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Logbuch eines Untergangs

WikiLeaks ist am Ende. Die letzten Tage belegen das. Wer aber das Ende verstehen will, muss sich den Anfang noch einmal vergegenwärtigen. Und der eigentliche Start dieser seltsamen Weltkarriere eines Netzportals ist nicht die Gründung vor Jahren. Der tatsächlich Aufstieg beginnt im Sommer 2010. In kurzer Zeit geht es dann steilstmöglich nach oben. WikiLeaks wird zum Globalplayer in Sachen Weltpolitik. WikiLeaks veröffentlicht gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern die Kriegstagebücher der US-Armee in Afghanistan. Eine nur Insidern bekannte Netzorganisation dominiert plötzlich weltweit die Nachrichtensendungen. Im Herbst 2010 legt die Wistleblowerplattform unerschrocken nach. Die Iraq War Logs erscheinen. Wieder wohl dosiert. Wieder von großen Medienpartnern aufwendig aufbereitet. Das Beben ist gewaltig. Weltweit. Es geht weiter Schlag auf Schlag. Winter 2010. Die Botschaftsdepeschen erscheinen. WikiLeaks ist längst zum Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Alle Prognosen erwarten von jetzt an regelmäßige digitale Beben von WikiLeaks.

Nichts scheint mehr so zu sein wie es war. Journalismus. Staatsgeheimnisse. Die Macht des anonymen Einzelnen. Die Revolution der Öffentlichkeit scheint vollendet. Nicht mehr investigativ arbeitende Redaktionen und Journalisten wühlen in den Geheimnissen der Regierungen und Unternehmen, sondern Insider. Mitarbeiter, Armeeangehörige und Beamte, die sich mit Vorgängen konfrontiert sehen, die sie kaum noch ertragen, von denn sie sich nichts sehnlicher Wünschen, als das die Öffentlichkeit, am besten die Weltöffentlichkeit von ihnen erfährt. Das Comeback des schlechten Gewissens, die asymmertrische Macht des Einzelnen, als Korrektiv bestimmter Degenerationen und Defekte demokratischer Gesellschaften.

Das ideale Werkzeug der vernetzten Gesellschaft für diese Zwecke ist eine Whistleblowerplattform im Internet. Größtmögliche Anonymität, prominente Medienpartner Veröffentlichung und sorgfältige redaktionelle Aufbereitung der Unterlagen. Eine perfekte Strategie. WikiLeaks wird in kurzer Zeit zum Prototypen dieses publizistischen Werkzeugs neuer Art. Aber der Absturz folgt. Umgehend.

Und es geht bei diesem Absturz nur am Rande um die kritische Einordnung der vermeintlichen sexuellen Praktiken Julian Assanges, der Führungsfigur von WikiLeaks. Es geht um die technische Integrität eines publizistischen Angebots, dessen Nutzung Whistleblower in existentielle Gefahr bringen kann. Es geht um die politische Nüchternheit und strategische Klarheit der Entscheider, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse im Sinne ihrer Aufgabe einsetzen sollten. Es geht um Reputation und Glaubwürdigkeit, diese wohl kostbarste Währung der Publizistik im Netzzeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Reife und Professionalität.

Mit Blick auf diese Faktoren sind die letzten Tage die letzten Belege für den (vorläufigen) Untergang eines grandiosen Konzepts. Wer das Logbuch des Niedergangs liest, fühlt sich an eine unheimlich anmutende Mischung aus Shakespeare, Dallas und Denver-Clan erinnert. Wenige Auszüge und Schlaglichter genügen, um zu sehen, dass dieser Bewegung kein Whistlebower in einem Ministerium, einem Weltkonzern oder einer global agierenden Bank mehr trauen wird.

Dienstag. 30. August. Früher Abend, New York Ortszeit. Nichts geht mehr. Es ist nur ein temporäres Problem. Aber es ist symptomatisch. Und selbstverschuldet. Die Netzseite der Whistleblower-Organisation WikiLeaks ist down. Nach dem tausende Depeschen unredigiert veröffentlicht wurden, sieht sich die Seite massiven Cyberattacken ausgesetzt.

