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Das 12 Millionen Pfund Dilemma

Die einen sprechen von einer möglichen Fälschung. Die anderen von einer Falle. Viele aber von einem peinlichen Leak und einem Blick in einen unerwarteten Abgrund. In jedem Fall geht es um schlappe 12 Millionen Pfund. So hoch soll angeblich die Vertragsstrafe für WikiLeaks-Mitarbeiter sein, wenn sie Geheimnisse der Leakingplattform verraten. David Allen Green, Law-and-Poltics-Blogger beim Onlinemagazin New Statesman, veröffentlichte gestern ein Confidential Agreement das nach erstem Augenschein alle WikiLeaks-Mitarbeiter unterzeichnen mussten. Der Inhalt: Jede unautorisierte Weitergabe von WikiLeaks-Dokumenten wird mit der Zahlung einer Konventionalstrafe von 12 Millionen Pfund belegt. Was für jeden Julian-Assange-Mitstreiter der blanke Ruin sein dürfte. Die Begründung: Alle Dokumente sind Eigentum von WikiLeaks.

Das eigentliche Thema aber sind nicht die fragwürdige Vorgehensweise, der rüde Ton der Erklärung und der diskutable Besitzanspruch, sondern der Hinweis auf das zentrale Dilemma jeder Leaking-Plattform. Der Konflikt der geforderten Transparenz und der zwangsläufig praktizierten Intransparenz.

Um Informanten zu schützen, muss jede Leaking-Plattform mit einem gewissen Grad der Intransparenz arbeiten. Informationen über Whistleblower sind hochsensibel, ihre Aufdeckung können gravierende Folgen haben, wie der Fall Bradley Manning zeigt. Aber auch mögliche Hinweise auf Art und Umfang noch unveröffentlichter Dokumente oder Standorte von Servern und eingesetzter Technologien können die Arbeit der Leaking-Plattformen gefährden.

Um eine glaubwürdige Auswahl, ein nachvollziehbares Timing der Publikation und vor allem eine breite Veröffentlichung von Whistleblowerdokumenten zu ermöglichen – unabhängig von der Lukrativität ihrer Publikation oder der Gefälligkeit bestimmten Partnern gegenüber – wäre ein transparentes, nachvollziehbares Entscheidungsverfahren der Macher einer Leakingplattform wichtig. Idealerweise könnte ein solches Entscheidungsverfahren von einem pluralen Gremium durchgeführt werden. Was jedoch in der Praxis kaum realisierbar scheint. Wie sollte sich ein solches Gremium zusammensetzen? Etwa Vertreter von Zeitungen und Medienhäusern? Oder Funktionäre des Presserats? Noch besser wären vielleicht Emmissäre unterschiedlicher staatlicher Stellen in Kombination mit Deligierten der Kirchen, Krankenkassen und Gewerkschaften. Cablegate und die War-Logs hätte es nie gegeben. Eine Lösung ist also nicht in Sicht. Und wie schwierig allein die Aufrechterhaltung einer intakten Infrastruktur ist, demonstriert das Beispiel WikiLeaks. Der Upload liegt seit Monaten brach. Trotz aller Erfolge.

Dieses autoritär wirkende Dokument verweist auf eine strenge Hierarchie und ein Business das ziemlich humorfrei funktioniert. Äußerer Druck erzeugt inneren Druck. Es belegt aber vielleicht auch, mit welch harten Bandagen man in den Ring steigen muss, wenn man sich auf der Weltbühne behaupten will.

Update: Im Guardian wird gerade die Echtheit des Dokuments bestätigt.

 

Das Scheitern der Anderen

Der Boom ist unübersehbar. Weltweit findet WikiLeaks Nachahmer. Zuletzt war es das alt-ehrwürdige Wall Street Journal, das stolz den Start des eigenen Leakingangebots Safe House verkündete. Aber die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Wer dem potentiellen Whistleblower bereits in  den AGBs damit droht, Informationen über ihn an Dritte wie zum Beispiel die Polizei weiterzugeben, sollte sich über ausbleibenden Erfolg nicht all zu sehr wundern. Und ist schließlich zum Scheitern verurteilt. Das jedenfalls sagt Patrick Beuth in einem lesenwerten Artikel im Magazin Cicero über die Bemühungen zahlreicher Medien, den Zwischenhändler WikiLeaks mit eigenen Schnittstellen für Whistleblower zu neutralisieren. Aber es sind nicht nur diese strategischen Irrtümer die etliche der Anbieter scheitern lassen werden.

