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Der amerikanische Militär-Industrie-Komplex in Infografiken

Die Washington Post hat eine Vielzahl von Geheim-Behörden unter die Lupe genommen. Sie veröffentlicht die Ergebnisse jetzt in einem umfangreichen Open-Data-Dossier namens „Top Secret America“.

Das Dossier entspricht den Anforderungen der „Open-Data-Bewegung“, das heißt, die Daten sind so aufbereitet, dass nun Leser mit ihnen umfassende, eigene Analysen anstellen können. Begleitend dazu erschien eine Reihe von Artikeln, die sich unter anderem der geheimnisumwitterten Spionagebehörde NSA widmen.

„Top Secret America“ untersucht insgesamt 45 Behörden und 1931 Unternehmen, die mit als „topsecret“ klassifizierten Aufgaben betraut sind. Diese Behörden haben seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 besonders viel Geld vom Staat erhalten. Mit ihren rund 854.000 Mitarbeitern bilden sie den Kern des amerikanischen Militär-Industrie-Komplexes.

In einer nahezu heroischen Anstrengung recherchierten die Journalisten über zwei Jahre sämtliche verfügbare Daten, analysierten Tausende von Dokumente und unterzogen sie verschiedenen Analysen. So überprüften sie zum Beispiel, welche Behörde mit welchen Unternehmen zu welchen Themen arbeitet. Die Leser können sich über eine grafische Übersichtskarte einzelne Dossiers etwa zur Waffenindustrie erschließen oder die Aktivitäten einzelner Behörden untersuchen. Alles ist miteinander verlinkt.

Auch die Ortsinformationen der Behörden und Unternehmen haben die Journalisten ausgewertet und auf GoogleMaps verortet. Man erkennt die historischen Schwerpunkte des Militär-Industrie-Komplexes in Virginia, Florida, Colorado und Kalifornien.

Das beeindruckende Projekt der Washington Post ist das Ergebnis langjähriger Arbeit. Ein Vorteil der Tageszeitung war dabei sicherlich, dass sie seit dem Watergate-Skandal bereits über ein mehrköpfiges Team für investigative Recherchen verfügt. Mit „Top Secret America“ hat sich die Post nun auch ein Referenzprojekt in Sachen investigativer Datenjournalismus geschaffen.

Man darf gespannt sein, welche weiteren Geschichten jetzt die Datenanalysen der Leser liefern.

 

Über die Umerziehung von Google, Facebook, Apple & Co.

Apple, Google und Facebook müssen derzeit mühsam lernen, was europäischer Datenschutz bedeutet. Der Softwarekonzern Microsoft hat diese Erfahrung schon hinter sich und darf als gezähmt gelten. Wie groß aber sind die Chancen, dass dies auch mit den anderen gelingt?

Google befindet sich derzeit mitten im Umdenkprozess: Seine Mitarbeiter, die in der Regel aus den datenschutzbefreiten Zonen universitärer Forschung stammen, machen sich offenbar zu wenig Gedanken um „privacy policies“. Eindrücklich zeigte dies das Google-Buzz-Desaster. Nach monatelangen Tests unter zehntausenden Google-Mitarbeitern war niemandem aufgefallen, wie heftig Buzz die Privatsphäre verletzte. Auch die „Schlamperei“ mit den WLAN-Verkehrsdaten der Streetview-Autos, die wohl irgendwie „unabsichtlich“ zustande gekommen war, weist in die Richtung universitärer Sorglosigkeit.

Das könnte sich angesichts zahlreicher Rechtsverfahren nun ändern. Zwar lassen sich im amerikanische Recht mit „Unabsichtlichkeit“ Schadensersatzansprüche vermeiden. Doch das deutsche Datenschutz- und Strafrecht dürfte weniger kulant sein. Die zu erwartenden Bußgelder werden Google zwar kaum weh tun, doch der bereits ins Monströse gewachsene Image-Schaden umso mehr.

