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Renzi auf antieuropäischen Abwegen

Die Erde Italiens bebt wieder, Kirchen, Häuser stürzen ein, ganze Dörfer verschwinden. Die Italiener leiden, sie suchen Trost und Hoffnung.

Beides versucht Premierminister Matteo Renzi ihnen zu geben. Als bei dem verheerenden Erdbeben im August rund 300 Menschen starben, fand er die richtigen Worte zur rechten Zeit. Eine neue Ernsthaftigkeit war bei dem Mann zu spüren, der für seine vorlauten Töne bekannt ist.  Er, der gerne den jungenhaften Rabauken mimt, gab sich verantwortungsvoll.

Der Staatsmann Renzi gefällt vielen Italienern, und er will ihnen gefallen, denn am 4. Dezember sollen sie über seine Verfassungsreform abstimmen, die er selbst als „die Mutter aller Reformen“ bezeichnet hat. Weiter„Renzi auf antieuropäischen Abwegen“

 

Was man über Beppe Grillo wissen sollte

Beppe Grillo wird gern ein Komiker genannt. Doch das war er einmal. Jetzt ist er Politiker. Einen Komiker muss man nicht nach seiner Weltanschauung fragen, einen Politiker schon.

Wie also sieht das Weltbild des Beppe Grillo aus? Wohin will er Italien führen? Was sind seine Ideen? Wie setzt er sie um?

Im Jahr 2011 veröffentlichte Grillo zusammen mit Gianroberto Casaleggio ein Buch. Es ist 150 Seiten stark und so etwas wie die weltanschauliche Grundlage der Grillini. Es ist ihre Bibel. Das Buch trägt den martialischen Titel: „Wir sind im Krieg — für eine neue Politik“.

Darin heißt es: „Es handelt sich um einen totalen Krieg, der jeden Aspekt unseres Lebens betrifft und alle ökonomischen und sozialen Strukturen infrage stellt, die seit Jahrhunderten als gegeben hingenommen werden.“

Der Agent dieses radikalen Wandels ist das Internet. Er werde das Neue erzwingen — doch das Alte werde nicht ohne Widerstand weichen. Das Internet ist für Grillo-Casaleggio geradezu ein revolutionäres Subjekt. Es erscheint nicht als Technik, sondern als ein Demiurg, der eine neue Welt gebären wird. „In diesem Krieg wird das Alte sterben, doch es wird nicht vergehen, ohne sich vorher mit allen Mitteln verteidigt zu haben. (…) Der Krieg wird lange dauern. In Italien kontrollieren die Parteien die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Information, den Handel, das Transportwesen, die Gesetze und ihre Umsetzung. Um sich zu schützen, haben sie einen Haufen Gesetze gegen das Netz erlassen. Sie glauben, sie seien unverwundbar, aber die Bürger werden Dank des Netzes in die Paläste der Macht eindringen.“

Es gibt bei Grillo-Casaleggio nur das „Alte“ und das „Neue“, das „Die“ und das „Uns“. Grillo spricht auch gerne von den „Hurensöhnen“. Es ist ein manichäisches Weltbild, das keine Differenzierungen zulässt. Was die Zukunft betrifft, gibt es nur eine Alternative: Mitmachen oder untergehen. „Sozialismus oder der Tod“ wird hier zu „Das Netz oder der Tod“. Es ist beides totalitär.

Grillo und Casaleggio behaupten auch, dass durch das Netz jeder Mensch endlich gleich viel wert sei. „Alle Menschen sind gleich“ – das hat zwar schon Thomas Jefferson bei der Unabhängigkeitserklärung der USA verkündet, doch bei Grillo-Casaleggio hat es eine andere Bedeutung: Jeder kann alles machen, es gibt keine Hierarchien mehr.

