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All the news that’s fit to print? Die Verständlichkeit der Berichterstattung zur Bundestagswahl 2009 in ausgewählten Print- und Online-Medien

Jan KercherDie Verständlichkeit der politischen Medienberichterstattung ist eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren und die Legitimität moderner Demokratien. Dieser Zusammenhang wurde von Toni Amstad im Rahmen seiner Verständlichkeitsanalyse von Schweizer Tageszeitungen bereits Ende der 1970er Jahre treffend auf den Punkt gebracht: „Was nützt Entscheidungsfreiheit, wenn über Dinge entschieden werden soll, über die ein erheblicher Teil der Bürger nicht in verständlicher Weise – und damit nur schlecht oder überhaupt nicht – informiert ist?“

Das Problem stellt sich dabei als umso relevanter dar, je wichtiger die betreffende Berichterstattung für die Wahlentscheidung der Bürger ist. Eine Studie der Universität Hohenheim hat deshalb nun die Verständlichkeit der Berichterstattung von drei wichtigen Meinungsführermedien (BILD, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung) in den vier Wochen vor der letzten Bundestagswahl analysiert. Hierbei wurden nicht nur die Print-, sondern auch die jeweiligen Online-Ausgaben der drei Medien untersucht.

Betrachtet man die Ergebnisse der Hohenheimer Studie, so lässt sich zunächst feststellen, dass die BILD-Zeitung erwartungsgemäß verständlicher abschneidet als die beiden anderen Medien. So erreichen die BILD-Artikel auf einer Skala von 0 (kaum verständlich) bis 100 (sehr verständlich) im Durchschnitt einen Wert von 61 Punkten, die übrigen Artikel hingegen einen Wert von 54 (Spiegel) bzw. 53 (Süddeutsche). Auch die hiermit verbundenen Bildungsvoraussetzungen wurden von den Hohenheimer Forschern prognostiziert: Demnach dürfte etwa ein Viertel der Artikel aus Spiegel und Süddeutscher Zeitung für Hauptschul-Absolventen eine Überforderung darstellen, bei der BILD-Zeitung hingegen nur fünf Prozent der Artikel.

Ähnliche Befunde ergeben sich für die Online-Portale der drei Medien. Auch hier schneidet die bild.de (57 Punkte) verständlicher ab als spiegel.de (51) und sueddeutsche.de (53). Entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Forscher fiel die Verständlichkeit von zwei der drei Online-Portale damit jedoch geringer aus als die ihrer jeweiligen Print-Varianten. So lag selbst bei bild.de der Anteil an Artikeln, für deren Verständnis die Hohenheimer Forscher eine Mittlere Reife als Mindestvoraussetzung ansehen, bei 12 Prozent, bei spiegel.de sogar bei einem Drittel.

Einen wichtigen Grund für die teilweise geringe Verständlichkeit der untersuchten Artikel sehen die Forscher in unnötig komplexen Satzstrukturen. So lag die mittlere Satzlänge bei Spiegel und Süddeutscher Zeitung bei etwa 15 Wörtern pro Satz. Die Empfehlung der dpa für eine optimale Verständlichkeit liegt jedoch bei nur neun Wörtern pro Satz. Es lässt sich zudem nachweisen, dass Leser in einer Verarbeitungseinheit maximal neun Wörter aufnehmen können. Sätze, die diese Länge überschreiten, müssen demnach zwischengespeichert werden und führen so zu einer höheren kognitiven Belastung, insbesondere bei komplexen Themen wie Politik.

„All the news that’s fit to print”? Überträgt man das Leitmotiv der New York Times auf die hier betrachteten deutschen Medien, so lässt sich festhalten: Für einen nicht unbedeutenden Teil der deutschen Wahlbevölkerung dürfte die Berichterstatttung zur Bundestagswahl teilweise überwindbare Verständlichkeitshürden enthalten haben. Dass sich dieser Befund nicht nur auf Spiegel und Süddeutsche Zeitung beschränkt, sondern in abgeschwächter Form auch für die BILD-Zeitung gilt, sollte deren Machern zu denken geben.