Es sind vor allem technische und rechtliche Aspekte, die große Zweifel aufkommen lassen, ob das Wall Street Journal seine Quellen wirklich schützen kann. Oder will. Schon in den Nutzungsbedingungen von Safehouse steht, man behalte sich das Recht vor, alle Informationen über die Whistleblower ohne weitere Warnung an die Polizei oder an Dritte zu übergeben, wenn es rechtlich geboten sei – oder wenn es nötig ist, um die Rechte des Verlagshauses Dow Jones, in dem das WSJ erscheint, und die Interessen anderer zu schützen. Damit dürften die allermeisten potenziellen Informanten bereits gründlich abgeschreckt sein. Dass die Datenübertragung aus verschiedenen technischen Gründen keineswegs so sicher ist, wie die Zeitung behauptet, macht den Ansatz dann schließlich wertlos.

Vor allem aber beklagt Beuth in seinem Artikel, dass den meisten Akteuren, die jetzt auf den Leaking-Zug aufspringen wollen, der Idealismus fehle. Denn der war es, der den WikiLeaks-Machern wie Julian Assange oder seinem früheren Mitstreiter die Energie gab, mit begrenzten Mitteln eine Whistleblower-Plattform aufzubauen. Was aber noch weit wichtiger war, ist und auch zukünftig sein wird, ist Glaubwürdigkeit. Eine Art Zwillingsschwester des Idealismus. Und diese Glaubwürdigkeit sieht der Autor durch das ungeschickte Agieren zahlreicher Medienhäuser massiv in Frage gestellt. Denn einer der wichtigsten Grundpfeiler von WikiLeaks ist trotz aller strukturell bedingter Intransparenz die Glaubwürdigkeit. Anders als Zeitungsredaktionen hat WikiLeaks zum Beispiel eingegangenes Whistleblowermaterail nie nur zur Komposition eigener Geschichten benutzt, sondern immer auch das Rohmaterial veröffentlicht. Und zwar vollständig.

 

Leaks werden Mainstream

Das Wall Street Journal ist also der erste große Fisch, der den Sprung ins kalte Wasser wagt. Heute startete das amerikanische Medienhaus eine eigene Leakingplattform. Safe House tritt zwar im Look and Feel des Wall Street Journal auf, läuft aber auf eigenen, einbruchsicheren Servern. So heißt es zumindest. Denn ob es einbruchsichere Server überhaupt gibt, ist fraglich. Der Grad der Einbruchsicherheit dürfte mittlerweile wohl eher von der Qualifikation des Einbrechers abhängen. Und von seinen finanziellen Möglichkeiten.
Jedenfalls ist SafeHouse das erste Leakingangebot einer großen Zeitung. Zuvor gab es allerdings bereits vielfältige Starts von Leakingstrukturen wie etwa der Transparency Unit von Al Jazeera, den RadioLeaks in Schweden oder thematisch fokussierte Seiten wie GreenLeaks. Wir sind gespannt wann New York Times, Guardian und deutsche Zeitungen nachziehen.

 

Leaking Transparency

Das war der Titel einer Podiumsdiskussion auf der diesjährigen re:publica. Keine bahnbrechende Debatte, aber ein – zumindest manchmal – unterhaltsames Update der diversen Debatten. Von Datenschutzfragen über Journalismus und Leakingplattformen bis hin zum Verhältnis von Leakingkultur und Open Data Bewegung.

Im Programmheft hieß es:

Whistleblowing ermöglicht Journalisten und Bloggern neue Chancen für ihre investigative publizistische Arbeit, stellt sie aber auch vor neue Herausforderungen. Es werden Informationen verfügbar sein, die es in dieser Vielfalt und Transparenz zuvor nicht gab, zugleich müssen Publizisten diese Informationen prüfen, aufarbeiten und bewerten – ihre klassische Gatekeeper-Funktion wahren –, in Zeiten des Leaking aber ohne Kenntnis über die Identität der Informanten.

