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16. August 2018 – Ausgabe 34

 

Leserbrief zu „Brauchen wir eine linke Sammlungsbewegung?“ von Colin Crouch

Ich stimme Ihrer These zu. Und: Es wird nicht zu einer Sammlung, sondern zu einer weiteren Spaltung der demokratischen Parteien aus dem eher linken Spektrum kommen: Zusätzlich zu SPD, Grünen und Linkspartei pur gibt es dann noch die sogenannte Sammlungsbewegung. Diese wird auch noch einige Sektierer anziehen, die, wie üblich, die Gutwilligen rasch vergraulen werden. – Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann


Leserbrief zu „Ostdeutsche Linke sind offen für eine Zusammenarbeit mit der CDU“ von Robert Pausch

Herr Günther hat vermutlich – wie auch ich – kaum irgendwelche Sympathien für die Linkspartei. Fast drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer kann man aber wohl davon ausgehen, dass der Einfluss derjenigen, die maßgeblich und aktiv am DDR-Unrecht beteiligt waren, auch in dieser Partei schon aus Altersgründen nicht mehr besonders groß ist. Daher sollte man sich, bevor man Günthers Vorschlag reflexartig verurteilt, an die Zeit vor der Bildung der ersten Großen Koalition im Jahre 1966 erinnern und an die Diskussionen, die seinerzeit darüber geführt wurden: Koalieren mit Herbert Wehner, dem Ex-Kommunisten? Mit Willy Brandt, dem Emigranten, auch als Verräter tituliert, unehelich als Herbert Frahm geboren? Oder, von der anderen Seite, in ein Kabinett unter dem Ex-Nazi Kiesinger eintreten? Nebenbei: Die Regierung Kiesinger/Brandt war eine der besten, die wir je hatten. – Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

Meinen Glückwunsch, jetzt haben Sie es auch erkannt : die einzige Lösung des Drogen-Problems ist die Legalisierung ALLER Drogen.Dass es nicht möglich ist, Drogen zu beseitigen ist ja offensichtlich.Ohne Verbot wäre die Situation wie beim Alkohol : nicht unproblematisch aber kontrollierbar und beherrschbar.Es gäbe natürlich ein Verbot für Jugendliche und im Strassenverkehr (was sich auch kontrollieren lässt).Drogen würden billig, also entfiele das Interesse der kriminellen Gangs.Das würde auch dazu führen, dass nicht immer die zerstörerischten Drogen konsumiert würden : also Kokain(ja!) statt Crack oder Crystal; Heroin in reiner Form (an sich weniger gefährlich als Alkohol) geraucht und nicht gespritzt.Drogenabhängige könnten, wenn sie denn wollen, auch leichter aus der Droge aussteigen. Zum Schluss noch zwei Bemerkungen : 1.Grundsätzlich kann nur verboten werden, einem Anderen Schaden zuzufügen.Sich selber zu schaden ist doch grundsätzlich erlaubt! 2.Meines Wissens wurde in den USA während der Prohibition mehr Alkohol konsumiert als davor und danach. – Jürgen Elsner


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Die Einflussmöglichkeiten, die das Priestertum und die Psychologie versprechen, locken naturgemäß Menschen, die einen starken Drang zum Manipulieren ihrer Mitmenschen verspüren. Nicht umsonst hat der genialste Manipulator der Gegenwart zunächst Psychologie studiert. Mark Zuckerberg. – Stephan Hasse


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Ich danke den Autoren für Ihren vorzüglichen Bericht. Sein Inhalt überrascht micht nicht – weder was das Verhalten des Herrn Dr. med. Hermann F. anbelangt noch das ihn schützende System. Widerspruch erhebe ich allerdings dagegen, dass Psycholog(inn)en mit analytischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut(inn)en verwechselt bzw. in einen Topf geworfen werden. In den Sätzen: Fürchtet man einen Skandal, der die gesamte Psychologen-Zunft nicht gut aussehen lassen würde?“ und „…so wie auch die Emanzipation der Heidelberger Psychologenszene von F. ein schmerzvoller Prozess war und ist“. Fakten sind: 1. Die Ausbildung in analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie liegt (nicht nur in Heidelberg) zumeist in den Händen von Ärzten. 2. Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen haben (in ganz Deutschland) nur in Ausnahmefällen den Zugangsberuf „Diplom-Psychologin“. Ihre zitierten Ausführungen sind für Psycholog(inn)en, die diese Berufsbezeichnung hierzulande zu Recht alleine führen dürfen, eine blanke Beleidigung. – Hans-Peter Heekerens


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

Endlich! Eine Stimme der Vernunft. Bravo! – Prof. Dr. Erwin Leibfried


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Euer Artikel über das kranke System des Dr. F. verschafft einem Täter eine Plattform. Toll, aber nicht mein Bier. ^^ Lasst euch gesagt sein, dass in Heidelberg noch viel mehr im Argen liegt. So wurde z.B. eine befreundete MS-Patientin (an den Rollstuhl gebunden) wurde vom zuständigen Physio belästigt / gestalked / beinahe terrorisiert. Und sie ist bestimmt kein Einzelfall. Wollte euch nur für den Artikel danken, der meinen Warnungen vor Heidelberg nun, auch wenn bereits verjährt,  neue Grundlagen liefert. Zuletzt wurde dort ja auch vor Methadon und Cannabis in der Krebstherapie gewarnt / davon abgeraten. – Erik


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

Ausgezeichnet, Frau Ceballos Betancur – Sie treffen genau den richtigen Punkt! Ihren Beitrag hätte ich mir allerdings als Leitartikel auf der 1. Seite gewünscht, anstatt ihn ganz hinten im Blatt zu „verstecken“. Ich habe in den Hochzeiten des Terrors 1986 bis 1990 für eine politische Stiftung in Kolumbien gearbeitet und auch Projekte in Medellin und Cali durchgeführt und kann deshalb die dargestellte Problematik umfänglich bestätigen – dass ich da unversehrt heraus kam, finde ich im Nachhinein verwunderlich. Allerdings stellt sich die Frage, wie man diese Situation drehen kann –  bereits seit Anfang der 90er Jahre haben namhafte kolumbianische und internationale Journalisten (u.a. Daniel Samper) und  couragierte Politiker genau diese Argumentation präsentiert, geschehen ist seither absolut nichts – so ist zu befürchten, dass auch Ihr sehr lobenswerter Beitrag in der Kiste des Vergessens verschwinden wird. Einen  Punkt habe ich jedoch vermisst, und zwar die Nennung eines der zentralen Übeltäter: die USA, die zweifellos mit ihrer Macht des Diktates diese Politik zu verantworten haben – realistischerweise ist gegen diesen übermächtigen Akteur kaum eine Lösung ersichtlich und da bewegt sich nichts. Es wird also weiterhin Opfer in grosser Zahl in den Ländern des Anbaus und Handels geben – alleine in Mexiko halb so viele wie im Syrischen Bürgerkrieg und kein Schwein juckts! – Willi Haan


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Als eine mögliche Grundlage für die von Ihnen gewünschte Diskussion über Ihren tapferen Versuch, einen Bildungskanon zu erstellen, empfehle ich: Schwanitz, Dietrich: Bildung. Alles, was man wissen muss. Frankfurt a.M. 1999. Wenn Sie umfassendere Anworten zu den Fragen an Prof. Tenorth suchen, lesen Sie am besten: Dolch, Josef: Lehrplan des Abendlandes. Ratingen 1959. Das Buch ist zwar längst vergriffen, müsste aber in Fachbibliotheken noch zu finden sein. Die Erkenntnis „Wissen ist Macht“ geht auf den Staatsmann und Gelehrten Francis Bacon von Verulam (1561 – 1626) zurück. Aber das wissen Sie sicher. Ich wünsche Ihnen einen umfangreichen Schriftwechsel. Das ist die „Sache“ wert. – Dr. Ute Götz-Henrich


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Ich persönlich finde die Aussagen des Philosophen Valentin Beck wenig hilfreich, denn wenn ich persönlich nicht dazu bereit bin, mich einzuschränken (Verzicht auf Autofahrten, Flugreisen, Fleisch …), werde ich keine Partei wählen bzw. unterstützen, die mich dann dazu zwingt (direkt durch Verbot oder indirekt durch Einführung einer CO2-Steuer). Für mich ist der Hinweis, dass „man die Welt politisch verändern soll, denn dann wird der Einzelne entlastet“, eine gefährliche „Beruhigungspille“, denn mit dieser Aussage wird der Einzelne davor bewahrt, selber eine Entscheidung treffen zu müssen, weil das Problem der Entscheidung an die Politik delegiert wurde, die aufgrund des am Anfang gesagten keine Verzichtsentscheidung treffen wird. Die Aussage am Ende „Geniessen ist nicht unmoralisch“ ist gefährlich, denn wer definiert „geniessen“ ? Für den Einen ist geniessen das Betrachten eines schönen Sonnenuntergang, für den Anderen das Essen eines T-Bonesteaks aus Argentinien, wobei unzweifelhaft sein dürfte, dass letzteres die Welt mehr belastet als ersteres. Wir leben nicht alleine auf der Erde; wir haben auch Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, deren Leben wir durch unseren Lebensstil im reichen Westen belasten bzw. gefährden. – Erich Würth


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

„Um die Welt zu bestehen“, muss mensch unbedingt Antoine de Saint-Exupéry gelesen haben! Denn ansonsten wüsste mensch nicht: Man sieht nur mit dem Herzen gut! „On ne voit bien qu`avec le coeur.“ Klar ist es notwendig, den Verstand anzusprechen. Aber Herz und Emotionen sind meines Erachtens notwendige Ergänzungen oder sogar ein Ursprung des Wissens!? Hat nicht die Phantasie Albert Einsteins unser Wissen angeregt? Eine Phantasie, die den kleinen Prinzen im gezeichneten Karton das Schaf entdecken ließ? Der französische Text würde auch noch an das Original heranführen – deutsch-französische Freundschaft? Wer nicht lesen mag, kann Hörbuch hören, ob Will Quadflieg, Ulrich Mühe oder auch im Original „Lu par Bernard Giraudeau“. – Reinhard Kniepkamp


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Beim Lesen dieses interessanten Beitrags werden Gedanken reanimiert, die mir vor Ort, insbesondere in Schwarzafrika, bereits zu Zeiten der Dekolonisation, grosse Sorgen bereiteten. Dass in den damaligen Kolonien grundsätzlich Unabhängigkeitsbestrebungen entstanden, war auch zu einem gewissen Teil der Ausbildung von ausgesuchten afrikanischen Eliten an  europäischen Universitäten zuzuschreiben, die nach Abschluss des geförderten Studiums, bei ihrer Rückkehr nach Afrika sich in ihren Massanzügen entwurzelt bzw. fremd fühlten. Was in dem Beitrag und vielen anderen jedoch nicht erwähnt wird, ist der grosse Einfluss, den die zur damaligen  Zeit aus Russland  exportierten kommunistischen/sozialistischen Ideen auf diese Unabhängigkeitsbewegungen ausübten. Überall fassten diesselben Fuss, ich erinner nur daran, das sich Robert Mugabe „Comrade“ nannte, was zu beispielgebend für das ganze Land wurde. Comrade war die gezielte,  für dortige Verhältnisse wirksame  Übersetzung von „Genosse“. Die lokalen Freiheitsbestrebungen wurden von den Kolonialherren mit grossem Misstrauen behandelt und führten aus Angst vor der sogenannten Nacht der langen Messser zu voreiligen  Massnahmen zwecks Realisierung der Selbständigkeit, trotz erheblicher Bedenken, ob die einzelnen Kolonien  bereits dafür reif  waren. Eigentlich sollte daher bei der Unterbringung der Flüchtlinge auch Russland in die Pflicht genommen werden, wo genügend Platz vorhanden ist.  Jedoch allein die Aussicht, in Russland unterzukommen, würde schon für einen beträchtlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen sorgen. – Erik Menges


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Einen Kanon zu erstellen ist ein Versuch und eine Versuchung, das Nicht-Normierbare zu normieren, was für mich als Zugewanderten fast klischehaft deutsch klingt, und somit „kanonwürdig“ an sich. Der Autor weißt um Subjektivität seines Vorhabens und die Feststellung, dass in seinem Kanon fast nur „tote weiße Männer“ Platz nehmen, verleiht dem Ganzen gewisse Leichtigkeit. Doch dieser Kanon ist nicht nur subjektiv in der Substanz, auch subjektiv bezüglich Zielgruppe. Und dabei meine ich weder deutsch noch männlich sondern: mathematik- und physikfern. Einerseits Ulysses, bei dem die allermeisten aussteigen ehe die Seitenzahlen vierstellig werden, andererseits die „Sendung mit der Maus“ zur Erklärung zweier Antriebstechnologien, die in Standardwerken vorkommen und Relevanz auch jenseits des Vorschulalters haben dürften. Auch die Aufnahme von Computerspielen ins Programm klingt infantil, so als würde sich Programmierkunst in profanen Spielen am besten manifestieren (wie jedes Handwerk kann man auch das Programmieren „schön“, ja künstlerich ausüben – siehe ZKM in Karlsruhe). In meinem Kanon gäbe es eher Proakis mit seinem Standardwerk über digitale Kommunikation oder ein Buch, in dem das Phänomen Blockchain erklärt wird. Und vielleicht sogar die „Sendung mit der Maus“, aber eben als Kultsendung und kein Kanonwerk der modernen Physik. – Dr. Piotr Rykaczewski


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Seit ich DIE ZEIT lese, habe ich noch nie eine Person derartig blasiert und arrogant erlebt, wie den Interviewten im genannten Beitrag. Ich empfinde es als Unverschämtheit und Unterstellung, wenn Herr Noak ungeprüft für alle Ostdeutschen behauptet: „Das große Streiten, das schmerzhafte Nachfragen, das gab es im Osten bislang nicht.“ Woher nimmt er diese Selbstgefälligkeit? Für meine Familie, meinen Freundeskreis, für mich kann ich feststellen, dass wir seit fast 30 Jahren teilweise sehr schmerzhaften Streitgesprächen nicht aus dem Weg gegangen sind. Herr Noak definiert als „Widerspruch des Ostens“: „Mich ermutigen meine Eltern, zu gehen. Aber selber wollten sie dort gerne bleiben.“ Sollten wir etwa alle gehen? Ich lebe (gern!) in der strukurschwachen Region des Erzgebirges; es mangelt an allen Ecken und Enden mit Fachkräften; freiwerdende Haus- und Facharztstellen können können nicht besetzt werden … Wenn ich die praktische Realität in meinem Umfeld betrachte, fehlen mir für die Einlassungen des Herrn Noak einfach die Worte. Sehr geehrter Herr Noak: Ihnen ist als zukünfiger Psychoanalytiker eine grundlegende therapeutische Implikation im Umgang mit Ihren Patienten/Klienten bekannt: „die freischwebende Aufmerksamkeit“. Diese  Haltung lassen Sie allerdings in dem mit Ihnen geführten Interview vollständig vermissen. – Dr. Wilfried Kunz


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Die Lektüre dieses Artikels über die  Aktivitäten des Arztes Dr. F.  raubt einem den Atem. Dr. Jekill und Mr. Hyde nicht nur in einem Roman, sondern auch in der Realität? Im Mekka der Psychotherapie in Heidelberg? Das Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie ist nun der Öffentlichkeit gegenüber schuldig, darüber eine Erklärung abzugeben, wie die Kontrollinstanzen versagt haben. – Dr. Lothar Schattenburg


Leserbrief zu „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sibylla Lotter

Ihre  kluge und sehr überzeugende Autorin bringt eingangs zur Abwehr unserer Selbstvorwürfe bezüglich einer Mitschuld auch an den heutigen Übeln in ehemaligen Kolonien eine nur scheinbar abstruse Analogie: „nach dieser Logik könnte (…)  jemand argumentieren, dass Hitler ohne den Versailler Vertrag wohl kaum an die Macht gekommen wäre und daher die Siegermächte des 1. Weltkrieges schuld an den Nazigräueln gewesen seien.“ Bevor nun reflexartig das Leserurteil „Was für ein Irrsinn!“ diese Idee abtut, sollte man innehalten und ganz schnell einmal das immer noch tabuisierte kurze Kapitel „Die Schuld der anderen“ in der zu selten zitierten Schrift „Die Schuldfrage“ des doch unverdächtigen Karl Jaspers von 1946 nachlesen. Dort  nämlich befindet der Philosoph in der Tat die Versailler Mächte am Zustandekommen und den grauenhaften Folgen der Hitler-Diktatur für mitschuldig. Hier zum Beleg ein längeres Zitat: „England, Frankreich, Amerika waren die Siegermächte von 1918. In ihren Händen, nicht in denen der Besiegten, lag der Gang der Weltgeschichte. Der Sieger übernimmt eine Verantwortung , die nur er hat, oder er entzieht sich ihr. Und wenn er es tut, ist seine geschichtliche Schuld offenbar. Dieses Nichthandeln nun ist ein Vorwurf gegen die Siegermächte, der uns allerdings von keiner Schuld befreit. Man kann dies weiter erörtern unter Hinweis auf den Friedensvertrag von Versailles und seine Folgen, dann auf das Hineingleiten Deutschlands in den Zustand, der den Nationalsozialismus hervortrieb. (…) Es gibt nicht nur staatsbürgerliche , sondern auch europäische und menschheitliche Solidarität. Ob berechtigt oder unberechtigt, wir haben, als die Tür des Zuchthauses Deutschland zugeschlagen war, auf europäische Solidarität gehofft. Noch ahnten wir nicht die letzten grauenhaften Folgen und Verbrechen. Aber wir sahen den radikalen Verlust der Freiheit. Wir wussten, dass damit der Willkür der Machthaber Raum gegeben sei. (…) Gewiß war es unser aller Mitschuld in Deutschland, dass wir in diesen politischen Zustand hineingeraten waren, dass wir unsere Freiheit verloren hatten und unter der Despotie kulturloser, roher Menschen leben mussten. Aber wir durften zugleich zur Entlastung uns sagen, dass wir einer Kombination von verschleierten Rechtsbrüchen und Gewaltakten zum Opfer gefallen waren. Wie im Staat der durch Verbrechen Verletzte vermöge der Staatsordnung sein Recht erhält, so hofften wir, dass eine europäische Ordnung solche Staatsverbrechen nicht zulassen würde.“ Der polnische Staatschef Pilsudski forderte übrigens gleich 1933 Frankreich zur gemeinsamen Besetzung Hitler-Deutschlands auf, was von Daladier mit Hinweis auf die dazu nicht bereiten Franzosen abgelehnt wurde. Nun hat aber Goebbels 1940 einen solchen „Einmarsch“ sarkastisch für völlig natürlich erklärt, denn er als französischer Premier hätte einen Mannfür  (also Hitler) auf keinen Fall als deutschen Kanzler hingenommen, der „Mein Kampf“ geschrieben hatte (mit den bekannten heftigen Anfeindungen gegen die Franzosen) , sondern wäre notfalls „marschiert“. Nun habe man die Nazis aber so lange gewähren lassen, bis sie zu siegreichem Krieg stärker als der Feind gerüstet gewesen seien. – Guido Kohlbecher


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Die Kolonial-Politik existiert weiter, nur heute subtiler – wirtschaftlich : Mit EU-subventionierten Gütern zerstört man die nationalen Wirtschaften der afrikanischen Länder. – Henning Dörpholz


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Mich beschleicht ein sonderbares Gefühl, nachdem ich Ihr Dossier gelesen habe. Welche Rolle spielen Sie in dem Gespräch mit F., was er im Vorfeld bei Ihrer Anfrage abgelehnt hatte? Geht es Ihnen um Aufklärung oder um eine Monstergeschichte, weil das gerade in der Öffentlichkeit so gut ankommt?! Da zitieren Sie für mich genüßlich am Schluß Ihres Artikels aus F.’s Tagebuch: „Was für eine Zeitverschwendung, sich mit Frauen zu unterhalten, ich will mit ihnen ins Bett, nichts sonst.“ – auf einen Satz reduziert wird eine tragische Geschichte voyeuristisch dargestellt und der Mißbrauch journalistisch weiter fortgesetzt! – Walter Moritz


Leserbrief zu „Was heißt hier (un)christlich?“ von Jens.Martin Kruse et. Al

Überzeugendes Anschauungsmaterial findet er ja bei den Beiträgen von

Jens-Martin Kruse (Schon seine Überschrift „Jammert nicht!“ ist eine herablassende Zumutung. Seine Haltung zur weltweiten Migration mit seinen Gefühlen zu begründen, wenn er einem Flüchtling „in die Augen schaut“, auf diese Idee muss man auch erst mal kommen.) und Dieter Müller (Er spielt sich als oberster moralischer Richter gegen alle demokratischen Prozesse auf, nichts anderes ist Kirchenasyl. Die Moral einer demokratischen Gesellschaft ist in den Gesetzen und Regelungen festgelegt. Nein, Herr Müller, ich will weder in einem islamischen Gottesstaat lebe noch in einem von Leuten wie Ihnen geprägten christlichen Gottesstaat!). Die Kath. Kirche kennt ja sieben grundlegende Charaktereigenschaften, die zu Todsünden führen können. Superbia (also Hochmut, Eitelkeit) ist eine davon. Superbia ist für mich bei Kruse und Müller nicht zu übersehen. Persönlich bin ich überzeugt, es würde weniger Kirchenaustritte geben, wenn es weniger Funktionsträger wie Marx, Bedford-Strohm, Woelki, Käßmann oder eben Jens-Martin Kruse und Dieter Müller gäbe und mehr Funktionsträger wie eben Florian Schuller und auch Sieghard Wilm oder Wolfgang Huber (siehe seine Beiträge in der ZEIT). – Reiner Felkel


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Gibt es innerhalb des architektonischen Weltkulturerbes wirklich kein Bauwerk, dessen Kenntnis Teil eines Bildungskanons sein sollte? Und keinen einzigen Namen? Ist tatsächlich Botticelli wichtiger als ein Balthasar Neumann oder Le Corbusier? Kein Wunder, dass unsere bauliche Umwelt weithin als so kritikwürdig gilt – und es bei einem solchen Bildungskanon bleiben wird! – Prof. Dr.-Ing. Cord Meckseper


Leserbrief zu „Über die rote Linie“ von Martin Eimermacher

Das Anliegen der BDS-Israel-Boykotteure ist nicht Israel als ganzes zu deligitimieren. Ziel ist vielmehr, die seit fünfzig Jahren andauernde Besatzung und den fortschreitenden Landraub der jüdischen Siedler im Westjordanland und Ost-Jerusalem zu beenden. Das weiß auch Martin Eimermacher und bedient trotzdem die Israel-Lobby. – Rüdiger Vehof


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Nach Schwanitz u. a. ist nun auch T. Kerstan unter jene (Bildungs-)Philister gegangen, die einen Kanon für das „Gebildetsein“ predigen, auch noch als Grundlage von Konsens und Gemeinschaft. Mit der Betonung des materialen Aspekts von Bildung macht man Bildung zum Besitz und begeht den Fehler, den Nietzsche schon lächerlich gemacht hat, und dass die Vertrautheit mit einem Bestand an Wissen keineswegs zu Mitmenschlichkeit und Verständigung führt, macht nicht zuletzt das Beispiel der NS-Richter und vieler der von ihnen Verurteilten klar: Wir können davon ausgehen, dass sie alle mit dem damaligen Kanon des deutschen Gymnasiums vertraut waren. Bildung hat sicher etwas mit Wissen und Überzeugungen, Werten, Positionen und ihren Begründungen etc. zu tun, die nicht im Vakuum, ohne Auseinandersetzung mit einer sozialen und kulturellen Umgebung, ohne Material aus Literatur, Kunst, Philosophie etc. entstehen oder entwickelt werden können. Und ganz gewiss gibt es Werke, die in besonderer Weise geeignet sind, bestimmte Einsichten oder Kenntnisse zu entwickeln, aber sie sind in dieser Funktion nicht einzig. Wer dann Bildung vornehmlich material definiert, zeigt damit vielleicht, dass er mit dem Knie von Morgenstern nichts anfangen kann (wo bleibt das übrigens in der Aufzählung?) oder wenigstens den sprichwörtlichen Schwanz, der mit dem Hund wackelt, nicht kennt. W. v. Humboldt hatte einst gemeint, Bildung sei in der harmonischen (‚proportionierlichsten‘) Entfaltung der in Menschen angelegten Kräfte im Medium seiner Kultur zu einem zwar nie erreichten, aber stets leitenden Ideal gelungenen Mensch-Seins zu sehen. Wir haben heute ein anderes Menschenbild, ein anderes Verständnis von Anlagen usw., aber mit jeder inhaltlichen Festlegung von Bildung geht das immerwährende Streben nach dem Ideal verloren. Wir würden vielleicht heute den Gedanken einer Gestaltung der eigenen Existenz in den Vordergrund stellen, die quasi vor dem Gericht der gesamten Menschheit Bestand haben könnte und als solche anerkennbar, akzeptabel wäre in all ihren Fehlern und Gefährdungen (Humboldt hatte sich hierbei an den kategorischen Imperativ Kants angelehnt). Sie wäre vornehmlich in der Möglichkeit eines Menschen zu sehen, in seiner jeweiligen Lebenssituation sein Verhalten, seine Entscheidungen und Urteile im Hinblick auf seine Kultur und seine Mitmenschen zu reflektieren und so zu gestalten, dass seine Gründe anerkannt werden können, selbst dann, wenn sie sich gegen Konventionen und gesellschaftliche Ordnungen richten. Ob er dann zum Beispiel moralisch urteilen kann, weil er sich mit Kant oder Rawls oder Kohlberg oder Shakespeare oder Lessing oder einfach nur der Rechtsprechung seines Landes auseinandergesetzt hat, ist zweitrangig. Und insoweit geht es auch nicht darum, dass jemand gebildet ist, wenn er XY gelesen hat.  Es dürfte umgekehrt sein: Dass sich jemand für XY interessiert oder etwas mit ihm anfangen kann, ist eher Indiz für Bildung. – Bernd Schwarz