Dazu schreiben die beiden: „Wenn jeder gleich viel wert ist, hat es keinen Sinn mehr, von politischen Führern zu sprechen. Dann ist das ein Widerspruch in sich. Die Herren der Vorsehung gehören einer infantilen Vorstellung der Politik an. Wer sich heute als leader bezeichnet, den müsste man zwangsbehandeln.“

Grillo bezeichnet sich denn auch gerne als der Sprecher des Movimento 5 Stelle (M5S). In der Praxis aber sind er und sein Partner Casaleggio die unumstrittenen Anführer. Sie greifen von ganz oben nach ganz unten durch. Das haben verschiedene Grillini schon zu spüren bekommen. Einige sind ausgeschlossen worden, weil sie eigenständige Wege gehen wollten, Interviews und Gespräche müssen vom Chef genehmigt werden. Grillo – der sich auch gegen das Urheberrecht wendet — hat den Namen und das Symbol des M5S patentieren lassen. Jeder, der es verwenden will, braucht seine Erlaubnis. Und nach den Regionalwahlen in Sizilien im Jahr 2012, bei denen M5S zur stärksten Partei wurde, sagte er: „Wir werden über das, was wir nun anpacken, gemeinsam reden, ich aber muss der Chef der Bewegung sein.“

25 Prozent der Italiener haben sich für die Bewegung dieses Mannes entschieden.

 

 

Die Anti-Politiker

Mario Monti und Silvio Berlusconi — zwei unterschiedlichere Typen kann man sich kaum vorstellen. Italiens Ex-Premier Berlusconi ist ein skandalumwitterter Zampano, der aktuelle Premier Monti eine vollkommen skandalfreier Wirtschaftsprofessor. Während der eine sich mit Stars und Sternchen aus dem Showgeschäft umgab und sich in seinem Dunstkreis Prostituierte und Mafiosi gleichermaßen bewegten, ist vom anderen nichts dergleichen bekannt.

Monti ist die Gegenfigur zu Berlusconi. Das ist einer der Gründe für seine Popularität. Die Italiener haben genug von Eskapaden, sie wollen im Amt des Premierministers Ernsthaftigkeit am Werke sehen, Pflichtgefühl und Kompetenz. Sie wollen Monti. Zum Glück.

Doch gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Monti und Berlusconi. Der eine wie der andere ziehen ihre Popularität aus der Tatsache, dass sie sich als Anti-Politiker geben. Als Silvio Berlusconi 1993 in die politische Arena trat, lag das italienische Parteiensystem in Trümmern. „Mani pulite“ — die Anti-Korruptionskampagne der Mailänder Staatsanwälte hatte es zum Einsturz gebracht. Die Parteien waren in den Augen des italienischen Volkes desavouiert.

Auf ihren Trümmern erschien dann der Unternehmer Silvio Berlusconi. Ein Mann der Konkretion, nicht der sterilen politischen Debatten. Er inszenierte sich als neuer Mann, der ganz und gar unberührt von der Politik und besonders von den Parteien seinen Weg gemacht hatte. Das war freilich ein wohlfeiles Märchen, das keiner Überprüfung standhalten konnte. Doch die Italiener glaubten Berlusconi. Denn sie verabscheuten die Parteien. Alles Politische war ihnen suspekt.

Monti ist heute aus demselben Grund bei den Italienern populär. Er gibt sich als Fachmann, ein Mann fürs Konkrete, nicht eine Mann der frucht- und endlosen politischen Streitereien. Monti ist ein Parteiloser, der sich möglichst fern von den Parteien hält. Sie würden die Lichtfigur Monti nur in die schmutzigen Niederungen des Parteienhickhacks ziehen. Er bleibt über den Parteien. Legitimiert durch eine höhere Wahrheit überstrahlt er das düstere politische Panorama Italiens. Genauso wie Berlusconi vor fast zwanzig Jahren.