Diskutanten waren Daniel Domscheit-Berg, Horst Pöttker, Lutz Hachmeister, Peter Schaar, Jakob Augstein.

 

Kurz und klein (8): Osama, Atomkraft, Urheberrecht

+++Osama+++
Skrupel gibt es keine. Der Erfolg des Tötungskommandos wird bejubelt. Eine Selbstverständlichkeit. Menschenrechte und internationale Gerichtshöfe gehören in manchen Fällen offenbar zur Völkerrechtsfolklore. Mehr nicht. Während wir uns noch etwas verwundert die Augen reiben, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Spitzenpolitiker der sogenannten zivilisierten Welt die gezielte Tötung mit einem Gefühl der Erleichterung empfinden oder von einem Tag der Genugtuung sprechen, berichtet der britische Telegraph, dass der meistgesuchte Terrorist offenbar unter dem Schutz pakistanischer Sicherheitskräfte stand. Immer wenn US-Kommandos ihm zu nahe kamen, scheint der US-Staatsfeind Nummer 1 einen Tipp aus pakistanischen Sicherheitskreisen bekommen zu haben. Das jedenfalls legen US-Botschaftsdepeschen nahe, die WikiLeaks veröffentlichte. Wer solche Freunde im Kampf gegen den Terror hat, braucht keine Feinde.

+++Atomkraft+++
Während sich das Portal für Leaks im Ökobereich, GreenLeaks.com, noch vor wenigen Wochen mit einem Leak zu den juristischen Fragen rund um den Schwenk der Bundesregierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima und dessen Auswirkungen auf das deutsche Wettbewerbsrecht beschränken musste (Stichworte gesetzliche Grundlage, Laufzeitverlängerung), landete die Schweizer WOZ, Die Wochenzeitung, jetzt einen richtigen Coup.
Unter dem Vorwand möglicher Terror- oder Sabotageakte hatten die zuständigen Behörden in der Schweiz, Atomkraftgegnern lange die Einsicht in diverse Akten zu dem umstrittenen Atomkraftwerk Mühleberg verweigert. Nun leakte die WOZ (in etwa die schweizerische Entsprechung der deutschen taz als Wochenzeitung) ihr zugespielte Dokumente (Link zum PDF), die die fragwürdigen Zustände im AKW dokumentieren.

+++Urheberrecht+++
Intellectual Property Action Plan. So nannten einige US-Diplomaten 2007 ein Strategiepapier, mit dem sie die aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustände im Nachbarland Kanada ändern wollten. Es ging um das Urheberrecht und dessen vermeintlich zu nachlässige Handhabung beim nördlichen Nachbarn. In ihren Klagen waren die Diplomaten nicht zimperlich und sorgten schon mal dafür, dass Kanada zwischenzeitlich auf der sogenannten Special 301 Liste landete. Eine Art Achse des Bösen in Sachen Copyright. Das berichtet aktuell Ars Technica und verweist auf diverse frisch publizierte Depeschen durch WikiLeaks.

 

Der Jesus von Guantànamo

Er hat nur eine entfernte Ähnlichkeit. Vollbart und langes Haar. Mehr nicht. Er ist deutlich kräftiger als Jesus von Nazareth. Als bekennender Moslem hat er ein anderes Glaubensbekenntnis. Und er lebt in Bremen, nicht in Palästina. Aber dennoch könnte auch er zur Symbolfigur werden. Mehr noch als er es bereits heute ist.

Der in Bremen geborene Türke Murat Kurnaz saß jahrelang unschuldig in Guantànamo. Sein Sicherheitsstufe war die höchste. Grundlage der Einkerkerung waren fragwürdige Reisebewegungen und Aufenthalte in Pakistan. Im Jahr der al Qaida-Anschläge auf das World Trade Center. Sonst nichts.