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Dass der Autor die Kritik selbst vorwegnimmt, macht sie nicht weniger zutreffend: Thomas Kerstan hat einen neuen Kanon der „toten weißen Männer“ aufgestellt. Mal abgesehen davon, wie ungeheuerlich das im 21. Jahrhundert ist: Er will damit seinem Unbehagen an der Unübersichtlichkeit der Welt begegnen. Schade. Denn das Unbehagen ist so viel wertvoller als das ängstliche Festhalten an häppchenweise Hochkultur (ein bisschen Beethoven, ein bisschen Goethe). Ich will mein Unbehagen behalten: darüber, dass das, was ich weiß, nicht der Nabel der Welt ist. Dass ich die Kultur und Geschichte ganzer Erdteile nur schemenhaft kenne. Dass immer wieder Autoren den Literaturnobelpreis erhalten, von denen ich noch nie gehört habe. Täglich lerne ich dazu. Und werde doch immer nur erschreckend wenig wissen. Das auszuhalten und dabei den Wissensdurst anzustacheln – das ist es, was wir unseren Kindern beibringen sollten. Wer nur den Kanon kennt, kennt alles ein bisschen und nichts richtig. Ein Stück von Mozart, ein Stück von Shakespeare – so bleibt die Welt zusammenhangs- und bedeutungslos. Lieber sich mit Leidenschaft in einen Bereich vertiefen. Wer das kann, wird es ganz von selbst auf immer neue Themen übertragen und sich wie nebenbei die Welt erschließen. Der einzig sinnvolle Kanon ist einer, den man gemeinsam singen kann! – Dr. Katja Pourshirazi


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

In ihrer Replik auf Gero von Randow bestreiten die Autoren, dass der Kolonialismus früherer Jahrhunderte der Hauptgrund für die heutige Migrationsbewegung aus Afrika sei. Man mag ihrer Argumentation in Teilen folgen. Eines unterschlagen die Autoren jedoch: Kolonialismus und Imperialismus schufen auf dem vorher weitestgehend grenzenlosen afrikanischen Kontinent künstliche Herrschaftsgebilde mit willkürlichen Grenzziehungen, die historisch gewachsene Machtkonstellationen und ethnische Gegebenheiten bewusst ignorierten. Diese Herrschaftsgebilde beutete man zunächst aus, wobei die Fremdherrschaft der Kolonialmächte weitgehende politische Stabilität durch Unterdrückung garantierte. Nachdem man diese Herrschaftsgebilde jedoch in die staatliche Selbstverwaltung (= „Freiheit“) entlassen hatte, führte in den allermeisten Fällen der ihnen innewohnende soziokulturelle Sprengstoff zu Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen Konflikten, die bis heute immer wieder aufflackern. So gesehen liegt Herr von Randow nicht falsch: Fortbestehende koloniale Strukturen sorgten und sorgen für Flüchtlingsbewegungen auf dem Kontinent, sei es nun als Binnenmigration oder als Auswanderungsbestreben Richtung Europa. Hinzu kommt, dass postkoloniale Ausbeutungsstrategien vor allem der ehemaligen Kolonialmächte weiterhin eine Destabilisierung afrikanischer Staaten betreiben. Innenpolitische Kontahenten werden gegeneinander ausgespielt, Waffen geliefert, Warlords unterstützt usw.. Divide et impera! Das alte Herrschaftsprinzip beweist nach wie vor seine Gültigkeit. Doch eins hat sich geändert: Die Migrationsbewegung scheint als sozialer Querschläger nun die Verursacher selbst zu treffen. – Matthias Herkt


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Ihr Bericht ist größtenteils eindeutig sehr gut recherchiert. Die Tätigkeit als Therapeut und Gutachter von Herrn F. auch noch nach dem Aufdecken seiner kriminellen Machenschaften betrifft das Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie . Die Mitglieder dieses Institutes waren auf Grund sehr persönlicher Verwicklungen und mangelndem Unrechtsbewußtsein nicht in der Lage zur Aufklärung. Meine Zurückhaltung im juristischen Vorgehen hat mit dem gewünschten und auch empfohlenen Anonymbleiben der Opfer zu tun. Wir , als Erwachseneninstitut, haben mehrmals über Jahre den Versuch gemacht über die Ärztekammer zu intervenieren. Dies nur als zusätzliche Information. Wichtig ist mir eine andere Bitte zur Ergänzung in Ihrer Zeitschrift : daß ich von Ihnen als am Waldrand wohnender Rentner dargestellt werde gehört zur freien Meinungsäußerung. Daß ich im Gegesatz zu allen Beteiligten in Ihrem Artikel ohne meine damals aktuellen Funktionen beschrieben werde, geht weit an der Realität vorbei. Als Professor für Psychoanalyse und Psychosomatik an der Universität Heidelberg und damalige Leiter des Psychoanalytischen Institutes habe ich die Veröffentlichung des Skandals initiiert mit dem Ergebnis des Rücktritts von Herrn F. von all seinen Funktionen. Auf eine Ergänzung (Berichtigung?) in einer der folgenden Ausgaben würde ich vor allem aus sachlichen Gründen großen Wert legen. – Prof.Dr.Hans Becker


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Ein hoch interessanter Beitrag, besten Dank. Dennoch bleiben viele Fragen offen, z.B. weshalb sich postkolonialer «Ölreichtum» eigentlich nur auf der arabischen Halbinsel eingestellt hat, kaum aber in Ländern des «mittleren Osten» und anderer Kontinente? ….oder weshalb die Bodenschätze besitzenden Länder (insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent) mit einer armen und oft gar hungernden Bevölkerung «gesegnet» bleiben, während die Bodenschätze fördernden und handelnden «Globalen» sich ihrem «Reichtum» kaum erwehren können und Zuflucht in Steueroasen suchen müssen, sind spannende, aber nicht behandelte Fragen. Natürlich wissen wir alle, dem Kapitalismus ist Gewinnstreben inhärent, Gerechtigkeit bezüglich der Verteilung seiner «Segnungen» nicht. Diesbezüglich werden die «Lehrbücher» wohl kaum umgeschrieben werden, womit die wesentlichen Voraussetzungen für vererbbaren Reichtum und vererbbare Armut erhalten bleiben. Der freie «Finanzverkehr» schafft «Akkumulation», aber keine Verteilung (es sei denn zwischen Steueroasen). – Oskar Gröflin


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Was der Mensch machen kann, das macht der Mensch auch! Und wenn der Mensch von Haus aus nicht alles machen kann, dann wird er trotzdem Mittel und Wege suchen und auch finden, um das scheinbar Unmachbare, doch machbar machen zu können. Mit dem Menschen, da ist einfach keine Erde zu retten! – Klaus P. Jaworek


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Als ein mit Kindern und Jugendlichen arbeitender Psychologe in Heidelberg und ehemals freier Mitarbeiter der ZEIT war ich schockiert über die Abgründe des Herrn F. und gleichzeitig froh, dass man den alten Professor in seiner Wohnung in Berlin sich nicht in Ruhe schämen lässt. Schockiert bin ich allerdings auch über die journalistische Güte des Textes: Da wird über Prof. Gerd Rudolf geschrieben, er sei einer der zwei mächtigen Männer, „die all die Jahre die Hand über Hermann F. hielten“. Als Beleg dafür wird ein internes Protokoll des kinderanalytischen Instituts herangezogen, demzufolge Herr Rudolf geäußert habe, dass eine Beschäftigung mit der Vergangenheit dem aktuellen Ruf des Instituts Schaden und „zu Irritationen“ bei PatientInnen und Eltern führen könne, die aktuell Therapien am Institut wahrnehmen. Wenn meine logischen Fähigkeiten mich nicht ganz verlassen, dann ist diese Feststellung von Herrn Rudolf grundsätzlich richtig und lässt nicht den Schluss zu, dass er deshalb die Hand über Herrn F. gehalten hat. Ein anderer Beleg für den starken Vorwurf gegenüber Prof. Rudolf wird nicht angeführt. Die Therapeutin Antje Hildebrandt habe vom Missbrauch betroffenen Frauen Diskretion zugesagt und wird in der Folge als „formelhaft und allgemein in ihren Schilderungen“ beschrieben. Dies klingt erneut wie ein Vorwurf, den der Text nicht anderweitig untermauert. Gutes journalistisches Argumentieren und Untermauern der geäußerten Vorwürfe geht aus meiner Sicht anders. Sollten den Autoren Informationen vorliegen, welche die geäußerten Vorwürfe erhärten, dann gehören diese in den Artikel. Es bleibt der Eindruck eines Textes, der in erster Linie einen Effekt erzielen möchte – das kann die BILD allerdings besser. – Dr. phil. Dipl.-Psych. Andreas Mayer


Leserbrief zu „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sibylla Lotter

Der die Debatte aufheizende Beitrag von Professorin Lotter ist ein langatmiges Ärgernis: weder ethisch noch ästhetisch und schon gar nicht klärend. Er liest sich wie eine zynische Anleitung für Egoisten und Ignoranten  in einer mit Trump`schem Narzissmus betrachteten Welt, gespikt mit niederträchtigen  Unterstellungen und Diffamierungen. Engagierte Akteuere für Gleichberechtigung und gegen globale Ungerechtigkeiten werden mit  erschreckend wütender Vehemenz zu einem Feindbild verzeichnet. Gegen welchen Schuldkomplex wehrt sich diese Professorin ? Tröstlich wenigstens ihr Schlußwort, das uns alle wieder  einigt:”Nicht Schuld (-) sondern Verantwortungsbewußtsein ist hier gefragt”: Für diese  ”Klärung” hätte es eines solchen pseudowissenschaftlichen Langtextes nicht bedurft. – Gertrud Tammena


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

Soeben habe ich den Artikel von Karin Ceballos Betancur gelesen und : bin beeindruckt und absolut begeistert von Ihren klaren Worten und Blick, der – so wohltuend – weiter reicht als der unserer Scheuklappenpolotiker. Es ist nicht nachvollziehbar das wir noch immer eine Drogenpolitik verfolgen die – praktizierenden Experten zum Trotz – völlig das Thema verfehlt und der organisierten Kriminalität Tür und Tor öffnet. Dieser Artikel hat – einmal mehr – meine Begeisterung für „die Zeit“ gefestigt… DANKESCHÖN – Andrea Anger


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Jetzt bitte keine Heuchelei von Funktionären irgendwelcher PsychotherapeutInnenverbände. Herr F. hat sich lediglich ans Lehrbuch gehalten. Eine 13Jährige, die sich aus sexualisierter Bedrängnis durch den Freund ihres Vaters losreißt, ist für Dr. F(reud) „ganz und voll hysterisch“. Bei einem „gesunden Mädchen“, so ist er überzeugt, hätte „eine Genitalsensation gewiss nicht gefehlt“. Diese „Fall-Studie“ von 1905 (= „Bruchstück einer Hysterieanalyse“) wird noch heute in höchsten Tönen gelobt und in der Ausbildung von angehenden PsychoanalytikerInnen verwendet. Gesunde Kinder erkennt man also daran, dass sie sich gegenüber sexuellen Anregungen Erwachsener entspannt öffnen können. Das ist „prüfungsrelevant“. Einer von Freuds Nachfolgern als führender Kopf der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA), Prof. Otto Kernberg, berichtet vor über eintausend Fachleuten von einer Frau, die in seiner Klinik von ihrem (verheirateten) Therapeuten zunächst verführt, dann fallengelassen wurde, woraufhin sie sich das Leben nahm. Kernberg bringt sein Publikum hier zweimal zu herzhaften Lachen – im O-Ton bis heute nachzuhören und als CD käuflich zu erwerben. Überschrift der auch abgedruckten Geschichte: „Transformation des Opfers in einen Täter“. Es war immerhin postum zur Anzeige von Therapeut und Klinik gekommen. Oder: Eine im Alter von „unter 10 Jahren“ vom Vater vergewaltigte Grundschülerin erlebt diese Situation „in typischer Weise … als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“. Sie müsse „ihre [ödipale] Schuld tolerieren“. Um Heilung zu finden, müsse sie auch lernen, sich „mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters“ zu „identifizieren“. Das Publikum klatscht begeistert. Das ist „Fortbildung“. Das ist Bestandteil einer „Fachzeitschrift“, also „Fachliteratur“ geworden. Auch das ist „Prüfungsstoff“. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Meine Kritik an dieser „Fachliteratur“ bzw. „Fortbildung“ – etwa vor dem „Ethikverein – Ethik in der Psychotherapie e.V.“ oder vor dem „Verbändetreffen gegen Grenzverletzung in Therapie und psychosozialer Beratung“ – wurde dort im Jahr 2016 jeweils brüsk abgeschmettert. Weil ich diese Vorgänge veröffentlicht hatte, wollte mir der Vorsitzende des „Ethikvereins“, Dr. Jürgen Thorwart, die Approbation aberkennen lassen. Ein korruptes, perverses ideologisches System, das sowohl die Menschen, die darin „ausgebildet“ werden, als auch diejenigen, die damit behandelt werden, geradezu systematisch krank macht. Mit finanziert von den Krankenkassen. So verrückt ist die Welt. – Dipl.-Psychologe Klaus Schlagmann


Leserbrief zu „Tödlicher Patzer“, von Josef Joffe

Leichte Kost – ich weiß nicht recht: Uran für Hiroshima, Plutonium für Nagasaki, letzteres ganz automatisch, ohne einen neuen Befehl des Präsidenten, und einige hunderttausend tote Zivilisten. Das alles die banalen Folgen eines sprachmittelnden Patzers, ohne den die Weltgeschichte anders verlaufen wäre? Vielleicht hat eine missverständliche oder gar missleitende Übersetzung tatsächlich zur Katastrophe beigetragen. Entscheidend aber war, wie so erschreckend oft, eine willfährige Stimmung, ein lange zur Saat bereiteter Boden: Ein merklicher Teil der amerikanischen Wähler wollte 1945 Japan und sogar die Japaner ausgelöscht sehen. Die Administration war bereits auf neuen oder eigentlich wieder auf den alten Wegen aus den Zwanzigern und wollte am Beispiel der Japaner die Bolschewiken zu Tode erschrecken, speziell aber Stalin in Potsdam. Die Militärtechniker wiederum wollten zwei konkurrierende Bombendesigns testen, am besten „in vivo“. Ein noch unerfahrener und bis dahin uneingeweihter Truman hatte so viel Entschlossenheit nichts entgegenzusetzen. Eine ähnlich verstörende Engführung hatte vor einigen Jahren eine Dokumentation der bayrischen Staatsregierung (!) zum Obersalzberg parat: Der Genozid der Vernichtungslager sei der NS-Führung erst von den KZ-Lagerleitungen nahegelegt worden, die der logistischen Probleme nicht mehr Herr gewesen wären. Oder: eine Hölle aus Seuchen und Mangelversorgung habe im Grunde technokratisch in die Hölle des Holocaust geführt. Auch hier: Man mag einen solchen Mechanismus ja für möglich oder flankierend tätig halten. Aber wachsen und wirken konnte er nur unter der alles entscheidenden Kultur des Hasses und der Entmenschlichung. Also: Tatsächlich keine leichte Kost, jedenfalls mit dem hohen Risiko, verhängnisvoll apologetisch zu wirken. – Dr. jur. Karl Ulrich Voss


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Der Beitrag des “ veganen“ Bernd Ulrich war schon schlimm, aber ihr Beitrag hat mit Journalismus nun leider gar nichts mehr zu tun. Das dümmliche, voreingenommene Geschwätz des Herrn Noak auf Basis Höhrensagen und Geschichtsknitterung unter die Leser zu bringen beleidigt die Intelligenz der Bürger in den Neuen Bundesländern. So ein Schwachsinn wäre unter Helmut Schmidt nie in“ Die Zeit „erschienen. Die Fakten: Herr Naok ist in den occupierten, wirtschaftlich ausgeplünderten Ostgebieten ( Guben ) der BRD geboren? und groß geworden. Er hat die DDR nie erlebt. Er hat nicht die DDR verlassen, sondern die verkrustete BRD. Artikel 146 GG ist bis heute nicht realisiert.         Ja, die DDR war eine Parteidiktatur. Ja,es gab eine strikte Trennung Staat / Kirche. Aberglauben ( Kirche ), hatte in dieser Diktatur in relevanten Positionen der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Verwaltung und der Politik nichts zu suchen. Keinem Bürger wurde die Religion ausgetrieben. Er hatte nur keine Möglichkeit, wenn er seinen Glauben öffentlich bekundete, in diese von der Diktatur beherrschten Strukturen einzudringen. Es gab eine Blockpartei der Gläubigen.( Gerald Götting ) Der Glaube an Gott, den angeblichen Schöpfer des Universums und der Menschen, war mit den Erkenntnissen der Wissenschaft ( Darwin, Einstein, Hawking ) nicht vereinbar. Die Religion – “ Das Opium für das Volk“, sowie  die staatliche geförderte christliche Indoktrination der Kinder in den Kirchen fand nicht statt.. Die eigene Gerichtsbarkeit der Kirchen ( Weimar ) war abgeschafft. Pädophilie von Geistlichen kam vor ordentliche Gerichte. Das Abitur des Herrn Noak scheint sich in der 12. Klasse ( Sachsen ) mit Kartoffeldruck und Ausdruckstanz beschäftigt zu haben. Aus diesem Grund hat er sich offensichtlich auch nicht für eine exakte Wissenschaft entschieden. Wer heute für seinen Glauben die von den Kirchen an den Staat delegierte Kirchensteuereintreibung über die Finanzämter toleriert und gleichzeitig auch noch Kirchgeld bezahlt, gehört wissenschaftlich betrachtet nicht gerade zu den intelligentesten Mitbürgern. Geld für Glauben, das hatte Deutschland unter Tetzel. Folge – dreizig Jahre Krieg. – Dr. med. Klaus Kantor


Leserbrief zu „Das gelobte Land“ von Ulrich Ladurner

Sie eroeffnen Ihren Artikel mit der Aussage „Wovon die Jugend Afrikas traeumt…trifft man junge Maenner…“. Ist der Anfang nicht etwas hoch gehaengt? Zum einen hoffe ich sehr, dass auch Frauen zur Jugend Afrikas gehoeren, zum anderen ist Afrika ein ziemlich grosser Kontinent und zum dritten gibt es fuer mich keinen Grund, diese jungen Maenner als repraesentativ auch nur fuer die jungen Maenner ihrer Herkunftslaendere zu halten – aber vielleicht haben Sie da andere Informationen. Die Beispiele, die Sie anfuehren, sind klare Faelle von Asylmissbrauch. Das Asylrecht fuer politisch Verfolgte dient eben nicht dazu, Menschen einen  Studienwunsch zu erfuellen. Auch Nicht-AfrikanerInnen koennen nicht einfach in Europa studieren, sondern muessen – sofern sie es legal tun wollen – bestimmten Vorschriften folgen. Es ist klar, dass Europa und insbesondere auch Deutschland ein Einwanderungsrecht braucht, das es Menschen anderer Laender ermoeglicht, hier legal zu arbeiten und zu studieren.Ein Einwanderungsrecht wuerde hoffentlich auch die derzeitige Ausnutzung illegaler Migranten erschweren. Das Fehlen eines solchen Rechts rechtfertigt jedoch nicht den Missbrauch des Asylrechts, der sich auch negativ auf tatsaechlich Verfolgte auswirkt. Und es rechtfertigt nicht die Besserbehandlung jener, die die migrieren, gegenueber jenen, die entweder versuchen die Situation in ihren Heimatlaendern vor Ort zu verbessern oder auf legalem Weg ihre Ziele zu verfolgen. Mein Mitgefuehl fuer die von Ihnen erwaehnten Traeumer haelt sich daher in sehr engen Grenzen. Bisher ging ich davon aus, dass Menschen, die die Flucht ueber das Mittelmeer wagen, vor Krieg, Hunger oder politischer Verfolgung fliehen. Ihr Aufmacher legt nahe, dass dem nicht so ist, sondern es um die Erfuellung individueller Traeume geht. Sollten Ihre Beispiele also nicht halbwegs typisch sein, haben Sie den Fluechtigen einen Baerendienst erwiesen. – Sabine Moehler


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

In Ihrer sehr lesenswerten Replik schreiben Sie  den Kolonialismus explizit den weissen Maennern zu. Ich denke, hier erweisen Sie den weissen Frauen zu viel Nachsicht oder Ehre. Zum einen war Koenigin Victoria kein Mann, zum anderen waere es mir neu, dass Frauen der Kolonialzeit dem Kolonialismus prinzipiell negativ gegenueber standen. Sie moegen keinen direkten politischen Einfluss gehabt haben, aber das spricht sie nicht von jeder Verantwortung frei. Weisse Frauen haben genauso vom Kolonialismus profitiert wie weisse Maenner und vertraten die gleichen menschenverachtenden Positionen. Es gabe sicherlich Frauen, die gegen diese System waren, ebenso wie es Maenner gab, die opponierten, aber sie waren m.W. eine kleine Minderheit. – Sabine Moehler


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

In Ihrer Ausgabe No 34 haben Sie  einen Artikle mit der Überschrift „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ veröffentlicht. Dieser beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Kolonialismus und dem heutigen Zustand in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt. Es mag sein, dass der historische Kolonialismus und seine Folgen nicht der direkte Hauptschuldige für die massenhafte Flucht aus diesen Ländern ist. Und inzwischen nutzen neben den ehemaligen Kolonialmächten auch Weitere, zum Teil ehemalige Kolonien wie China, die Lage der Länder aus, die auf Grund der Entwicklungsumstände der letzten 50 Jahre wehrlos gegen solche Ein- und Übergriffe sind. Allerdings erweckt Ihr Artikel den Eindruck, die Interessen der europäischen Staaten gegenüber den ehemaligen Kolonien  hätten sich nach Ende der Kolonialzeit verändert. Natürlich hat sich im laufe der letzten 50 Jahre die Wortwahl der Politiker den jeweiligen Ansprüchen des sie wählenden Volkes angepasst, in Europa wie auch im Rest der Welt. Dass sich die Rhetorik der Politik den aktuellen Bedürfnissen der Wähler anpasst, ist jedoch kein neues Phänomen, und es gibt immer Menschen, die den Worten mehr denn den Taten ihr Gehör schenken. Der Artikel kann als Rechtfertigung für die aktuellen politischen Tendenzen gelesen werden. Die afrikanischen Staaten können seit ihrer Unabhänigkeit auch auf jene Weise handeln und die europäischen Staaten lassen dies zu. Folglich tragen die afrikanischen Staaten die Schuld für die Flüchtlingsströme und ihre Ursachen, die zum Großteil aus Hunger, Krieg und Perspektivlosigkeit sind. Um die politische Entwicklung in Richtung der Grenzschließung und Abschottung Europas zu untermauern, wird am Ende des Artikels China als neuer Akteur in Afrika erwähnt. Es stimmt, dass China sich in den letzten Jahren immer mehr in Afrika engagiert, doch ob positiv oder negativ, bedeutet dies nicht, dass die europäische Politik rechtmäßig oder verantwortungsvoll handelt. Allerdings ist China inzwischen ebenso auf die afrikanischen Rohstoffe angewiesen wie der Rest der Welt, und die europäischen Staaten nehmen den neuen Konkurrent in Afrika mit Mißmut in ihre Politik auf. Daher ist es nicht verwunderlich, dass laut ihrem Artikel die afrikanischen Staaten nicht fähig sind, sich zu verwalten, China dies ausnutzt und die europäischen Staaten mit dem Desaster in Afrika verantwortungsvoll im Rahmen des Möglichen handeln. Nicht erwähnt wird jedoch, welche Rolle der Internationale Währungs Fond und die Weltbank als Instrumente eines modernen Kolonialismus innehaben, ebenso die sogenannte Entwicklungshilfe europäischer Staaten. Nicht zu vergessen die Handelspolitik der EU, die, vergleichbar mit der Politik während der Kolonialzeit, günstig Rohstoffe aus den afrikanischen Ländern exportiert und Fertigwaren dorthin importiert. Dabei agieren westliche und seit einiger Zeit mit diesen Hand in Hand chinesische Unternehmen in den afrikanischen Ländern ähnlich wie zu Kolonialzeiten. Es werden die Rohstoffe der afrikanischen Staaten durch ausländische Unternehmen ausgebeutet und die Wirtschaft selbiger durch subventionierte Waren aus den Industriestaaten zerstört. Dies kann als Handels- und Entwicklungspolitik bezeichnet werden, passen würde aber auch der Begriff des Handelskrieges. Jedoch nur, wenn man bei den afrikanischen Staaten von selbstständigen Staaten und nicht von Kolonien ausgeht. Meiner Meinung nach tragen die westlichen und somit auch die europäischen Staaten, den Großteil der Verantwortung für die Verhältnisse in den afrikanischen Staaten, welche ausschlaggebend für die hohe Zahl an Flüchtlingen sind. Dieser Verantwortung können sie sich stellen oder weiter eine Art Kolonialpolitik unter dem Deckmantel des IWF und im Interesse der Sicherung unserer Ressourcen und somit unseres Lebensstandards betreiben. Sollten sich die europäischen Staaten für Letzteres entscheiden, werden sie auch in Zukunft mit den Folgen konfrontiert werden. Den afrikanischen Staaten und China die Verantwortung zu geben, wie es in ihrem Artikel der Fall ist, ist meiner Meinung nach von Populismus nicht zu unterscheiden und dient lediglich als Rechtfertigung für das Gewissen eines Europäers, der aus ihrer Heimat flüchtende Menschen an seinen Grenzen zurückweisen möchte, ohne sein Gewissen ernsthaft belasten und sich über die Zusammenhänge zwischen seinem Lebensstandart und den Fluchtursachen beschäftigen zu müssen. Es ist also richtig, dass die afrikanischen Staaten nicht Oper ihrer kolonialen Vergangenheit sind, da selbige bis in die Gegenwart andauert. – Moritz Veldscholten


