantwortlich sind.
Bloß ist vom Anspruch der Gerichtshofs, in Ituri bilderbuchmäßig die internationale Aufarbeitung von Kriegsverbrechen vorzunehmen, nicht viel übrig geblieben. Die Menschen vor Ort stellen mit wachsender Resignation fest, dass vier Jahre nach Ende des Konflikt höchst unterschiedliche Maßstäbe an die verschiedenen Kriegsherren angelegt werden. Zwei sind vor dem Internationalen Strafgerichtshof, diesem Gericht im fernen Europa gelandet. Ein weiterer wurde vor einem kongolesischen Gericht in Bunia verurteilt. Mehrere andere wurden unter tatkräftiger Verhandlungshilfe der UN als hochrangige Offiziere in die neue kongolesische Armee aufgenommen. Und ihre ehemaligen Hintermänner und Finanziers, darunter hochrangige Politiker in Kinshasa, aber auch in Ruanda und Uganda, läßt man ganz in Ruhe.

Was nun die angeblich katharsische Funktion eines internationalen Prozesses gegen Thomas Lubanga und Germain Katanga angeht: Katanga hat gerade erst seine Zelle bezogen, Lubanga sitzt seit dreieinhalb Jahren ohne Prozess in Haft – zuerst in Kinshasa, seit März 2006 in den Niederlanden. Sein Verfahren soll frühestens im Februar 2008 beginnen. Derzeit erwägt man in Den Haag, den Prozess in Ituri stattfinden zu lassen, um die betroffene Öffentlichkeit stärker am juristischen Geschehen zu beteiligen. Angesichts der logistischen Schwerfälligkeit des Strafgerichtshofs muss man in diesem Fall ein organisatorisches Desaster befürchten, das den Prozessbeginn im Zweifelsfall noch weiter hinauszögert. Dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, ist ja eine banale Weisheit. Die Gefahr ist nur, dass die Mühlen der internationalen Strafjustiz für die Menschen in Ituri irgendwann völlig irrelevant werden. Denn die haben neben der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen, die sie erleiden mussten, auch noch andere Sorgen: Zum Beispiel, ihr tägliches Überleben in einem bitterarmen, kriegszerstörten Land zu organisieren.

 

Das Kreuz mit den Friedenshütern – in Afrika häufen sich die Skandale um Blauhelme der UN

Der Mann ist um seinen Job nicht zu beneiden. Jean-Marie Guehenno ist im New Yorker Hauptquartier der UN verantwortlich für die Abteilung Peacekeeping. Im Moment hat es den Anschein, als sei der Franzose mehr mit den Skandalen seiner Truppen als mit ihren friedenserhaltenden Maßnahmen beschäftigt.

Beginnen wir mit ein paar Details zu den Schwierigkeiten dieses Jobs: Wann immer der Sicherheitsrat eine Blauhelm-Mission beschließt (was er seit Ende des Kalten Krieges vergleichsweise häufig tut), muss Guehenno die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen um Soldaten anbetteln. Natürlich ist jeder irgendwie für den Frieden, wenn es aber darum geht, Soldaten für Friedensmissionen abzustellen, hört Guehenno vor allem aus den reichen Ländern oft ein „Sorry, wir sind beschäftigt.“
Deutlich kooperativer sind Regierungen der Armenhäusern dieser Welt. Schließlich werden ihre un(ter)bezahlten Soldaten und Polizisten auf Missionen von der UN durchgefüttert und bezuschusst. Kurzum: Nicht das Personal, das man sich für komplizierte Einsätze wie im Kongo, Haiti oder Kashmir wünscht.
Umso dankbarer muss Guehenno also für Blauhelm-Soldaten aus Ländern sein, in denen die Armee gut versorgt, gut ausgerüstet und dank Übung in (Bürger)kriegen einigermaßen diszipliniert ist. Da sind vor allem drei Nationen zu nennen, die derzeit auch das Gros der rund 100.000 UN-Soldaten stellen: Pakistan, Indien und Bangla Desh.

Dies also muss man wissen, um den jüngsten Untersuchungsbericht der UN über einen Blauhelm-Skandal im Kongo zu interpretieren: Im Mai ging es in diesem Blog um pakistanische Blauhelme, die im Osten des Kongo einen lebhaften Gold-und Waffenschmuggel mit eben jenen Rebellen organisiert haben sollen, für deren Kontrolle und Entwaffnung sie zuständig waren. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) hatte 2005 recherchiert, dass ein Netzwerk aus kongolesischen Offizieren, kenianischen Geschäftsleuten und pakistanischen Blauhelmen Gold im Wert mehrerer Millionen Dollar aus dem rohstoffreichen Bezirk Ituri geschmuggelt hatten. Beteiligt am Geschäft waren auch Kämpfer der „Front des nationalistes intégrationistes“, einer Miliz, die während des Krieges in Ituri Massaker an der Zivilbevölkerung verübt hat. Ausgerechnet der FNI sollen pakistanische Blauhelme Waffen und Munition geliefert haben. FNI-Führer haben das selbst in der Öffentlichkeit zugegeben. Außerdem hat ein Reporterteam der BBC nach eigener Recherche die Berichte von HRW bestätigt.