Die von der New York Times hervorragend aufbereiteten Guantànamo-Files liefern einen tiefen Einblick in die brüchigen Einschätzungen der Inhaftierten durch den amerikanischen Verfolgungsapparat. Und sie liefern das Anschauungsmaterial für ein in sich selbst zurückgekrümmtes System, bestehend aus Paranoia, Folter und eines gut funktionierenden Selbstbestätigungsmechanismus. Denn die Akte Kurnaz belegt eines eindeutig: Der Verdächtige war ganz offenbar nie mehr als ein Verdächtiger und selbst der Verdacht scheint konstruiert gewesen zu sein. Beweise gab es nicht. Lediglich die Aussage des Mitinhaftierten Mohammed al-Qahtani hatte kurzzeitig den Anschein eines Belegs. In Verhören hatte der ebenfalls inhaftierte Kombattant bestätigt, Murat Kurnaz in Tora Bora 2001 als al Qaida-Kämpfer gesehen zu haben. Doch der Anschein hielt nicht lang. Die Verhörergebnisse waren unter Folter entstanden. Vermutlich hätte Mohammed al-Qahtani auch Prinz Charles oder Lady Gaga in Tora Bora indentifiziert, um sich selbst von Water-Boarding und anderen in Guantànamo üblichen Freizeitbeschäftigungen zu erlösen.

Dass es keinerlei Beweise für eine Verbindung von Murat Kurnaz zur al Qaida gab, stellte die US-Richterin Joyce Hens Green bereit im Januar 2005 fest. Entlassen wurde Kurnaz im August 2006. Auch alle Verfahren deutscher Behörden sind längst eingestellt.

Zwar gab es mittlerweile zahlreiche Medienberichte über die Willkür, mit der amerikanische Behörden, das amerikanische Militär und die amerikanische Gefängnisleitung in Guantànamo vermeintliche Kombattanten inhaftierten und folterten, doch scheint es, als könne die Debatte noch weitere Symbolfiguren brauchen. Denn die Zustände in Guantànamo sind weiterhin unerträglich. Eine Schließung ist nicht absehbar.

Und jeder weitere Tag unterminiert die Glaubwürdigkeit der USA und des gesamten Westens weiter. Natürlich geht es in erster Linie um die Wiederherstellung der Menschenwürde grundlos Inhaftierter. Aber auch aus politischem Eigennutz müssen sich die Regierungen des Westens endlich noch deutlicher und noch lauter bei Obama für die Schließung des Guantànamos einzusetzen.

Amen.

 

Das letzte Lebenszeichen? WikiLeaks und die Guantànamo-Files

Totgesagte leben länger. Angeblich. WikiLeaks jedenfalls hat sich mit einem Lebenszeichen der heftigeren Art zurückgemeldet. Die gerade veröffentlichten Guantànamo-Dokumente sind jedenfalls der berühmte Paukenschlag, mit dem nicht mehr jeder Beobachter der Szene gerechnet hatte. Die Wucht der Veröffentlichung reicht zwar nicht an die Beben heran, die die War-Logs und die US-Botschaftsdepeschen auslösten, aber sie treffen die amerikanische Administration empfindlich. Unschuldige und Kinder sollen im Militärgefängnis gesessen haben. Mit Wissen der Militärs. Der Druck auf Präsident Obama, sein Wahlversprechen, die Schließung Guantànamos doch noch zu halten, wird wieder wachsen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig. Und es ist ein Verdienst von WikiLeaks. Auch wenn WikiLeaks offenbar nicht ganz Herr der Lage war in den letzten Tagen. Denn die Veröffentlichung der Guantànamo-Dokumente durch die New York Times und den Guardian war nicht geplant. Jedenfalls beschuldigte WikiLeaks Daniel Domscheit-Berg, den WikiLeaks-Dissidenten und OpenLeaks-Gründer, gestern via Twitter, unbefugterweise Dokumente an die New York Times weitergegeben zu haben.