Leserbrief zu „Was heißt hier (un)christlich?“ von Jens.Martin Kruse et. Al

Moralisches Empfinden und Handeln gehört bekannterweise zur evolutionären Grundausstattung des Menschen und ist damit älter als jegliche menschengeschaffene Religion. In diesem Sinne kann ich dem religionskritischen Beitrag des ‘Kiez-Pfarrers’ Sieghard Wilm nur zustimmen und hoffen, dass DIE ZEIT in Glaubenssfragen dem ZWEIFEL wieder den Platz einräumt, der ihm in einer aufgeklärten Gesellschaft zusteht. – Prof. Dr. Manfred Mutter


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Vielen Dank für Ihren überaus anregenden Artikel. Er lädt den Leser in der Tat ein, den von Ihnen vorgeschlagenen Kanon kritisch zu bewerten und – grosses intellektuelles Vergnügen bereitend – um eigene Vorschläge zu ergänzen. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass eine Diskussion zeitgemässer Bildung sich mindestens so sehr mit deren Inhalten beschäftigen sollte wie mit den Formen ihrer Vermittlung. Erstere beschränkt sich in Deutschland bislang weitgehend auf die sattsam bekannten Schlagworte Wirtschafts-  und Digitalkompetenz. Zwei Dinge möchte ich jedoch kritisch anmerken: Die Schlagzeile auf der Titelseite der ZEIT „Was man heute wissen muss“, die sich auch als Kopfzeile im Buch „Chancen“ wiederfindet, ist meiner Meinung nach grob irreführend. Wenn ich Ihre Intention richtig verstehe, dann geht es Ihnen darum, einen Wissenskanon vorzuschlagen, den ein junger Mensch heute wissen sollte – und nicht um Wissen, das man haben muss. Auch in Ihrem Artikel selber sind Sie in diesem Punkt uneindeutig, schreiben Sie doch an zwei Stellen „….was man wissen muss, um zu bestehen“ (bzw. „Was muss ein junger Mensch an der Schwelle zum Erwachsenendasein wissen?“), an zwei anderen Stellen schreiben Sie jedoch „Ein gebildeter Mensch sollte etwa die Bibel und Homers Ilias gelesen haben“ (bzw. „Das sollte ein junger Erwachsener heute unbedingt wissen“). Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es heutzutage sehr wohl möglich ist, verantwortungsvolle Posten in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einzunehmen, ohne über den von Ihnen befürworteten Wissensfundus, sprich: ohne über eine halbwegs umfassende Allgemeinbildung zu verfügen. Es ist ein intellektuelles Vergnügen der eigenen Art, darüber zu spekulieren, wieviele Punkte des von Ihnen vorgeschlagenen Wissenskanons etwa dem derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika auch nur annähernd bekannt sind. Kurzum: von „wissen müssen“ kann meiner Meinung nach leider keine Rede sein. Umso mehr befürworte ich Ihr Plädoyer für eine zeitgemässe Allgemeinbildung und kann als Hochschullehrer nur zustimmen, dass Wissen die Grundlage für „mehr als Wissen“ ist. Ich würde mich freuen, wenn Ihr Artikel nicht ein einmaliger Aufruf bliebe, sondern eine breitere Diskussion anstiesse. Warum laden Sie die ZEIT-Leser nicht ein, eigene Vorschläge zu jeder der vier von Ihnen vorgegebenen Wissenskategorien zu machen, von denen Sie die am häufigsten genannten dann in einer weiteren Ausgabe vorstellen könnten. Es wäre zumindest interessant, zu erfahren, ob auch heute noch ein zumindest teilweiser Konsens unter den Teilnehmern bestünde. – Matthias Laska


Leserbrief zu „Ein guter Witz?“ von Evelyn Finger

In der aktuellen Zeit vom 16. August erklärt Frau Finger in ihrem Beitrag: „Nun muss man wissen, dass Larry David ein sozusagen typisch jüdischer Fernsehkomiker ist, ein schmächtiger Intellektueller mit Fusselhaar und Provokationslust.“ Man fragt sich natürlich – und findet keine wirklich befriedigende Antwort -, was, außer ein schmächtiges Erscheinungsbild, Intelligenz, fusseliges Haar und Lust an der Provokation, nach Ansicht Frau Fingers „sozusagen typisch jüdisch“ sei. Immerhin scheint sie beim Leser/der Leserin vorauszusetzen, er oder sie wisse schon, was mit „typisch jüdisch“ gemeint ist; zumindest das von ihr nachgereichte „Nun muss man wissen …“ scheint eine Art Erinnerungsfunktion zu übernehmen. Da Larry David ein „sozusagen typisch jüdischer Fernsehkomiker“ sei (und man sich ihn anscheinend naturgemäß körperlich schwächlich aber blitzgescheit, mit fusseligem Haar aber einer gewissen Freude am Aufstacheln vorzustellen habe), verfüge die Sache mit dem „Fatwa-Musical“ natürlich über eine besondere Brisanz – meint Frau Finger. Mich als Leser (aber wahrscheinlich bin ich nicht der einzige) interessiert nun natürlich der Rest der Geschichte: Was, außer den genannten und oberflächlich am Aussehen und im Verhalten sichtbaren Merkmalen, gehört denn nach der Auffassung Frau Fingers noch zu einem „typischen Juden“? Und wie erklärt es sich Frau Finger, dass – wovon sie ja fest auszugehen scheint – solche physiognomischen und charakterlichen Eigenschaften besonders weit unter Juden verbreitet seien? Was mich außerdem interessieren würde: Zuckte niemand in der Redaktion zusammen, als er oder sie diesen Satz las (beispielsweise beim Redigieren)? Ihre Antwort würde mich schon interessieren. – Alex Aßmann


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Im Grunde gebe ich Herrn Beck Recht wenn er behauptet, dass es politischer Aktivität bedarf, um eine Politik der nachhaltigen Entwicklung, hin zu bekommen, z.B. im Sinne der UN-Agenda 2030. Prof. Harald Welzer spricht daher gerne von der „sozialen Bewegung von unten“, die es braucht, um die politisch Verantwortlichen vor sich her zu treiben. ABER: 1. Das entbindet mich als aufgeklärten und gut informierten Menschen nicht von meinem Anspruch, das Richtige zu tun und das Falsche möglichst zu unterlassen. 2. In der Diskussion um Nachhaltigkeit haben die Begriffe Verzicht und Moral einfach nix verloren! Als Nichtraucher muss ich auf die Zigarette danach (wonach auch immer) nicht verzichten. Verzicht findet im Kopf statt, nicht beim Konsum. Finde ich es falsch Kohlenstoff zu verbrennen, will ich nicht fliegen; muss also nicht auf das Fliegen verzichten. Maßhalten -wofür Aristoteles warb- ist das, was eine der vier wichtigen Nachhaltigkeitsstrategien -die Suffizienzstrategie- bedeutet, nicht Verzicht. Und was hat Moral mit Nachhaltigkeit zu tun? Nachhaltig zu leben, zu konsumieren und zu wirtschaften ist gelebte Solidarität; mit den Menschen weltweit, den übrigen Geschöpfen und dem Rest der Schöpfung. Da tue ich nichts moralisch wertvolles, sondern leiste einfach nur meinen Beitrag zum Erhalt der Schöpfung. Im Kontext von Nachhaltigkeit von Verzicht und Moral zu reden, belastet unnötig die Auseinandersetzung mit dem Thema. Zurück zu Herrn Beck: Politisches Engagement wird glaubwürdig, wenn Menschen vorleben, was sie einfordern. – Frank Brust


Leserbrief zu „Probiert es doch“ von Martin Machowecz

Es ist immer wieder reizend zu lesen, mit wem die CDU alles reigieren könnte. Muß sie das auch? Vielleicht wählt der obrigkeitshörige bundesdeutsche Wahldödel diese Partei einmal für mindestens 4 Jahre ab. Diese Erfahrung bräuchte das Land. Mindestens! – Friedrich Freese


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Was man heute wissen muss … hängt von vielem ab. Was man heute können muss: Lesen, schreiben, rechnen und die Grammatik der eigenen und einer fremden Sprache. Alles muss ständig geübt werden, bis es keine wahrnehmbare Mühe mehr macht. Diese Üben wird in unserem Lernsystem sträflich vernachlässigt, die Absolventen haben heute keine gute Handschrift, keinen Schreibstil und jedes Lesen ermüdet sie viel zu früh. Das Geheimnis von Oxford ist dieses ständige Lesen und Schreiben unterschiedlicher Texte und Inhalte und der Mentor, der den Erfolg heranzieht. Wer ermüdungsfrei lesen und schreiben kann, ist in der Lage, sich binnen Kurzem in jedes Metier einzuarbeiten und sich das aktuell benötigte Wissen schnell anzueignen.Wer Grammatik kann, dem fällt das Lernen einer weiteren Sprache leicht. Nicht alles ist Sprachgefühl. – Helmut Kroll


Leserbrief zu „Brauchen wir eine linke Sammlungsbewegung?“ von Colin Crouch

Ja, so ist es: Wir brauchen angesichts weltweit agierender Unternehmen und Steuer“vermeider“ keinen neuen Nationalismus und keine Fortsetzung des derzeitigen Neoliberalismus, sondern Politiker(innen), die internationale Kooperationen in Sachen Umwelt, Steuern, Wirtschaft, Arbeitsrecht und Soziales ausbauen oder auf den Weg bringen. Die EU ist ein ziemlich guter Anfang, aber korrektur- und ausbaubedürftig. Wenn es dann allen Menschen ziemlich gut geht, werden sie auch eher bereit sein, Migrantinnen und Migranten zu akzeptieren, weil sie sich dann durch diese nicht mehr so bedroht fühlen. Allerdings vermute ich, dass kaum noch ein Afrikaner nach Deutschland übersiedeln möchte, wenn es ihm in Afrika gut geht. – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

In der Tat: Afrikanerinnen und Afrikaner sind keine unmündigen Kinder, sondern zum Teil für die Zustände in Afrika auch selbst verantwortlich. Europa kann ihnen mit fairen Wirtschaftsverträgen und durch Ausbau des Bildungswesens helfen, aber ihre Tyrannen und sonstigen – zum Teil demokatisch gewählten! – unfähigen, selbstsüchtigen und korrupten Politiker müssen sie schon selbst zum Teufel jagen. – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Auf die Barrikaden, ihr Datenbesitzer“ von Uwe Jean Heuser

Sehr ermutigend: effizienter als  illegale Datenverwertung mit immer neuen aber selten sanktionierten Verboten zu verfolgen, könnte die EU die Dachorganisationen schaffen, unter denen sich Verbraucher in Schutzvereinen organisieren, um die Verwertung ihrer Daten an die  Auswerter zu verrechnen. Denn es lässt sich im Internet jeder Datenzugreifer und/oder Absender einer Email von entsprechend ausgerüsteten Spezialisten identifizieren und damit auch belasten !  Die Verbraucher müssten sich nur einmal bei dem für sie zuständigen Schutzverein registrieren, damit dieser die Auswerter zur Zahlung heranziehen und den Erlös  – ähnlich wie die GEMA die registrierten Autoren – ausschütten kann   ! – Dr. Dirk Bade


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Unter dem Titel „Nicht bloß Opfer der Geschichte* ergaenzen Ihre Autoren Bittner, Krupa und Ladurner die Ausfuehrungen Gero von Randows yu den Ursachen des weit verbreiteten Elends in Afrika und sprechen mir dabei aus der Seele. Leider erwaehnen sie aber nicht drei weitere, meines Erachtens wichtige und zweifelsfrei aus der Kolonialgeschichte herruehrende, Ursachen. 1.  Die bei der Annexion der Kolonien aus den damalligen Machtkonstellationen und Wirtschaftsinteressen gezogenen Grenzen, die keinerlei Ruecksicht nahmen auf die ethnische Zusammensetzung und religioese Orientierung der ansaessigen Bevoelkerung. Bis heute Anlass fuer erbitterte Kriege z. B. im Sudan oder die islamistischen Kaempfe in Niger und Tschad. 2.  Den Export moderner Transportmittel wie z. B. LKW, Flugzeuge und Waffen, die diese Kriege so fuerchterlich machen. 3.  Die weitgehend christlich  motivierte Entwicklung eines Gesundheitswesens unter voelliger Vernachlaessigung der Volksildung, die zu der heutigen Bevoelkerungsexplosion bei fehlenden wirtschaftlichen Perspectiven gefuehrt hat. – Walter Emmrich


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Das ist doch eine typisch deutsche Diskussion: Einerseits wird auf- und erklärend auf die „MITSCHULD“ der Kolonialmächte an den (Migrations) –  Problemen und – Ursachen verwiesen und andererseits kommt sofort die Retourkutsche „WIR SIND NICHT ALLEINE SCHULD“.  Als ob das nicht jeder wüsste, dass es da weder für das eine noch für das andere keine SCHWARZ – WEI3 – Erklärungen gibt; die Sache ist natürlich viel komplizierter und viel komplexer. Das typisch DEUTSCHE ist aber, dass beide Seiten meinen im Recht zu sein und jede Seite geneigt ist, der anderen Seite sagen zu dürfen und sagen zu müssen, dass SIE ja quasi keine Ahnung hätten. Die Gretchenfrage an uns alle ist doch ganz einfach: Was würden wir tun, wenn wir erkennen, dass die Situation, in der wir uns befinden vor Ort und in absehbarer Zeit für uns nicht sinnvoll und mit Aussicht auf Erfolg lösbar ist. Wir würden das Gleiche tun, was Deutsche und andere Weltbürger schon immer getan haben: Wir würden das Heil woanders suchen. Also „JAMMERT NICHT ::: RICHTET NICHT ::: SEID EHRLICH ZU EUCH :::  !!!“ – Roland Zahn


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Eine wohltuende Sommerferienausgabe, diese Nr. 34: Mal keine Beschimpfungen von Bio-Deutschen durch Redakteure, deren Integration offenbar mißlungen ist. Dafür ein Bericht, der so manches zurecht rückt. – Peter Krempin


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Am Beispiel Liberias, wo ich von 1968 – 1970 gelebt habe, lässt sich der „Opfer“-Mythos anschaulich widerlegen, zumal dieses afrikanische Land außer Äthiopien keinen Kolonialismus erdulden musste. Liberia hatte damals gut 1 Million Einwohner und der Export von Eisenerz, Kautschuk und Holz spülten beträchtliche und regelmäßige Einnahmen in die Staatskasse. Man hätte in die Infrastruktur, vor allem aber in die Bildung der immer noch armen Liberianer investieren können. Nur, es kam dort nichts an. Das Gros der Bevölkerung lebte weiterhin in Slums, obwohl William S. Tubman bereits seit 1944 regierte. Die Eisenerzminen wurden von Europäern bzw. Amerikanern gemanagt, der Holzhandel ebenfalls und die sonstige Wirtschaft wurde von Libanesen oder Indern dominiert. Die Einheimischen blieben arm und ungebildet bis auf jene handverlesenen Privilegierten, die es sich leisten konnten, ihre Zöglinge im Ausland studieren zu lassen. Der korrupten politischen Elite um Tubman und danach (seit 1971) um William R. Tolbert ging es vor allem darum, die eigenen Pfründe abzusichern, nicht aber um das Wohl des Landes und seiner Bewohner. Die nach dem Militärputsch und der Ermordung Tolberts im Jahre 1980 anschließenden Bürgerkriege in Liberia haben das Land im wahrsten Sinne des Wortes „ausgeblutet“ mit dem Ergebnis, dass Liberia heute eines der ärmsten Länder auf diesem Planeten ist. – Jürgen Rohlfshagen


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Es ist doch im Grunde ganz einfach: Wenn ich bei meinen Handlungen auch das Wohl meiner Mitmenschen und nachfolgender Generationen und der Tiere im Blick habe und entsprechend mäßig und überlegt konsumiere und wenn ich politisch eine Partei (durch meine Wählerstimme, durch Spenden, durch Mitgliedschaft, durch Mitarbeit oder durch entsprechende mündliche und/oder schriftliche private und/oder  öffentliche Äußerungen) unterstütze, die in diesem Sinne agiert, dann handele ich richtig und dann tue ich damit auch genug, um kein schlechtes Gewissen haben zu müssen. – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ohne Frage: die „Bildung“ hat wahrlich schon bessere Tage erlebt als die gegenwärtigen. Daran ändert (leider) auch Ihr Kanon nichts. Er ist weder dazu geeignet, eine zerstrittene Gesellschaft wieder in einen Dialog zu setzen, wie Sie es einleitend auf der Titelseite beschreiben – Mord und Totschlag sind in diesem Kontext sogar wahrscheinlicher -, noch geht er fachlich an die Wurzel dessen, was das Manko der gegenwärtigen Diskussion um genuine Bildungsprozesse darstellt. In der klassischen, sprich: neuhumanistischen Bildungstheorie ging es primär eben nicht darum, sich an standardisierten Werken abzuarbeiten, sondern ein ehrliches Interesse an der Welt zu entwickeln, welches es jedem Menschen erlauben sollte, einen je INDIVIDUELLEN Bildungskosmos aufzubauen. Freilich spielen die großen Werke der Menschheit dabei eine gewichtige Rolle, aber die Frage „Kant oder Hegel, Adorno oder Luhmann, Orwell oder Huxley, da Vinci oder Rafael, Einstein oder Hawking oder einfach alle zusammen?“ sollten Sie doch besser dem persönlichen Interesse des Einzelnen überlassen. Wäre das nicht, sagen wir, aufgeklärter? – Sascha Dederichs


Leserbrief zu „Lovely“ von Britta Stuff

Großartig, das „Die Zeit“  der Kämpferin Peggy Parnass eine ganze Seite widmet. Das Porträt zeigt aber leider nur ansatzweise das vielbeachtete langjährige politische Engagement  von Peggy. Ich hätte mir gewünscht, das ihre bemerkenswerte politische Arbeit mehr Raum im Artikel findet. Die eine oder andere persönliche Bemerkung der Zeit Autorin ist zudem überflüssig. Schade, das auch ein Hinweis auf eine besondere Filmcollage („Überstunden an Leben“)  fehlt.  Hamburger Filmemacher haben 2017 ein grandioses Kaleidoskop ihres beruflichen und politischen Weges fabriziert, das Peggy in ihrem außergewöhnlichen Leben zeigt. – Rainer Neumann


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

So anregend Kerstans Titelauswahl ist: Lässt sich Gemeinsamkeit wirklich durch Lektüre-Vorgaben sichern, oder entsteht sie nicht erst durch Begegnung und Austausch individueller Erfahrungen bzw. Weltdeutungen? Denselben Text lesen verschiedene Menschen ganz unterschiedlich – aber umgekehrt kann man wichtige Erfahrungen auch an ganz unterschiedlichen Texten machen In vielen Grundschulklassen lesen nicht alle Kinder dasselbe Buch im Sprachunterricht, untersuchen nicht alle dasselbe Problem im Sachunterricht, sondern geht jedes seinem Interesse nach – stellt dann aber den anderen den Ertrag der persönlichen Lektüre oder des Forschens in den Kleingruppe vor: 25 verschiedene Zugänge bzw. Sichtweisen im Gespräch miteinander. Was für ein Reichtum, was für eine Weitung des Blicks! Erich Kästner UND (nicht STATT) Astrid Lindgren, Michael Ende, Cornelia Funke und syrische, türkische, russische, … und…. und… Autor*innen. Das schließt ja nicht aus, bestimmte Dinge auch gemeinsam zu machen (z. B. ein Theaterstück einzuüben, das die Lehrerin als Impuls für DIESE Lerngruppe wichtig findet). Was wir vor allem nicht vergessen sollten: Ob eine Lektüre bildend wirkt, hängt vom Kontext ab, von der Art, WIE ein Thema, ein Werk zum Gegenstand des Nachdenkens, des Austauschs verschiedener Lesarten wird. Damit der Kanon nicht zu einem multiple-choice Fragespiel mit binärem „richtig“ vs „falsch“ verkommt. Es geht ja nicht darum, „was man heute wissen muss“, sondern dass man sich mit Grundfragen auseinandersetzt und konkurrierende Lösungsversuche versteht. Insofern stellt sich die Frage: Sind bestimmte Autor*innen bzw. Bücher wichtig oder sind es bestimmte Probleme und Konzepte, mit denen sich junge Menschen auseinandergesetzt haben sollten – ob anhand eines Buches, einer Zeitungsmeldung oder der Behauptung eines Schülers, ist zweitrangig. Die Lehrer/innen müssen Kontexte und Hintergründe kennen. Denn die Wirkung eines Texts hängt immer von den Umgangsweisen mit ihm im Unterricht ab. Insofern wären es eher bestimmte Erfahrungen und ihre Qualität, die wir versuchen müssten, in der Schule wahrscheinlicher zu machen – durch Standards für produktive Lehr-/Lern-Prozesse, nicht durch die Fixierung von Inhalten. – Prof. Dr. Hans Brügelmann


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Es war und ist die Innovation des Humanismus, die klassischen Werke des griechischen und lateinischen Altertums im vollen Umfang lesen zu können, so auch die christliche Bibel. Erasmus von Rotterdamm editierte das griechische Neue Testament, das Alte Testament war über Jahrtausende im Judentum auf Hebräisch überliefert. Sie nennen in Ihrer Liste die Klassiker, jedoch einzig die Bibel in einer Auswahlausgabe (die mir nicht bekannt ist)! Nach welchen Kriterien sollte eine solche Auswahl der biblischen Schriften erfolgen? Mein Appell: Empfehlen Sie die GANZE Bibel! – mit allen ihren Schriften. Jeder Leser mag seine eigenen Erfahrungen machen. Zudem liegen deutsche Bibelausgaben in hoher Qualität vor, ob aus Wittenberg, Zürich oder mit der Einheitsübersetzung – was haben wir aus dem Reformationsjahr gelernt?! Übrigens: der Koran wäre (in einer deutschen Ausgabe) auch eine Lektüre wert! – Peter Kuhlmann


Leserbrief zu „Gefangen im Geisternetz“ von Fritz Habekuß

Und schon wieder eine Reportage zum Thema Müll/Plastik, toll!! Dazu die folgende Reaktion: Menschen wie Stefanie Werner, Tom Bär oder Clayton Fenn sind die eigentlichen, die wahren Helden unserer Zeit. Dabei spielen sie weder Fußball, noch machen sie Musik. Sie retten nur unsere Welt! Und wir? Wir merken es nicht einmal… Danke, für diese tolle, gleichermaßen bedrückende wie Mut machende Reportage, Herr Habekuss. – Achim Bothmann