Weiterführende Links

PolitMonitor: http://www.polit-monitor.de

Homepage des Hohenheimer Fachgebiets: http://komm.uni-hohenheim.de

 

Nach der Wahl ist vor der Wahl? Die Parteien-Kommunikation vor und nach der Bundestagswahl 2009

Jan KercherModerne Wahlkämpfe finden unter Vielkanalbedingungen statt. Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen hat insbesondere die Verbreitung des Internets zu einer Vervielfachung der Kommunikationskanäle zwischen Parteien und Wählern beigetragen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern sich die Qualität und die Inhalte heutiger Parteien-Kommunikation in der Wahlkampfphase verändern. Können die Anforderungen eines professionellen Themenmanagements von den Parteien angesichts des enormen Aufwands einer Wahlkampfkommunikation unter Vielkanalbedingungen erfüllt werden? Oder allgemeiner: Wie beeinflusst der Wahlkampf die Themensetzung und die Qualität der Parteienkommunikation?

Dieser Frage sind Wahlkampfforscher der Universität Hohenheim nun erstmals nachgegangen. Hierfür wurden alle Pressemitteilungen und Homepage-News der sechs Bundestagsparteien von Juni 2009 bis März 2010 einer Themen- und Lesbarkeitsanalyse unterzogen. Für den Vergleich zwischen Wahlkampfphase und „Normalphase“ wurde hierbei jedoch die zweimonatige „Übergangsphase“ nach dem Wahltermin (in die Regierungsbildung, Koalitionsvertrag und die Aufnahme der Regierungsgeschäfte fielen) ausgeklammert, um kommunikative Nachwirkungen des Wahlkampfs in der Nachwahlzeit möglichst gut ausklammern zu können.

Die Ergebnisse der Hohenheimer Forscher sprechen dafür, dass die Parteien im Bundestagswahlkampf 2009 gegen zentrale Regeln des Themenmanagements im Wahlkampf verstießen. So zeigte sich zunächst, dass bei keiner der untersuchten Parteien eine verstärkte Konzentration und Fokussierung auf wenige Kernthemen zu beobachten war. Im Gegenteil: Betrachtet man die Kommunikation über inhaltliche Themen (und klammert den beträchtlichen Anteil der Wahlkampfkommunikation zum Thema „Wahlkampf“ selbst aus), so verteilt sich die Parteienkommunikation im Wahlkampf bei allen Parteien ausgewogener über die unterschiedlichen Themenkategorien als in der Vergleichsphase nach der Bundestagswahl. Und auch unter Einbeziehung des Themas „Wahlkampf“ in die Analyse kommt es bei keiner Partei zu einer stärkeren Themenfokussierung vor der Wahl (der Fokussierungsgrad vor und nach der Wahl fällt dann sehr ähnlich aus).

Auch die Verständlichkeit der Parteienkommunikation ist im Wahlkampf nicht höher als sonst. Lediglich bei der SPD zeigten sich in der Wahlkampfphase etwas höhere Ausprägungen der Werte des sog. Hohenheimer Verständlichkeitsindexes, der auf der Grundlage der durchgeführten Lesbarkeitsanalyse berechnet wurde. Bei allen anderen Parteien wurden die jeweils dominanten Themen im Wahlkampf ähnlich verständlich oder sogar unverständlicher dargestellt als nach der Wahl. Auch bei ihren „Kernkompetenz-Themen“ schneiden nicht alle Parteien verständlicher ab als die Konkurrenz. So belegen die beiden Unionsparteien die letzten beiden Plätze beim Thema Wirtschaftspolitik, die SPD den vorletzten Platz beim Thema Sozialpolitik. Lediglich der Linkspartei bzw. der FDP gelingt es beim Thema Sozialpolitik bzw. Wirtschaftspolitik den Spitzenplatz im Ranking des Hohenheimer Verständlichkeitsindexes zu ergattern.