Aber trotz aller Unfreiwilligkeit, mit der WikiLeaks und Partner jetzt mit ihren Auswertungen der Dokumente an die Öffentlichkeit gehen mussten: WikiLeaks ist wieder in den Medien. Weltweit. Die Washington Post berichtet in ihren Auswertungen über die Strategien der Strategen des 11. September, der Guardian mahnt zur Skepsis und verweist darauf, dass viele Verhörergebnisse unter folterartigen Bedingungen entstanden sind, dass ein Verdächtiger auch schon mal für den britischen MI6 gearbeitet hatte und dass es nur eines verdammt schlechten Timings bedurfte, um schon mal als Terrorverdächtiger in Guantànamo zu landen. The Australian erklärt uns mal ganz nebenbei, dass al-Qaida eigentlich auch einen nuklearen Höllensturm zu entfesseln gedachte. Die New York Times beschäftigt sich mit den Konjunkturverläufen des Terrors nach den Attacken vom 11. September 2001. Alle sind sie wieder da. Und profitieren mit Seite-Eins-Geschichten von der Existenz der Leaking-Plattform.

Die Artikel sprechen vom Terror, von der schwer kalkulierbaren Größe al-Qaida, von der kompromittierten amerikanischen Regierung, und immer auch von WikiLeaks. Die Leaking-Plattform hat es wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Trotz defekter Leaking-Infrastruktur (denn der Uploadmechanismus liegt seit Monaten brach), trotz vielfacher Abgesänge, trotz wachsender Konkurrenz. Und sie hat demonstriert, wie wichtig das Leaken kritischer Dokumente ist. Denn jetzt besteht zum Beispiel wieder Hoffnung, dass die amerikanische Administration Guantànamo doch noch schließen wird und in absehbarer Zeit gezwungen ist, diesen finsteren Teil ihrer Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Die Bedeutung des Leakens jedenfalls ist ein weiteres Mal sichtbar geworden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht der letzte Coup war.

 

Existenzängste, Kasernenhöfe und die Stasiakte von Angela Merkel

Der Streit war spektakulär. Daniel Domscheit-Berg, die mutmaßliche Nummer 2 bei WikiLeaks, brach Ende letzten Jahres öffentlich mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange.
Was folgte, war die Ankündigung einer neuen Leakingplattform: OpenLeaks.org. Die Ankündigung ist mittlerweile alt geworden. Aber OpenLeaks.org ist im Netz bisher nicht mehr als eine schlichte digitale Visitenkarte. Ein Interview mit Daniel Domscheit-Berg über die Schwierigkeiten beim Neustart, die Psyche von Julian Assange, persönliche Exitenzängste und die Stasiakte von Angela Merkel.

Leaks-Blog:
Ihr Buch trägt den Untertitel „Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“. Was waren denn die Momente der Angst?

Daniel Domscheit-Berg:
Dieser Untertitel ist eigentlich ein Wortspiel, weil er auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Ist eine offene Frage, die ich stelle. Für wen ist das eigentlich die gefährlichste Website der Welt? Für die, die exponiert werden? Für die die beteiligt sind oder vielleicht auch die, die Materialien dort abgeben?
Ich persönlich hatte nicht viele Momente, in denen ich mich bedroht gefühlt habe. Und die Bedrohung kam dann, wenn überhaupt, aus den eigenen Reihen. Da habe ich mich natürlich schon gefragt, auf was habe ich mich hier eingelassen?

LB:
Wie sah eine solche Bedrohungen aus den eigenen Reihen aus?

DDB:
Die beginnt damit, dass man in dem Moment, in dem man vermeintlich aus der Spur schießt, mit der Polizei bedroht wird. Was natürlich keine besonders vertrauensvolle Grundlage für eine Zusammenarbeit ist.

LB:
Was heißt denn aus der Spur schießen? Gab es bei WikiLeaks etwa ein Kasernenhofreglement, das vorsah, wann wer was wie zu tun hatte?

DDB:
Es gab von Julian Assange aus zumindest eine sehr klar definierte Hackordnung, die sich danach richtet, wer wem überlegen ist. Und er ist da an der Spitze. Weil er erfahrener ist als alle anderen und intelligenter. Und er fühlt sich aus diesen Gründen auch immun gegenüber der Kritik anderer. Ist natürlich keine gute Basis. Das ist dann irgendwas zwischen Kasernenhof und Sekte.

