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Die Kehrtwende der SPD bei Zensursula

In der Zensursula-Debatte rund um die geeigneten Werkzeuge gegen Kinderpornographie kündigt sich bei der SPD-Fraktion eine Kehrtwende an.

Zum Hintergrund: Im Juni 2009 verabschiedeten Union und SPD im Bundestag gemeinsam das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz. Dies regelte unter anderem, dass zur Unterstützung der Bekämpfung von Kinderpornographie eine Netzzensur-Infrastruktur bei den Providern errichtet werden sollte.

Gegen die Netzzensur regte sich massiver Widerstand im Netz, der auch über die erfolgreichste Petition in der Geschichte des Online-Petitionssystems des Deutschen Bundestages artikuliert wurde. Sie fand mehr als 134.000 Mitzeichner. Es half alles nichts, die Große Koalition stimmte fast geschlossen für das Zugangserschwerungsgesetz, das auf „Löschen vor Sperren“ setzte.

Nun die überraschende Kehrtwende: Schon Anfang November kritisierte der neue Berichterstatter für neue Medien in der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, in der SPD-Zeitung Vorwärts das Zugangserschwerungsgesetz und forderte: „Gesetz muss weg“. Das verwunderte noch nicht, wird Kingbeil, der neu im Bundestag ist, doch eher dem progressiven Flügel der SPD-Netzpolitik zugeschrieben. Im aktuellen Spiegel kamen dann kritische Worte vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, der in weiten Teilen die Kritik der Bürgerbewegung an dem Zugangserschwerungsgesetz wiederholte:

“Internetsperren sind ineffektiv, ungenau und ohne weiteres zu umgehen. Sie leisten keinen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie und schaffen eine Infrastruktur, die von vielen zu Recht mit Sorge gesehen wird.” Die SPD bestehe auf dem Prinzip “Löschen vor Sperren”.

Hier klang noch das „Löschen vor Sperren“ heraus, das von der SPD in der Debatte als Leitlinie ausgegeben wurde. Dies wurde damals massiv kritisiert, weil trotzdem eine Netzzensur-Infrastruktur geschaffen werden sollte. In einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion wurde die Kritik diese Woche wiederholt.

Im Interview mit dem Schaltzentrale-Blog der Süddeutschen Zeitung verkündete dann Martin Dörmann, der Chefunterhändler der SPD-Fraktion während der Zensursula-Debatte, eine ganz neue Haltung:

Die Verträge zwischen BKA und Providern sind auf Eis gelegt, seit dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Wiesbaden geklagt wurde. Das BKA hat dann erklärt, in den nächsten Jahren gar keine Sperrlisten anzulegen. Im Moment sind wir in einem rechtlichen Schwebezustand. Unser Grundsatz war auch immer: Löschen statt Sperren. Mittlerweile hat das auch die Union akzeptiert. Daher, und weil die Verträge zwischen BKA und Providern nicht in Vollzug sind, ist das Gesetz unnötig geworden.

Hier taucht auf einmal ein „Löschen statt Sperren“ auf, was man bisher von offizieller Seite der SPD nicht gehört hat. Es überrascht ein wenig, wie schnell die SPD-Bundestagsfraktion innerhalb weniger Tage die Richtung geändert hat. Vor allem, weil man in der Großen Koalition die Möglichkeit hatte, das Gesetzesvorhaben und die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur zu verhindern. Und es klingt wenig glaubwürdig, wenn Dörmann nun öffentlich verkündet, der Grundsatz der SPD sei schon immer „Löschen statt Sperren“ gewesen. Ein Blick in die Archive des Netzes zeigt deutlich, dass es einen offiziellen SPD-Parteitagsbeschluß gibt, der explizit „Löschen vor Sperren“ als Leitlinie vorgibt.

Aber wahrscheinlich ist man noch nicht so bewandert in der neuen Oppositions-Rhetorik, wie die Taz heute berichtet:

Am Donnerstag sagte Dörmann der taz, „Löschen statt Sperren“ sei ein Versprecher gewesen, er könne sich durchaus noch an die frühere Haltung seiner Partei erinnern.

Es ist erfreulich, dass sich die SPD besinnt und nun gegen die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur argumentiert. Die Glaubwürdigkeit in der Netzpolitik hat aber in den letzten großen Schaden genommen, weil man vor einem halben Jahr noch das Gegenteil abgestimmt hat. Die Zensursula-Debatte wird für lange Zeit der schwarze Fleck in der Geschichte der sozialdemokratischen Netzpolitik bleiben. Es wird nicht leicht für die SPD werden, diese Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.