Freitag letzter Woche. Eine geheimnisumwitterte CD soll seit einiger Zeit im Netz zirkulieren. Cables.csv ist ihr entwaffnent schlichter Titel. Sie ist zwar verschlüsselt. Aber das Passwort soll ebenfalls im Netz zu finden sein, berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. WikiLeaks reagiert mit Anschuldigungen Richtung Domscheit-berg. Kurze Zeit später aber publiziert die Leaking-Plattform tausende unbearbeitete Depeschen. Die CD könnte das von Domscheit-Berg mehrfach angesprochene Sicherheitsleck bei WikiLeaks belegen.

Montag, 21. August. Der WikiLeaks-Dissident gibt die endgültige Löschung zahlreicher Datensätze von WikiLeaks bekannt, die er aus Sicherheitsbedenken bei seinem Ausscheiden an sich genommen hatte.

Mittwoch, 31. August. WikiLeaks geht per Anwalt gegen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg vor und legt ihm zum wiederholten Male „ein gesteigertes Maß an Niedertracht vor“. Unter anderem soll er der Wochenzeitung Der Freitag die Daten auf der omniösen Cables.csv CD zugänglich gemacht haben.

Vorangegangen sind diesen letzten Indizien für eine Agonie der ehedem noch strahlenden Leaking-Bewegung eine Reihen von Konflikten, Dramen und Ablenkungsmanövern, die sich mit allem beschäftigen, zerbrochenen Freundschaften, wettstreitende Alphatiere, Verschwörungstheorien finsterster Sorte, aber nicht mit der adäquaten Pflege der Leaking-Bewegung, dem angemessenen Umgang mit geleakten Dokumenten und ihrer entsprechenden Vermittlung an die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist dieser Untergang der WikiLeaks-Idee kein rasanter Absturz, vielleicht ist es eher eine Agonie. Unter dem Strich aber spielt die Art des Siechtums keine Rolle. Unter dem Strich bleibt der Ruin einer anspruchsvollen Idee. Eine innovative Strömung hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Historisch betrachtet ist das keine Neuigkeit. Schon immer fielen politische Erneuerer durch Streit, Spaltung und Egomanien auf. Da stellen Julian Assange und Domscheit-Berg keine Einzelfälle dar.

Für die Gegenwart und die nähere Zukunft jedoch ist dieser Untergang ein herber Verlust. Es wird Jahre dauern, bis Whistleblower wieder Vertrauen zum Konzept der anonymen Abgabe brisanter Materialien haben werden.  Und es bleibt abzuwarten, ob die erfolgreichen Leaking-Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Whistleblower dann wieder auf oder zumindest wenigen Plattformen konzentriert sein werden oder ob sich die Prognosen aus dem Winter 2010 bewahrheiten, dass derartige Angebote zukünftig zum technischen Repertoire jedes größeren journalistischen Angebots im Netz sind. Pilotprojekte gibt es bereits viele. Hoffen wir, dass einige von Ihnen die momentane Krise der Leaking-Idee als Chance nutzen können.

 

Kurz und klein (Teil 10): Schweizer Leakingportale, WikiLeaks im Museum

++++Schweizer Leakingportale++++

Die Liste der WikiLeaks-Klone und der artverwandten Portale wächst weiter. In der Schweiz wurden jetzt gleich mehrere Portale gestartet. Unter Sichermelden.ch initiierte das Onlinemagazin Beobachter.ch eine Whistleblowerplattform für die Schweiz. Besonderen Wert legt die Plattform auf Korruption und Veruntreuung in Behörden und Unternehmen. Bemerkenswert sind auch die eindringlichen Hinweise an potentielle Whistleblower die eigenen Motive vor einem Leak zu überprüfen.

Mehr Transparenz, mehr Durchblick ist dagegen das Motto des ebenfalls gerade gestarteten Portals Oeffentlickeitsgesetz.ch. Die Machern, vorwiegend Medienschaffende, wollen dem Informationsfreiheitsgesetz mit der Plattform mehr Nachdruck verleihen. Es geht dabei unter anderem um den ungehinderten Zugang zu amtlichen Informationen. Eine Problematik, die ja auch aus Deutschland hinlänglich bekannt ist. Trotz eindeutiger Gesetzeslage ist auch hier die Praxis schwierig.