Leserbrief zu „Aus Angst nach rechts“ von Martin Schröder

Die Analyse, dass der Rechtsruck mehrheitlich auf die Flüchtlingsszene zurückzuführen ist, kann ich nicht nachvollziehen. Hier wird das Mittel doch zum Zweck. Es war zunächst Ruhe, Deutschland, zumindest der Westen zeigte unvoreingenommene, große Hilfsbereitschaft. Im Osten waren Vorbehalte, die aus gefühlter Zurücksetzung von dort lebenden Menschen resultierte. Pegida und so. Dies wurde von einem, nicht zu unterschätzenden, in Deutschland schlummernden,  Hang nach Rechts erkannt und verstärkt, zum Teil eben mit einer Bedrohungslage für das soziale Netzwerk (Rente), einer undefinierten Sicherheit oder auch einer kulturellen Überfremdung. Die Angst ist in der Regel viel größer wenn jemand sich noch auf sicherem Boden fühlt, aber ihm ständig ein Abgrund aufgezeigt wird. Deshalb ist eine Suche nach einem direkten Zusammenhang sinnlos. Die Politik sollte aktiv mit dem Thema umgehen und dies publizieren. Es gibt trotz Allem doch sehr gute Ansätze für Integration. Irgendwie hat man das Gefühl, durch den Rechtsruck „herrschender Meinungen“, dass sich ehrenamtliche Helfer zurückhalten müssen, sonst werden auch sie noch Ziel von Rechten Angriffen. Dann wird alles kontraproduktiv. Weitsicht, über die nächsten Wahlen hinaus und verantwortungsvoller Umgang mit einem Wählerauftrag zum Wohle aller in Deutschland Lebenden zu handeln, das wäre jetzt wichtig. Der Staat darf auch nicht dulden, dass Arbeitswillige aus der Szene zu einem Spielball wirtschaftlicher Interessen werden. Er muss als Vorbild, diesen Menschen stabile Perspektiven bieten. Wir wollen doch alle in einer Welt leben in der ich Hilfe erwarten kann, wenn ich diese mal brauchen sollte. – Gottfried Wenger


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ich habe über 25 Jahre als Geschichtslehrerin an einem Gymnasium gelehrt. Unter Pädagogen tobt in Zeiten von Google schon lange der „Streit“, welcher Stoff zu vermitteln ist. Pures Auswendiglernen wird gering geschätzt, Kompetenzerwerb steht im Vordergrund. Ich habe mich in meiner Tätigkeit ab und zu auch für „altmodische Praktiken“ entschieden. Festes Wissen, das lebenslang bleibt entsteht m.E. durch intensives Durchdringen und ja auch durch Auswendiglernen! Meine Schüler mussten noch Geschichtszahlen lernen, damit war ich die einzige an der Schule, die das abverlangte. Kants zentralen Satz zur Aufklärung, „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“  habe ich in der 7. Klasse erst ausführlich besprochen, diesen dann abschreiben lassen und dann mussten sie diesen auswendig lernen. Sie taten es sogar gerne, denn mit guten Noten habe ich sie  belohnt. Zufällig wohnen heute meine ehemaligen Schüler in einer WG neben mir und studieren vor Ort. Ihre „alte Lehrerin“ laden sie zu Geburtstagen ein. Ich sah viele meiner Schüler wieder. Plötzlich zitierte einer Kant und lächelte mich an: “Den Satz können wir alle noch.“ – Susanne Tomczak


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ich war entzückt über zwei Unterüberschriften“… Durch einen gemeinsamen Fundus an Wissen …(S.55) … -was wir wissen müssen… (S.56)“. WISSEN und nicht Kompetenzen! Hinter denen das Wissen aus KMK- und dann bildungsministeriell-gewollt in den Änderungen der Lehrpläne zugunsten der Kompetenzen der letzten Jahre permanent hinten runterfiel. Das eröffnet Chancen, eines der vielen Stellrädchen auf tatsächliche Besserung im Bildungswesen zu stellen. Abgesehen von erneuter Änderung der Lehrpläne sogar kostenfrei. – Björn Baser


Leserbrief zu „So viel Milhambo war nie“ von Peter Dausend

Sarrazin befürchtet in seinem neuen Buch die feindliche Übernahme unserer Gesellschaft durch den Islam. Nun lese ich bei Peter Dausend, daß dieser Prozeß durch die Medaillengewinne der Damen Kwayie und Pinto sowie des Hochspringers Przybylko bei der Leichtathletik-EM bereits im vollen Gange sei. Einigermaßen verunsichert habe ich mir daraufhin  in der Mediathek noch einmal die Siegerehrungen in den jeweiligen Disziplinen angesehen und erleichtert festgestellt, daß keiner der Athleten die Ehrenrunde mit der grünen Fahne des Propheten oder gar der schwarzen des IS angetreten hat. Die ideologische-religiöse Orientierung der drei Sportler kenne ich zwar nicht, aber zumindest bei dem vermutlich gut katholischen  Przybylko hätte es mich doch sehr gewundert, wenn er PR für Allah oder Erdogan machen würde. – Ernst-Peter Hoffmann


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Mit Interesse habe ich Ihren Artikel und den von Ihnen vorgeschlagenen Kanon gelesen. Ich bewundere Ihren Mut, eine solche Frage in der heutigen Zeit anzugehen, ist das Thema Kanones doch schon seit Jahrzehnten immer wieder Streitpunkt auf allen möglichen Handlungsfeldern der Bildungspolitik. Ich erinnere mich noch gut, wie heftig wir mit unserem Ministerium in Stuttgart in den 90er Jahren bei der Erstellung neuer Lehrpläne gestritten haben, ob nun ein Kanon für die einzelnen (geisteswissenschaftlichen) Fächer aufzulegen sei oder nicht. Sie werden vermutlich Tausende von Zuschriften bekommen, die an Ihrer Auswahl herummäkeln und Ihnen vorwerfen, das eine oder andere „wichtige“ Werk vergessen zu haben (ich selbst vermisse z.B. ein Werk eines der großen französischen Aufklärer Montesquieu, Rousseau, Diderot oder Voltaire) – für unsere heutige schnelllebige Zeit glaube ich aber, dass Ihr Vorschlag wirklich gut ist. Da ich Romanist bin, kenne ich naturgemäß eine ganze Reihe der vorgeschlagenen Werke vor allem aus dem Bereich Mathematik/Naturwssenschaften nicht (in der Summe bin ich auf gut 40 von den 100 gekommen – und hoffe, deshalb nicht als „halbgebildet“ zu gelten) – diese Gebiete überlasse ich ganz gerne Fachleuten, die davon auch wirklich etwas verstehen. Dass mit einem Kanon für die heutige Zeit aber eine halbwegs verlässliche Grundlage des „Allgemein“wissens erforderlich ist, dem möchte ich ungeteilt zustimmen. „Stoff“ gehört verbindlich vorgeschrieben und behandelt! Leider herrscht in den Bildungsministerien der Länder häufig die Meinung vor, mit der Angabe mehr oder weniger schwammiger „Kompetenzen“ könne man hinreichend Bildung beschreiben – ein fataler Fehler mit katastrophalen Folgen für die Qualität des Unterrichts. Im modernen Fremdsprachenunterricht beispielsweise ist es heute die Regel, dass jede (oft primitive und rudimentäre) Schüleräußerung mit frenetischen Bravorufen belohnt wird, wenn die sog. „kommunikative Reichweite“ halbwegs vorhanden ist, da kann der französische oder italienische Satz noch so falsch sein! Ihr Vorschlag ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag dafür, dass in den Bildungsministerien endlich wieder die Vernunft Einzug hält – ich habe bisweilen den Eindruck, dass dort nur intellektuelle Zwerge ihr Unwesen treiben! Was hat ein rohstoffarmes Land wie Deutschland zu bieten außer Bildung? Wenn wir da nicht – endlich! – wieder zu einem großen Bildungskonsens kommen, sehe ich schwarz für unsere Zukunft. Die Chinesen lachen sich schon ins Fäustchen ob der zunehmenden Dummheit der Deutschen! – Franz Schneider


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Mit großer Bestürzung habe ich Ihren Artikel gelesen, der mich zwingt, mich erneut mit einem unerfreulichen Teil meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, den ich meinte, abgeschlossen zu haben. Ich habe von 1986-1992 am Heidelberger Institut für Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie eine Ausbildung gemacht und Dr.F. als sehr erfahrenen Diagnostiker kennengelernt. Dass er die Leitung des Institus abgab, weil er seine ehemalige(?) Patientin geheiratet hatte, die ich später kennen lernte, habe ich damals darauf zurück geführt,, dass er seine Liebesbeziehung nicht mehr geheim halten wollte und diesen Tabu-Bruch als einmaligen Ausrutscher interpretiert. Nicht wissend um seine jahrelangen mißbräuchlichen „Beziehungen“ fuhr ich 2mal im Monat zu ihm nach Hause, um einen unter seiner Supervision begonnen Behandlungsfall zu beenden; nichts ahnend, dass genau dies mir später zum Verhängnis werden würde! Während der Schlußphase meiner Ausbildung kurz vor dem Examen wurde ich schwanger und mein Mann und ich beschlossen, dass ich meine Ausbildung unterbrechen sollte, da ich zuhause noch 3 weitere Kinder zu versorgen hatte. Während meiner 1-jährigen Pause bekam das Institut eine neue Leitung, zu der ich kaum Kontakt hatte. Als ich meine Ausbildung wieder aufnehmen wollte, schlug mir am Institut eine feindselige Haltung entgegen, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. Es kam einige Monate später zu einer Art Inquisition: ich war noch einmal schwanger geworden und musste mich in hoch schwangerem Zustand vor der versammelten Mannschaft der Analytiker und Dozenten rechtfertigen, warum ich meinen letzten Behandlungsfall bei Dr.F. zu Ende geführt hatte. Auch zu diesem Zeitpunkt wurde ich von keinem der Anwesenden über Dr. F.`s Verhalten informiert. Dagegen wurde mir etwas unterstellt, dessen Sinn sich mir erst jetzt seit diesem Artikel erschließt! Um solchen Ausbildungskandidatinnen wie mir einen Abschluss zu erschweren, wurden die Voraussetzungen für die Abschlussprüfung plötzlich so hoch geschraubt, dass es mir mit bald 5 Kindern unmöglich war, meinen Abschluss als Psychotherapeutin zu machen. Ich habe Jahre gebraucht, diese für mich traumatisierende Art und Weise der Behandlung zu verarbeiten und mich schließlich von einem analytischen Götterhimmel distanziert, der sich als Elite der Wissenden versteht und Macht ausübt über diejenigen, deren Unverständnis als bewusste Provokation gedeutet wird. Jeder Diktator kommt nur mit der Mithilfe anderer zu Macht. Ich erhebe hiermit Anklage gegen alle, die mich/uns damals ins offene Messer haben laufen lassen; die nicht in der Lage waren, uns aufzuklären, weil sie befürchtet haben, als Mitwisser ihr Ansehen zu verlieren; die nicht fähig waren, sich öffentlich vom Verhalten ihres Institusleiters zu distanzieren, weil sie Angst hatten, als Nestbeschmutzer hingestellt zu werden. Sie alle haben sich mit schuldig gemacht und durch ihre Haltung des Schweigens den Ruf nicht nur der Heidelberger Psychotherapeuten geschädigt. – Mareike Taubmann


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Mit im Laufe ihres Artikels immer größer werdenden Entsetzen und Wut habe ich zur Kenntnis genommen, wie ein System von approbierten Medizinern jahrzehntelang ihren Kollegen gedeckt hat. Als Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kindheit finde ich das unerträglich, unfassbar und absolut skandalös. Dieses System wirkt bis in die Gegenwart! Herr Gerd Rudolf ist seit Jahrzehnten und auch aktuell mit 79 Jahren Gutachter und Obergutachter für Psychotherapieanträge von Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen. So hat dieser Mann, der die Aufarbeitung des Geschehenen in Heidelberg offensichtlich verhindert und somit seine Kollegen gedeckt hat, wiederholt und aktuell vor einem halben Jahr meinen Psychotherapieantrag wegen Traumafolgestörungen begutachtet. Was für eine Anmaßung, was für ein Skandal! Als Betroffene empfinde ich dies als unhaltbar, Her Rudolf sollte aufgrund seines Verhaltens nicht mehr als (Ober-)Gutachter tätig sein! In diesem Zusammenhang können Sie sicher verstehen, das ich Ihre Anmerkung, dass sich Opfer an die Vertrauensleute der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie wenden können, kritisch sehe. Schade, dass Ihr Artikel nur für sehr kurze Zeit  online frei verfügbar war und nach drei Tagen vollständig von der Webseite verschwand.  Der Bericht über das skandalöse Verhalten der Beteiligten sollte für alle frei zugänglich sein, sonst schützen auch Sie als Redakteure diese Täter! – Katrin Pflugbeil


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Nein, wir brauchen keinen neuen Kanon. Wir brauchen endlich ein bewußtes Denken. Kapitalistisches und technisches Denken sind unsere derzeitigen Bestimmer. Wir müssen aber für Gesellschaftliches Denken sorgen. Zur Gesellschaft gehören mindestens 2 „Stück“ Menschen. Beginnen wir also mit >Dialogischem Denken< und fragen  mit Kant bei all unseren Aktionen – zwecks Gelingen von  Gemeinwohl: „Was ist der eigentliche Wille, das eigentliche Selbst, die eigentliche Prägung meines Gegenübers, auf das ich mit meinem eigenen Willen einwirke?“ Wir sind an einem Punkt angekommen, da nicht der Fortschritt, nicht die technische Machbarkeit , sondern die Verträglichleit unseres Tuns im Bezug mit unserem Gegenüber das Gemeinwohl bestimmen sollte. Universitäten aller europäischen Länder: erarbeitet doch bitte >Dialogisches Denken< als universitäre Disziplin, die wir Menschen von Kindesbeinen an – und in der Nachfolge von unserer 2000jährigen europäisch, jüdisch-christlichen Erziehung – lehren und erlernen können. – Elke Blancke


Leserbrief zu „Effizienz ist ein Mythos“ von Lars Weisbrod

Für das Interview mit David Graeber. Sehr treffend, dass dieser Beitrag zum Thema Effizienz und Sinnlosigkeit in der Arbeitswelt im Feuilleton und nicht im Wirtschaftsteil! Wunderbar, genau richtig. Ich habe so lachen müssen und mich gleichzeitig sehr über die Erkenntnisse von Mr. Graeber gefreut. Er demaskiert das große Theater in den Konzernen, Verwaltungen und Amtsstuben. Ja, dies fällt einem selbst auch auf; aber man weiß es nicht zu fassen und zu beschreiben. Das macht Mr. Graeber hingegen sehr gut – und Sie haben dazu die richtigen Fragen gestellt. Mein Feuilleton Interview 2018! – Lutz Jäger


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

Eine hervorragende Mahnung zur Entkriminalisierung von Drogen. Leider ist die Einsicht der meisten zu dieser Denkweise nicht vorhanden. Ich stoße immer wieder auf Fassungslosigkeit, dass ich so denke ohne Eigennutz, der immer unterstellt wird bei Liberalisierung. Ich habe nie Drogen (außer in Maßen Alkohol) konsumiert und habe es auch nicht vor. Mir geht es wirklich um die Entkriminalisierung. Die sozialliberale Partei “Liberale Demokraten”, deren Bundesvorsitzender ich derzeit bin, hat bereits im Jahr 2012 ein Papier zum Umgang mit Drogen verabschiedet, das in erster Linie die Entkriminalisierung und die Hilfe für Betroffene fordert. http://www.liberale-demokraten.de/parteiprogramm/drogen/ Das Interesse ist leider nicht nur gering, sondern unsere Forderung hat sogar zu einem Mitgliederschwund geführt. In privaten Gesprächen überspitze ich gern mit den Forderungen   IT verbieten, weil es Hacker und anderen Missbrauch gibt  Autos verbieten, weil es Verkehrstote gibt  Geld vebieten, weil es geklaut werden kann bei gefährlichen Überfällen usw… aber es geht kein einsichtiger Ruck durch die Gesellschaft, das Verbieten scheint einfacher als das Begleiten, insbesondere eben, wenn die Folgen andere treffen. Ich finde allerdings, dass die Folgen organisierter Kriminalität alle treffen. – Bernd Grothkopp


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Für die Gebildeten der Nation und – in der Regel – für deren Nachkommen ist dieser Kanon „Eulen nach Athen getragen“. Ansonsten strotzt der Artikel geradezu von naiver Abgehobenheit! Schwer vorstellbar, dass ein Schüler/ eine Schüler mit Mittelschulabschluss mit oder ohne Migrationshintergrund  – aus eher bildungsfernem Milieu, sich mit Heisenbergs „Der Teil und das Ganze“ befasst. Darüber hinaus haben sich nicht nur Kinder aus Problemvierteln noch nie von einer Oper verzaubern lassen. Entscheidend ist doch, wer begleitet die Jugendlichen nach vorhergehender Einführung und zahlt die Eintrittskarte. Darüber gibt dieser Kanon keine Auskunft. Vielleicht wollte Herr Kerstan auch nur sein neues Buch bewerben. – Elisabeth Krikkay


Leserbrief zu „Probiert es doch“ von Martin Machowecz

Nein, die Demokratie profitiert nicht von einem „herunterdimmen der Feindschaft“ und einer „Moderation der Gegensätze“. Es ist zu sagen, dass Position und Opposition keine Feindschaft darstellt – wenn das auch ein gewisser Herr Donald Trump in den USA wohl meint und zumindest so verlautbart – und auch keine Freundschaft, die nur der Moderation bedarf, sondern eine notwendige Differenz darstellt, mittels der Demokratie Wirkkraft erhält und entfaltet: Die so entstehende Mitte ist kein Platz einer politischen Partei, sondern der genuine Ort des demokratischen Souveräns. Im Idealfall sind deren Repräsentanten in einem Parlament parteilos. Dieser Souverän vermag sich aus dem repräsentativ-parlamentarischen Diskursen und Diskussionen sowie Äußerungen in den Medien, die zwischen Position und Opposition ausgetauscht werden, ein Bild zu machen über das Geschehen in seinem Staat. Um bei Wahlen entscheiden zu können, welche Position die Regierungsverantwortung übernimmt und welche die Verantwortung für die Opposition, in der das Regieren kritisch in den Blick genommen und erhellt wird. In der Demokratie geht es nicht um die Macht Einzelner oder Weniger, es geht um die Mächtigkeit vieler. Die Politik in einer Demokratie hat dafür Sorge zu tragen, dass diese Mächtigkeit wirken kann. Ein Besetzen der Mitte, des „demokratischen Hebels“ durch rechts-links, schwarz-rot etc. -Koalitionen führt zu nichts anderem als einer Stärkung der randbildenden Extremen, die dann durch eine politische Mitte nurmehr verwaltet werden, während sie selbst vom Souverän entkoppelt die Geschäfte des Staates besorgt. Ist das „Deal-Making“ erst mal so weit ins Politische gerutscht und so drängend vorgedrungen, wird wohl nur mit Gewalt die so entstehende Starre gelöst werden können. Autoritaristische Gefüge unterschiedlichster Ausprägungen rund um den Globus zeugen davon. Große Koalitionen mögen für einige Teilnehmende im politischen Geschehen der Staatsräson dienlich sein, doch letztlich sind sie eine Ablehnung demokratischer Verantwortung. Ein guter Ansatz ist in der Tat die Minderheitsregierung: Die Differenz kann bestehen bleiben, um Lösungen muss im Idealfall wirklich parlamentarisch gerungen werden. Keine echte Opposition aber eine gute in schwierigen Umfeldbedingungen, unter denen weitaus mehr auf dem Spiel steht als nur das Demokratische. Grundsätzlich bekommt die Wählerschaft durch eine wirksame Differenz von Position und Opposition so das Mittel an und in die Hand, das sie zur Entscheidungsfindung benötigt: Transparenz. Übertragene demokratische Verantwortung und Staatsräson können so Hand in Hand gehen und als „strukturelle Verantwortung“ (Iris Young; In: „Iss mich doch“, Petra Pinzler im Gespräch Valentin Beck) wahrnehmbar und verwirklicht werden. Die Extremen werden so dort eingehegt, wo sie hingehören und ihren berechtigten Platz haben: An die Ränder des Spektrums, dass sie aufspannen, auch in statistischer Hinsicht. An anderer Stelle in dieser Ausgabe der ZEIT (Florian Schröder über Bildungskanon) wurde mit „kämpfend auseinandersetzen um das eigene Maß, die eigene Grenze, die eigene Gestalt zu gewinnen“ ein umstrittener Philosoph zitiert, Carl Schmitt. Ungeachtet der durch ihn vertretenen Ideologie und ungeachtet des Kontextes dieses Zitates, können diese Worte allein einen Gewinn der Demokratie für alle Akteure aufzeigen, der aus der kommunizierenden Differenz, also dem kontrovers geführten Gespräch von Position und Opposition, entspringt. Wenn etwas schwärzer oder röter, rechter oder linker als ein anderes ist, handelt es sich nicht um ein Kräftespiel aus Position und Opposition, sondern um die Verhärtung von Ideologien, an der letztlich auch eine politische Mitte zerbrechen wird. Umso mehr wenn sie sich stark und sicher fühlt und glaubt, große Gräben überspannen zu können. Da Demokratie sich um den Souverän dreht, will und soll dieser in der Mitte sein. Zu und mit Recht, will er sich demokratisch nennen können. Zu und mit Unrecht, wenn nur wenige meinen, für ihn sprechen zu können und das auch wollen, da sie sich womöglich nicht nur dem Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden des „Volkes“ viel, viel näher wähnen als die anderen, die das auch meinen. – Volker Homann


Leserbrief zu „Tödlicher Patzer“, von Josef Joffe

Many critics, no defenders, translators have but two regrets: when we hit no one remembers, when we miss no one forgets. Es ist bedauerlich, der ZEIT und dieser meist lesenswerten Kolumne unwürdig, wenn das Sommerloch dazu genutzt wird, die sehr schierige, anstrengende und verantwortungsvolle Tätigkeit des Dolmetschen durch immer wieder hervorgekramte Patzer ins Lächerlcihe zu ziehen und abzuwerten. – Dr. Artur Behr


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

„mit dem Porsche auf die Überholspur und ab“ ist wohl ein schlechter Vergleich, denn 70% aller jemals gebauten Porsche fahren noch, mithin ist der Porsche eines der nachhaltigsten Autos. Bei der Produktion eines Autos wird ungefähr so viel CO2 freigesetzt wie das Auto in seiner Lebenszeit ausstößt, also ist Porsche kaufen die beste Automüll-Vermeidung. Wenn er dann 12 statt 8 l/100km verbraucht, relativiert sich das. – Dr.med.Roland Reininghaus


Leserbrief zu „Gebt das Koks frei!“ von Karin Ceballos Betancur

„Jetzt offenbaren uns schon die Redakteure der ZEIT welche Drogen, in diesem Fall Marihuana, sie als Jugendsünde konsumiert haben. Ja, die Welt öffnet sich zu diesem Thema, manchmal ist schweigen aber doch das bessere Mittel“ – Sebastian Linkewitz


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

„Dass korrupte Eliten in den vergangenen Jahrzehnten Geld in ungefähr derselben Größenordnung aus Afrika herausschafften, wie an Entwicklungshilfe hineinfloss – was hat Europa damit zu tun?“ fragen die Autoren. Nun, eine ganze Menge. Denn das gestohlene Geld landet oft genug in europäischen, auch deutschen Gefilden (gerne z.B. in Immobilien oder Luxuskarosserien). Laxe Geldwäschekontrollen und überforderte Behörden laden dazu geradezu ein. Überhaupt kann sich weder Deutschland, noch Europa herausreden, wenn globale Rahmenbedingungen Afrika strukturell benachteiligen – sei es zum Beispiel bei der  Besteuerung transnationaler Konzerne (im zitierten Mbeki-Bericht ausgiebig behandelt) oder bei einem noch immer fehlenden Staateninsolvenzverfahren. Denn über unsere Mitgliedschaft in  G20, OECD, IWF usw. gestalten wir diese Rahmenbedingungen nicht unwesentlich mit. Wir entscheiden uns aber meist dafür, dort die Interessen „unserer“ Konzerne zu vertreten. – Thomas Mättig