Nur in einem Punkt wurden die ursprünglichen Erwartungen der Hohenheimer Forscher bestätigt: Mit Ausnahme der CDU kommunizieren alle Parteien im Wahlkampf häufiger als sonst über eines ihrer Kernkompetenz-Themen. Besonders deutlich zeigte sich dieser Effekt bei der CSU (Wirtschaftspolitik) und der SPD (Bildungspolitik), schwächer auch bei FDP (Steuerpolitik), Grünen (Umweltpolitik) und Linken (Sozialpolitik). Gewisse Richtlinien des Themenmanagements scheinen den Parteien also durchaus bekannt zu sein. Sie täten jedoch gut daran, bis zur nächsten Bundestagswahl auch die übrigen Regeln zu lernen.

P.S.: Die Daten zur Hohenheimer Studie stammen alle aus dem öffentlich zugänglichen Langzeit-Projekt „PolitMonitor“ , das die Parteienkommunikation auf monatlicher Basis erhebt und auf Themen, Verständlichkeit und Vokabular analysiert.

 

Kann man die Verständlichkeit von Politikern objektiv messen?

Jan KercherDie Verständlichkeit deutscher Spitzenpolitiker ist nicht erst seit den berühmten sprachlichen Entgleisungen des einstigen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber Anlass für öffentliche und wissenschaftliche Kritik. So berechtigt diese Kritik auf den ersten Blick erscheint: Die Ergebnisse der Verstehens- und Verständlichkeitsforschung belegen, dass die Verständlichkeit von geschriebenen oder gesprochenen Texten stark von den individuellen Verständnisvoraussetzungen des jeweiligen Lesers bzw. Zuhörers bestimmt werden (z.B. Bildung, Vorwissen).
Ansätze für eine Überwindung dieser Problematik bieten die Messinstrumente der Lesbarkeitsforschung, die ursprünglich entwickelt wurden, um die Lesbarkeit von Schulbüchern ökonomisch erfassbar zu machen. Hierfür wurden sogenannte „Lesbarkeitsformeln“ entwickelt, die auf objektiv messbaren Textmerkmalen basieren, für die zudem eine leserübergreifende Relevanz für die Lesbarkeit eines Textes nachgewiesen werden konnte. Hierzu zählen insbesondere die durchschnittliche Wortschwierigkeit und Satzkomplexität.
Die bekannteste und am häufigsten verwendete Lesbarkeitsformel ist der Reading Ease Index von Rudolf Flesch (häufig auch als „Flesch-Formel“ bezeichnet). Sie basiert auf der durchschnittlichen Satzlänge in Wörtern und der durchschnittlichen Wortlänge in Silben und ermittelt Werte von 0 (kaum verständlich) bis 100 (sehr leicht verständlich). Für die englische Sprache wurden seit Ende der 1920er Jahre mehrere hundert solcher Formeln entwickelt, die ab Ende der 1960er Jahre auch als Grundlage für die Entwicklung deutscher Formeln dienten.
Damit zurück zur eigentlichen Fragestellung: Kann man die Verständlichkeit von Politikern anhand dieser Formeln objektiv messen? Eine aktuelle Untersuchung der Universität Hohenheim hat nun erstmals anhand einer experimentellen Untersuchung überprüft, ob Lesbarkeitsformeln dazu geeignet sind, die Verständlichkeitsbewertungen und Verständnistestergebnisse von unterschiedlichen Rezipientengruppen für Politikerreden vorherzusagen. Als Untersuchungsobjekte dienten hierbei Video-Podcasts von Angela Merkel sowie eine Weihnachtsansprache von Horst Köhler.
Das Fazit der Untersuchung: „Zusammenfassend ergeben sich […] eine ganze Reihe von Indizien, die dafür sprechen, dass objektiv messbare Textmerkmale, wie sie von den Formeln erfasst werden, tatsächlich für eine Messung der Politikerverständlichkeit geeignet sind. […] Dass alle Stimuli im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen audiovisuell rezipiert wurden, bestätigt die wenigen bislang vorhandenen Belege für solch eine Übertragbarkeit der Prognoseinstrumente der Lesbarkeitsforschung“ (Kercher 2010: 115).
Wie kann man diese beachtliche Prognosekraft eines schlichten Instruments wie der Lesbarkeitsformeln angesichts der Komplexität des Phänomens Verständlichkeit erklären? Aus früheren Untersuchungen lässt sich ableiten, dass die Formeln aufgrund der vielen Interaktionen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Textmerkmalen indirekt wesentlich mehr messen, als in den Formeln direkt enthalten ist: „Dies dürfte das eigentliche Geheimnis für den Erfolg der Lesbarkeitsformeln sein“ (Best 2006: 28).