Eine in Kürze zu aktualisierende Liste der zahlreichen Leakingportale gibt es übrigens hier.

++++WikiLeaks im Museum++++

Das Geheinmis als Thema einer Ausstellung. Da kommen zeitgenössische Künstler kaum an dem Themenkomplex WikiLeaks vorbei. So auch in der Ausstellung Geheimgesellschaften – Wissen Wagen Wollen Schweigen. Die vor wenigen Tagen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt eröffent wurde und noch bis Ende September 2011 läuft.

 

Gründungsmitglied Daniel Matthews über WikiLeaks

Auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung gab es eine Premiere. Erstmals äußerte sich ein weiteres WikiLeaks-Gründungsmitglied zu den Ideen und Konzepten der Anfangsphase. Daniel Matthews, gebürtiger Australier und mittlerweile als Matehmatiker in Boston, USA, tätig. Im Gespräch mit der Bloggerin Anne Roth äußert sich Matthews unter anderem zu den ursprünglichen politischen Ambitionen des Whistleblowingportals. Anne Roth stellte dabei heraus, dass sie insbesondere seinen linken Ansatz schätze, der ihn von Julian Assange unterscheide. Ob dieser linke Ansatz tatsächlich existiert oder nicht. Ob dieses Links nicht längst ein sprachlicher Atavismus politischer Folklore ist, entschiede jeder selbst.

 

Whistleblower dringend gesucht

Wie das deutsche Whistelblower-Netzwerk berichtet, werden für ein DFG-Forschungsprojekt Whistleblower oder Whistelblowerinnen gesucht. Das unterstützen wir natürlich gern.

Was bringt Whistleblower zum Handeln?
Die Geschichten, das Handeln und das Entscheiden von Whistleblowern sind – gemessen an der Aktualität und Brisanz der entsprechenden (kriminal-)politischen Debatte – hierzulande in der Wissenschaft bislang nahezu völlig unbeleuchtet geblieben. Ein aktuelles, von der DFG gefördertes Projekt an der Universität Bielefeld versucht, diese Forschungslücke zu schließen.
Dass Missstände und Straftaten, die aus Organisationen und Unternehmen heraus begangen werden, an das Licht der Öffentlichkeit gelangen, verdankt sich nicht selten den Hinweisen von Organisationsmitgliedern und anderen Insidern  (exemplarisch: http://www.ftd.de/karriere-management/management/:fall-madoff-die-faszinierende-geschichte-eines-frustrierten-whistleblowers/50088610.html). Wozu dieses sog. Whistleblowing führen kann und was es für die Whistleblower bedeutet, ist für uns alle spätestens seit Wikileaks nachvollziehbar geworden. Darüber hinaus aber sind Whistleblowing- bzw. Hinweisgebersysteme – d.h. Anlaufstellen und andere Einrichtungen zur gezielten Aktivierung von Informanten – international seit langem selbstverständlicher Bestandteil beispielsweise der Wirtschaftskontrolle (etwa zur Aufdeckung von Korruption).
Das wird von anhaltenden Debatten begleitet. Ob und wann kann das Hinweisgeberverhalten ethisch als legitim gelten? Ist es wirtschafts- und kriminalpolitisch zweckmäßig, Deliktsinsider zur Wissenspreisgabe zu stimulieren? Sollte der Staat solche Personen wenigstens vor Vergeltungsaktionen und anderweitigen Nachteilen schützen? Dies und ähnliche Frage sind offen – wobei sie sich nur oder jedenfalls besser beantworten lassen, wenn man um die typischen Beweggründe, Handlungsweisen und Geschichten der Hinweisgeber weiß.
Hierzu liegen bislang allerdings fast nur angloamerikanische Studien vor, die schon wegen der rechtlichen und kulturellen Unterschiede auf die deutsche Situation nur bedingt übertragbar sind. An dieser Stelle setzt das von der DFG geförderte Bielefelder Forschungsprojekt an. Im Rahmen der Studie werden – selbstverständlich unter vollständiger Wahrung von Anonymität und Vertraulichkeit – Interviews mit Personen geführt, die sich als Deliktsinsider begreifen und ihr Wissen weiter gegeben oder eben auch nicht weiter gegeben haben. Dabei hat das Projekt zwar einen Schwerpunkt beim Whistleblowing im Gesundheitssystem (http://www.tagesspiegel.de/berlin/chefarzt-im-krankenhaus-verhaftet/1855142.html), doch bezieht es das Hinweisgeberverhalten in anderen gesellschaftlichen Bereichen ebenfalls ein.
Natürlich sind die Forscher dankbar, wenn sich Personen, die als Hinweisgeber aktiv geworden sind oder dies jedenfalls erwogen haben, zur Mitwirkung an der Untersuchung bereit erklären. Wer zum gesuchten Personenkreis zählt und sich für ein Interview zur Verfügung stellen würde, sei hierzu ausdrücklich ermuntert und um ein entsprechendes Zeichen gebeten.