Umso verblüffender die Essenz des Abschlußberichts der UN-Untersuchung dieser Vorfälle (der gesamte Wortlauft des Berichts ist bislang vertraulich), der nun, über zwei Jahre nach den Berichten durch Human Rights Watch, fertig gestellt worden ist: Waffenlieferungen? Haben nicht stattgefunden. Goldschmuggel? Ein bißchen, aber nur ein pakistanischer Offizier soll sich schuldig gemacht haben. Konsequenzen? Offenbar keine. „Der Fall ist abgeschlossen“. erklärte Guehenno der Presse. ‚Das kann ja wohl nicht wahr sein‘, antwortete sinngemäß Human Rights Watch in einem etwas diplomatischer formulierten Brief
Ist wirklich zynisch, wer nun vermutet, dass hier ein Skandal klein gekocht wird, um einen wichtigen Truppengeber nicht zu verprellen?

Zugegeben: Guehenno und die UN haben wenig Handhabe gegen Blauhelme, die in ihren Einsatzgebieten Straftaten begehen. Die UN kann ermitteln, sie kann kriminelle Soldaten nach Hause schicken. Doch die Strafverfolgung obliegt allein der Justiz der Entsendeländer, und die scheren sich in der Regel nicht darum, wie ihre Soldaten sich bei Friedenseinsätzen aufführen.

Bloß spielen UN-Truppen zur Zeit in keinem Land eine so wichtige Rolle wie im Kongo, in dessen Ostteil immer wieder Kämpfe ausbrechen und der fragile Frieden seit den Parlaments-und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr wirklich auf der Kippe steht. Gerade hier macht aber ein UN-Skandal nach dem anderen Schlagzeilen: In der Provinz Nord-Kivu sollen indische Blauhelme in Goldschmuggel verwickelt sein. In Ituri wiederum wächst zusätzliche Wut auf die Blauhelme, weil Soldaten aus Bangla Desh, zuständig für das UN-Gefängnis, zwei kongolesische Insassen getötet und mehrere andere verletzt haben sollen. Hinzu kommt noch die Nachricht aus der Elfenbeinküste, wo das gesamte UN-Kontingent von rund 9000 Soldaten unter Kasernenarrest gestellt worden ist, weil eine Einheit marokkanischer Blauhelme des sexuellen Mißbrauchs einheimischer Mädchen verdächtigt wird.

Angesichts der Häufung solcher Meldungen in den letzten Jahren bekommen Blauhelme langsam den Ruf eines hoffnungslosen Haufens aus Freiern, Zuhältern und Schwarzmarktdealern. Das ist mitnichten der Fall. Erstens gilt das Offensichtliche: die UN haben derzeit 100.000 Blauhelme im Einsatz. Die Mehrheit befolgt herrschende Gesetze und Vorschriften, und das schlimmste, was man ihr vorwerfen kann, ist Hilflosigkeit in Krisensituationen. Aber das ist ein anderes Thema.

Nein, das Problem liegt in einer Diskrepanz zwischen lokalem öffentlichem Bewusstsein und fehlender internationaler Bereitschaft zur Aufklärung. Soll heißen: Menschenrechtsgruppen und Journalisten in den Krisenländern achten inzwischen sehr aufmerksam auf das Verhalten jener Soldaten, die im Auftrag der Weltgemeinschaft Frieden und Menschenrechte sichern sollen. Verbrechen seitens der Blauhelme werden schneller und öfter aufgedeckt als früher. Aber innerhalb der Vereinten Nationen herrscht nach wie vor einer Kultur des Vertuschens. Die hält sich umso hartnäckiger, je mehr Blauhelm-Missionen es gibt und je schwieriger es deshalb wird, genügend Soldaten zu finden.

Selbst wenn intern endlich einmal Klartext geredet wird, hat das wenig praktische Konsequenzen.
Im Jahr 2005 leitete der damalige jordanische UN-Botschafter Prinz Zeid al Hussein eine Untersuchung über die Beteiligung von Blauhelmen an Zwangsprostitution und sexuellem Missbrauch in ihren Einsatzländern. In seinen Schlußfolgerungen bezeichnete der Jordanier die militärische Hierarchie bei UN-Missionen als „zutiefst kompromittiert“ und empfahl, ranghohen Verantwortlichen den Sold zu sperren und bei ihren Entsendeländern mit Nachdruck auf Strafverfolgung zu drängen. Als der Prinz seinen Bericht den Delegierten der Mitgliedsländern präsentierte, stieß er auf demonstratives Gähnen und Schweigen.