Quellenverweise:

  1. Best, Karl-Heinz (2006): Sind Wort- und Satzlänge brauchbare Kriterien zur Bestimmung der Lesbarkeit von Texten?. In: Wichter, Sigurd / Busch, Albert (Hrsg.): Wissenstransfer – Erfolgskontrolle und Rückmeldungen aus der Praxis. Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 21-31.
  2. Kercher, Jan (2010): Zur Messung der Verständlichkeit deutscher Spitzenpolitiker anhand quantitativer Textmerkmale. In: Faas, Thorsten / Arzheimer, Kai / Roßteutscher, Sigrid (Hrsg.): Information – Wahrnehmung – Emotion: Politische Psychologie in der Wahl- und Einstellungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 97-121.
 

Wolkige Ansichten – Das Vokabular der Wahlprogramme in NRW

Jan Kercher„Die Parteien haben den Bezug zu den Menschen da draußen verloren.“ Solche oder ähnliche Zitate liest man immer wieder. Allerdings nicht in den Wahlprogrammen der Parteien in NRW. Denn: Allen fünf Parteien, die sich in Nordrhein-Westfalen Hoffnung auf den Einzug in den Landtag machen können, liegen die „Menschen“ – gleich nach „NRW“ – besonders am Herzen. Zumindest, wenn man die Häufigkeit der darin verwendeten Begriffe als Maßstab heranzieht. Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse aus der Wortwolken-Analyse im „Wahlprogramm-Check“ der Universität Hohenheim und des CommunicationLabs Ulm.

Besonders wichtig sind die „Menschen“ allerdings den beiden roten Parteien Linke und SPD. Es gibt also – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen – durchaus gewisse Übereinstimmungen, auf denen man bei Koalitionsverhandlungen aufbauen könnte. Und da man für solch eine Koalition auch die Grünen mit ins Boot holen müsste, dürfte es die Beteiligten freuen, dass sich mit der Betonung der Bedeutung der „Kommunen“ auch zwischen Linken und Grünen eine wichtige Gemeinsamkeit zeigt.

Die gibt es allerdings auch zwischen Grünen und Schwarzen: Beide fordern in ihren Wahlprogrammen konsequenter als alle anderen Parteien „mehr“. Selbst bei FDP und Linkspartei sind Übereinstimmungen feststellbar: Beide Parteien haben eine Vorliebe für die Nennung des eigenen Parteinamens in ihren Programmen. Die drei anderen Parteien, insbesondere CDU und SPD, sind da im Vergleich deutlich zurückhaltender.

Also doch eher Schwarz-Grün oder sogar Schwarz-Gelb-Tiefrot? Wohl kaum, zumindest, wenn man das Vokabular der Wahlprogramme als Prognoseinstrument heranzieht. Denn insgesamt überwiegen trotz allem die begrifflichen Gemeinsamkeiten bei den drei Oppositionsparteien. So ist man sich hier ebenfalls einig, dass nach der Wahl viele wichtige Dinge angepackt werden „müssen“. Der 9. Mai wird zeigen, ob man dies in einer gemeinsamen Regierungskoalition tun können wird.

CDU
SPD
Grüne
FDP
Linke
 

Lang, kurz, einfach, übersetzt oder vorgelesen – Wie hätten Sie Ihr Wahlprogramm gerne?