Ihr Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ralf Kölbel
Universität Bielefeld
Lehrstuhl für Kriminologie, Strafrecht und Strafprozessrecht
Fakultät für Rechtswissenschaft
Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld
Tel.: 05 21.1 06-69 66 (Sekretariat) oder 05 21.1 06-47 21 (direkt)
eMail: ralf.koelbel[ätt]uni-bielefeld.de

 

Leaks werden Mainstream

Das Wall Street Journal ist also der erste große Fisch, der den Sprung ins kalte Wasser wagt. Heute startete das amerikanische Medienhaus eine eigene Leakingplattform. Safe House tritt zwar im Look and Feel des Wall Street Journal auf, läuft aber auf eigenen, einbruchsicheren Servern. So heißt es zumindest. Denn ob es einbruchsichere Server überhaupt gibt, ist fraglich. Der Grad der Einbruchsicherheit dürfte mittlerweile wohl eher von der Qualifikation des Einbrechers abhängen. Und von seinen finanziellen Möglichkeiten.
Jedenfalls ist SafeHouse das erste Leakingangebot einer großen Zeitung. Zuvor gab es allerdings bereits vielfältige Starts von Leakingstrukturen wie etwa der Transparency Unit von Al Jazeera, den RadioLeaks in Schweden oder thematisch fokussierte Seiten wie GreenLeaks. Wir sind gespannt wann New York Times, Guardian und deutsche Zeitungen nachziehen.

 

Leaking Transparency

Das war der Titel einer Podiumsdiskussion auf der diesjährigen re:publica. Keine bahnbrechende Debatte, aber ein – zumindest manchmal – unterhaltsames Update der diversen Debatten. Von Datenschutzfragen über Journalismus und Leakingplattformen bis hin zum Verhältnis von Leakingkultur und Open Data Bewegung.

Im Programmheft hieß es:

Whistleblowing ermöglicht Journalisten und Bloggern neue Chancen für ihre investigative publizistische Arbeit, stellt sie aber auch vor neue Herausforderungen. Es werden Informationen verfügbar sein, die es in dieser Vielfalt und Transparenz zuvor nicht gab, zugleich müssen Publizisten diese Informationen prüfen, aufarbeiten und bewerten – ihre klassische Gatekeeper-Funktion wahren –, in Zeiten des Leaking aber ohne Kenntnis über die Identität der Informanten.

Diskutanten waren Daniel Domscheit-Berg, Horst Pöttker, Lutz Hachmeister, Peter Schaar, Jakob Augstein.

 

Das letzte Lebenszeichen? WikiLeaks und die Guantànamo-Files

Totgesagte leben länger. Angeblich. WikiLeaks jedenfalls hat sich mit einem Lebenszeichen der heftigeren Art zurückgemeldet. Die gerade veröffentlichten Guantànamo-Dokumente sind jedenfalls der berühmte Paukenschlag, mit dem nicht mehr jeder Beobachter der Szene gerechnet hatte. Die Wucht der Veröffentlichung reicht zwar nicht an die Beben heran, die die War-Logs und die US-Botschaftsdepeschen auslösten, aber sie treffen die amerikanische Administration empfindlich. Unschuldige und Kinder sollen im Militärgefängnis gesessen haben. Mit Wissen der Militärs. Der Druck auf Präsident Obama, sein Wahlversprechen, die Schließung Guantànamos doch noch zu halten, wird wieder wachsen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig. Und es ist ein Verdienst von WikiLeaks. Auch wenn WikiLeaks offenbar nicht ganz Herr der Lage war in den letzten Tagen. Denn die Veröffentlichung der Guantànamo-Dokumente durch die New York Times und den Guardian war nicht geplant. Jedenfalls beschuldigte WikiLeaks Daniel Domscheit-Berg, den WikiLeaks-Dissidenten und OpenLeaks-Gründer, gestern via Twitter, unbefugterweise Dokumente an die New York Times weitergegeben zu haben.