Ob Facebook wirklich umdenken wird, ist noch unklar. Es gab hier und da ein paar Verbesserungen und Straffungen, was die Kontrollmöglichkeiten der Nutzer anbelangt. Doch Facebooks FriendFinder werkelt nach wie vor fröhlich vor sich hin. In den nächsten Tagen wird sich herausstellen, ob der Hamburgische Datenschutzbeauftragte ein Bußgeldverfahren einleitet. Denn die geforderten Änderungswünsche hat das Unternehmen bislang trotzig ignoriert.

Schlampigkeit und Naivität kann man Apple nicht unterstellen. Die jüngste Änderung der Datenschutzrichtlinie, die eine Übermittlung der Standortdaten von iPhone-Nutzern an Partner und Lizenznehmer erlaubt, zielt auf das neue Kerngeschäft von Apple: Die mobile Werbung. Standortdaten peppen Nutzerinfos zu wertvollen Profilen auf – je mehr Daten gesammelt werden, desto leichter lassen sich die Nutzer geldwerten Zielgruppen zuordnen.  Angereichert mit demographischen Zahlen, Wetterdaten, Verkaufszahlen oder sehenswerte Örtlichkeiten lassen sich daraus neue Dienste schneidern, die darauf beruhen Verhalten vorherzusagen.

Zu schade, dass den Datenschützern gerade im Fall Apple die Luft ausgeht. Zwar wettern sie in der Presse gegen das Unternehmen, in der Praxis wird dies aber zunächst keine Folgen nach sich ziehen, da sich niemand des Falls angenommen hat. Offiziell ist im Moment keiner zuständig, weil Apple sein europäisches Geschäft von Irland und Luxemburg aus betreibt.

Aus dem Hause des Bundesdatenschützers Peter Schaar heißt es, dass ein Engagement derzeit nicht geplant sei. Der Hamburgische Landesdatenschützer Johannes Caspar, der schleswig-holsteinische Landesdatenschützer Thilo Weichert und der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix winken wegen akuter Arbeitsüberlastung ab. Und auch sonst scheint sich niemand in die erste Reihe drängeln zu wollen. Die Hoffnung ruht nun auf den irischen und luxemburgischen Behörden.

Es scheint, als seien deutsche Datenschützer angesichts der zahlreichen Baustellen überfordert damit, Konzerne an die Leine zu nehmen. Umso wichtiger wäre es daher, dass die Politik Personal- und Sachmittel aufstockt und nun mehr als wohlfeile Worte aufbringt. Und dass die Unternehmen Datenschutz nicht als Last, sondern als Chance begreifen.

Dass sich eine solche Investition lohnt, kann Microsoft bestätigen. Von dort hört man in Sachen Datenschutzverstöße schon lange nichts mehr – kein Wunder: Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren einiges dazu gelernt, wenn es um Sicherheit und Datenschutz geht. Und Redmond hat dafür auch mit etlichen Datenschutz- und Forschungseinrichtungen kooperiert. Zu den letzten Aufregern gehörte das automatische Update, doch dessen wilde Seiten wurden vom Unabhängigen Landesdatenschutzzentrums in Schleswig-Holstein gezähmt und tragen nun gar ein vermarktbares Datenschutz-Gütesiegel. Es ist Zeit, dass auch Google, Facebook und Apple diese Lektion lernen.

 

Ein Innenminister ist kein Internetminister

Malte Spitz vermisst bei den 14 Thesen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière die netzpolitische Weitsicht. Doch er übersieht eines dabei: Ein Innenminister ist ein Innenminister – er war Innenminister und wird Innenminister bleiben. Er ist aber kein Internetminister.

Will heißen: Ein Innenminister wird sich immer nur über binnen- oder verwaltungspolitische Perspektiven äußern. Über Forschung und Wissenschaft wird er nichts sagen, weil das die Kollegin im Forschungsministerium tun sollte. Über Wettbewerb wird er schweigen, weil es Aufgabe des Kollegen im Wirtschaftsministerium ist, darüber nachzudenken. Und für die Zivilgesellschaft ist ganz offiziell die Kollegin im Familienministerium zuständig.