LB:
Wie fällt, in aller Kürze, aus Ihrer Sicht, die Charakterisierung von Julian Assange aus?

DDB:
In aller Kürze: Er ist ein Mensch der Extreme. Extrem positive Eigenschaften. Hochintelligent, einer sehr systemischer Denker. Auf der anderen Seite hat er Extreme Schwächen. Zum Beispiel was das Zwischenmenschliche betrifft.

LB:
Viele werfen Ihnen vor, Sie seien nur neidisch auf den enormen Erfolg von Julian Assange.

DDB:
Ich bin eigentlich froh, wenn ich nicht so oft in den Medien präsent bin. Es lässt sich nicht vermeiden, da das was wir tun, eine Relevanz für die Medien hat. Aber ich kann mit tausend andere Dinge vorstellen, die wichtiger sind.

LB:
WikiLeaks ist zwar noch in allen Medien präsent, aber es passiert ziemlich wenig. Zumindest was neue Leaks angeht. Rechnen Sie mit einem Comeback von WikiLeaks?

DDB:
Tja, das ist eine schwierige Frage. Es scheint momentan ziemlich viel um Ankündigungen zu gehen. Es gibt ja viele Drohungen, die ausgesprochen werden. Gegenüber amerikanischen Banken oder dem Murdoch Empire. Aber es passiert halt nichts. Warum nichts passiert, weiß ich nicht. Ich habe zu niemandem mehr Kontakt. Aber ich glaube, man hat sich mit den letzten Veröffentlichungen etwas übernommen. Die Frage ist, was kann da noch kommen? Nach Weltrekorden und so viel Aufmerksamkeit. Interessiert sich da eigentlich noch jemand für die kleinen Geschichten?

LB:
Jetzt haben Sie ja auch bereits vor Monaten den Start von OpenLeaks in Aussicht gestellt. Zwischenzeitlich wurden ja sogar die Screens ihrer Seite geleakt. Auch da passiert nichts.

DDB:
Ich bin manchmal wohl etwas zu optimistisch und habe Dinge in Aussicht gestellt, die wir so nicht halten konnten. Uns ist es wichtig, die Dinge richtig zu machen. Und gerade wenn man einen neuen Ansatz verfolgt, ist es nicht so einfach die Dinge richtig zu machen. Der neue Ansatz ist nicht ganz so trivial umzusetzen. Das braucht einfach Zeit. Es passiert viel. Vor allem im Hintergrund. Auch wenn man das nicht sieht. Ich hoffe, dass jetzt auch in den nächsten Wochen dazu was sichtbar wird. Wir sind dran!

LB:
OpenLeaks hat kein konventionelles Geschäftsmodell. Die Leaks sollen nicht monetarisiert werden. Da fragt man sich, wie soll sich das tragen? Wie trägt es sich aktuell. Bei so einer langen Entwicklungsphase. Wovon leben Sie?

DDB:
Es ist so, wie es auch jahrelang bei WikiLeaks war. Momentan wird alles aus unseren privaten Taschen finanziert. Es gab über den Spendendienst flattr 600 Euro, es gab 1500 Euro in Form von Geldspenden. Aber das ist natürlich nicht besonders viel Geld.

LB:
Wie groß ist denn das Team von OpenLeaks momentan?

DDB:
Wir sind fünf, sechs Leute, die momentan quasi Vollzeit daran arbeiten. Und insgesamt sind wir 12 oder 13.

LB:
Haben Sie da keine Existenzängste? Da investieren Sie über Monate Arbeit in ein Projekt, das nicht einmal ein Geschäftsmodell hat? Wie machen Sie das? Was sagt denn da eigentlich Ihre Familie?

DDB:
Wir haben ein Geschäftsmodell. Wir haben eine Idee, wie das alles finanziert werden soll. Die Partner werden ja auch dazu angehalten, unsere operativen Kosten zu senken. Damit kommt es zu weniger Kosten, für die ich jetzt ein Risiko eingehen müsste. Uns geht es zum Beispiel um Serverkapazitäten die Sie als Partner bereitstellen müssten, wenn Sie mitmachen wollten.