Leserbrief zu „Tödlicher Patzer“, von Josef Joffe

Da klärt uns also der hochberühmte und verehrungswürdige Herr Joffe über die Tücken der Übersetzung auf – von einer Sprache, die man gar nicht übersetzen muß, weil wir sie ja alle beherrschen, in eine Sprache, die keiner braucht, weil sie ja nicht Englisch ist. Ich gebe gerne zu, daß ich einige der gebotenen Beispiele noch nicht kannte und sie ausgesprochen amüsant und treffend finde. Aber der Umstand, wem wir diese Belehrung zu verdanken haben, irritiert mich doch sehr: In meiner Wahrnehmung ist es gerade besagter Herr Joffe, der mir seit Jahren (und vermutlich mit dem Anspruch des Trendsetters) damit auf die Nerven geht, den seit Jahrzehnten als politischen terminus technicus fest etablierten Begriff des Nahen Ostens zu unterminieren und durch einen sog. „Mittleren Osten“ zu ersetzen (was mitunter zur Folge hat, daß irritierte Jungredakteure in Ihrem Haus beide Begriffe in ein- und demselben Artikel – zumal wenn der Artikel etwas länger gerät – fröhlich durcheinanderwürfeln). Mir fallen hierfür zwei Erklärungen ein: Entweder will uns Herr Joffe von dem überzeugen, was ich an anderer Stelle vor kurzem als einen Akt sprachlicher Unterwerfung bezeichnet fand, zu dem sich diejenigen beklagenswerten Erdenbürger verpflichtet fühlen, die das Unglück haben, nicht von Herrn Trump, sondern von Frau Merkel regiert zu werden. Oder mir ist entgangen, daß nach der Wiedervereinigung der zuvor die östlichen Mittelmeeranrainerstaaten und die arabische Halbinsel meinende Nahe Osten nunmehr auf die seit 29 Jahren unentwegt Neuen Bundesländer anzuwenden sei. Dann kann ich nur sagen: Auf to our false friends in the Middle East! – Claus Horn


 Leserbrief zu „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sibylla Lotter

Wo soll diese Moraldiktatur noch hinführen? Schuld? Ich glaube hier geht es ausschließlich um Rechthaben, auf der richtigen Seite stehen. Wie weit wollen wir das treiben? Bis zum kleinsten Teil der Gesellschaft: ICH? ICH ist der neue Gott und ICH kann keine anderen Götter neben sich ertragen. Wenn man im Anderen nicht mehr sein Spiegelbild erblickt, dann ist die Gesellschaft tot. – Olaf Goldschmidt


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Ich lese die „Zeit“ nun bereits mehr als 20 Jahre lang, mit mehr oder weniger Freude, aber der o.g. Beitrag geht m.E. völlig daneben. Sie lassen da einen Mann unwidersprochen zu Wort kommen, der die DDR überhaupt nicht erlebt, seine Heimat nach der Wende nur als Kind und Jugendlicher erlebt hat und zudem auch die historischen Fakten seiner Heimatstadt offenbar nur bruchstückhaft kennt. Fangen wir mit der Historie an: Es stimmt schon, dass Guben vor dem letzten Krieg eine blühende Stadt war durch Hutindustrie und Obstanbau. Alte Gubener erzählen heute noch, dass Guben auch für Berliner mit seinen blühenden Gärten so etwas wie ein Ausflugsziel war – die Stadt Werder bei Potsdam wird da immer als Beispiel genannt. Die Stadt zählte damals etwa 45000 Einwohner, von denen etwa 40000 auf der Ostseite wohnten und nach der neuen Grenzziehung ihre Heimat verlassen mussten. Die auf der Gubener Ostseite neu angesiedelten Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten hatten auch wenig Vertrauen in die neue Heimat, woran die bundesdeutschen „Landsmannschaften“ aus meiner Sicht durchaus eine erhebliche Mitschuld trugen. Mit der Folge, dass sie sich für die neue Heimat nur in geringem Maß engagierten, was man auch heute noch sieht. Und die DDR hatte andere Sorgen als Obstplantagen. Sie musste dafür sorgen, dass auf der Westseite neue Industrie angesiedelt wurde. Religion: Herr Noak redet davon, dass „…einem ganzen Landstrich die Religion ausgetrieben wurde“. Stimmt auch nur zur Hälfte. Natürlich versuchten die Genossen ganz im Sinne des Marxschen Spruchs „Religion ist Opium fürs Volk“, religiöse Bestrebungen klein zu halten. Dennoch war es die Entscheidung jedes Einzelnen, ob er nun eher der Evolutionstheorie oder der kirchlichen Schöpfungsgeschichte vertrauen wollte. Kindergärten und Schulen:„Da hingen diese komischen Wandkunstwerke, da stand dieses alte Mobilar,…“. Hier ergibt sich schon die Frage: War Herr Noak schon mal in einen westdeutschen Kindergarten oder einer Schule in einem Brennpunktgebiet? Wahrscheinlich nicht. Ich auch nicht. Aber wenn ich in dieser Zeitung Berichte über Schulen und Kindergärten in Westdeutschland lese, glaube ich schon, dass auch da noch Mobilar aus den 80ern steht. Vielleicht sieht man dort anstelle von Kunstwerken sogar Kreuze an der Wand. Wohl ganz im Sinne von Herrn Noak!. Stolz: “…, dass ich diesen ostdeutschen Stolz merkwürdig finde,… Herr Noak hat die Wende nicht als Erwachsener miterlebt. Er weiß nicht, wie kompliziert die Umstellung für einen gelernten DDR-Bürger war. Eine kleine Auswahl: Krankenkassen: Gab es zu DDR-Zeiten nur eine Krankenkasse, standen nun plötzlich tausende zur Auswahl! Wo eintreten? Alle Leistungen und alle Tarife vergleichen?  Versicherungen: In der DDR gab es eine Einheits-Versicherung, nun derer viele mit Leistungen, die teilweise völlig unbekannt waren, z.B. die Berufsunfähigkeitsversicherung, wohl auch die Unfallversicherung… In der DDR hatte jeder selbständige Bürger den berühmten grünen SV-Ausweis. In ihm wurde alles eingetragen, was für die Gesundheit und die Rente wichtig war: Alle Impfungen, die Röntgen-Aufnahmen, die Arbeitsstellen, die Jahresverdienste, die Krankheiten. Und nun brauchte man einen extra Impfausweis, einen Ausweis fürs Röntgen…. Natürlich würden die Datenschützer heute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, und wer das DDR-einheitliche Verschlüsselungsverzeichnis für Krankheiten kannte, der konnte sich über überstandene und vorhandene Krankheiten nur an Hand des SV-Ausweises ein recht gutes Bild machen. Und dann die vielen neuen Ämter, als wichtigstes wohl das Arbeitsamt, das kein DDR-Bürger vorher kannte! Gab es in der DDR nur die Einheitsgewerkschaft FDGB, gab es nun wieder viele. Galt es früher als Makel, hier nicht Mitglied zu sein, konnte man nun nicht sicher sein, ob die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht evtl. ein Grund wäre, nicht eingestellt zu werden. Anmerkung: FDGB = Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Konnte man zu DDR-Zeiten sein Auto auch nach 5 Jahren noch zum Neupreis weiter verkaufen, war jetzt der schicke Neuwagen nach einem Jahr nur noch die Hälfte wert. War man zu DDR-Zeiten froh, ein bestimmtes Produkt überhaupt zu bekommen, z.B. ein Möbelstück, konnte man nun auswählen. Und dabei musste man nun auch noch die Preise verschiedener Lieferanten und Händler vergleichen, wo zu DDR-Zeiten ein bestimmtes Produkt bei allen Händlern das gleiche kostete. Und dann das Finanzamt: Die große Mehrzahl der DDR-Bürger kannte dieses Amt höchstens vom Hörensagen. Jetzt aber ging es los mit dem Sammeln von Belegen, der Steuererklärung….Ich meine, dass es eine tolle Leistung war, diese Umstellung zu meistern und es durchaus berechtigt ist, darauf stolz zu sein. Herrn Noaks Eltern „wollten ,,,,dort gerne bleiben“ Das kann Herr Noak offenbar nicht verstehen, ich schon. Wenn man sein ganzes Leben in Guben verbracht hat, dort sein Haus, seine Wohnung, seine Bekannten und Verwandten hat, sollte man da wirklich weggehen? Mal ganz abgesehen von der Frage,ob Herrn Noaks Eltern sich West-Mieten leisten könnten. Nein, liebe Zeit; einem derart anmaßenden Menschen sollten Sie in Ihrem Blatt keinen Raum geben. – D. Schuster


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Thomas Kerstan hat recht! Wir brauchen als Volk einen gemeinsamen Orientierungsrahmen, damit die Generationen wieder miteinander sprechen können. Leider ist sein Vorschlag so gut und schlecht wie viele vorher: Wer soll den Kanon vermitteln? Die heute Dienst tuenden Lehrer haben doch selbst kein gemeinsames Grundwissen der geforderten Art mehr. Vgl. Anhang – Johannes Kettlack


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ich möchte gar keinen langen Leserbrief an Sie schreiben, weil ich eigentlich denke, dass dieser Brief in unserer heutigen Zeit unnötig sein sollte. Sie schreiben in dem Artikel „Wir brauchen einen neuen Kanon“, dass Sie „ein Mann von 60 Jahren“ seien. Als 32-jährige Frau bin ich jedenfalls schockiert darüber, dass in Ihrem Kanon von 100 Werken gerade mal 8 Werke von Frauen dabei sind. Diesen Kanon möchte ich gewiss nicht an meine Kinder weitergeben. Ich verstehe, dass historisch mehr Männer als Frauen philosophisch, künstlerisch und wissenschaftlich aktiv waren, aber was ist mit Pina Bausch, Marie Curie, Simone de Beauvoir, Hildegard von Bingen, Frida Carlo, Jane Austen? Sollten nicht wenigstens die wenigen Frauen, die sich in der Wissenschaft und der Kunst durchgesetzt haben in Ihrem Kanon auftauchen? Sollte nicht wenigstens darauf hingewiesen werden, dass unsere Kultur historisch von Männern dominiert wurde und es jetzt an der Zeit ist, dass weibliche Philosophinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen den Kanon genauso mitbestimmen wie Männer? – Sandra Schmidt


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Die Aufnahme mehrerer „Werke“ ihrer Journalisten in einen Kanon mit 100 Klassikern (die zum Teil sicher diskutierbar, aber durchaus sinnvoll gewählt sind) empfinde ich als ebenso lächerlich wie anmaßend. Was wollen Sie damit erreichen: Verkaufszahlen erhöhen? So gelingt es ihnen ganz leicht, ihre eigene Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen… – Frank Schweizer


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Dennoch wünsche ich mir eine bessere Differenzierung im sprachlichen Ausdruck hinsichtlich der Begriffe Psychologe und Psychotherapeut. Hermann F. war, wie Sie schreiben, Arzt und Psychotherapeut. Er war kein Psychologe. Nicht jeder Arzt ist Psychotherapeut, ebenso wenig ist jeder Psychologe ein Psychotherapeut. Ärzt*innen und Psycholog*innen können im Anschluss an das reguläre Psychologie- bzw. Medizinstudium eine postgraduale Weiterbildung als Psychotherapeut*innen anschließen. Sie nennen sich dann ärztliche bzw. psychologische Psychotherapeut*innen. Diese Weiterbildung kann man in den drei Grundrichtungen der Psychotherapie machen: Psychoanalyse, tiefenpsychologische Psychotherapie und Verhaltenstherapie. Die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten kann außerdem auch durch Sozialpädagog*innen mit abgeschlossenem Studium absolviert werden. Es sind also nicht automatisch Psycholog*innen, die Psychotherapeut*innen werden. Ich bitte Sie dies in Ihrem Artikel zu ändern in dem Sie an zwei Stellen sich auf die „Psychologen-Szene“ beziehen, was (wie obenaufgeführt) nicht korrekt ist. 1.)     „Fürchtete man einen Skandal, der die gesamte Psychologen-Zunft nicht gut aussehen lassen würde?“ 2.)     „Die Familie emanzipiert sich von Hermann F.- ein schmerzvoller Prozess, so wie auch die Emanzipation der Heidelberger Psychologenszene von F. ein schmerzvoller Prozess war und noch immer ist.“ Ich bezweifle außerdem, dass Hermann F. „psychologisch-medizinische Gutachten“ verfasst hat. Rein formell dürfte er dies nicht (da er Arzt war), es waren vermutlich psychiatrische Gutachten. Für Patient*innen und Angehörige sowie für die allgemeine Öffentlichkeit ist es (verständlicherweise) oft schwierig zwischen den Berufsgruppen zu unterscheiden. Daher finde ich können die öffentlichen Medien dazu einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie die korrekten Berufsbezeichnungen verwenden und öffentlich über den Unterschied aufklären. – Dr. phil. Felicitas Richter


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Danke für Ihren Artikel, den ich inhaltlich unbedingt unterstützen kann. Einen kleinen Hinweis darf ich allerdings hinzufügen: vor rund 20 Jahren hat  Dietrich Schwanitz genau einen solchen Kanon bereits einmal vorgeschlagen und in der ZEIT und in einer Hörbucheditition publik gemacht unter dem Titel:  „Bildung – alles was man wissen muß“. Einen solchen Kanon nach 20 Jahren wieder einmal zu aktualisieren, kommt mir richtig vor. – Dr. Norbert Möllers


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Es wurde Zeit, dass sich die drei Autoren J. Bittner, M. Krupa und U. Ladurner aufgemacht haben, den einseitigen Darlegungen ihres Kollegen v. Randow zum Kolonialismus der Europäer („Die ZEIT“ Nr. 32/2018) in einem eigenen Beitrag zu widersprechen. Sofern alle darin mitgeteilten Fakten exakt recherchiert sind, erscheinen die Argumente berechtigt und könnten vermutlich noch um viele vermehrt werden. Zum Beispiel fehlt ein Hinweis darauf, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten einen weit geringeren Anteil am Kolonialismus hat, und dieser  – wenn auch gezwungenermaßen – zudem schon 1919 endete. Der Forderung, man solle Migranten oder Flüchtlingen repektvoll begegnen, kann man sich auch jederzeit anschließen, wenn es sich denn nur darum handeln würde. In Wirklichkeit geht es aber um Sesshaftmachung in einer fremden Ethnie. Die Geschichte zeigt aber, dass die Bildung fremdstämmiger Minderheiten mit grundlegend anderer Kultur, meist auch anderer Religion inklusive phänotypischer Verschiedenheit, stets zu Spannungen bis letztlich mörderischen Kriegen geführt hat. Darum gilt: Wehret den Anfängen. Der Kolonialismus war eine Phase der Menschheitsgeschichte, dessen geographische Orientierung dem Entwicklungsstand der beteiligten Kontinente entsprach. Wäre der Entwicklungsstand der Afrikaner oder anderer kolonisierter Völker im Vergleich zu den Europäern umgekehrt gewesen, hätten diese uns kolonialisiert. Die genetische Determiniertheit des Menschen bezüglich Besitz- und Machtgier ist nun einmal leider irreversibel. Deshalb: Alles aufrechnen wollen, was Völker einander in den vergangenen Jahrhunderten angetan haben, geht nicht. Geschichte analysieren und Betrachtungen darüber anstellen, wie dies die „ZEIT“ gerade vorführt, kann man immer, Lehren daraus sind jedoch nicht zu erwarten. Hans Anhoeck, Waltershausen Sie ist wieder zu lang geraten, hätte aber eigentlich noch ausführlicher sein müssen. – Hans Anhoeck


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Ich sehe diesen Artikel in einen engen Zusammenhang mit zwei anderen. Ohne dass es so klar benannt würde, scheint es den Autoren jeweils darum zu gehen, den Zusammenhang zwischen Ausbeutung, bzw. Kolonialismus und der aus Afrika zu uns schwappenden Flüchtlingswelle in Bezug auf damit vorhandene Muster von Schuldbewusstsein neu zu bewerten. Stephan Wackwitz beschreibt  in „Ein Lichtfunke, der in mich fiel“ seine Erleichterung, als er nach der Lektüre von Ulrich Menzel feststellen konnte „ Es ging nicht mehr um einen unmittelbaren Schuldzusammenhang, dessen Gespenst mich in  folgenlose Selbstverachtung getrieben hatte..“ Das passt genau  zu dem Artikel „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sybilla Lotter, die pauschale Schuldgefühle als untauglich betrachtet: „Nicht  Schuld-, sondern Verantwortungsbewusstsein ist hier gefragt.“ Da mag etwas Wahres dran sein, führt aber in dieser abstrakten, ein wenig blutleeren Weise zu dem Problem, dass sich im Artikel „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ auftut. Die Tatsache, dass es zusammenbreche Staaten neben wirtschaftlichen und politischen Gewinnern gibt, wird benutzt, um den kausalen Zusammenhang zwischen Elend und Kolonialismus zu negieren und daraus abzuleiten, dass es nicht um eine Schuldfrage geht, sondern um einen einfachen pragmatischen Umgang mit den aktuellen Problemen. Das ist einerseits auch durchaus richtig. Tatsache ist, dass es in Afrika zahlreiche Probleme gibt und man sollte darüber nachdenken, wie man pragmatisch und uneigennützig so helfen kann, dass es den Menschen zu Gute kommt, weniger den Despoten oder der einheimischen Industrie. Das entbindet aber dennoch nicht von der Analyse der Zusammenhänge zwischen Kolonisten und Kolonisierten und keineswegs pauschal von der Schuldfrage. Dazu einige Denkanstöße:
Was sollte falsch daran sein, dass sich z.B. Franzosen fragen, was die Gräuel des Algerienkrieges mit der heutigen Situation zu tun haben und ob ein Schuldeingeständnis , ein Aussöhnung nicht ein positives Signal darstellt.
Würden wir auch ablehnen, uns als Heutige von Schuld freizusprechen, wenn nicht Syrer, sondern Juden in Booten nach Europa flüchten würden?
Wäre es nicht z.B. an der Zeit, dass ein Land wie Belgien sich für die vollständige brutale Zerstörung aller Strukturen im Kongo entschuldigt, zumal man den dortigen ersten gewählten demokratischen Präsidenten Afrikas sorgsam in Batteriesäure aufgelöst hat, nachdem man ihn foltern und töten ließ ?
Wäre es nicht zumindest bedenkenswert, zu erforschen, was die Kolonialmächte alles an der Schaffung von Bildung, Infrastuktur versäumt haben, was die heutigen Entwicklungschancen erheblich verringert, während sich Europa einen Startvorteil verschafft hat? Das ließe sich endlos fortführen. Vielleicht hilft für den Fortgang der Diskussion der einfache Satz von Ernesto Cardenal: Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker. – Dieter Schöneborn


Leserbrief zu „Auf die Barrikaden, ihr Datenbesitzer“ von Uwe Jean Heuser

Auf die Barrikaden! für Gewinnanteile bei den Datenkonzernen. Ein super Deal: keine geschäftsschädigenden Pseudonyme und Beschönigungen mehr. Die volle Wahrheit! Im Gegenzug ein kleines Einkommen für jeden. Alle gewinnen – selbst die Algorithmen! Noch nie konnten unsere menschlichen Schwächen so effektiv für Werbung ausgenutzt werden! Noch nie konnte der BND und Trump mit X-Keyscore das Volk so zielgenau vor Staatsfeinen schützen! Und sowieso: wer gratis Geld ablehnt, ist ja wohl entweder dumm oder hat was zu verbergen. Echt mal Leute: anstatt die selbstzerstörerische Bequemlichkeit der Menschen auch noch zu belohnen, sollte eher den Soma verfütternden digitalen Feudalherren ein Riegel vorgeschoben werden. Mein Vorschlag: vergesst die paar Kröten, und verlangt die Macht über eure Daten zurück. Denn wie der letzte Satz des Artikels treffend lautet: „Die fundamentalen Fragen bleiben Machtfragen“. – Ein/e ZEIT Leser/in


Leserbrief zu „Auf die Barrikaden, ihr Datenbesitzer“ von Uwe Jean Heuser

Ich bezweifle, dass sich mit der Eingabe von Daten bei Facebook etc. in der Regel so viel Geld verdienen lässt, dass es zum Leben reicht. Welche Erfolge hat denn die „Datengewerkschaft“ bislang vorzuweisen? Meines Erachtens wäre es sinnvoller und vielleicht auch leichter zu organisieren, wenn alle jene Unternehmen, die nur relativ wenigen Menschen Arbeit geben, aber satte Gewinne erzielen, davon in angemessenem Umfang Steuern zahlen müssten und diese dann auch tatsächlich zahlen würden, und zwar in jenen Staaten, in denen sie die Gewinne erzielt haben. Mit diesen Einnahmen könnten die Staaten dann ein Grundeinkommen oder ein gestaffeltes Grundeinkommen (vgl. http://www.ulrich-willmes.de/grundeinkommen.html) finanzieren. Noch dringender scheint es mir allerdings derzeit, dafür zu sorgen, dass Facebook nicht vollends zu Fakebook wird und zusammen mit Google, Twitter etc. durch die Verbreitung von Lügen, Hetze und Hass die westlichen Demokratien in den Abgrund reißt (vgl. http://www.ulrich-willmes.de/konzerninteressen.html und http://www.ulrich-willmes.de/demokratie-wagen.html). – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Effizienz ist ein Mythos“ von Lars Weisbrod

In dem Interview wird vorgeschlagen, zur Lösung des Problems der strukturellen Unterbeschäftigung die Wochenarbeitszeit zu reduzieren oder ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Es gibt meines Erachtens aber noch weitere Lösungsmöglichkeiten, nämlich zum einen die Umschulung auf Berufe, bei denen nach wie vor Bedarf besteht und vermutlich immer bestehen wird, nämlich im handwerklichen, pflegerischen und generell sozialen Bereich – wobei diese Arbeiten freilich anders, als es heute vielfach üblich ist, anständig bezahlt werden sollten. Zum anderen könnten auch Teilzeitbeschäftigungen gefördert werden – wobei der finanzielle Verlust gegenüber einer Vollzeitbeschäftigung durch ein gestaffeltes Teilgrundeinkommen verringert werden könnte, wie ich es auf meiner Website skizziert habe (vgl. http://www.ulrich-willmes.de/grundeinkommen.html). – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sibylla Lotter

Sie schreiben mir aus der Seele und ich hoffe, dass möglichst viele Tier- und Flüchtlingsretter den Artikel lesen und über die Motive ihres Handelns gründlich nachdenken. Selbstverständlich bin ich nicht für die guten oder bösen Taten meiner Vorfahren verantwortlich, sondern nur für meine eigenen Taten und Unterlassungen, und selbstverständlich bin ich als Weißer nicht automatisch ein Satan und als Farbiger nicht automatisch ein Engel. Ebenso bin ich als Schwuler nicht per se ein besserer Mensch und als Transgender nicht per se eine Heilige oder ein Heiliger. Ein jeder Mensch sollte meines Erachtens an seinen Taten gemessen werden und nicht nach Geschlecht, Geschlechtsidentität, Hautfarbe, Herkunft etc. be- bzw. (vor)verurteilt werden. – Ulrich Willmes


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen und fand auch Ihre persönliche „Hitliste“ der 100 wesentlichsten Bildungsvorschläge durchaus interessant. Aber ehe wir zu diesem von Ihnen zur Debatte gestellten Kanon kommen, ist es doch m. E. viel wesentlicher erst einmal die Lust auf Bildung zu wecken. Da steht für mich die „Vermittlung von Stoff“ nicht an erster Stelle. Denn das ist es, was den Frust oder „Null Bock“, oder wie auch immer aufkommen lässt. Mit Lust auf Lernen und Bildung meine ich keine Spassindustrie, sondern das Lob für Beteiligung am Unterricht zum Beispiel. Anstrengung durchaus, aber auch wenn es nicht so klappt, mal zum Ausdruck bringen, dass es schön ist, das ein Kind sich anstrengt. Ich glaube, wir sind nicht so weit voneinander entfernt mit dem, was wir erreichen wollen, nur mit der Anzahl von Lebensjahren, denn ich bin Jahrgang 1950. Kinder erleben die Schule heute in meinen Augen als Stressfaktor, die Versagensängste sind groß, und wenn das Ergebnis schlecht ist, droht Unheil gleich von mehreren Seiten, frustrierte Eltern und das persönliche Nicht-Weiter-Kommen. Kindern wird heute wenig Zeit für persönliche Entwicklung eingeräumt. Die riesigen Schulen in der Stadt, das Vollstopfen mit Wissen schon im Kindergarten empfinde ich nicht als förderlich, auch wenn es die Politik Förderung nennt. Dazu kommt, das ganz viel vorgeschrieben wird, alles im Sinne der Prävention. Einfach irgendwo zum Baden gehen oder nut toben, das ist äußerst gefährlich. Die Verantwortung für ihr Tun wird  ihnen von überängstlichen Eltern aus der Hand genommen. Dann können wir zu Ihrer Liste kommen, die ich lieber nicht kommentieren möchte, da diese, wie Sie selbst sagen persönlich ist. Denn es kommt nicht darauf an, was man liest, sondern ob man es auch anwendet oder Schlussfolgerungen zieht. Denn jeder weggelassene Autor ist einer zu wenig.  Also, man muss es wollen, dann greift man auch zur entsprechenden Lektüre, weil man neugierig ist. Das aber muss erweckt werden. – Lieselotte Schuckert