Aber trotz aller Unfreiwilligkeit, mit der WikiLeaks und Partner jetzt mit ihren Auswertungen der Dokumente an die Öffentlichkeit gehen mussten: WikiLeaks ist wieder in den Medien. Weltweit. Die Washington Post berichtet in ihren Auswertungen über die Strategien der Strategen des 11. September, der Guardian mahnt zur Skepsis und verweist darauf, dass viele Verhörergebnisse unter folterartigen Bedingungen entstanden sind, dass ein Verdächtiger auch schon mal für den britischen MI6 gearbeitet hatte und dass es nur eines verdammt schlechten Timings bedurfte, um schon mal als Terrorverdächtiger in Guantànamo zu landen. The Australian erklärt uns mal ganz nebenbei, dass al-Qaida eigentlich auch einen nuklearen Höllensturm zu entfesseln gedachte. Die New York Times beschäftigt sich mit den Konjunkturverläufen des Terrors nach den Attacken vom 11. September 2001. Alle sind sie wieder da. Und profitieren mit Seite-Eins-Geschichten von der Existenz der Leaking-Plattform.

Die Artikel sprechen vom Terror, von der schwer kalkulierbaren Größe al-Qaida, von der kompromittierten amerikanischen Regierung, und immer auch von WikiLeaks. Die Leaking-Plattform hat es wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Trotz defekter Leaking-Infrastruktur (denn der Uploadmechanismus liegt seit Monaten brach), trotz vielfacher Abgesänge, trotz wachsender Konkurrenz. Und sie hat demonstriert, wie wichtig das Leaken kritischer Dokumente ist. Denn jetzt besteht zum Beispiel wieder Hoffnung, dass die amerikanische Administration Guantànamo doch noch schließen wird und in absehbarer Zeit gezwungen ist, diesen finsteren Teil ihrer Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Die Bedeutung des Leakens jedenfalls ist ein weiteres Mal sichtbar geworden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht der letzte Coup war.

 

Daniel Domscheit-Berg und OpenLeaks auf der re:publica – live!

Der Streit ist mittlerweile alt geworden. Aber er ist weiterhin heftig. Welche Rolle hatte Daniel Domscheit-Berg bei WikiLeaks. Bloggen heute live Domscheit-Bergs Vortrag auf der re:publica.

Daniel Domscheit Berg spricht zu Beginn über das enorme Potential des digitalen Whistleblowings. Vor allem betont er, geht es für zukünftige Leakingplattformen nicht um die Majorprojekte, wie beispielsweise Cablegate, sondern um die vielen eher kleinen Themen die geleakt werden könnten/sollten.

Aus DDBs Sicht ist der Kontext von geleaktem Material enorm bedeutsam. Er nennt es das „Exklusivitäts-Dilemma“. Was kann eine Whistleblowingorganisation mit Material anfangen, das sie zwar exklusiv besitzt, aber evtl. nicht in die adäquaten Informationszusammenhänge setzen kann. Eines der zentralen Motive, warum OpenLeaks mit Partnerorganisationen aus den Bereichen Presse und NGO zusammenarbeiten wird.

Eine der größten Gefahren für Leakingplattformen ist die entstehende Macht, wenn brisantes Material eingeht. Macht korrumpiert. Offenbar eine klare Anspielung auf WikiLeaks und Julian Assange. Deshalb planen DDB und die Macher von OpenLeaks ihr neues Angebot als reinen Service. Eine Publikationsplattform, keine hochdotierten Exklusivverträge. Reine Leaking-Dienstleistung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was ist das Ziel von OpenLeaks? Eine stabile und vor allem absolut sichere Technologie, so DDB weiter. Diese Technologie sollte für alle denkbaren Partner zugänglich sein. Auch wenn man in der öffentlichen Alphaphase demnächst erstmal mit 6 Partnern starten wird.