LB:
Und was ist mit den Existenzängsten?

DDB:
Nein, habe ich eigentlich nicht. Ich habe schon immer ohne große Sicherheiten geplant. Ich habe immer versucht, das zu machen, von dem ich überzeugt war, dass es richtig ist. Auch wenn das immer ein gewisses Risiko mit sich bringt. Und bei dem, was wir momentan aufbauen, habe ich wesentlich weniger Bedenken, als ich bei WikiLeaks hatte. Wir haben einen ganz klaren Plan. Ich bin sicher, dass das funktioniert. Da habe ich keine Existenzängste. Ganz im Gegenteil.

LB:
Ihre Familie macht da auch einfach mit?

DDB:
Auch meine Familie steht voll hinter mir. Meine Frau hat mich lange gestützt. Da habe ich das Glück, dass sie alle voll hinter mir stehen.

LB:
Zum Schluss ein Blick nach vorn. Es kommen immer mehr Leakingportale auf. Ist das für Sie Konkurrenz oder sagen Sie, ja das genau ist es. Es braucht mehr Portale die ins Lokale, Regionale gehen oder sich thematisch spezialisieren?

DDB:
Wir müssen möglichst viele Lösungen entwickeln. Es ist wie so oft, wir brauchen Vielfalt.

LB:
Gibt es eigentlich irgendein Geheimnis, dass Sie unbedingt mal lüften wollen?

DDB:
Da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte.

LB:
Drei reichen.

DDB:
Es gibt extrem viel. Gerade was die Umweltthemen angeht. Hier bedarf es extremer Transparenz. Gerade was die wirtschaftlichen Zahlen angeht.
Es gibt ganz profane Dinge, wie zum Beispiel die Stasiakte von Frau Merkel. Ich bin davon überzeugt, dass sie öffentlich sein sollte. Das widerspricht sich. Wir schenken dieser Person viel Vertrauen, aber wissen nichts über diesen Teil ihrer Vergangenheit.

 

Die Allesfresser

Dass sie skrupulös sind, kann man ihnen nicht vorwerfen. Beim besten Willen nicht. Die Macher des amerikanischen Fernsehphänomens Fox-News nutzen alles, was ihnen und ihrer Mission hilft. Und diese Mission kennt nur ein Ziel. Den Angriff auf die liberale Regierung. Frontal, tendenziös, brutal, ehrlich. Hierzulande gibt es noch keinen Begriff, für diese Art des Informationstransports. Dort nennt man es Nachrichten. Und Fox-News nennt sich Nachrichtenkanal. Ganz ungeniert. Andere sprechen allerdings eher von der dunklen Seite der Comedy.

Im aktuellen Fall geht es um gerade veröffentlichten US-Depeschen der Botschaft in Damaskus. Wie die Washington Post berichtete, wurden ihr von WikiLeaks Botschaftsdepeschen aus Syrien zugespielt, die klar belegen, dass die US-Regierung seit Jahren Oppositionsgruppen in Syrien unterstützt. Das Groteske an dem Vorgang ist nun nicht, dass die US-Regierung die Versuche leugnet, auf diesem Weg die syrische Regierung stürzen zu wollen. Das Groteske ist, dass der vermeintliche Nachrichtensender Fox-News WikiLeaks zum Kronzeugen gegen die Regierung macht. Jenes Portal namens WikiLeaks, dessen Gründer man vor Kurzem noch zum Teufel, oder genauer gesagt zum Henker jagen wollte.

P.S.: Man weiß übrigens nicht ob es Ironie, Sarkasmus oder Naivität ist, aber WikiLeaks selbst macht das Ganze via Twitter auch noch zur eigenen Angelegenheit

 

Daniel Domscheit-Berg und OpenLeaks auf der re:publica – live!

Der Streit ist mittlerweile alt geworden. Aber er ist weiterhin heftig. Welche Rolle hatte Daniel Domscheit-Berg bei WikiLeaks. Bloggen heute live Domscheit-Bergs Vortrag auf der re:publica.