 

Warum reden hier immer alle von Freundschaft?

William Deresiewicz kommt in einem langen Essay für den Chronicle zu dem Schluss, dass soziale Netzwerke wie Facebook das Ende von Freundschaften bedeuten. Weil ihre digitale Variante viel zu leicht zu pflegen sei, keiner Mühe gegenseitiger Versicherungen und Dienste bedürfe, verkäme sie im Netz schnell zu einem bloßen Zeitvertreib.

Diese These entbehre nicht der schönen Gedanken, wie Kate Harding auf Broadsheet bei Salon.com bemerkt. Doch die Schlussfolgerung von Deresiewicz Analyse, die bei Achillis und Patroclus anfängt, sei dann doch ziemlich kurz gedacht und spekulativ.

Ich kann es nicht mehr hören: Man sollte vorsichtig sein mit seinen Facebook-Freundschaften. Man sollte seine Nacktbilder nicht jedem zeigen, der im Netz unterwegs ist. Man sollte auch den Ex-Freund nicht auf Facebook stalken, wenn man auf der anderen Seite nicht verkraften kann, wenn er mit der Nächsten chattet. Und schon gar sollte man nicht im Vollrausch ein Posting darüber verfassen, dass der Chef der größte Trottel der Firma ist, nicht einmal aus Wahrheitsliebe.

Jede Menge kluger Analysen wurden schon verfasst darüber, wie soziale Netzwerke den Begriff „Freund“ entwerteten und dass man Menschen, die dort Harakiri mit ihrer Privatssphäre begingen, vor sich selbst besser schützen müsse. Das stimmt natürlich. Aber gibt es wirklich einen Menchen, der glaubt, dass das reine Anklicken der Frage „Willst du mein Freund sein“ schon dazu führt, dass da künftig jemand ist, auf den man sich verlassen kann, wenn es brennt, und der für einen da ist, wenn man jemanden an seiner Seite braucht?

Wer kümmert sich eigentlich im analogen Leben um all die armen Seelen, die Freundschaft nicht von Bekanntschaft unterscheiden können, die sich auf Weihnachtsfeiern zum Löffel machen oder bei geöffnetem Fenster so laut und peinlich streiten, bis sie endlich bemerken, dass das Kichern aus der Nachbarwohnung ihren Worten gilt? Auch wenn Kinder auf dem Schulhof gequält und die Handybilder im Netz gezeigt werden – wer glaubt, Quälen und Netz hätten ursächlich miteinander zu tun und seien nicht in Wirklichkeit ein gesellschaftliches Phänomen, er pflegt lediglich eine schlecht verholene Technikfeindschaft.

Man sollte digitale Systeme ernst nehmen, zumal wenn wie auf Facebook so viele Menschen sie benutzen. Aber zwischenmenschliche Beziehungen sind weitaus komplexer, als dass sie sich mit ein paar Einstellungen bei Facebook zerstören oder befördern ließen.

 

Fünfzehn Jahre

Zugegeben, ich habe es später gesehen, als alle anderen, finde den Text von Kathrin Passig wider den Kulturpessimismus im Allgemeinen und die Internetzweiflerei im Besonderen aber so interessant, dass ich ihn natürlich trotzdem weiterverbreiten möchte.

Zitat gefällig? „Wer darauf besteht, zeitlebens an der in jungen Jahren gebildeten Vorstellung von der Welt festzuhalten, entwickelt das geistige Äquivalent zu einer Drüberkämmer-Frisur: Was für einen selbst noch fast genau wie früher aussieht, sind für die Umstehenden drei über die Glatze gelegte Haare.“

Und noch eins, weil’s so schön ist: „Es scheint derzeit etwa zehn bis fünfzehn Jahre zu dauern, bis eine Neuerung die vorhersehbare Kritik hinter sich gebracht hat. Die seit 1992 existierende SMS wird mittlerweile nur noch von extrem schlechtgelaunten Leserbriefschreibern für den Untergang der Sprache verantwortlich gemacht.“

Wir haben da also, was das Internet und seine Ausformungen angeht, noch ein paar Jahre Gemecker vor uns.