Was aber geschieht, wenn Monti scheitert? Dann wird sich das antipolitische Ressentiment ein neues Subjekt suchen. Möglich wäre dann folgendes Szenario: Es wird kein vernünftiger Mann wie Monti sein und auch kein unvernünftiger wie Berlusconi — sondern einer, der vorgibt, gleich mit der ganzen Politik aufzuräumen. Und das wäre tragisch.

 

Nicht die Party ist zu Ende, sondern die Normalität

Jetzt ist er weg – endlich. Silvio Berlusconi ist zurückgetreten, und Italien hat sich damit von einem Mann getrennt, der zu einem Alptraum geworden war. Welch eine Erleichterung!

Doch wie nach einem Alptraum fragt man sich: Ist das wirklich geschehen? Hat dieser Mann wirklich 17 Jahre lang hat die italienische Politik dominiert? War er wirklich zehn Jahre lang Premierminister Italiens? Ja, das war er!

Es ist einfach, sich über ihn lustig zu machen. Denn er selbst machte sich zu einer Witzfigur, dessen Scherze Italien allerdings nahe an den Abgrund führten. Nun, da seine Ära vorüber ist, fehlt es nicht an Spott und Häme. Schwerer schon ist es zu verstehen, wie das alles möglich war.

Berlusconi verfügt über außergewöhnliche Verführungskünste. Er konnte Träume verkaufen, Träume, die niemals Realität werden konnten. Ziemlich genau ein Viertel der Italiener glaubte ihm trotzdem. So viele wählten Berlusconis Partei Forza Italia.

Doch die Macht seiner Verführung wirkte weit darüber hinaus. Viele Italiener wollten gerne glauben, dass man reich werden konnte, ohne sich an irgendwelche Regeln zu halten. Berlusconi lebte ihnen vor, dass Gesetze nur für die Dummen da sind. Er lebte es ihnen sehr erfolgreich vor, immerhin wurde er zum reichsten und mächtigsten Mann des Landes.

In Berlusconi drückte sich das in Italien weit verbreitete Ressentiment gegenüber dem Staat aus. Dieser Widerwille sehr vieler Bürger gegenüber den Institutionen ist viel älter als Berlusconis politische Erfolge. Er ist so alt wie der italienische Staat selbst: 150 Jahre.

Berlusconis Aufstieg ist der Beweis dafür, dass der italienische Staat sich bis heute nicht mit seinen Bürgern versöhnt hat. Das ist eines der grundlegenden Probleme, die auch nach dem Rücktritt Berlusconis bleiben werden.

Die Opposition ihrerseits hat nichts dafür getan, das Ansehen des Staates zu stärken. Im Gegenteil. Sie hat sich zusammen mit Berlusconi im Palazzo vor dem eigenen Volk verschanzt. Manchmal hatte man sogar den Eindruck als hätten sich Berlusconi und die Opposition gegen die eigenen Bürger verschworen. Anders ist nicht erklärbar, dass eine Mitte-Links-Regierung zwei Mal die Chance hatte, Berlusconis Medienmacht zu begrenzen – und es zweimal unterließ. Italien heute wird von einer Politikerkaste regiert, die sich abgekoppelt hat von ihrem Land.

Es funktionierte nur deswegen so lange, weil man Schulden machen konnte. Drinnen feierte man buchstäblich rauschende Feste, die Klienten draußen hielt man mit Geldgeschenken bei Laune – und mit viel Show.

Man mag über Berlusconi lachen, doch seine Performance war sehr systemkonform. Er war keine ungewöhnliche Figur in diesem System. Er war nur der vulgärste Ausdruck einer pervertierten Beziehung zwischen Politikern und Bürgern. Berlusconi war die schrillste Normalität Italiens. Nicht die rauschende Party ist jetzt zu Ende, sondern das Normale.

Nur mit Schulden konnte dieses System aufrecht erhalten werden. Die Schuldenkrise ist deshalb im Kern keine wirtschaftliche, sondern eine politische Krise – sie kann nur politisch gelöst werden.