Daniel Domscheit Berg spricht zu Beginn über das enorme Potential des digitalen Whistleblowings. Vor allem betont er, geht es für zukünftige Leakingplattformen nicht um die Majorprojekte, wie beispielsweise Cablegate, sondern um die vielen eher kleinen Themen die geleakt werden könnten/sollten.

Aus DDBs Sicht ist der Kontext von geleaktem Material enorm bedeutsam. Er nennt es das „Exklusivitäts-Dilemma“. Was kann eine Whistleblowingorganisation mit Material anfangen, das sie zwar exklusiv besitzt, aber evtl. nicht in die adäquaten Informationszusammenhänge setzen kann. Eines der zentralen Motive, warum OpenLeaks mit Partnerorganisationen aus den Bereichen Presse und NGO zusammenarbeiten wird.

Eine der größten Gefahren für Leakingplattformen ist die entstehende Macht, wenn brisantes Material eingeht. Macht korrumpiert. Offenbar eine klare Anspielung auf WikiLeaks und Julian Assange. Deshalb planen DDB und die Macher von OpenLeaks ihr neues Angebot als reinen Service. Eine Publikationsplattform, keine hochdotierten Exklusivverträge. Reine Leaking-Dienstleistung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was ist das Ziel von OpenLeaks? Eine stabile und vor allem absolut sichere Technologie, so DDB weiter. Diese Technologie sollte für alle denkbaren Partner zugänglich sein. Auch wenn man in der öffentlichen Alphaphase demnächst erstmal mit 6 Partnern starten wird.

Besonders wichtig ist DDB der Hinweis auf die geplante Vermeidung jeder finanziellen Diskriminierung zukünftiger Partner. Die Plattform soll für alle denkbaren Partner aus den Bereichen Medien, NGO oder Gewerkschaften offen sein. Es soll definitiv keine Monetarisierung von Leaks geben. OpenLeaks hat kein eigenes Geschäftsmodell.

Whistleblower können auf OpenLeaks zukünftig Dokumente zwei Wochen exklusiv an einen der akkreditierten Partner richten. Danach gehen die Dokumente in jedem Fall als Rohmaterial in die Community. Auch wenn der Partner das Material zwischenzeitlich publiziert hat.

Knowledge soll geteilt werden! Andere Leakingportale wie Greenleaks etc. (siehe Übersicht) sollen von den Erfahrungen profitieren können.

Jeder Partner bekommt zukünftig eine eigene, gebrandete Partnerseite. So kann er auf seiner jeweiligen Seite im Look seiner Marke Leakingschnittstellen einrichten. Diese Schnittstellen funktionieren im weitesten Sinne wie OpenLeaks-Widgets. Auch werden Partnern auf OpenLeaks zukünftig  Werkzeuge zur unmittelbaren Auswertung der geleakten Dokumente zur Verfügung gestellt. Auch Interaktionen zwischen Partnerorganisationen werden möglich sein. So könnte sich eine NGO mit regionalem Tätigkeitsschwerpunkt an ein dort tätiges Medium wenden.

Um eine möglichst große Gruppe von Usern zu erreichen wird es verschiedene „User-Rollen“ geben. Partnerorganisationen werden in der Regel einen Read/Write-Status erhalten. Für weitere User wird es aber auch einen Read-Only-Status geben.

Mittelfristiges Ziel von OpenLeaks ist es, mit mind. 100 Organisation zu kooperieren. Die Partnerorganisation sollen sich 50:50 aus NGOs and Medienpartnern zusammensetzen.

Der aktuelle Status quo ist allerdings etwas bescheidener. In Kürze wird eine öffentliche Alphaversion mit 6 Partnern online gehen.

User sollen zukünftig auch voten können, um der Plattform so weitere vertrauenswürdige Organisationen zu empfehlen.

Die wichtigste News zum Schluss: DDB will sich für die Einrichtung einer Stiftung stark machen, die Whistleblowing in Deutschland stärkt.

Und er will kein Gelübde für einen definitiven Starttermin abgeben. Sie sind sehr beschäftigt, sagt DDB. Wir sind gespannt. Die Erwartungen sind hoch!