 

Kauf ’nen Journalisten

In Zeiten des Internet ist guter Journalismus für Verlage nicht mehr finanzierbar? Ok, dann finanzieren die Leser ihn sich eben selbst. „Community funded reporting“ heißt die Idee, die auf der Seite spot.us seit einiger Zeit ausprobiert wird.

Wer zum Beispiel wissen will, warum seine örtliche Verwaltung so viel Geld für Schnickschnack ausgibt und ob sie es damit möglicherweise verschwendet, der kann sich dort Mitfinanziers suchen. Kommen genug zusammen, kümmern sich Journalisten um das Thema, recherchieren es und schreiben es auf. Das Ergebnis steht unter Creative Commons-Lizenz, darf also von jedem verbreitet werden.

Spenden kann jeder, jede Summe. Kauft hinterher ein Verlag die Geschichte exklusiv, gibt es die Spenden zurück.

So kamen immerhin mehr als 7500 Dollar zusammen, um aufzuschreiben, warum die Kosten an der San Francisco-Oakland Bay Bridge so explodieren und wer wirklich an dem monströsen Projekt verdient. Insgesamt 158 Menschen waren bereit, zu bezahlen, um diesen Text lesen zu können.

Sicher kein Modell, um großen Zeitungen das Überleben zu sichern aber ein Beweis dafür, dass das Internet nicht nur alte Geschäftskreisläufe obsolet macht, sondern auch völlig neue und interessante schafft. Letztlich ist das nichts anderes als die Spende, die wir täglich geben, damit andere uns eine Zeitung füllen und nach Hause liefern. Nur dass Leser nun mehr Einfluss haben.

 

Wir brauchen einen Netzpolitik-Gipfel und keinen IT-Gipfel

Heute findet zum vierten Mal der „nationale IT-Gipfel“ statt. Wie in den Vorjahren laden die Bundesregierung und der IT-Lobbyverband Bitkom ein. Und dann gibt es stundenlang Politiker- und Lobbyistenreden und eine „Leistungsshow“.

Es ist sinnvoll, einen Platz zu haben, an dem Politik und Gesellschaft über wichtige Fragen der digitalen Gesellschaft und über die nationale Netzpolitik diskutieren. Doch der IT-Gipfel krankt seit seiner Erfindung daran, dass er allein dazu dient, Großprojekte vorzustellen, die allein Industrie und Politik zusammen ausgeheckt haben. Dabei fällt mir im Rückblick auf Anhieb kein deutsches Projekt ein, das nicht zuerst groß angekündigt und dann gegen die Wand gefahren wurde.

Auch zeigt die Redeliste des IT-Gipfels den Stellenwert, den das Internet in Deutschland hat: Das Netz soll Arbeitsplätze in einer Zukunftsbranche schaffen. Nicht mehr und nicht weniger. Die Rahmenbedingungen einer digitalen Gesellschaft werden allein mit den großen Industrie-Lobbyverbänden diskutiert. Eine Maßnahme zeigt anschaulich, was das Problem ist: Während andere Staaten wie Finnland Breitbandinternet als Grundversorgung begreifen und dementsprechende Gesetze schaffen, will die Bundesregierung dies dem Markt überlassen. Das ist zu wenig in heutigen Zeiten. Internet muss als Grundversorgung bereitgestellt werden, um der digitale Spaltung endlich entgegen zu arbeiten, statt sie zu vergrößern.

Deutschland braucht Ereignisse, bei denen Politik und Gesellschaft gemeinsam die Herausforderungen des digitalen Zeitalters diskutieren. Der IT-Gipfel war und ist bisher nicht der Ort dazu. Es wird Zeit für einen Netzpolitik-Gipfel, auf dem es um mehr als nur um Arbeitsplätze geht.

 

Studieren, digital

An der Okuma School of Public Management der Waseda University in Tokio ist das Studium vollständig virtuell. „Wenn ich meine Vorlesung halte, sitze ich allein vor einer Kamera und zeichne sie auf“, sagt Koichiro Agata, Dekan der Fakultät. „Die Studenten können sich die Aufnahmen dann beliebig oft ansehen.“

Nicht nur Vorlesungen, auch Seminare und Hausarbeiten gibt es nur noch im Netz. Organisiert ist das ganze in einer Art Forumssoftware. Jeder Student muss sich einloggen, kann dann dort die Vorlesungen abrufen, Kommentare verfassen, vom Professor gestellte Aufgaben lösen und Hausarbeiten einreichen. Die Noten bestimmen sich auch danach, wie aktiv sich die Studenten in dem Forum zeigen.