Man muss hoffen, dass nun eine Öffnung des Systems erzwungen wird. Der Palazzo der Macht muss durchlässiger werden, damit würde er auch funktionaler. Und in einem allerdings sehr langfristigen Prozess könnte endlich das Problem verschwinden, welches allen anderen zu Grunde liegt: die gestörte Beziehung zwischen den Italienern und ihrem Staat.

 

Auch Italien wankt in Afghanistan

Am Freitag tötete eine Selbstmordattentäter sechs italienische Soldaten. Das führt in Italien zu einer Abzugsdebatte. . Staatspräsident Napolitano sagt: „Es ändert sich nichts!“ Doch Ministerpräsident Silvio Berlusconi spricht von einer „transition strategy“ – Berlusconi sagt zwar, dass sei keine „exit strategy“, doch das dürfte nur ein kleiner semantischer Trick sein, um den Abzugswillen zu kaschieren.

 

Warum ist er so erfolgreich?

Einen Versuch von mir und meiner Kollegin Birgit Schönau, um das Phänonem  Berlusconi zu erklären finden Sie in der ZEIT

 

Berlusconi rollt
Berlusconis Wahlkampfmaschine in Mailand ©Ulrich Ladurner

 

 

 

G 8 Gipfel

 

 

Anlässlich des G 8 Gipfels in L´Aquila eine Fotoessay zum Zustand Italiens im Sommer 2009    

 

 

 

 

Carabineriwachen
Carabinieri vor dem Mailänder Dom ©Ulrich Ladurner 2009

 

 

 

 

 

Italienische Damen
Italiensche Damen warten auf den Bus in der Altstadt vonChioggia ©Ulrich Ladurner 2009

 

 

 

Strand Chioggia
Am Strand des Badeortes Sottomarina, Chioggia ©Ulrich Ladurner

 

 

Mussolini
Ein Bild Mussolinis steht auf einem Marktstand von Chioggia zum Verkauf ©Ulrich Ladurner

        

 

 

Piazza del Duom
Domplatz in Mailand bei Nacht ©Ulrich Ladurner 2009

 

 

 

Carabinieri
Carabiniere vor dem Mailänder Dom ©Ulrich Ladurner 2009

 

 

 

 

 

 

Italienische Erfolge

Arzignano ©Ulrich Ladurner

 

1990 kamen tausende albanische Einwanderer mit einem gekaperten Frachter nach Italien. Niemand war auf diesen Massenexodus vorbereitet. Die Lega Nord gab es damals noch nicht. Sie wurde 1991 aus einem Zusammenschluss mehrere separatistischer Parteien gegründet. 1992 errang sie auf Anhieb landesweit 8,7 % Prozent der Stimmen. Damals mobilisierte sie vor allem gegen Rom. „Roma ladrona-Rom die Diebin“ war ihre beliebter Schlachtruf. Einwanderer war noch keine wirkliches Thema für die Partei. Doch nur wenige Jahre später rückte die Lega Nord unter ihrem Chef, Umberto Bossi, die Immigration in das Zentrum ihrer Politik. Damit machte sie Stimmung und gewann Stimmen. Bossi tat den berüchtigten Spruch: „Man muss mit Kanonen auf diese Schiffe schießen!“ – gemeint waren die Boote, die illegale Einwanderer nach Italien bringen.

Das Bild zeigt eine Wahlkampfveranstaltung der Lega Nord in der  reichen norditalienischen Stadt Arzignano. Diese Stadt war jahrzehntelang fest in der Hand der Mittelinksparteien. 2009 aber fiel sie in die Hände der Lega Nord und des mit ihr verbündeten „Popolo d´Italia“ von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Die Lega Nord gewann in Arzignano 33,9 Prozent der Stimmen.

Auf dem Plakat steht: „Wir haben die Invasion aufgehalten!“

Arzignano2©Ulrich Ladurner