Die Kleinstaaterei der deutschen Netzpolitik ist dem Ressortdenken geschuldet – und letztlich dem offenkundigen Desinteresse der Bundeskanzlerin, sich strategisch zu positionieren. Eine von Malte Spitz geforderte „Internet Governance unter Einbeziehung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“ wäre Beritt des Kanzleramts. Doch davor hat sich die Regierung schon unter rot-grüner Ägide gescheut – ebenso vor einer Bündelung der Netzpolitik in einer Hand.

Vermutlich wird Netzpolitik in Deutschland gerne deshalb auf eine Sicherheits- und Angsdebatte reduziert, weil die meisten der innovativen Regulierungsvorschläge zur Netzpolitik aus dem Innenministerium stammen. Warum ist aber von den Ressorts Wissenschaft, Arbeit und Familie („Zivilgesellschaft“) so wenig zu vernehmen?

Vor Äonen gab es einmal eine denkwürdig komplizierte Zusammenarbeit zwischen Forschungs- und Wirtschaftsministerium in Sachen Internetpolitik. Die endete damit, dass man alle laufenden Projekte, die irgendetwas mit Kommunikation und Information zu tun hatte, einfach in einem Aktionsprogramm zusammenschrieb und dieses als Vision Deutschlands für die Internetgesellschaft im 21. Jahrhundert vermarktete. Betrachtet man den jüngsten Bericht, der als „High-Tech-Strategie“ unter Federführung des Wirtschaftsministeriums erstellt wurde, lässt sich unschwer erkennen, dass sich an dieser Aggregationsmethode seither wenig verändert hat.

Natürlich gibt es noch einen IT-Gipfel, der so etwas wie eine nationale Strategie suggeriert – doch er zeichnet sich einfach dadurch aus, dass die Bundeskanzlerin anwesend ist.

Auffallend ist: Das Forschungsministerium agiert immer nur als eine Art Juniorpartner des  Wirtschaftsministeriums oder des Innenministeriums. Es steuert nur ein paar Aspekte bei – etwa zur Internetsicherheit oder zur digitalen Spaltung. Oder es fördert ein wenig Internettechnologien – nicht etwa das „Next Generation Internet„, sondern nur Future-Internet-Projekte, in dem sich dann kleinere Projekte tummeln dürfen. Um das deutsch-französische Suchmaschinenprojekt Quaero, das bereits nach wenigen Monaten still und leise zu einem Semantic-Web-Projekt namens Theseus eingedampft wurde, ist es überdies recht still geworden.

Ob darin ein politisches Versäumnis der Forschungsministerin liegt, sei dahinzustellen. Denn es gibt in Deutschland nur wenige Unternehmen und Wissenschaftler, die mit ihren Projekten auf internationaler Ebene einen Impact zeigen. In internationalen Standardisierungsgremien wie der Internet Engineering Task Force (IETF) spielen sie keine Rolle. Forscher, die dann doch irgendwie Einfluss haben, sind aber längst nicht mehr an hiesigen Hochschulen beschäftigt. Wohl deshalb fällt das Thema „Standardisierung“ unter die Ägide des Wirtschaftsministeriums, das dieses mehr schlecht als recht begleitet.

Auch in Fragen der Internetverwaltung – Stichwort ICANN und IANA – sind die Deutschen nicht wirklich präsent. Die Ministerien verfügen nicht einmal über eigenes Know-How – deshalb bitten sie externe Experten, sie dort zu vertreten. Das ist an sich nicht kritikwürdig – doch bedenkenswert ist es, dass dieses Engagement in der Wissenschaft, den Unternehmen und der Politik keinen Widerhall findet.