Agata findet das gut: „Die Studenten können die Inhalte viel besser verstehen, da sie die Ausstrahlung beliebig oft ansehen können.“

Doch habe das natürlich auch Nachteile: „Sie können auch ganz faul sein, ich habe darüber keine direkte Kontrolle.“ Und die Lehrenden müssten einiges zur Motivation tun und „Anlass geben“, dass die Studenten auch ins Forum kommen und sich dort an den Debatten beteiligen.

Vor allem aber führt es zu einem Verhalten, das Studenten in Deutschland dank der Bachelorreform gerade abtrainiert wird: „Sie müssen vollkommen selbständig arbeiten, was sie davon haben, hängt stark von ihnen ab“, sagt Agata und findet das prima. Denn er sieht sich nicht als Lehrer, sondern eher als Hinweisgeber: „Meine Vorlesung ist nur ein Anlass zur weiteren Selbstausbildung.“ Die Universität, findet er, sollte dabei helfen, sich selbst zu bilden. Das Netz stärke dabei die Unabhängigkeit und die Interessen der Studenten, statt sie mit verschulten Systemen zu beschneiden.

 

Studieren, transatlantisch

Warum sieht sie uns nur nicht an? Dabei ist es für die 18 Studierenden, die im kaltweißen Seminarraum in Erfurt sitzen, wichtig, was ihnen die amerikanische Studentin zu sagen hat. Doch ihr Blick, eingefangen auf einer großen Videoprojektion an der Stirnseite des Raumes, geht ins Leere. Scheinbar. In Wahrheit erkennt sie jede Regung ihrer Kommilitonen. Doch hängt ihre Web-Kamera nicht direkt über dem Bildschirm, was ihrem Blick eine falsche Richtung zu geben scheint. Ohne diese kleinen Mangel wäre irritationsfrei möglich, was das transatlantische Seminar gegen alle anderen an der Universität Erfurt auszeichnet: gemeinsames Lernen über Kulturgrenzen und 5000 Kilometer hinweg.

Philip Müller, Verwaltungswissenschaftler (genauer: Visiting Professor for Public Policy) ist die treibende Kraft dahinter; gemeinsam mit seinem Kollegen Jeffrey McCausland von der Penn State University lehrt er hier Internationale Sicherheit am Beispiel amerikanischer Außenpolitik. Die Zuhörer: Politologen aus Amerika, angehende deutsche, afghanische, indische, mexikanische, kenianische Verwaltungsmanager und Diplomaten in Erfurt.

Transatlantisch nennen sie es. Was anmaßend klingt, bildet lediglich die Realität ab. Nachmittags um zwei versammeln sich die Studierenden des Aufbaustudiengangs Master of Public Policy in Erfurt, während ihre amerikanischen Kollegen morgens um acht in die Uni wanken. Gemeinsam lauschen sie dem Eingangsreferat von McCausland, um sich dann in kleinen Gruppen abzustimmen, wie sie in der sich anschließenden Diskussion auf dessen Thesen reagieren wollen.

Jede Gruppe ein transatlantisches Ereignis: Die erste der Studentenrunden leitet eine Amerikanerin. Schnell wird klar, dass die zwei Afghanen in Deutschland die stärkeren Argumente haben. Also werden sie den Aufschlag machen und gegen McCausland antreten. Später wird die Gruppe wieder zusammensitzen und via Skype, E-Mail, Google-Doc, Was-immer-die-Technik-hergibt debattieren, welcher Inhalt, welcher Wortlaut in dem gemeinsamen Paper stehen wird, das über ihren Teilnahmeerfolg am Seminar entscheiden soll.

Wichtig ist dabei nicht so sehr, was dort über den Irak oder Afghanistan gesagt wird. Die meisten Argumente sind schon vielfach ausgetauscht worden. Wichtig ist vielmehr, dass all diese Studierenden sich darauf vorbereiten, in den Verwaltungen ihrer Länder und in internationalen Organisationen die Qualität des Regierens zu verbessern. Weshalb ihr Erleben, dass Entfernung keine Kategorie mehr ist für gute oder schlechte Kommunikation, das Potenzial hat, später die Strukturen von staatlicher Macht zu verändern. Ebenso wie die Erfahrung, das kollaboratives Arbeiten mehr ist als das gemeinsame Füllen eines Online-Forums.