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit in den östlichen Bundesländern ist für mich ein Herzensanliegen und ich glaube, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben – als gesamtdeutsche Gesellschaft. Geboren wurde ich 1988 in Lichtenstein im heutigen Landkreis Zwickau in eine Familie hin, die zwei Jahre später alle bisherigen Sicherheiten einbüßen sollte. Mit der Wiedervereinigung kam der Verlust von Arbeitsplätzen, sozialen Netzwerken und der Niedergang ganzer Regionen begann und dauert bis heute. Meine Eltern verloren ihre Arbeit, schlugen sich dann mit Arbeitsmarktmaßnahmen und harter körperlicher Arbeit weit unter dem Mindestlohn durch. Für mich und meine Geschwister hieß das abgehängt zu sein: Mitgliedschaft in einem Sportverein, Musikunterricht, Nachhilfe – kein Geld. An Urlaub war nicht zu denken und Klassenfahrten waren eine mittelschwere Katastrophe, dazu die Unsicherheit ob das Arbeitsamt rechtzeitig die Gelder bewilligt und wir ohne Scham bezahlen konnten oder ob er wieder kommt: Dieser beschämende und demütigende Moment in dem jedes 8-jährige Kind schon merkt, ich bin anders. Ich will meine Eltern nicht in Schutz nehmen, Sie tragen auch selbst Verantwortung für ihr Leben und das ihrer Kinder. Aber in gewisser Weise sind sie ein paradigmatisches Beispiel für Tausende Biografien in Ostdeutschland nach 1990. Mit der Wiedervereinigung ging für meine Eltern ein ungeahnter sozialer Abstieg einher: Verlust des Arbeitsplatzes und damit Rückzug aus der Gesellschaft, Austritt aus Vereinen, das Gefühl nicht mehr mithalten zu können. Einen anderen Job suchen? Klar möglich, aber es sind eben nicht nur wenige Betriebe geschlossen worden, sondern eine ganze Wirtschaftsinfrastruktur brach zusammen, dann gingen die Menschen, Freunde, Nachbarn, Familienangehörige und dann zog sich der Staat zurück. Hatte es vorher staatlich organisiertes Gesellschaftsvergnügen gegeben, dass man auch unpolitisch gut überstehen konnte, herrschte Leere, die zum Teil bis heute existiert. Die Kirchgemeinden sind auf ein Minimum und kleine Gruppen zusammengeschrumpft, sodass es in den östlichen Bundesländern üblich ist, auf die Frage nach der Konfession mit „normal“ zu antworten und dabei „Nicht-religiöse gebunden“ zu meinen. Das Misstrauen zwischen Christen und Nicht-Christen ist bis heute geblieben, von anderen Religionen ganz zu schweigen. In dem mangelnden Wissen um Religion und religiöse Praxis liegt meines Erachtens auch ein Grund für die weit verbreitete Islam-Skepsis. Auch in der Bibel sind drastische Erzählungen über Gewalt, Mord und harsche religiöse Strafen enthalten, nicht anders als im Koran. Nur kennen mancherorts 90% der Bevölkerung die Bibel nicht. Wie sollen sie also erkennen können, dass zwischen Geschriebenem und Gelebten ein himmelweiter Unterschied ist? Gar nicht. Hinzu kommt das Misstrauen, dass die meisten in der DDR aufgewachsenen Menschen verinnerlicht haben aus Sorge vor staatlichen Übergriffen. Keiner konnte wissen, ob der Nachbar, der Arbeitskollege und manchmal sogar der eigene Ehepartner wie im Falle von Vera Lengsfeld nicht intimste Dinge an staatliche Behörden übermittelte und was der Staat damit anstellte. Die DDR war weder Rechtsstaat noch Unrechtsstaat, sie war ein politisch motivierter Willkürstaat. Wurde die eine Tochter des Pfarrers zu Abitur und Studium zugelassen, konnte das im Nachbarort schon anders aussehen. Diese Unberechenbarkeit traf nicht nur Christen, sondern alle, die sich nicht problemlos einfügen wollten oder konnten. Im Laufe der Jahre wuchs die Lücke zwischen der politischen Elite der DDR und der Bevölkerung und die Erzählungen der gelenkten Medien über ausreichende Versorgen mit Lebensmitteln und neuen wirtschaftlichen Höchstleistungen konnten nicht über die Realität hinwegtäuschen. Das Gefühl nichts dagegen tun zu können ist bis heute geblieben. Für die eigenen Überzeugungen eintreten, gegen himmelschreiende Ungerechtigkeit vorgehen, selbst einen Verwaltungsbescheid anfechten ist für meine Eltern undenkbar. Dahinter steht das Gefühl, nichts ausrichten zu können oder bei einem Aufmurren mit drakonischeren Strafen belegt zu werden. Dass diese grundlegenden und selbstverständlichen Dinge einer Demokratie und eines Rechtsstaates bei vielen Menschen in den östlichen Bundesländern nicht angekommen sind, zeigt sich darin auf besonders erschreckende Weise. Einige ältere kultivieren bis heute ihre Abneigung gegen Politik, weil sie die politischen Verhältnisse der DDR mit SED und den Marionetten der Blockparteien direkt auf heute übertragen. Besonders verheerend ist es dann, dass in Sachsen seit 1990 keine systematische politische Bildung stattgefunden hat, die Menschen zum eigenständigen Denken und Handeln anregt und ihnen die vielfältigen Chancen einer Demokratie aufzeigt. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht nur die gelebte Demokratie an vielen Orten im Osten nicht angekommen, sie wird es auch weiterhin nicht tun, weil wir eine ganze Generation mit der DDR-Prägung ihrer Eltern allein gelassen haben. Dieses sozial vererbte Gefühl der Ohnmacht, ist sicherlich auch ein Grund für die Anknüpfungsfähigkeit einer nationalkonservativ orientierten Partei, die schnelle Problemlösung durch die Abschiebung aller Fremden verspricht. Gleichzeitig sollen dann aber bestimmte -ideologisch motivierte – Werte der DDR wieder gestärkt werden: Die völlig unkritische Bewertung Russlands, das Ganztagsschulsystem, die Diffamierung andersdenkender, die Debatten über komplette Privatisierung der Altersvorsorge und zeitweise Gedankenspiele über die Abschaffung der Arbeitslosenversicherung und vieles mehr. Diese unheilige Melange aus starkem und halt versprechendem staatlich vorgegebenem Wertesystem bei gleichzeitigem radikalen Abbau des Sozialstaats ist für viele leider nicht zu durchschauen. Stattdessen wirken Reflexe der Zeit vor 1989. Auch die politische und gesellschaftliche Aufarbeitung der Zeit der deutschen Teilung ist bisher völlig unzureichend. Als ich im ersten Semester meines Studiums Kommilitonen der früheren BRD kennenlernte, war es, als stammten wir von zwei verschiedenen Planeten, wenn ich heute Stipendiaten einer Stiftung zu Gast habe, die nicht ost-deutsch oder neu-bundesrepublikanisch geprägt sind, fehlt schon das schlichte Wissen um zentrale Ereignisse der DDR-Geschichte: das Aufbegehren nach Freiheit am 17. Juni 1953, die Sprengung von Gotteshäusern wie in Leipzig 1968, die Bedeutung des Prager Frühlings, die Friedensdekaden mit dem Symbol Schwerter zu Pflugscharen und vieles mehr. Aber auch die Ereignisse nach 1990 sind nicht im Blick: Arbeitsverlust ganzer Regionen und Generationen, die damit einhergehende Perspektivlosigkeit, den Wegzug ganze Generationen in die alt-bundesrepublikanischen Länder und die nun fehlenden Alterskohorten, die für unsere Gesellschaft so wichtig sind und letztlich auch die Frage nach der Aufarbeitung von Schuld. Die die geblieben sind, haben erlebt, wie reihenweise Menschen, die Träger der sozialistischen Diktatur waren, gut und behütet in der Demokratie angekommen sind während sie selbst alles verloren. Vor lauter Sorge um das täglich Brot ist das Engagement für die Gesellschaft und das kritische Hinterfragen auf der Strecke geblieben. Viel Unrecht konnte juristisch nicht aufgearbeitet werden, weil nur das justiziabel war, was lt. Einigungsvertrag auch in der Bundesrepublik vor 1990 strafbar gewesen war. Ein kluger Schachzug der untergehenden Elite der DDR. So wurde zwar Recht gesprochen aber Gerechtigkeit fehlt bis heute und sie prägt bis heute. So fehlte eine systematische Überprüfung aller Lehrer und Lehrerinnen in der ehemaligen DDR darauf, ob sie ihre Schülerinnen und Schüler bespitzelt haben, ob sie ihnen den Zugang zu Abitur, Studium oder der Wunschausbildung verbauten. Nichts ist passiert und in manchem Bundesland gibt es nicht einmal eine statistische Erhebung darüber, wie viele überhaupt überprüft worden sind. So erlebte auch ich nach 2000 noch Lehrer, die die DDR bejubelten und die heutige BRD verteufelten, die christlichen Schülern, ihren Aberglauben austreiben wollten und sie drangsalierten, die Geschichtsklitterung betrieben und behaupteten, SPD und KPD hätten sich freiwillig vereinigt und heute sei ja die SPD die offizielle Nachfolgepartei der SED. Eigentlich skandalös, aber gerade vor dem Hintergrund des Lehrermangels und der verpassten Aufarbeitung fast egal. Wo in den 1990ern die Jugend wegging, schlossen Kindergärten und Schulen, Busse und Bahnen wurden eingestampft, Polizeidienststellen, Gerichte, Ämter wurden zusammengelegt und die Städte und Gemeinden leerten sich. Wer blieb, hatte das Gefühl zurückzubleiben und von der Politik vergessen zu werden. Gleichzeitig fehlt aber auch die Generation, die kritisch nachfragen kann, die Interesse an der Rolle ihrer Eltern und Großeltern in der DDR hat und sich nicht mit den Worten „das war damals halt so“ abspeisen lässt. Aber die ebenso auch fragt, warum ganze Industriebetriebe nach 1990 von der Treuhand einfach so für 1 DM an westdeutsche Investoren zum Abbau gegeben wurden, anstatt den bisherigen Mitarbeitern zur Gründung einer GmbH zu überlassen, die aufbegehrt gegen die bis heute systematische Besetzung gesellschaftsprägender Positionen mit bundesrepublikanisch geprägten Menschen ohne ostdeutsche Biografie, die anredet, anschreibt und andiskutiert gegen die Niedriglohn-Werkbank Ostdeutschland und die endlich einfordert, ernsthaft Teil dieser Bundesrepublik seit 1990 sein zu dürfen. In der in ehemals Ost und West DDR-Geschichte eine Rolle spielt und vermittelt wird, in der klar Fehler benannt und Demokratie und Rechtsstaat vorgelebt und verteidigt werden und in der endlich erkannt wird, dass die westdeutsche Lebensrealität nichts mit der Ostdeutschen zu tun hat. – Nicole Bärwald-Wohlfarth


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Gegen einen modernisierten Kanon des Wissens ist ja nichts einzuwenden! Nur das Ziel dadurch die Gesellschaft zu einen, scheint mir mir hoch gegriffen. Denn die Kluft zwischen Bildungsbürgertum und einem großen Anteil der Bevölkerung zu diesem Thema ist schon ganz erheblich.  Das Problem der französischen Revolution war doch: Einige waren am Ende freier und gleicher und verlangten vom Rest der Bevölkerung die Brüderlichkeit. Heute brauchen wir Respekt, Neugierde und verantwortliche Handlungsfähigkeit jedes Einzelnen: Respekt vor der Natur, vor dem Andersartigen im Blick auf Charakter, Kultur, Bildung und Sozialisierung; Schulkonzepte die Raum lassen für die Entwicklung von Neugier; eigenverantwortliche Handlungskompetenz, die sich nicht dem Mainstream und dem Abarbeiten von Standards beugt, sondern verantwortlich agiert sich selbst, der Gesellschaft und der Natur gegenüber. Dieser Dreiklang kann für viele Sinn stiftend wirken und Zufriedenheit schenken. Das geht über Herzensbildung hinaus und ist unabhängig von Wissen, Kultur und Berufsstand. Damit hätten wir eine Grundlage über die verschiedene gesellschaftlichen Gruppierungen hinaus, einen neuen Zeitgeist zu entwickeln – vorausgesetzt dass keiner mehr Respekt beansprucht, neugieriger zu sein vorgibt und die eigene Tätigkeit höher bewertet als die des gesellschaftlichen Rests. – Johanne Schloen


Leserbrief zu „Der Wille zur Schuld“ von Maria-Sibylla Lotter

Zum besseren Verständnis vielleicht noch eine Priese Realität. Der Mensch hat Gesetze erschaffen nach denen reale Macht weiter vererbt wird  (Vererbung; Staatsbürgerschaft). Für die meisten Menschen (auch für die Autorin?) ist dies selbstverständlich. Da wirkt das Plädoyer für die „Nicht-Vererbung“ moralischer Schuld am Zustandekommen der realen Macht dann aber schon ein bischen scheinheilig. Gerne bin ich für „nicht schuldig“ was die (Un-)Taten der Väter betrifft, aber dann auch für Non Profit. – Dieter Herrmann Osnabrück


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Im Fall von Afrika trägt bekanntlich die Demografie zu internen Konflikten und zur Migration bei. Die Bevölkerung wächst um 30 Millionen pro Jahr bei nicht mitwachsender Wirtschaftsleistung. Sind andere, z.B. Europa daran schuld? Man muss das zum Teil bejahen, denn der medizinische Fortschritt und die durch die grüne Revolution verbesserte Nahrungsmittelproduktion sind das Ergebnis äußerer Eingriffe und haben zur Anhebung der Lebenserwartung und Senkung der Kindersterblichkeit geführt. Des Weiteren üben Islam, katholische und evangelikale  Kirchen einen äußeren Einfluss aus und behindern ausdrücklich die Familienplanung. Man kann diese Einwirkungen vielleicht auch unter Kolonialismus subsummieren, allerdings regen sich dabei kaum irgendwelche moralischen Bedenken, weil die genannten Faktoren meist als die gute Seite der Unterwerfung des Kontinents gesehen werden. Es wird übersehen, wie sehr diese ‚gut gemeinten‘ Eingriffe von außen zu den massiven Problemen beitragen, unter denen Afrika und seine Nachbarn jetzt und in Zukunft leiden müssen. Ich sehe anderseits die üblichen moralischen Selbstanklagen des Nordens und Westens – meist wegen anderer Dinge erhoben – sehr skeptisch, weil sie die Milliarde von Afrikanern nur als Objekte unseres Wirkens ansehen. Es schwingt der Gedanke mit, es ginge ihnen gut, wenn nur wir alles anders und richtig gemacht hätten. Das wertet die Betroffenen im Grunde ab und ist Ausdruck einer ungeheureren Selbstüberschätzung im Mantel eines moralischen Arguments. – Dr. Jürgen Schlitter


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Thomas Kerstan schreibt vom nicht weichenden „Unbehagen“, als 60-Jähriger die „Welt-Übersicht“ zu verlieren, und von seiner „Neugier auf die Welt“. Ich glaube, da haben er und Jugendliche eine Sache gemeinsam, eine zweite aber eher weniger: Kinder und Jugendliche sind auch neugierig auf die Welt – aber ihnen ist weniger unbehaglich und sollte es auch nicht sein (jedenfalls nicht in Kerstans Größenordnung). Genau aus diesem Spannungsfeld der Lebensalter heraus möchte ich die (1) Stärken dieses „Neuen Kanons“ deutlich unterstützen, ihn aber auch anhand (2) seiner Probleme für junge Menschen, Schule und Unterricht klar einschränken. (1) Dieser „Kanon“ hat zum Ersten sicherlich einen individuell-biografischen Nutzen: Er kann Menschen helfen, sich zu vergewissern, sich in der Welt zu verorten, zurückschauend ihre Bildungsbiografie zu überprüfen. Er ist also heilsam besonders für höhere Lebensalter, in denen bilanziert wird („Ich bin erfahren genug“, „Das müsste ich mir noch aneignen“). Speziell Kerstans „Neuer Kanon“ kann sich für Zeitgenossen gut anfühlen, weil er Bildungshorizonte auch durch nichtklassische, jüngere Artefakte markiert (Videospiele, Sendung mit der Maus u.ä.). Zum Zweiten nützt dieser „Kanon“ auch gesellschaftlich durch seine integrative Funktion: Er kann Beziehungen in den Generationen gestalten und Fortschritt ermöglichen („Wir geben euch unser Wissen weiter“), er schafft Gemeinsamkeiten, erhält Kultur, ermöglicht Kommunikation, Identifikation, Teilhabe. Auf diese Stärke weist Thomas Kerstan hauptsächlich hin. Zum Dritten wird durch jeden Werke-Kanon – richtig angewendet natürlich – eine essentielle menschliche Fähigkeit trainiert, deren Stand und Breite in einer Gesellschaft durchaus über deren Blüte oder Niedergang entscheiden kann: das Verstehen und Tolerieren fremder Geisteshaltungen. Eine Fähigkeit, die durch angewandte Naturwissenschaft und Technik nicht ersetzbar ist. Man kann einem Werke-Kanon, auch diesem, Überbetonung von Geisteswissenschaften, Geschichte im Speziellen, vorwerfen, denn die Kunst des Verstehens stammt aus diesen Disziplinen. Man kann auch einwenden, durch rein naturwissenschaftliche Experimente und Beobachtungen könne man ebenfalls seinen Horizont erweitern. Dennoch: Wissen muss man sich erarbeiten, aus einem Werk herausfinden – bloßes Anschauen reicht nicht. Das schult das kritische, abstrakte Denken („Hat der Urheber das so gemeint?“, „Welche Botschaft steckt in dem Werk?“) und schützt vor Verführbarkeiten und Beeinflussungen heute. Jetzt weiß ich: Der „Neue Kanon“ hilft mir, wenn ich älter bin, an Bildung interessiert, mein Leben bilanziere und Maßstäbe brauche, die moderner sind als klassische 50er-Jahre-Paradigmen. Er hilft mir, wenn ich Orientierungsängste habe und „Übersicht“ behalten möchte. Er hilft mir, wenn ich Ordnung, Geschlossenheit und Verwaltbarkeit gut finde („hundert Werke, das ist genug … ohne unübersichtlich zu werden“), mehr als die Jüngeren wissen und können und ihnen etwas beibringen möchte („`Das sollte ein junger Erwachsener heute unbedingt wissen´“), die Gesellschaft insgesamt im Blick habe. … Jetzt werde ich das Gefühl nicht los, der „Neue Kanon“ hilft mir, wenn ich vor allem von einer erfahreneren, erhöhten Warte aus auf die Jüngeren schaue, konservativ bin und auf Autorität Wert lege. Hier schließen sich meine Bedenken für die Schule an: (2) Ich denke, jüngere Menschen sollten nicht zwangsweise, in einer Art autoritativem Stil, zu Stabilisatoren und Trägern der gewohnten Kultur erzogen werden. Sie sollten sich dafür frei entscheiden dürfen. Besser wäre ein permissives Heranbilden progressiver, innovativer Kräfte – das natürliche Potenzial der Jugend nutzend, die gerne gegen Grenzen und Gewohnheiten denkt. Kerstans „Not“, sein negativer, beängstigender Begriff von „Chaos“, ist für Jugendliche m.E. ungültig (es sei denn, sie wurden schon zu sehr durch Angst und Entmutigung sozialisiert). Jugendliche haben auch keinen „verlorenen Überblick“, sie erarbeiten sich ihn gerade, und zwar ganz individuell. Wenn man den „Überblick“ fortgeschrittener Lebensalter mit Gewalt in Schule für Jugendliche anschlussfähig machen will (durch Lehrpläne, Unterrichtsphasierungen, Lektürezwänge, Klausurbedingungen u.ä.), verzögert man nur die Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen, sich zu emanzipieren, zu verselbständigen. Auch macht man sie krank, wegen andauernder Ungenügsamkeit gegenüber dem Kanon – einem Maßstab, der im Schulalltag Errungenes schnell vergessen lässt, aber Defizite deutlich hervorhebt (durch Lehrer als „Agenten“ des Kanons). Auch der ein oder andere unterwürfige Mitläufer, verfrühte Spießbürger oder Biedermann kommt vielleicht dabei heraus – absurderweise ganz im Gegensatz zum großen emanzipatorischen Potenzial eines Werke-Kanons (s.o.). Wir müssen die Jugend vor der Welt der Erwachsenen schützen. – Kai Schröter


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Ich bin ein sporadischer Leser Ihrer Publikation „die Zeit“. Manchmal fühlt man sich in seiner Meinung bestätigt, manchmal hat man einen sehr konträren Blickwinkel. Nun war ich aber doch überrascht wie sich Hr. Bittner, ein intelligenter Journalist, in seinem Artikel über den Kolonialismus vollkommen veirrt. Gerne würde ich ihn über vollkommen falsch erkannte Fakten aufklären, aber dies hat  Christoph Ransmayr in seiner Dankesrede zum Würth Preis schon so exzellent zum Ausdruck gebracht, dass ich einfach Hr. Bittner  empfehle diese Rede zu lesen. http://www.faz.net/-gqz-9bl3r?GEPC=s5Martin Eckert


Leserbrief zu „Gefangen im Geisternetz“ von Fritz Habekuß

Appell an die deutsche Ingenieurskunst und Infrastruktur. Nach eintägiger Recherche war regional niemand in Sicht, der das mühsam geborgene Netz entsorgen kann. Nun, je nachdem, wie weit man die Region fasste, ist dies kaum verwunderlich. Schmelztiegel stehen eher selten am Ostseestrand, sind in Deutschland aber reichlich vorhanden. Bemühen wir kurz das Internet und recherchieren die Schmelzpunkte von Nylon und Blei: Je nach Faserzusammensetzung bzw. -art schmilzt Nylon gem. Wikipedia zwischen 178 und 260 °C, Blei bei 327,5 °C. Dieses wird derzeit (20.08.18) mit 1,98 USD pro Kilogramm gehandelt. Die im Netz haftenden Algen dürften beides nicht überstehen, der dann noch übrige Stahl verlangt nach 1400 °C, könnte aber ungeschmolzen weitergegeben werden. Ich hoffe, dass wenigstens ein Recyclingbetrieb in Deutschland sich melden wird. Nicht weil er es muss, sondern weil er es kann oder es sich hoffentlich wirtschaftlich rechnet. Und weil er dabei helfen würde, die Meeresfauna ein winziges Stück weit aus ihrem menschen- und politikgemachten Schlamassel zu ziehen. – Silvia Romann


Leserbrief zu „Der Erinnerung auf der Spur“ vo Ilke Piepgras

Sehr geehrte Frau Piepgras, es ist für einen ‚alten Pauker‘ immer erfrischend zu lesen, dass aus seinen SchülerInnen etwas geworden ist, so offensichtlich auch aus Nora Krug, zu der Sie einen hübschen Artikel geschrieben haben. Auf S. 18 des aktuellen Zeitmagazins schreiben Sie : „Als Gymnasiastin hatte Krug wie üblich Klassenausflüge zu Konzentrationslagern unternommen und sehr ausgiebig Vergangenheitbewältigung betrieben. (..) Zitat Krug : Aber leider haben wir in der Schule nicht gelernt, wie man den kritischen Blick in etwas Positives umwandeln kann.(Zitat Ende) “ Das Helmholtz-Gymnasium Karslruhe, das Frau Krug besuchte und auf dem sie ihr Abitur ablegte, unterhielt seit 1988 eine enge Partnerschaft zu einem renommierten Warschauer Musikgymnasium. Zusammen mit MitschülerInnen besuchte Frau Krug 1994 auf einer mehrwöchigen Polenreise mit Aufenthalt in Warschau die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau und hatte im Rahmen des Schüleraustausches mehrfach Gelegenheit, den ‚kritischen Blick in etwas Positives umzuwandeln‘, denn das war Sinn und Zweck der noch zu polnischen Kriegsrechtszeiten begründeten Schulpartnerschaft, die ich übrigens bis 2007 betreute, jungen Europäern die Möglichkeit zu bieten, über den damals sogar noch bestehenden Blocksystemrand hinaus zu schauen und ein anderes Europa mit zu begründen. Insofern war diese Reise wie viele zuvor und danach kein „üblicher Besuch eines Konzentrationslagers“. Journalistisch wird zudem häufig beklagt, dass junge Menschen genau solche ehemaligen Stätten des Völkermords nicht besuchten, insofern beklage ich die sehr schnoddrige Formulierung der „üblichen Klassenausflüge“. Die Auschwitz – Besuche des Helmholtz-Gymnasiums ebenso wie die einer Reihe anderer ehemaliger KZ, an denen Frau Krug auch teilnahm, waren zudem nie Klassenausflüge, wie Sie sich vermutlich vorstellen können. – Tom Rauberger