Besonders wichtig ist DDB der Hinweis auf die geplante Vermeidung jeder finanziellen Diskriminierung zukünftiger Partner. Die Plattform soll für alle denkbaren Partner aus den Bereichen Medien, NGO oder Gewerkschaften offen sein. Es soll definitiv keine Monetarisierung von Leaks geben. OpenLeaks hat kein eigenes Geschäftsmodell.

Whistleblower können auf OpenLeaks zukünftig Dokumente zwei Wochen exklusiv an einen der akkreditierten Partner richten. Danach gehen die Dokumente in jedem Fall als Rohmaterial in die Community. Auch wenn der Partner das Material zwischenzeitlich publiziert hat.

Knowledge soll geteilt werden! Andere Leakingportale wie Greenleaks etc. (siehe Übersicht) sollen von den Erfahrungen profitieren können.

Jeder Partner bekommt zukünftig eine eigene, gebrandete Partnerseite. So kann er auf seiner jeweiligen Seite im Look seiner Marke Leakingschnittstellen einrichten. Diese Schnittstellen funktionieren im weitesten Sinne wie OpenLeaks-Widgets. Auch werden Partnern auf OpenLeaks zukünftig  Werkzeuge zur unmittelbaren Auswertung der geleakten Dokumente zur Verfügung gestellt. Auch Interaktionen zwischen Partnerorganisationen werden möglich sein. So könnte sich eine NGO mit regionalem Tätigkeitsschwerpunkt an ein dort tätiges Medium wenden.

Um eine möglichst große Gruppe von Usern zu erreichen wird es verschiedene „User-Rollen“ geben. Partnerorganisationen werden in der Regel einen Read/Write-Status erhalten. Für weitere User wird es aber auch einen Read-Only-Status geben.

Mittelfristiges Ziel von OpenLeaks ist es, mit mind. 100 Organisation zu kooperieren. Die Partnerorganisation sollen sich 50:50 aus NGOs and Medienpartnern zusammensetzen.

Der aktuelle Status quo ist allerdings etwas bescheidener. In Kürze wird eine öffentliche Alphaversion mit 6 Partnern online gehen.

User sollen zukünftig auch voten können, um der Plattform so weitere vertrauenswürdige Organisationen zu empfehlen.

Die wichtigste News zum Schluss: DDB will sich für die Einrichtung einer Stiftung stark machen, die Whistleblowing in Deutschland stärkt.

Und er will kein Gelübde für einen definitiven Starttermin abgeben. Sie sind sehr beschäftigt, sagt DDB. Wir sind gespannt. Die Erwartungen sind hoch!

 

Uni-Leaks dringend gesucht! Warum der Fall Guttenberg die Notwendigkeit eines Transparenzgebots demonstriert

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war und ist ein Mann der klaren Worte. Die ersten Vorwürfe gegen die Individualität seiner Doktorarbeit nannte er abstrus. Das war unmissverständlich. Dann räumte er ein paar wenige handwerkliche Fehler ein, die ihm unter dem Druck der Herkulesaufgaben des Politkerdaseins bei gleichzeitiger Familiengründung unterlaufen sein könnten. Kein Vorsatz, nirgends. Der Glaube an die eigene Integrität war felsenfest. Auch das war unzweideutig. Dann kassierte er seinen Titel freimütig ein (die Kanzlerin hatte ja einen Minister bestellt, keinen Wissenschaftler). Schließlich räumte er mit großer Geste endgültig das Feld (die zuvor gefallenen Soldaten sollten ja noch mit Würde unter die Erde; nur das der Grund für sein langes Zögern). Lückenlose Aufklärung hieß jetzt die Parole. Die Universität Bayreuth sollte sie betrieben. Mitleidlos natürlich. Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch er selbst hätten das dringende und berechtigte Interesse, den Ausgang der Geschichte zu erfahren. Auch hier gab es also keine zwei Meinungen.