Mitarbeiter globaler Unternehmen mögen müde lächeln, weil doch jemand, der beispielsweise bei SAP in Walldorf arbeitet, schon lange seinen Chef in London oder Indien hat. Doch Staat funktioniert bislang anders. Immerhin: Erfurt lässt hoffen, dass auch er bald in der Zukunft ankommt.

 

Friedensnobelpreis für das Internet

Die italienische Ausgabe der Wired will das Internet für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Nachdem das Netz bislang eher für Kinderpornografie, den Untergang des Qualitätsjournalismus und andere unschöne Dinge verantwortlich gemacht worden ist, will das Technik-Magazin jetzt mal die positiven Seiten herausstreichen: Das Internet sei eine nicht zu unterschätzende internationale Friedenskraft, lautet die Begründung.

Als Beispiel für seine friedensstiftende Wirkung nennt Wired unter anderem die Proteste nach den Wahlen im Iran. “Das Netz ist als erste, massentaugliche Waffe gegen Hass und Konflikte und als Propagandamaschine für Frieden und Demokratie zu verstehen“, sagt Riccardo Luna, Chefredakteur der italienischen Wired.

Das Magazin startete deshalb eine Kampagne und will das Internet auf die Liste der Nominierten für den Friedensnobelpreis 2010 hieven. Wer sich beteiligen will, kann sich auf der Seite Internet for Peace registrieren lassen. Unter den prominenten Unterzeichnern bislang: Giorgio Armani und Shirin Ebadi, die Gewinnerin des Friedensnobelpreises 2003.

2009 Obama, 2010 das Internet? So gut das Anliegen auch sein mag, müssen sich die Initiatoren dennoch fragen lassen, ob sie damit nicht etwas übers Ziel hinausschießen. Und sich damit bei denen unglaubwürdig machen, die sie eigentlich erreichen wollen: den Skeptikern, Kulturpessimisten und konservativen Technik-Kritikern, die man höchstens durch handfeste Beispiele und seriöse Berichterstattung davon wird überzeugen können, dass das Netz die Welt nicht ärmer, sondern reicher macht. Mit symbolischen Gesten ist es da sicher nicht getan.

 

Warum ein Leistungsschutzrecht statt simpler Bezahlsysteme?

Ein schönes Beispiel, worum es bei der Debatte ums Bezahlen für journalistische Inhalte eigentlich gehen sollte, liefert hier Simon Columbus.

Kleines Exzerpt: Es gibt Texte, die er gern kaufen würde, wenn man ihn denn ließe. Doch will er dafür weder
– zum Kiosk laufen müssen,
– irgendein ePaper für einen ganzen Monat abonnieren,
– eine Software installieren müssen.

Dafür hätte er lieber, dass die bezahlten Inhalte
– Teil der Linkökonomie sind, also durchsuchbar und verlinkbar wären,
– unbeschränkt genutzt werden dürfen, wenn man denn schon bezahlt
– es am besten eine „Ein-Klick-Lösung“ für all das gäbe.

Zum Schluss wundert er sich dann noch, warum deutsche Verleger so viel Mühe auf Leistungsschutzrechte und ähnliche Konstrukte verwenden und so wenig auf praktikable Bezahlsysteme. Zitat: „I can’t but wonder why publishing companies like Springer are lobbying for related right instead of just letting me pay for their content.“ Berechtigte Frage.

 

Weiter Rätselraten ums Leistungsschutzrecht

Das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik hat mich gestern zu einer Podiumsdiskussion über das geplante Leistungsschutzrecht für Verlage eingeladen. Mit mir diskutierten unter der Moderation von Lutz Hachmeister vom lfM noch Matthias Spielkamp von iRights.info und Christoph Keese, der Konzerngeschäftsführer „Public Affairs“ bei Axel Springer. Die Diskussion wurde von Carta.info aufgezeichnet und kann hier angeschaut werden.

Nach der Diskussion bin ich kaum schlauer als vorher, was genau ein Leistungsschutzrecht für Verlage bringen soll. Aus Sicht der Verlage scheint das alles sehr einfach zu sein: Durch ein weiteres geistiges Monopolrecht möchte man mehr Geld verdienen und damit die Demokratie retten. Allerdings ist es immer noch ungeklärt, was denn ein solches Leistungsschutzrecht überhaupt bringen soll.