Malte Spitz hat überdies in seinem Rant gegen den Innenminister übersehen, dass auch das Justizministerium ein gewichtiger Player in der Netzpolitik ist. Die nächste Urheberrechtsnovelle wird erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von frei verfügbaren Internetinhalten nehmen – Stichwort „Leistungsschutzrecht“. Aber ähnlich wie beim Innenministerium scheinen hier „Angst“ und „Blockade“ die Stichwortgeber zu sein. Netzpolitische Urheberrechtskonzepte wie die der Creative-Commons-Lizenzen oder die Vision eines European Copyright Codes diskutiert die Justizministerin genauso wenig wie der Innenminister sich an das Thema „Open Data“ in der Verwaltung herantraut. Dabei hätten diese gewaltiges Innovationspotenzial.

Schließlich engagiert sich seit jüngster Zeit nun auch das Verbraucherschutzministerium für den Verbraucher- und Datenschutz – in gewisser Konkurrenz zum Innenministerium. Dabei werden dann wiederum gerne  europäische Komponenten des Datenschutzes, die wie das „Safe Harbor Abkommen“  in internationalen Konflikten („Facebook“, „Google“) eine Rolle spielen, ignoriert.

Ein Grund für die deutsche Netzpolitik-Misere mag darin liegen, dass die wichtigen netzpolitischen Fragen längst auf europäischer Ebene diskutiert und entschieden werden. Die Frage der Netzneutralität beispielsweise wurde im letzten Jahr im Zuge des gigantischen Telekom-Pakets verhandelt. Doch in der deutschen Berichterstattung war darüber wenig zu lesen. Auch das Urheberrecht wird vermutlich auf europäischer Ebene seine wesentlichen Ausprägungen erfahren.

Dies wiederum mag auch ein Problem der deutschen Medienlandschaft sein. Dort scheint es irgendwie noch nicht angekommen zu sein, dass über 80 Prozent der politischen Entscheidungen in Brüssel gefällt werden. Entsprechend mau war auch die Reaktion auf die Ernennung von Neelie Kroes als Internet-Kommissarin – und ihre Präsentation einer „digitalen Agenda„. Mit dieser aber sollte sich nicht nur das Europäische Parlament auseinandersetzen, sondern auch eine informierte Öffentlichkeit.

Kurzum: Fehlt in der nationalen Politik das Pendant zu Neelie Kroes, bleibt alles klein klein und strategisch unausgegoren. Es ist daher höchste Zeit für eine konsolidierte Internetpolitik auf nationaler Ebene, die europäisch und international anschlussfähig ist.

P.S. Ansätze dafür gibt es schon – unter anderem auch bei Malte Spitz.

 

Richtungskämpfe im Urheberrecht

Die umstrittenste Neuerung  des Urheberrechts ist das von den Verlegern ersonnene so genannte „Leistungsschutzrecht“. Nebulös forderten die Verleger „geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser zu schützen“. Nachdem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer „Berliner Rede zum Urheberrecht“ grundsätzlich Zustimmung zu einem solchen neuen Recht signalisierte, präzisierten die Verlegerverbände VDZ und BDVZ in einem kürzlich dank netzpolitik.org veröffentlichten Eckpunktepapier ihre Vorstellungen:

Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, sollten nicht nur Teile des Presseerzeugnisses wie einzelne Beiträge, Vorspänne, Bilder und Grafiken geschützt werden. Schutzwürdig sind beispielsweise auch Überschriften, Sätze, Satzteile etc., soweit sie einer systematischen Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe in Verbindung mit dem Titel des Presseerzeugnisses dienen.

Schutzwürdig sind also auch „Überschriften, Sätze, Satzteile, etc.“. Das „etc.“ steht wohl für noch mehr Spielraum in den laufenden Verhandlungen – nicht nur mit dem Ministerium, sondern auch mit den Verbänden, die die Urheber vertreten: die Journalistenverbände.

Eigentlich herrschte zwischen den Verleger- und den Journalistenverbänden DJV und dju/ver.di in Sachen Leistungsschutzrecht bereits eitel Sonnenschein. Hatten doch die Journalistenverbände nichts gegen ein solch neues Recht einzuwenden, wenn es denn nicht nur Verleger-, sondern auch die Urheberinteressen angemessen berücksichtigen würde.