Jede Etappe isoliert betrachtet, zeigt einen Politiker, der nicht lange fackelt, der nicht zu den Zauderern gehört. Ein Mann, ein Wort. Nur der Wirklichkeit war das alles gleichgültig. Was an sich schon ein Frechheit war. Sie mischte sich ein, funkte dazwischen, griff dem größten Inszenator der letzten Jahre unerhörterweise ins Ruder. Und dann widerlegte sie ihn auch noch regelmäßig. Diese Wirklichkeit kompromittierte die klaren Worte und zeigte sie als das, was sie waren: Überwältigungs- und Einschüchterungsversuche.

Jetzt gipfelt das Ganze in den schon abenteuerlich anmutenden Versuchen der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Bayreuther Universität juristisch zuvorzukommen. Nicht nur, dass auch diese Volte von einem erschütternden strategischen Unvermögen und einer grandiosen Überschätzung der eigenen Machtmittel zeugt. Viel mehr verkennt Guttenberg Gegenwart und Gesellschaft mit einer Naivität, die erschaudern lässt. Denn diese Gegenwart ist längst nicht mehr bereit, sich abbügeln zu lassen. Diese Gegenwart fordert von politischen Mandatsträgern echte Klarheit, sie fordert Transparenz im besten Sinne. Sollten Politik und Politiker nicht bereit sein, in angemessener Transparenz zu handeln, dann wird sich die Gesellschaft der Gegenwart Einblicke, die ihr verwehrt werden, selbst verschaffen. Das GuttenPlag-Wiki hat das eindrucksvoll bewiesen. Sollte Guttenberg jetzt tatsächlich juristischen Erfolg haben und die Veröffentlichung des Abschlussberichts der Prüfung „seiner“ Doktorarbeit mit Hinweis auf seine Persönlichkeitsrechte verbieten lassen können, wäre das nicht nur ein herrlich ironischer Kreisschluss, sondern auch von juristischer Tragik, die nur noch eine Forderung zulässt. Es braucht dringend ein Uni-Leaks-Projekt – und zwar schnell.

 

Leakingportale und Tennischläger

Der britische Historiker Timothy Garton Ash ist ein Mann der klaren Worte. Jetzt hat er sich in einem lesenwerten Kommentar im Guardian zum Thema Leakingportale geäußert. Der Titel verspricht nicht zu viel:

WikiLeaks has altered the leaking game for good. Secrets must be fewer, but better kept – For whistleblowers, government and press, the age of digileaks cries out for new rules on what to hide – and reveal

Da geht es um die richtige Hardware für Leakingportale, den Start von OpenLeaks und vieles mehr. Vor allem aber analysiert Garton Ash die Gegenwart mit dem Blick des Zeitgeschichtlers. Er nimmt die langfristigen Wirkungen, kurzfristiger Veränderungen in den Blick, identifiziert die Schlüsselprobleme und zieht die nahe liegenden Konsequenzen. Die sind zwar schon länger offensichtlich, lesen sich als kompakter Überblick jedoch äußerst unterhaltsam und sind vor allem allen dringend zu empfehlen, die mit Systemen wie WikiLeaks oder OpenLeaks in Beziehung stehen – ob freiwillig oder unfreiwillig.

Oder um es noch unmissverständlicher zu formulieren: Regierungen, Zeitungen und NGOs! Timothy Garton Ash liefert Euch hier die Guidelines für das Leben im Leakingzeitalter. Und diese Guidelines sind glasklar: Regierungen, schützt weniger Daten, schützt nur noch die wirklich schützenwerten Daten, aber schützt sie besser und Leakingportale beziehungsweise Zeitungen und NGOs, seid transparent, was Eure Strategien und Kriterien angeht, die ihr anlegt, wenn ihr Leaks benutzt, aber erklärt vor allem besser, warum ihr an manchen Punkten intransparent sein müsst, um beispielsweise Eure Quellen zu schützen.

Am Ende des Kommentars folgt dann noch eine Generalbewertung des Leakingzeitalters und da kommen auch endlich die versprochenen Tennisschläger ins Spiel:

Digileaks change democracy as graphite rackets changed tennis. Whether they make it better or worse will depend on the rules, the umpires and the players.