In der öffentlichen Debatte kommt immer sofort Google ins Spiel. Der US-Konzern hat ein erfolgreiches Geschäftsmodell und verdient vor allem durch Werbung – eine Einnahmequelle, die bisher vor allem den Verlegern in ihren traditionellen Geschäftsmodellen zu Gute kam.

Durch Dienste wie Google-News kommen Leser auf die Online-Angebote der Verlagshäuser. An dieser Aggregationsleistung wollen Verleger auch Geld mitverdienen. Die Kommunikationspolitik von Seiten der Verleger zur Einführung eines Leistungsschutzrechts ist aber ziemlich diffus. Christoph Keese erklärte in der Verlagsrunde, dass es nicht um Google gehen würde und brachte anschauliche Beispiele aus der Praxis, dass man zum Beispiel Zahnarztpraxen (kein Scherz!) im Auge habe, die mit Verlagsartikeln ihre Webseiten aufhübschen würden und bisher könnte man das wirtschaftlich kaum abrechnen.

Auch müsse man stärker gegen weitere kommerzielle Urheberrechtsverletzungen vorgehen und das derzeitige Urheberrecht würde dafür nicht ausreichen. Eine starke Behauptung. Man stellt sich dann als Blogger vor, was passieren würde, wenn man die Inhalte von Bild.de einfach in seinem Blog spiegelt: Das Bild des ohne Leistungsschutzrecht hilflosen Axel Springer Konzerns in einem solchen Fall kommt einem doch etwas surreal vor bei den derzeitigen Abmahnpraktiken.

Vollkommen ins schwanken kam der Chef-Lobbyist von Axel Springer bei der Frage aus dem Publikum, ob man denn Links irgendwie „besteuern“ wolle. Dies hatte Keese vorher noch bestritten. Bei der expliziten Frage, was denn mit Links zu Angeboten der Verlage sei, die man auf der Arbeit per Mail oder Instant-Messanger seinen Kollegen zuschicken würde, konnte oder wollte er nicht antworten. Und entlarvte dabei etwas unfreiwillig, dass es anscheinend doch in diese Richtung gehen soll. Immerhin wurde mehrfach aus dem Publikum die Frage wiederholt und jedes Mal gab es darauf weder ein Ja noch ein Nein.

Und worum geht’s jetzt?

Die Verleger wollen eine Art GEMA für ihre Presseerzeugnisse haben, was aber auch schon die VG-Wort macht. Aber dort müsste man mit den Urhebern teilen. Dazu wünscht man sich eine 1-Click Lösung in den Suchmaschinen eingebaut, so dass man bei einem Klick auf Suchmaschinenergebnisse automatisch einen bestimmten Betrag bezahlen soll. Da staunt man, wie das technisch zu bewerkstelligen sein soll und fragt sich immer noch, was ein Leistungsschutzrecht dazu bringen soll. Kann man gerne versuchen und auch die Paid Content Strategien von vielen Verlagen kann man nur begrüßen, und ihnen Glück wünschen. Vielleicht bringen sie ja tatsächlich die gewünschte Rettung und vielleicht bekommen die Journalisten von den Erlösen auch etwas mehr ab als derzeit, wo die Verlage nur Total-Buyout-Verträge und wenig Geld anbieten.

Und wenn traditionelle Medienmarken ihre Inhalte verschließen und an den Toren Geld nehmen haben neue Angebote wie Blogs bessere Chancen, sich auf dem Markt mit neuen Geschäftsmodellen und einem offenen Zugang zu positionieren.

Ich bin mit einem diffusen Bild eines möglichen Leistungsschutzrechts in die Diskussion gegangen und mit demselben Bild wieder rausgekommen. Einen Sinn für die Interessen der Allgemeinheit sehe ich immer noch nicht. Und der sollte offensichtlich sein, wenn man durch ein neues geistiges Monopolrecht die Interessen Aller beschneidet.

Wer sich noch weiter zum Thema Leistungsschutzrecht informieren möchte:

iRights.info hat ein Bundestag-Gutachten zum Leistungsschutzrecht veröffentlicht. Beim Perlentaucher berichtet Ilja Braun über ein anderes Gutachten zum selben Thema: Schutzlos ausgeliefert im Internet? Matthias Spielkamp hat in der Zeitschrift „Message“ über „Die Lobbyisten der Unfreiheit“ geschrieben und Till Kreutzer hat aus juristischer Sicht ein mögliches Leistungsschutzrecht beschrieben: Faszination des Mystischen.