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Ich, einer aus diesem dunkelsten Flecken Deutschland  ( Wahlen nach Zahlen) bin arg enttäuscht, was „Die Zeit“ so treibt mit der DDR-Bewältigung. Was bildet solch` Hüpfer sich ein, den Stab über das „andere Volk Deutschlands“ zu brechen. Nicht der gehorsame  Gang in ein Kirchenhaus beschreibt einen Menschen, sondern sein kultureller Geist, seine  Menschlichkeit und der Wille, für etwas einzustehen; auch für seine Fehler. Man musste  kein „Schwein“ sein, um aufrecht durchs Leben zu gehen, auch als 1949-Geborener nicht. Erschreckend  der Geist: “zwei  Autos, machen Pauschalreisen“. Mit seiner Meinung über seine „Heimat“ wird er gewiss nicht in Guben gebraucht – dort ist echte  Persönlichkeit gesucht. Mit Arroganz schaffen Sie keinen Frieden; wie soll das auch funktionieren?. Warum kommen keine Jungen Menschen bei ihnen zu Wort, die nach einem Aufenthalt, wo auch immer in der Welt, zurückgekehrt sind, in diesen „grauen“ Teil Deutschlands. Diese Erfahrungen sollten sie publizieren, um für eine Klimaverbesserung zu sorgen. Weder Genosse  noch Spitzel gewesen, zwei  tolle  Söhnen hierlebend (ohne Psychoanalytiker), aktiv im Verein und Pate  eines afrikanischen Mädchens. Nein, ich schäme mich nicht für dieses Leben! – Roland Leuschner


Leserbrief zu „Was heißt hier (un)christlich?“ von Jens.Martin Kruse et. Al

„Was heißt hier (un)christlich?“: fragten 4 Pfarrer aus Hamburg und München, aus evangelischer und katholischer Konfession, in der Rubrik „Glauben & Zweifeln“ (DIE ZEIT Nr. 34, S.44) im Blick auf die der Immigrantenpolisik der beiden deutschen sich „christlich“ deklarierenden Parteien. Sie konstatierten und kritisierten in der Diskussion über gegenwärtige „christliche“ Politik einen Rückschluss auf den persönlichen Glauben einschlägig profilierter Politiker(innen) . Aber geht es wirklich im Kern darum? Mag sein, dass ein solcher Rückschluss gelegentlich versucht wird. Aber im Wesentlichen geht es da doch um etwas anderes: Wenn sich zwei Parteien durch das Eigenschaftswort „christlich“ von anderen glauben abzuheben zu sollen, muss es – unter Demokraten! –  legitim sein, Politik an diesem Anspruch zu messen. Wenn etwa seit Längerem darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Bibel weithin Flucht- und Immigrationsgeschichten erzählt, dass Barmherzigkeit mit Bedrängten da eine zentrale Rolle apielt, dann ist die Frage doch geradezu zwingend, welche Schlüsse „christliche“ Parteien daraus für ihre Politik ziehen.  Und enn die Recherche dann  mager, streckenweise sogar negativ scheint, dann muss man das doch auch sagen und schreiben dürfen – finde ich. Wenn’s geht, kann’s ja widerlegt werden. Das gilt genauso für die Ansprüche, demokratisch oder (bzw. und)  sozial zu sein.  Diese beiden Ansprüche haben nach eneuerer Erkenntnis auch viel mit „christlich“ zu tun – auch wenn das Christentum selbst lange brauchte, diesen Zusammnenhang zu entdecken und ernst zu nehmen. Das ist meines Erachtens keine Gesinnungsschnüffelei, kein „Jammern“ und kewin „Richten“, sondern im demokratischen Diskurs legitim, ja notwendig! Sehen meine vier Pfarrer-Kollegen dies anders? – Prof. Dr. Joachim Stalmann


Leserbrief zu “Das gelobte Land“ von Ulrich Ladurner

Mit der Aussage, Spanien sei eines der wenigen Länder Europas ohne Rechtspopulisten, hat der Autor die reine Realität verpasst. Oder, wie wir auf Spanisch sagen, “ein paar Bäume halten ihn davon ab, den ganzen Wald zu sehen“. Die katalanischen Separatisten sind unsere Art von Rechtspopulisten, genau so wie die Liga Norte in Italien oder die prorrusischen Separatisten in der Ukraine. Wer sagte denn, dass die Rechtspopulisten nur auf nationaler (nicht regionaler) Ebene zu finden sind? Der aktuelle Präsident Kataloniens, Quim Torra, hat vor wenigen Tagen die katalanischen Separatisten aufgerufen, den spanischen Staat “anzugreifen“. Dass der spanische Premier, Pedro Sánchez, sich noch nicht dazu geäußert hat, liegt u.a. daran, dass er sein Misstrauenvotum gegen Mariano Rajoy vor zwei Monaten mit der Unterstützung der Separatisten gewonnen hat. Wenn Sie diese Tatsache mit der Enttäuschung der Spanier im Fall des nicht ausgelieferten Puigdemonts und der Ankunft von 21.000 Migranten an die spanische Küste kombinieren, wie der Autor selbst beschreibt, dann werden Sie den Aufstieg der spanischen Rechtspopulisten der Partei VOX und ihren möglichen Einzug 2019 ins Parlament besser verstehen. – Rafael González


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Der hervorragende Artikel lässt nur ein Detail aus: Wohin fließt denn das durch Misswirtschaft und Korruption  verschwundene Geld? Wieviel davon landet in Europa? Und gibt es Maßnahmen gegen Landgrabbing??? Ein paar Sätze zu dieser Problematik hätten die Sache abgerundet. – Mag. Afra Margaretha


Leserbrief zu „Was heißt hier (un)christlich?“ von Jens Martin Kruse et. Al

„Was heißt hier (un)christlich?“: fragten 4 Pfarrer aus Hamburg und München, aus evangelischer und katholischer Konfession, in der Rubrik „Glauben & Zweifeln“ (DIE ZEIT Nr. 34, S.44) im Blick auf die Immigrationspolitik der beiden deutschen sich „christlich“ deklarierenden Parteien. Sie konstatierten und kritisierten in der Diskussion einen angeblichen Rückschluss auf den persönlichen Glauben einschlägig engagierter Politiker(innen). Aber geht es im Kern wirklich darum? Mag sein, dass ein solcher Rückschluss gelegentlich versucht wird. Aber im Wesentlichen geht es da doch um anderes: Wenn sich zwei Parteien durch das Eigenschaftswort „christlich“ von anderen glauben abzuheben zu sollen, muss es – unter Demokraten! –  doch legitim sein, ihre Politik an diesem Anspruch zu messen. Wenn etwa seit Längerem darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Bibel weithin Flucht- und Immigrationsgeschichten erzählt, dass Barmherzigkeit mit Bedrängten dort eine zentrale Rolle spielt, dann sollte doch gefragt werden dürfen,  welche Schlüsse eine „christliche“ Partei daraus für ihre Politik zieht.  Und wenn die Recherche dann  mager, streckenweise sogar negativ auszufallen scheint, dann muss man das doch sagen und schreiben dürfen! Man kann’s ja widerlegen. Das gilt genauso für die Ansprüche von Parteien, demokratisch oder (bzw. und)  sozial zu sein. Diese beiden Ansprüche haben auch – wenngleich nicht nur  – christliche Wurzeln (was dem Christentum selbst allzu lange verborgen blieb). Das nachzufragen,  ist doch keine Gesinnungsschnüffelei, kein „Jammern“ und kein „Richten“, sondern demokratischer Diskurs, insofern legitim, ja notwendig! – Prof. Dr. Joachim Stalmann


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Frage: Von wem stammt folgendes Zitat:“Was für eine Zeitverschwendung, sich mit Frauen zu unterhalten. Ich will mit ihnen ins Bett, nichts sonst.“
A: Peter Frankenfeld, TV Altherrenwitzeerzähler der 50-er/60-er Jahre
B: Hugh Hefner, Begründer und Verleger des Männermagazins Playboy
C: Dr.“Hermann F.“, langjähriger Leiter des Instituts für Kinder- und Jugendlichenpychotherapie und Lehranalytiker für angehende PsychotherapeutInnen, Heidelberg – Susanne Petereit


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Je länger man den hervorragend recherchierten und formulierten Text liest, um so mehr packt einen das Entsetzen und Grauen über die Taten eines Arztes und Psychoanalytikers, der jahrzehntelang gegen jedes ärztliche und psychotherapeutische Berufsethos verstoßen hat. Uns ist es als Psychoanalytiker vertraut auch in menschliche Abgründe zu schauen und diese zu verstehen, aber dass diese Abgründe auch in den eigenen Reihen trotz umfangreicher Ausbildung und Selbsterfahrung in der Berufsausübung agiert werden, ist tief erschütternd. Schwarze Schafe gibt es in jedem Berufsfeld, aber diese Bezeichnung ist in dem beschriebenen Fall eine unpassende Verharmlosung. Erschütternd sind aber nicht nur die Taten dieses Sexualstraftäters, sondern das jahrelange Schweigen der Mitwisser im beruflichen Umfeld des Doktor F., die sich ebenfalls mitschuldig gemacht haben und viel Leid hätten verhindern können. Es bleibt zu hoffen, dass nun Ermittlungen und strafrechtliche Maßnahmen dazu führen, dass die Opfer noch erfahren können, dass diese Taten gesühnt werden, auch wenn Doktor F. zu keinem Schulbewusstsein fähig  ist. – Günther Molitor


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Auch ich halte den Kolonialismus für grausam und menschenverachtend, ob in alter Form oder neo. Die Bumerangthese von Gero von Randow ist durchaus zutreffend, auch wenn die Afrikaflüchtlinge sicherlich nicht als Rächer der Geschichte auftreten. Ihre Gründe sind einfach Not und Elend, egal ob Krieg, Hunger oder wirtschaftliche Gründe dahinter stehen.  Über die jahrhundertelange Ausbeutung afrikanischer Länder besteht sicherlich Einigkeit. Auch wenn die Kolonialmächte vor inzwischen 50 Jahren und mehr ihre Verwaltungsstruktur und damit ihre Diktatur aus verschiedenen Gründen aufgegeben haben, wurden und werden diese Länder mit neuen Methoden weiter ausgebeutet, deshalb Neokolonialismus. Die Methoden sind dabei vielfältig und gehen über die Ausbeutung der Rohstoffe zu Billigpreisen, der Abwerbung von klugen Köpfen, der Verramschung von im reichen Europa nicht mehr gewünschten und verkäuflichen Produkten wie Altkleider oder Altautos und Lebensmitteln. Darüber hinaus leisten wir „Nothilfen“ bei Dürren und Hungerkatastrophen, schicken Gelder zur Entwicklungshilfe, die kaum dort ankommen, wo sie wirklich am nötigsten sind, sondern zum großen Teil bei korrupten Mittelsmännern. Kolonialismus ist neben den o.g. Formen m.E. auch die Implementierung sogenannter demokratischer Staatsstrukturen nach westlichem Vorbild in Ländern, die zuvor teilweise mit Krieg überzogen worden sind, der massiven Förderung von westlich orientierten Machthabern und massiver finanzieller Unterstützung dieser durch z.B. die USA. Und wenn wir uns den Scherbenhaufen einer solchen verfehlten Machtunterstützung ansehen wie in Afghanistan oder Iran, brauchen wir uns über das Fluchtverhalten großer Bevölkerungsteile nicht mehr wundern. Die Gründe dafür sind Machtinteressen der westlichen und somit auch ehemaligen Kolonialstaaten mit wirtschaftlicher Lobby. Die extrem unterschiedliche Entwicklung der einzelnen afrikanischen Länder ist nicht einfach und auch sicherlich nicht mit wenigen Gründen zu beurteilen, aber einen Robert Mugabe gibt es auch nicht in jedem Land. Und auch im reichen Europa vollziehen sich die Entwicklungen sehr unterschiedlich. So sind die ehemaligen reichen Kolonialmächte Spanien und Portugal derzeit nicht auf der Höhe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und auch die Griechen als einst fortschrittliche Demokratie hat heute seine Schwierigkeiten. Es liegt also an den jeweils konkreten Bedingungen und den handelnden Personen ob und wie sich ein Land weiterentwickelt.  Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in Afrika keine vergleichbare Entwicklung in der Geschichte gab wie in Europa mit der Aufklärung, wirtschaftliche und geistige Entwicklung, Arbeitskämpfe, Gewerkschaftsentwicklung und Demokratisierung. Das hat hier zu Kräfte- und Machverhältnissen geführt, die in afrikanischen Staaten durch die Kolonialisierung verhindert wurden sind und nun einen Weg finden müssen, auf dem die gesellschaftlichen Kräfte sich finden und konstituieren müssen, um dann einen Weg zu beschreiten, den hoffentlich die Mehrheit der Bevölkerung für richtig empfindet. Das muss trotzdem nicht der gleiche sein wie in den westlichen Demokratien. Insofern geht es sehr wohl um unsere historische Verantwortung für die Ursachen der Flüchtlingskrise. Dass wir dieser bisher nicht gerecht geworden sind, zeigt sehr anschaulich die Flüchtlingskrise. Ein Verschließen der europäischen Grenzen ist deshalb m.E. nicht der richtige Weg und die Folgen daraus  werden wir sicher alsbald zu spüren bekommen, denn die afrikanischen Länder und ihre Menschen werden sich aus ihrem Elend befreien, ob wir das jetzt wollen oder nicht. – Uwe Stahn


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Dieser Liste fehlt jeglicher Mut: Bücher über Bücher und noch mehr Bücher. Was wir brauchen ist ein Kanon, der moderne Kulturtechniken schätzt, und nicht Trophäen wie Ulysses oder Faust für’s Bildungsbürgertum listet, deren Essenz heutzutage (!) in fünf Sätzen besser aufgehoben ist als in hunderten staubtrockenen Seiten. Wo ist „Fack You Goethe“, wo ist „Call of Duty“, wo ist “Breaking Bad”, wo ist Drake, wo ist iOS 11?  90% der Liste hätte so auch 1967 geschrieben werden können. Interessant ist das nicht … – Andreas Basner


Leserbrief zu „Sie kamen in der Nacht“ von René Böll

Dieser 21. August  hat sich tief eingegraben; ich spüre die Verzweiflung als wäre es gestern gewesen. Ich bin wie Rene` Böll auch Jahrgang 1948 und habe seinen Beitrag mit  starker innerer Anteilnahme gelesen. Wenn Rene` Böll bemerkt „wir waren bloss Gäste, waren privilegiert…“ so spüre ich noch heute das Gefühl, es würde  uns die Luft wie nach dem Mauerbau 1961 erneut abgedrückt,  uns, die wir nicht priviligiert waren, keinen deutschen Reisepass hatten und den zynischen Triumph, die Lügen und Heucheleien der damaligen -und wie wir glücklicherweise 1989 erleben durften vermeindlichen- Sieger  ertragen mussten. Die für mich damals von mir (und noch heute)  als blauäugig angesehene westdeutsche Linke hatte  mit dem 21. August 1968 guten Grund zum Überdenken, denn es träumt und quatscht sich leicht aus freier Position. Einen dritten Weg sehe ich heute weniger als damals, trotz aktueller Dringlichkeit. Vielmehr lohnt es sich unverändert,  den Mut, die konsequente Haltung und Geradlinigkeit der Tschechen und Slowaken um Persönlichkeiten wie Alexander Dubcek und Mitstreiter und Vaclav Havel zum Vorbild zu nehmen, brauchen wir doch Anstand und Fairness jeden Tag und  „auf allen Ebenen“ zunehmend neu!!! – P.W. Anders


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Bildungsbürgers Triptychon? Ein Kanon soll gegen „die Unübersichtlichkeit der Globalisierung“ und die Spaltung der Gesellschaft“ helfen? „Ein Kanon …ist sozial gerecht“, weil er Kinder aus „sogenannten Problemvierteln“ von einer Oper verzaubern könnte? Wie das ? „Ein Kanon … bietet Orientierungshilfe für Arbeiter- und Einwanderungsfamilien, die nicht so selbstverständlich mit Bildung aufwachsen wie die Angehörigen aus Mittel- und Oberschicht.“ ? Google liefert heute Wissen aktueller und umfangreicher als je zuvor. Und das Smartphone in der Handtasche einer “Problemviertel“-Bewohnerin ersetzt hinreichend die 30-bändige Brockhausausgabe im bürgerlichen Wohnzimmer. Selbst Mahlers 9. ließe sich so problemlos in d-Moll an der Aldi-Kasse abspielen. (Kanon-)Wissen löst kein Problem! Kerstan kanonisiert sich eine Welt, wie sie ihm gefällt. Seine Vorschläge wären glaubwürdiger, wenn er beim Hamburger Schulstreit 2010 nicht gegen die Vorlage des schwarz-grünen Senats Stimmung – in der ZEIT am Wochenende vor dem Volksentscheid! – gemacht hätte. Geplant war – was u.a. die Vermittlung eines gemeinsamen Wissens tatsächlich erleichtert hätte – ein 6-jähriges gemeinsames Lernen vor der Auf-Spaltung der Kinder in die Gymnasiasten und die Anderen. Solidarität in der Gesellschaft gedeiht in solidarischen Strukturen. Sie kann ihr nicht als Kerstanscher Kanon eingetrichtert werden. – Bernd Kalvelage


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Voller Respekt zu diesem Beitrag, mit dem Sie ein weit darüber hinaus gehendes Problem aufgezeigt haben. Sexuelle Übergriffe und Anreize dazu sind ja keineswegs auf die Psychotherapie beschränkt, denkt man nur an durchaus nötige manuelle Untersuchungen und Therapien. Dazu kommt dann noch die Geldgier. Ich wurde von meinem Chirurgen in die Klinik eingewiesen, in der er beschäftigt war, obwohl er wusste, dass diese total mit dem Krankenhauskeim verseucht war. (Sie wurde inzwischen geschlossen.) Um es kurz zu machen: Ich konnte erst nach DREI Jahren aus einer dann anderen Klinik entlassen werden. An unabhängiges, selbständiges Leben ist nie mehr zu denken. Aber ich bin nur eine von zig Betroffenen. Anderswo wurde bei einer Knietransplatation von dem Herrn Professor die Kniescheibe vergessen. Seine Untergebenen mussten ihn decken, weil eben auch für sie ihr Posten wichtiger war. Nicht selten spricht seine Karriere gegen die Wahl eines Arztes. Es werden so gut wie keine Anzeigen mehr erstattet. Die richterlichen Urteile werden von den Anwälten beeinsprucht, mit fehlenden medizinischen Kenntnissen der Juristen argumentiert. Der medizinische Gutachter sorgt dann schon für einen Freispruch. Das alles ist nicht neu. Berühmte Schriftsteller haben solche Fälle als „Romaninhalte“ festgehalten, die ihnen als Ärzten schon vor vielen Jahren untergekommen sind, wie zB der Schotte Cronin oder der Schwede Axel Munthe (der deutete sogar Sodomie an!) Es gibt den hippokratischen Eid, aber wie steht es mit einem Berufsethos? – Christine Preyer


Leserbrief zu „Probiert es doch“ von Martin Machowecz

Was sind das für Töne!? Noch vor der letzten Bundestagswahl war die Botschaft der CDU, eine rot-rote Koalition wäre das Ende des Abendlandes! Und nun solche Gedanken? Ich halte diese Erwägungen für falsch. CDU und die Linke, dass passt nicht zusammen! Beide Parteien haben im politischen Spektrum gerade auf Grund ihrer Unterschiede ihre Berechtigung. Wenn jeder mit jedem ins Bett geht, bekäme der Wähler endgültig den Eindruck, es ginge in der Politik ausschließlich um die Macht und überhaupt nicht mehr um Inhalte. Außerdem würde es das linke politische Spektrum endgültig sprengen! Die SPD hat sich mit den Hartz IV Gesetzen dauerhaft unglaubwürdig gemacht. Die Grünen sind von einer linken Protestpartei zu einer Partei der Besserverdiener und Besserwisser mutiert, die nur noch die Interessen der Globalisierungsgewinner vertritt und von Menschen gewählt wird, die ihr Karma verbessern wollen, indem sie alle Afrikaner nach Europa einladen, gleichzeitig aber keinerlei Hemmungen haben, die normalen Arbeitnehmer und die sozial Schwachen aus den Städten zu verdrängen, damit sie in unter sich bleiben können. Es sind konservative nur noch leicht grün angehauchte Neoliberale. Die Umwelt spielt für sie nur noch am Rande eine Rolle. Die Linke ist, wie sie richtig feststellen, in sich gespalten. Im Westen eher die Weltretter, im Osten die letzten wahren Linken, die sich für einen gerechten Ausgleich in Deutschland engagieren. Man kann nur Hoffen, dass Sahra Wagenknecht mit ihrer Sammlungsbewegung die sozialen Kräfte in Deutschland wiederbeleben kann. – Rainer Funke


Leserbrief zu „Ich musste raus“ von Anne Hähnig

Mit Kopfschütteln und ein bisschen Empörung habe ich die Einlassungen des jungen Max Noak auf Ihre Fragen im Interview am 16.08. gelesen. Verständlich, dass ein junger Mann, der in der Kleinstadt Guben lebt, hinaus in die große Welt will. Aber dass er von London aus nur Schlechtes im Zorn über seine  Heimat erzählt ist schon empörend. 1989 geboren, meint er dass seine brandenburgische Heimat mit einem „Fluch des Ostens“ belegt sei. Aus Londoner Sicht mag sich das Leben in der Kleinstadt an der Neiße in abseitiger Grenzlage mickrig ausnehmen. Aber es so schlecht zu reden halte ich für  schlimm. Dass die Industrie dort mit der „Wende“ zusammengebrochen ist, passierte manchmal auch in tätiger Mithilfe der Konkurenten. Und Anerkennung für die, die dablieben und mit Mut etwas Neues anpackten. Mit den Folgen der Abwanderung zurecht zukommen, stellt die dortigen Kommunen vor große Probleme, da braucht es Menschen die mit anfassen statt aus der Ferne über sie herzuziehen! Der Theologe Noak hätte als Landpfarrer in seiner Heimat mittun können. Hier gibt es viele unbesetzte Pfarrstellen. Völlig berechtigt fand ich die Fragen Ihrer Kollegin Anne Hähnig: „Warum so hart sein mit denen, die all diese Möglichkeiten nicht hatten?“. Ich lebe auch seit 50 Jahren nicht mehr in meiner Heimatstadt Zittau an der Neiße. Aber mir geht das Herz auf, wenn ich an sie denke oder sie besuche. – Helmut Zimmermann


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ich las diesen Artikel an einem Morgen der letzten Tage der Prüfungsphase meines Ingenieursstudiums. Aufgelistet zu sehen welche literarischen und filmischen Werke mich in der Welt bestehen lassen, hatte ich mir früher immer gewünscht. Jetzt jedoch, einige Zeit nach der Schule, nach einer Ausbildung, Berufstätigkeit und wieder Studium, denke ich, dass vor allem den jungen Menschen nicht die Kulturklassiker an die Hand gegeben werden sollten, sondern das Verständnis über die Basis unserer Gesellschaft. Wie lege ich ein Bankkonto an? Was passiert wenn ich einen Kredit aufnehme? Sollte ich Organspender werden? Wie reanimiere ich einen Menschen? Wie wird ein Tier geschlachtet und verwertet? Wo kommt das täglich frische Obst und Gemüse im Supermarkt her? Es gibt so viele Dinge, die im Hintergrund unserer Gesellschaft ablaufen, denen man sich so leicht entziehen kann, aber deren Wahrnehmung und Verständnis, meiner Meinung nach, das wahre Grundwissen ist. Nicht zuletzt die Diskussion über den übermäßigen Gebrauch von Plastik, zeigt wie wichtig es ist, schon früh bewusstes Konsumieren zu erlernen. Ich würde mich freuen, wenn man die Menschen, (werdenden) Eltern darauf hinweist, wie wichtig es ist die Welt oder auch nur das eigene Land in ihren/seinen Grundzügen zu verstehen. – Anna Berger