Dieser Konsens ist nun akut bedroht: Denn dass nun auch Satzteile geschützt werden sollen, geht den Journalistenverbänden zu weit. Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken sagt in einer jetzt veröffentlichten Erklärung:

„Nicht verhandelbar sind für uns die Zitierfreiheit oder sonstige Einschränkungen der Informationsfreiheit, die bereits heute als Schranken im Urheberrecht verankert sind.“

Wenn Verlage Satzteile aus Artikeln schützen lassen wollen, wollen sie verhindern, dass Nachrichteninhalte von anderen Medien übernommen werden. Das ominöse „etc.“ im Text des Eckpunktepapiers könnte daher vielleicht auch so etwas wie ein Schutz aktueller Nachrichten sein. In den USA gibt es den 1918 vom Supreme Court aufgestellten Rechtsgrundsatz der „Hot News“.

Die Hot-News-Doktrin soll einen Informationswert, der den Investitionen in eine Informationsbeschaffung entspricht, über ein zeitlich begrenztes Erstinformationsrecht schützen. Aufwändig recherchierte Geschichten sollen so zunächst nur über den Verlag zu beziehen sein, der sie zuerst veröffentlicht hat. Allerdings lässt die Hot-News-Doktrin offen, nach welchem Zeitraum eine Nachricht frei zitiert werden darf. Lange Zeit wurde der Rechtsgrundsatz daher nicht mehr vor Gericht bemüht. Erst in jüngster Zeit berief sich die Nachrichtenagentur „Dow Jones Newswires“ in einer Klage gegen den Online-Newsdienst Briefing.com wieder auf die Doktrin, der ganze Texte von Dow Jones kopiert hatte. Von Dow Jones ist auch bekannt, dass sie auch die im Kontext von „Fair Use“ legale Verwendung von Snippets abmahnt.

Eigentlich wäre es jetzt Zeit für die Journalistenverbände, den Konsens mit den Verlegerverbänden über ein Leistungsschutzrecht vollständig aufzukündigen, da diese offenbar absurde Forderungen aufstellen, um sich genügend Verhandlungsmasse zu verschaffen. Das Eckpunktepapier zeigt deutlich, dass die Stoßrichtung der Verleger das journalistische Arbeiten einschränken wird. Es kann nicht sein, dass das Schielen auf „gemeinsame Vergütungsregeln“ dazu führt, ein tendenziell innovationsfeindliches Recht einzuführen.

Das Urheberrecht braucht nämlich nicht noch mehr Schranken, sondern im Gegenteil mehr Lockerungen, damit die europäische nicht noch stärker gegenüber der amerikanischen Kreativwirtschaft benachteiligt wird. Diese profitiert seit langem von Fair-Use-Regelungen in Billionenhöhe. Vorschläge in die entgegengesetzte Richtung gibt es auch – nur wird über sie merkwürdigerweise nicht berichtet: So hat eine Gruppe europäischer Rechtswissenschaftler einen schlanken European Copyright Code entworfen. Er soll das angelsächsische Copyright mit dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht versöhnen. Zentraler Baustein sind vier Gruppen von Schrankenbestimmungen sowie eine Art Öffnungsklausel mit Fair-Use-Charakter. Das wäre etwas, über das es sich lohnen würde nachzudenken – und zu verhandeln.

 

Rüstungskontrolle mit Wolfram Alpha

Die Universalrechenmaschine Wolfram Alpha gibt seit kurzem Auskunft über militärische Daten aus 150 Ländern. Damit können Nutzer eine Art rudimentäre Rüstungskontrolle betreiben.

Mit den verfügbaren Daten lassen sich bereits erfolgreich Abfragen nach Waffengattungen anstellen. So lässt sich eine Rangliste der größten Armeen (Platz 1 China), der größten Luftstreitkräfte (Platz 1 China) oder der größten Marine (Platz 1 USA) aufstellen. Auskunft gibt es auch über das weltweite Ausmaß der nuklearen Bedrohung, die von verschiedenen Ländern ausgeht – inklusive Schätzungen zu Ländern wie Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea.