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Fast 60 Jahre Unabhängigkeit, Entwicklungshilfe und „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ haben es nicht vermocht, in Afrika ausreichend lebenswerte Bedingungen zu schaffen. Migration aus Armut und Perspektivlosigkeit ist die Folge. Jetzt erkennt die Politik: Fluchtursachen bekämpfen. Vielleicht geht das schneller als 60 Jahre, sagen wir 30 Jahre. Bis dahin hat sich die Bevölkerung Afrikas von jetzt 1,2 auf 2,5 Milliarden verdoppelt. Undenkbar, daß sich bis dahin oder auch nur im Prozeß dahin die Parameter für „lebenswerte Verhältnisse“ – von Arbeitsplätzen, politischer und materieller Infrastruktur bis Rechtsstaatlichkeit und vor allem Minderung der Korruption und Machtarroganz der Regierenden –  so positiv entwickeln, daß noch mehr Druck aus dem Kessel genommen wird, als schon heute besteht. Wohin streben dann wohl die Millionen perspektivloser junger Menschen? Ich weiß nicht, ob es schon irgendwo Ideen gibt, wie mit einem solchen Szenario umgegangen werden kann, und solche Ideen werden eher schon gestern als heute und morgen gebraucht. Mit „Geld“ wird man es nicht richten können, das zeigt ja die Vergangenheit. Zumal jährlich so viel Geld illegal aus Afrika hinausgeschafft wird, wie an Entwicklungshilfe im weitesten Sinn hineinfließt. – Dr. Helmut Hiß


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Die Nützlichkeit eines breiten Wissensschatzes scheint mir unbestreitbar zu sein. Immer mal wieder über einen „Kanon an Wissen“ nachzudenken und einen solchen neu zusammenzustellen, ist gewiss vernünftig. Inwieweit das Werk von Thomas Kerstan gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich denke aber, eine bildungspolitische Reform müsste weiter greifen. Wissen reicht nicht, man muss auch verstehen können. Um verstehen zu können, muss man denken können. Wissen ist das Werkzeug, Denken ist das Handwerk. Bildung kann nicht allein Aneignung von Wissen bedeuten, sondern muss auch den Erwerb der Fähigkeit zum Denken einschließen, damit man lernen kann, die Welt zu verstehen. Wie viele Menschen haben zum Beispiel die Evolution wirklich verstanden? Ein Berg an Wissen nutzt wenig, wenn im entscheidenden Punkt der Verstand durch die Ideologie ersetzt wird. Dann nämlich entsteht Dummheit. Keine Begabungsdummheit, sondern – wie Alexander Mitscherlich einst meinte – eine sorgfältig durch den Erwerb von Vorurteilen herbeigeführte Dummheit. Sie scheint heute den Charakter einer Seuche angenommen zu haben. Wie könnte man dem entgegen wirken, wenn nicht durch Bildung? Die Demokratie sollte uns eigentlich eine auch insoweit wirkungsvolle Bildungspolitik wert sein. – Udo Wolter


Leserbrief zu „Das kranke System des Doktor F.“ von Moritz Aisslinger und Stephan Lebert

Für Ihre differenzierte Darstellung  danke ich Ihnen. Sie ermuntert mich, Ihnen ein Essay zu schicken, welches ich, unabhängig von diesen Ereignissen, für einen anderen Zusammenhang vor einigen Jahren formuliert habe. Es könnte Sie interessieren, dass man das Verhalten von Dr.F – den ich noch aus seiner berliner Zeit kenne – auch in den Kontext des Ausbildungssystems der Psychoanalyse stellen kann: Es vermittelt eine Identität stiftende,  sog. „analytische Haltung“ noch weit ausserhalb des Abstinenzgebots nach § 174c StGB. Sie ist aber der Grund für Klagen von Generationen von ehemaligen Analysepatienten über die (sprachlich-emotionale) Zurückhaltung des  Therapeuten, „der sagte ja nichts“! Diese systemtypische, kanonisierte Haltung soll dem Analytiker, so die ehemalige Absicht,  Schutz vor illegitimer Befriedigung eigener Bedürfnisse bieten (z.B. narzistische Macht- und Größedemonstrationen gegenüber seinem Patienten; Schutz vor Verwicklungen in pathologische Verhaltensmuster des Patienten (Agieren).  Diese Haltung fordert dem Therapeuten den Verzicht auf eine natürlichere unreflektiertere, sprachlich und emotional lebhaftere und unbefangenere Haltung in der Beziehung zu seinem Patienten ab, als er sie vielleicht sonst einnehmen würde. Sie kann, je nach Persönlichkeitsstruktur des Therapeuten und je nach dem Grad seiner Identifikation mit dem System, zu einer untherapeutischen, im Einzelfall auch schädlichen, Distanziertheit führen, insbesondere dann, wenn das System selbst blind geworden ist gegenüber solchen Fehlentwicklungen bei Mitgliedern der eigenen therapeutischen Kultur. Dies kann zu einem Burn Out des einzelnen Therapeuten – oder auch zum Niedergang eines Instituts führen. Oder, nicht weniger verhängnisvoll: es kommt zu willkürlichen, selbstherrlichen, unkontrollierten, unreflektierten Gegenreaktionen gegen diese „Gängellung“ durch das „System“ mit überheblichen Abweichungen im therapeutischen Setting, willkürlichen, „unkonventionellen“ Gestaltungen der therapeutischen Abläufe außerhalb des fachlichen Konsens unter Vermeidung kollegialer Supervison und Kontrolle. Aus der beidseitigen Schutzfunktion  der Abstinenz kann dann eine Versuchung zum psychischen und materiellen Mißbrauch werden oder es kommt gar  zu abscheulichen Straftaten der geschilderten Art. In der Dokumentation der Entwicklung des Dr. F. scheinen manche dieser Aspekte in den zitierten Fremdbeschreibungen auf. Und an das System der psychoanalytischen Kultur möchte man die Empfehlung richten, in  einer selbstkritischen Überprüfung – die zu ihrem Handwerkszeug gehört –  zu klären, was historisch unter „Abstinenz“ verstanden wurde und  was aus ihr geworden ist, damit  nicht infolge eines  „blinden Flecks“ übersehen wird, dass historische, ehedem sehr honorige Regelungen zu Erstarrungen führen können, die den vermeintlichen Schutz  zur Gefahr werden lassen.  Denn wenn ein gewisser, therapeutisch berechtigter Abstand des Therapeuten zum Patienten – über den man nicht lange reden muss – infolge Ideologisierung und Kanonisierung zum erstarrten Schiboleth wird und einen natürlichen, ungezwungenen Umgang des Therapeuten  erschwert oder gar verhindert, dann ist es nicht weit zu Grenzüberschreitungen durch labile Therapeuten, die mit einer flexiblen Abstandsregelung empathisch nicht zurechtkommen oder eine solche im Protest ausagieren. Der Therapeut muss sich frei in eigener Verantwortung bewegen können ohne Befürchtungen, von seinen Kollegen als „unanalytisch“ stigmatisiert zu werden. Insofern könnte es für den ungeübten Leser paradox klingen, wenn man daraus den Hinweis ableitet, dass vielleicht gerade ein geringerer Abstand  und mehr Natürlichkeit im Umgang einen größeren Schutz  bieten könnte, als ein zwanghafter, unpersönlcher, ideologisierter „Sicherheitsabstand“.  Und, bitte nicht vergessen: Am Beginn der Psychoanalyse stand ein Mißbrauch. – Dr. med. Richard Kettler


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Schon beinahe etwas wie Erlösung oder Befreiung empfand ich, als ich in der letzten Ausgabe der ZEIT Ihren Artikel „Wir brauchen einen neuen Kanon“ lesen durfte. Nichts anderes als der Gegenstand des Artikels beherrschte spätestens seit dem Eintritt in die gymnasiale Oberstufe meine Gedanken wohl in größerem Umfang: Als Erstakademikerin der Familie hegte ich während dieser Zeit nicht selten Zweifel, ob ich denn mit dem mir mitgegebenen Wissen einen Einstieg in ein geisteswissenschaftliches Studium bewältigen könnte. In meinem Familien- und Freundeskreis nämlich gab es (leider) nur selten Gelegenheit für einen Gedanken- und Meinungsaustausch bezüglich der Relevanz Gustav Mahlers oder der Repräsentation weiblicher Ideen im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Doch bei der Betrachtung meines persönlichen Umfelds kam ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, ob es nicht nur eines „neuen Kanons“ bedarf, sondern überhaupt ein Kanon konstatiert werden müsste – und zwar milieu- und schichtübergreifend für die gesamte Gesellschaft. Das Abitur habe ich im vergangenen Sommer abgelegt und habe gewiss stolz, aber auch mit einer Art „Wissens-Minderwertigkeitskomplex“ die Schule verlassen, denn das Primat der Kompetenz war während dieser Jahre deutlich wahrzunehmen: Selbstverständlich war es von großem Nutzen gelernt zu haben, einen nachvollziehbar strukturierten Text zu formulieren, ein Anschreiben zu verfassen und in einem sich eventuell anschließenden Bewerbungsgespräch angemessen aufzutreten, sowie – überspitzt formuliert – eingebläut zu bekommen, dass allein ein extrovertiertes und praxisorientiertes Auftreten berufliches Weiterkommen verspricht. Die Vermittlung von Wissen beschränkte sich hingegen in den meisten Fällen auf die bulimieartige Abfrage dieses in unzähligen unterschiedlichen Arten von Tests und Prüfungen. Doch was bleibt so von diesem wertvollen Wissen bei den Schülern übrig, welche sich nicht aus eigener Motivation für das Fach begeistern können? Hier versagen Schule und Gesellschaft, die Vermittlung von Wissen – und noch viel wichtiger: die unschätzbare Bedeutung von Wissen – muss in einem größeren Umfang, zeitintensiver und nachvollziehbarer geschehen. Die Schule (und zwar alle Schulformen und -arten) muss mehr Anreize und Motivation schaffen, sich auch nach dem Abschluss weiteres Wissen anzueignen – und dieses Wissen sollte auf einem gesamtgesellschaftlichen Kanon fußen: Als in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung, Massenkultur und des Primats der Kompetenz oftmals als nutzlos und schöngeistig verpönte Literatur, sowie der an den Schulen vernachlässigte Geschichtsunterricht, spiegelt Identitäten vergangener Gesellschaften wider, lässt die eigene Identität erkennen, erweitert Horizonte und Denkweisen und kann nicht zuletzt sogar Grundlage für tolerante Gesellschaften sein, denkt man etwa an die Ringparabel aus Lessings „Nathan der Weise“. Ein in Schule, Medien und gesellschaftspolitischer vertretener Kanon (ich stelle mir die Frage, wie Politik einen derartigen Kanon vermitteln könnte, ohne dem Anschein einer staatlich vermittelten Ideologie oder einem daraus resultierenden Nationalchauvinismus Gefahr zu laufen) muss grundlegende Werte und Wissen vermitteln, welche ermöglichen, sich selbst, die umgebende Umwelt und Gesellschaft in ihrer Genese und kulturellen Ausrichtung nachvollziehen zu können. Dies darf keineswegs nur (weiterhin) Privileg eines Bildungsbürgertums sein! Wissen schafft Zusammengehörigkeit, Wissen integriert und ist, wie im Artikel treffend formuliert, „Gedächtnis einer Nation“ – dem puren Wissen muss in der heutigen Gesellschaft ein höherer Stellenwert erlaubt sein: Ich muss den „Zauberberg“ von Thomas Mann lesen dürfen (und dabei gleichzeitig den Zugang zu einer komplexen Syntax und Sprachgefühl schulen) ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, in dieser Zeit nicht eine „Leistung“ erbracht zu haben, wie etwa das Erlangen des Bachelorgrades in BWL oder die Gründung eines Start-Ups. Wissen kann also auch Innehalten, Reflexion und Ruhe (in Castorp’scher Liegekur-Manier) in immer schnelleren und fordernden Umständen bedeuten. Nicht zuletzt vermittelt auch der „Zauberberg“ (überhaupt muss der „Zauberberg“ Teil eines Wissenskanons sein) – anhand des tragischen Endes des Charakters Leo Naphta – Toleranz und Verständnis gegenüber anderen Meinungen, sowie die Unabdingbarkeit einer fair und ebenbürtig geführten Debatte. Schließlich möchte ich Ihnen, Redaktion und Autor, für diesen Artikel und den Kanon-Entwurf danken, in stiller Hoffnung, dass dieser noch viele weitere Leserinnen und Leser inspiriert hat. – Nicole Götzelmann


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Auf dem Titel ihrer aktuellen Ausgabe kündigt die ZEIT einen bildungspolitisch großen Wurf an, scheitert daran jedoch auf empörende Art und Weise. Zurück bleiben der Geschmack nach Provisionen und Honoraren und die Ahnung von Verstrickung und Interessensvermischung. Der ZEIT-Bildungskorrespondent Thomas Kerstan unternimmt den gewagten Versuch, einen modernen Bildungskanon zu formulieren und äußert gar die Hoffnung, durch eine Diskussion über die wichtigsten Inhalte von Bildung den gesellschaftlichen Zusammenhang zu stärken und die Gräben in einer zersplitterten Gesellschaft zu überwinden. Leider diskreditiert sich dieses Unterfangen augenblicklich selbst, indem es sich – gewollt oder nicht – dem Verdacht aussetzt, eine bloße Marketing-Aktion zu sein. Kerstan betont, wie schwierig es ist, sich angesichts der erheblichen globalen Veränderungen auf einen gemeinsamen Wissensfundus zu verständigen und sich auf die hundert wichtigsten Werke zu beschränken. Gleichzeitung tauchen in Kerstans Kanon neben Werken von Platon, Kant, Nelson Mandela und Albert Einstein vier Bücher von Mitarbeitern der ZEIT auf: alleine zwei Titel des ZEIT-Redakteurs Gero von Randow und ein Titel des langjährigen ZEIT-Redakteurs Christoph Drösser. Dazu ein Gemeinschaftsprodukt der ZEIT-Redakteurinnen Özlem Topçu, Khuê Pham und Alice Bota. Alle diese Autoren veröffentlichen im Rowohlt Verlag. Wundert es da noch, dass der Rowohlt Verlag zufällig Teil der Holtzbrinck Verlagsgruppe ist, zu der auch der Zeitverlag gehört? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. So lesenswert die erwähnten Bücher im einzelnen sicherlich sind, diese aber ohne Hinweis auf mögliche Interessenskonflikte in einen „Kanon“ aufzunehmen, der die Frage nach allgemeiner Verbindlichkeit aufwirft, ist eine desaströse journalistische Arbeitsweise. Gerne würde man sich inhaltlich an dieser bildungspolitisch notwendigen Debatte beteiligen, aber gewiss nicht auf der Grundlage von Lesetips eines bestimmten Verlags. Vielleicht hätte Herr Kerstan gut daran getan, den Pressekodex des Deutschen Presserats oder ein grundlegendes Werk über Korruptionsprävention auf seine Leseliste zu setzen. Es macht fassungslos, dass eine Redaktion, die im bildungspolitischen Diskurs ernst genommen werden will, so etwas kommentarlos durchwinkt. – Alexander Scherf


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Ein Beitrag wie dieser war längst überfällig! Während man üblicherweise in der Medienlandschaft die wichtigen Probleme unserer Zeit schwarz-weiß malt, wird hier der völlig offensichtliche, einzig mögliche Weg aufgezeigt: der Kompromiss. Wie sonst auch, kann man nicht zur Perfektion gelangen (hier: der perfekte Ökobürger). Schon gar nicht, wenn man alles andere ausblendet. Dennoch bekommt man von überall her das Gefühl, sich falsch zu verhalten und sei es es nur, weil man das Auto nutzt, weil die Fahrverbindungen im öffentlichen Nahverkehr suboptimal sind. Gegen dieses universelle Gefühl von Unsicherheit hilft dieses tolle Interview unheimlich und bestätigt meinen nüchternen Blick auf unsere gesellschaftlichen Themen. – Manuel W.


Leserbrief zu „Lovely“ von Britta Stuff

Ich habe in der Zeit den Artikel über Peggy Parnass gelesen, da ist mir aufgefallen, dass Sie einen ganz eigenen Schreibstil haben. Das hat mir gut gefallen und ich habe Sie natürlich dann mal gegoogelt. Dabei stieß ich auf die preisgekrönte Reportage über Peter Hintze, ich fand, der Schreibstil war sehr ähnlich. Hat mir auch gefallen, obwohl ich Peter Hintze nicht möchte. – Martin Besser


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Unrecht bleibt Unrecht, und Mord bleibt Mord – ob heute, vor 100 oder 2000 Jahren begangen; da gibt es auch nichts zu relativieren. Die Frage ist nur, ob es rückwirkend eine ‚gerechte‘ materielle Entschädigung dafür geben kann. Diese Frage kann ehrlicherweise doch nur mit „nein“ beantwortet werden. Hier macht es sich Gero von Randow zu leicht, die Bundesrepublik sozusagen stellvertretend für alle Kolonialmächte zu verurteilen- „typisch deutsch“. Wäre es da nicht sinnvoller, sich Gedanken darüber zu machen, wie derartige Verbrechen verhindert werden könnten? – Wie wäre es zum Beispiel Trump für alle seine Vertragsbrüche, die unabsehbare Folgen für viele Menschen haben, auf die Anklagebank zu bringen? In der Gegenwart gibt es so viele noch lebenden Personen, die sich Unrecht und Mord haben zuschulden kommen lassen, die bestraft werden müßten. – Auch mit dem Kollektivschuld-Argument kann man hier nicht argumentieren. Es kann doch wohl nicht sein, daß einigen findigen amerikanischen Anwälten Vorschub geleistet wird, sich an derlei Themen zu bereichern. Aber diese Methode macht offensichtlich Schule: Man denke nur an die Forderungen der aktuellen polnischen Regierung nach Entschädigung in Höhe von 370 Milliarden Euro, obwohl das Thema Reparationen längst einvernehmlich geregelt worden ist. Ob sich ein Anwalt findet, der für mich gegen Italien klagt, weil die Römer meine rheinischen Vorfahren umgebracht haben? Horst H. Kanert


Leserbrief zu „Wir brauchen einen neuen Kanon“ von Thomas Kersten

Ja, wir brauchen einen neuen Kanon, und ja, ein Kanon ist konkret und begrenzt und definiert, was heute und wahrscheinlich morgen von Bedeutung ist. „Der Kanon das sind wir“ schreibt Herr Kersten und meint damit wohl „Wir weiße Männer“, denn außer Arendt, Anne Frank, Schwarzer und J.K. Rowling scheinen ihm keine kanon-würdigen Frauen eingefallen sein. Auch scheinen für ihn vor allem Westler eine Rolle zu spielen. Ich bin dieser Kanon jedenfalls nicht. Und ich hoffe, dass schon heute und vor allem morgen eine sehr viel größere Vielfalt von Bedeutung ist und sein wird. – Maike Salazar


Leserbrief zu „Nicht bloß Opfer der Geschichte“ von Jochen Bittner et. Al

Es fängt schon mit dem Titel des Beitrags von Bittner, Krupa, Ladurner an: G. von Randow lässt keinen Zweifel daran, dass die Kolonisierten ihr Elend mitverursacht haben. Und so geht es weiter mit Ungenauigkeiten, etwa wenn G. von Randow vom Kolonialismus als der “Basis” des Dschihads spricht. Natürlich meint er den Dschihad heute, genauso, wie er von Hunger, Armut und Migration heute spricht. Dass das Konzept des Dschihad aus dem 7. Jh. stammt, dürfte auch G. v. Randow bekannt sein. Ich könnte fortfahren mit weiteren Beispielen schlampiger Arbeitsweise oder von Nichtverstehenwollen. Schlimmer noch finde ich die Haltung dahinter: Damit haben wir nichts zu tun. Ich nehme an, die abgedruckten Fotos sollen bezeugen, dass ja trotz Kolonialismus alles gut gegangen ist: In Addis Abeba funktioniert die Rohstoffbörse und in  Nairobi können sogar Frauen mit dem Laptop umgehen. Am Ende können die Autoren sich nicht einmal eine subtile Rüge verkneifen: Aber Herr v. Randow, der moralische Zeigefinger ist völlig überflüssig. Wir kennen doch die Bibel und das Grundgesetz. Dass Bibel und Grundgesetz Rassisten und Fremdenhassern nichts zu sagen haben, ist ihnen wohl entgangen. Auffallend, aber nicht verwunderlich, dass ihnen, den Autoren, zur “Politik der Teilhabe” nichts eingefallen ist. – Christel Wolff


Leserbrief zu „Iss mich doch!“ von Petra Pinzler

Der Sommer hat am Umweltschlaf der Deutschen gerüttelt. Die Auswirkungen des Klimawandels werden (auch für uns) spürbar. Die heiße Dürre ist ein Vorbote, der uns die Richtung weist, in die wir unsere Erde lenken. Wie lange dauert es noch, bis weite Teile der Gesellschaft in Europa unter häufigen Wetterextremen leiden müssen, bis die Schreckensmeldungen nicht mehr nur als Nachricht auf unsere Bildschirme flimmern, sondern uns direkt betreffen ? Viele verspüren, dringlicher als je zuvor, das Bedürfnis zu handeln. Viele sind neu motiviert, ihr Konsumverhalten auf den Prüfstand zu stellen, sind bereit auf Dinge zu verzichten, bereit sich dem ewigen „schneller, höher, weiter“ zu entziehen. Angst und ein schlechtes Gewissen treiben uns an. Wir merken, dass wir vieles nicht mehr dürfen. Irrwitzigkeiten sind zu Selbstverständlichkeiten mutiert. Weite Teile unseres Lebens können so nicht mehr gelebt werden. Vieles geht nicht mehr. Das ist die Realität unserer Zeit. Die unbeschwerten Jahre sind vorbei. Sie teilen uns nun von philosophischer Seite mit, dass der Einzelne kaum eine Änderung herbeiführen kann. Ist es nicht kontraproduktiv, so etwas zu behaupten? Natürlich stimmt die Aussage schon. Der Einzelne im Sinne einer festen Minderheit wird nichts ausrichten können. Dennoch gehen/gingen die großen Umwälzungen immer von diesen Einzelnen, von Minderheiten aus. Sie nehmen uns den Idealismus, an die Kraft der engagierten Minderheit zu glauben. Wie hätte Deutschland je vereint werden können, wenn die Einzelnen, die sich auf den Weg in Richtung Ungarn oder zu den Montagsdemos gemacht haben, so gedacht hätten? Veränderung beginnt immer klein. Welche Dynamik letztlich dazu führt, dass sich ein Lawineneffekt einstellt, ist schwer zu analysieren. Aber vor den aktuell bedrohlichen Hintergründen zu sagen, dass der Einzelne nichts ausrichten kann, halte ich für bedenklich. Weiter werben Sie dafür, sich (lieber) politisch zu engagieren, um auf die Gestalter einzuwirken. Ein guter Anstoß. Man wird aber wohl kaum gewisse Ideen den Machern direkt darlegen können. Was soll der Einzelne politisch ausrichten ? Wählen ? Dass mein Wahlverhalten Besserung herbeiführt, daran kann ich kaum mehr glauben. Ich wähle immer noch grün – die Macht der Gewohnheit wohl. Ich kann mich auch mit einem Banner in die Rostocker Fußgängerzone begeben. „Autowahnsinn stoppen !“, oder „Klamottenirrsinn begrenzen !“. Ich stünde wohl alleine da. Wir setzen uns schon seit einigen Jahren für einen Radweg an der Landstraße vor unserem Dorf ein. Keine Veränderung. Mein Idealismus hinsichtlich des politischen Engagements ist nicht allzu groß. Was dann ? Ziviler Ungehorsam. Manchmal hätte ich wirklich Lust, die Müllcontainer von Rewe zu plündern, oder im Markt selber alle in Plastik eingepackten Gurken zu entpacken, bis mich die Marktsecurity schreiend („Hört auf mit dem Wahnsinn, hört auf mit dem Wahnsinn,… !“) wegzerrt. Oder wie José Bové, mit dem Traktor die McDonalds Filiale zu zertrümmern. Aber: Ärger mit Recht und Gesetz ? Nicht zu verantworten mit Familie.  Hat ziviler Ungehorsam bislang Veränderung gebracht ? Nein. Aber er hat dennoch seinen Stellenwert, er hält alle wach. Bleibt für den Einzelnen der Konsumverzicht und die Hoffnung, dass auch Gestalter zu einer Haltung gelangen, die, so wie Sie es dargelegt haben, universell gültig ist. Wir sind nach wie vor voll auf Kollisionskurs mit der Erde. Die Wissenschaft fordert ein tief greifendes Umdenken. Die Gesellschaft, also Verbraucher UND Politiker UND Ökonomen UND Wissenschaftler UND … , alle müssen daran glauben: wenn der Einzelne nicht anfängt, es sich unbequemer zu machen, wird es für alle früher oder später mehr als unkomfortabel werden. Wir müssen uns gleichzeitig ins Zeug legen. Gewissensberuhigung à la „Was soll ich schon ausrichten ?“, sollten wir aus unseren Köpfen verbannen. Dies betrifft sowohl den eigenen Verzicht als auch das Einwirken auf die Menschen, die am System was ändern können. Das Eine wird ohne das Andere stecken bleiben. Der Wandel kommt weder von „Oben“ noch von „Unten“, er muss von „Innen“ kommen. – Frank Genkinger