Beliebige Ländervergleiche in Sachen Abrüstung lassen sich ebenfalls anstellen: Aus dem klassischen USA-Russland-Vergleich in Sachen atomare Sprengköpfe lässt sich beispielsweise herauslesen, dass Russland in den Jahren 1992 bis 2009 deutlich stärker abgerüstet hat als die USA – eine Parität ist inzwischen in Sichtweite. Auch ein entsprechend akkumulierter Vergleich zwischen der NATO und der früheren Sowjetunion ist möglich, der sich auch auf Panzer beziehen kann.

Wolfram Alpha will in den nächsten Monaten noch mehr Datensätze einspielen – und sucht dafür übrigens auch noch Freiwillige.

 

Auf der Suche nach kreativen Spielwiesen

Der Medienwandel ist im Gange – es kriselt allerorten. Im Print-Journalismus brechen die Werbeanzeigen weg, im Online-Journalismus kommen sie aber nur noch zu Bruchteilen an. Dazwischen suchen Verlage wie freie Journalisten händeringend neue Geschäftsmodelle. Drei kritische wie optimistische Texte seien angesichts dessen dringend empfohlen:

Tom Schimmeck denkt über „Glanz und Elend auf der digitalen Galeere“ nach und  kommt – im Glauben an die Notwendigkeit des Journalismus  („Die Komplexität steigt, die Verwirrung wächst. Wir müssen wieder mehr Aufklärung als Zerstreuung liefern.“) – zu dem Schluss:

„Das Internet ist nicht nur Bedrohung, es macht uns alle potentiell zu Medienbesitzern, bietet riesige Möglichkeiten für großen Journalismus – auch jenseits des Geplappers über News aus fünfter Hand.“

Matthias Spielkamp analysiert mit scharfem Blick die Lage des Journalismus in Deutschland und erkennt angesichts der geringen Wertschätzung, die gute Journalisten seitens ihrer Geldgeber erfahren, einen Brain Drain in den Verlagen, der sich letztlich eher negativ auf die Fähigkeiten der Verlage auswirken wird, die Krise auch kreativ zu bewältigen.

Es ist nämlich nicht nur pure Not, die Journalisten vom klassischen Journalismus abbringt – es ist auch die mangelnde Wertschätzung seitens der Verleger, die sich in Dumping-Honoraren ausdrückt. Spielkamp:

„Kürzlich war ich bei einem Treffen des Freischreiber-Verbands, bei dem es darum ging, Ideen für einen Kongress zu entwickeln, bei dem freiberuflichen Journalisten Wege in die Zukunft aufgezeigt werden sollen. Nach der Vorstellungsrunde war klar, dass von den etwa 20 Anwesenden ungefähr zwei Drittel ihr Geld nicht nur mit Journalismus verdienen. Nicht, weil sie nicht könnten, sondern weil sie nicht mehr wollen. Denn die Verlage sollten und können davon ausgehen, dass es genau diese Kolleginnen und Kollegen sind, die Alternativen dazu haben, Journalisten zu sein. Die mit ihren Fähigkeiten in anderen Branchen reüssieren können, wo sie besser behandelt und besser bezahlt werden. Und die das nur deshalb bisher nicht getan haben, weil sie leidenschaftliche Journalisten und schlechte Geschäftsleute sind. Aber irgendwann ist auch bei ihnen das Maß voll.“

Journalisten könnten sich im Zuge des Medienwandels auch andere Umgebungen als die der Verlage entwickeln, meint Spielkamp:

„Was dem einen staatliche Zensur und Überwachung, also der Mangel an negativer Pressefreiheit, ist dem anderen ein lachhaftes Honorar, gekoppelt mit einem Total-Buyout-Vertrag, also ein Mangel an positiver Pressefreiheit.  Was also dem einen seine Socke, ist dem anderen sein Weblog. Oder sein Spot.us, sein ProPublica, sein Perlentaucher.“

Dabei rechnet er übrigens auch mit dem seit Jahren heftig umstrittenen Punkt 5 des Medienkodex des Netzwerk Recherche ab, der da lautet: „Journalisten machen keine PR“. Für Spielkamp zeigt das

„eine unglaubliche Ignoranz und Arroganz, die sich hinter solch wohlfeilen Kodizes verbirgt, die meist ausschließlich von Gehaltsempfängern gezimmert werden: alle Medien, auch die selbst ernannten Qualitätsmedien, von „FAZ“ über „Süddeutsche Zeitung“ bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, lassen sich ihre Zeitungen und Sendungen verdeckt von den PR-Abteilungen von Daimler und Siemens subventionieren. Wie ich darauf komme? Bei knapp der Hälfte der freiberuflichen Journalisten reichen die Einnahmen aus journalistischer Arbeit nicht aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Ulrike Langer zeigt schließlich ganz pragmatisch auf, welche neuen Wertschöpfungsstrukturen sich ausbilden und nimmt sie kritisch unter die Lupe. Patentrezepte sieht sie keine, aber sie empfiehlt:

„Jedes Medium muss auf seine Weise durch Versuche, durch Trial und Error und schamloses Kopieren erfolgreicher Modelle herausfinden, was bei ihm am besten funktioniert. Man muss wahrscheinlich sehr vieles ausprobieren und man muss aus Fehlern lernen.“

In der Tat: Wir brauchen mehr kreative Spielwiesen – und weniger aggregierte  Duplikate.

 

Offene Stadtinformationssysteme

Das im Herbst erst gegründete OpenData Network hat mit OpenBerlin.net ein kleines Projekt gestartet, das Keim eines offenen Stadtinformationssystems werden könnte. Es enthält im Moment Maßnahmen des Konjunkturpakets II sowie statische Karteninformationen zur Sozialstruktur Berlins. Die Daten bzw. Bilder stammen aus dem FIS-Broker der Stadt Berlin.

OpenBerlin v 0.1 Überblick from OpenData Network on Vimeo.

OpenBerlin.net basiert auf dem Projekt Mapnificent des Berliner Informatikers Stefan Wehrmeyer, der unter anderem auch die Daten des öffentlichen Nahverkehrs sowie Kriminalitätsdaten verwendet. Auch lässt sich ein Layer für „Arbeitslose unter 25 Jahren“ über die Stadt legen. Auf diese Weise können Berliner etwa den nach ihrem Geschmack optimalen Wohnort suchen.

Wehrmeyer selbst ließ sich vom britischen Projekt Mapumental inspirieren, die noch in private beta ist. Diese Karte berechnet für ganz Großbritannien Pendlerzeiten und berücksichtigt auch Immobilienpreise.

Es ist fraglich, ob solche grafischen, einfach zu bedienenden Informationssysteme auch für sozial diskrimierende Zwecke genutzt werden können. Viel hängt von der Auswahl der Datensätze ab. Eine Information darüber, wie viele Plätze an einer Kindertagesstätte noch verfügbar sind, hat sozial sicherlich eine andere Konnotation als die – ebenfalls über die FIS-Schnittstelle erhältlichen – Information darüber, wie hoch der Ausländeranteil in einem Bezirk ist.

 

Abwrackprojekt für Sicherheitsgesetze

In Großbritannien läutet die konservativ-liberale Regierung unter Führung des Tory David Cameron eine neue Sicherheitspolitik ein. Den geplanten Personalausweis samt Personenregister sowie die nächste Generation der biometrischen Pässe soll es nicht geben. Von „Abwracken“ (engl. „Scrapping“) des High-Tech-Projekts ist in der Koalitionsvereinbarung (PDF) wörtlich die Rede.

Zur Begründung heißt es unverblümt: „Die Regierung ist der Meinung, dass der britische Staat zu autoritär geworden ist und im vergangenen Jahrzehnt menschliche Grundfreiheiten und historisch gewachsene Bürgerrechte missbrauchte und aushöhlte.“ Entsprechend lang ist auch die Liste der neuen Regierung, die sie bei Bürgerrechten abarbeiten will. Neben dem erwähnten Abwrackprojekt geht es um

  • ein Freiheitsgesetz,
  • die Erweiterung des Informationsfreiheitsgesetzes,
  • das Verbot, in Schulen die Fingerabdrücke von Kindern ohne elterliche Erlaubnis zu nehmen,
  • den erweiterten Schutz für für die DNA-Datenbank,
  • den Schutz „historischer Freiheiten“ vor Gericht,
  • die Wiederherstellung des Rechts auf nicht-gewalttätige Proteste,
  • die Überprüfung des Rechts auf Verleumdungsklagen in Hinsicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit
  • die Einrichtung von Schutzmechanismen gegen den Missbrauch von Anti-Terror-Gesetzen,
  • die Regulierung der Videoüberwachung,
  • die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung,
  • einen neuen Mechanismus, um die Errichtung unnötiger neuer Straftatbestände zu verhindern.

Ob die Briten den Ausstieg aus dem Ausweisprojekt umstandslos schaffen werden, ist noch offen. Denn der digitale Personalausweis ist Teil eines europaweiten Projekts. In Deutschland soll er samt Fingerabdrücken, Iris- und Gesichtsmerkmalen bereits diesen November eingeführt werden. Hierzulande hegt leider nur die FDP eine nachhaltige Abneigung gegen den „neuen Personalausweis“, der anfangs „elektronischer Personalsausweis – ePA“ hieß. Und bei der Öffnung der ungleich restriktiveren Informationsfreiheitsgesetze bewegt sich im konservativ-liberalen deutschen Lager schon gleich gar nichts.

 

Wie dicht hält Facebook?

Google-Entwickler Ka-Ping Yee hat eine kleine Abfrage entwickelt, mit deren Hilfe Facebook-Mitglieder prüfen können, welche Daten sie aus dem Netzwerk lassen. Es ist eine Art Inkontinenz-Test für das in letzter Zeit etwas Datenschutz-schwache Facebook.

Es genügt die Eingabe der Facebook-Kennung, wie sie aus der Adresszeile des Browser zu entnehmen ist, wenn man seine Profilseite aufruft. Sie befindet sich entweder als Zahl oder als Namen am Ende der Web-Adresse. Der „Facebook API Browser“ listet dann sämtliche Datensätze auf, die Facebook über einen Nutzer gespeichert hat. Lassen sich die Daten einsehen, sind sie öffentlich verfügbar – und werden über die Facebook-Schnittstelle anderen Diensten zur Verfügung gestellt.

Brisant ist das vor allem in Hinblick auf die jüngsten Social-Plugin-Neuerungen, die Daten von außen in das Netzwerk hineinspielen und aus dem Netzwerk wieder herausziehen. Ende April hatte Yee auf diese Weise feststellen können, dass Veranstaltungstermine, die man besuchen möchte, auch für Nicht-Freunde einsehbar waren. Jetzt lässt sich das Tool dafür verwenden, um zu prüfen, ob man auch die Datenschutzeinstellungen so vorgenommen hat, wie man eigentlich dachte.

Wenig helfen dürfte das Tool jedoch bei Datenschutzverstößen, wie sie heute das Wall Street Journal aufgedeckt hat. Demnach haben diverse Social-Web-Dienste wie Facebook, MySpace, LiveJournal, Hi5, Xanga und Digg mehr Nutzerdaten an Werbefirmen übermittelt, als sie nach ihren eigenen Nutzungsbedingungen dürften. Facebook habe sogar „in einigen Fällen“ den Nutzernamen samt Nutzer-ID übermittelt, wenn die Nutzer auf eine Werbeanzeige geklickt hatten. Inzwischen sollen die Klicks nach einer kleinen Code-Änderung wieder anonymisiert werden.