Jan KercherWenn am 9. Mai um 18 Uhr die Wahllokale in NRW schließen und die ersten Hochrechnungen eintrudeln, dann wird es auch wieder darum gehen, ob die Parteien die Wähler mit ihren programmatischen Angeboten überzeugen konnten oder nicht. Eine beliebte Erklärung für schlechte Wahlergebnisse lautet dann immer: „Wir konnten unsere Positionen offensichtlich nicht gut genug kommunizieren.“ Will heißen: An sich haben wir alles richtig gemacht, die Wähler haben es nur einfach nicht verstanden.

Doch wen trifft eigentlich die Schuld für diese immer wieder gerne angeführten „Kommunikationsprobleme“? Die Wähler? Oder nicht eher die Parteien selbst, die ja schließlich selbst bestimmen können, wie viel Aufwand sie in die Vermittlung ihrer programmatischen Ziele stecken? Diese Frage lässt sich nur dann beantworten, wenn man den Aufwand untersucht, den die Parteien in die Vermittlung ihrer politischen Ziele und Pläne stecken. Betrachtet man die Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ der Universität Hohenheim und des Ulmer CommunicationLabs zur NRW-Wahl, dann lässt sich eines sehr schnell feststellen: Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Parteien, was den Aufwand an programmatischen Vermittlungsbemühungen angeht.

Einsames Schlusslicht ist die CDU: Hier müssen sich potenzielle Wähler mit der Originalfassung des Wahlprogramms begnügen. Am anderen Ende der Skala rangieren die Grünen. Diese nehmen auf die Interessen und sonstigen Voraussetzungen der potenziellen Wähler deutlich mehr Rücksicht: Es gibt die 228 Seiten lange Originalfassung des Wahlprogramms für Politik-Freaks, die Kurzfassung für den normal interessierten Wähler, das Programm in Stichpunkten für den gerade noch irgendwie an Politik interessierten Bürger, Übersetzungen für russische und türkische Wähler, das Programm in leichter Sprache für Wähler mit geistiger Behinderung und das Programm als Audio-Datei für Wähler mit Sehbehinderung. Die anderen drei Parteien rangieren zwischen diesen beiden Extremen, wobei auffällt, dass nur die drei Oppositionsparteien Programme in leichter Sprache anbieten.

Der Trend zur Versionierung der Wahlprogramme mit dem Ziel der Ansprache unterschiedlichster Wählergruppen ist seit einigen Jahren erkennbar. Interessanterweise folgen die Parteien diesem Trend jedoch von Wahl zu Wahl unterschiedlich stark. So waren die Grünen bei der Bundestagswahl mit Kurzfassung, Stichpunktfassung und Version in leichter Sprache das Schlusslicht unter den fünf Bundestagsparteien. Denn die beiden großen Parteien (SPD, CDU/CSU) offerierten ihre Programme beide zusätzlich auch noch als YouTube-Videos in Gebärdensprache sowie als Hörbuch zum Herunterladen. Die CDU stellte darüber hinaus sogar eine kostenlose Papierversion in Braille-Schrift für Blinde zur Verfügung, die FDP hingegen gab sich besonders international mit Übersetzungen in insgesamt acht Sprachen.

Was sagen uns diese Ergebnisse? Ob man die Gründe für die Vermittlungsproblematik eher auf der Seite der Wähler oder eher auf der Seite der Parteien suchen sollte, kommt stark auf den jeweiligen Wahlkampf und das Wahlprogramm-Angebot der jeweiligen Parteien an. Zumindest die CDU sollte sich im Falle einer Wahlniederlage am 9. Mai also lieber an die eigene Nase fassen, als – wie so oft – die Schuld bei den unverständigen Bürgern zu suchen.

 

CDU und SPD in NRW – Kopf an Kopf auch bei der Verständlichkeit

Jan KercherNoch eine Woche bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – und das Umfrage-Rennen zwischen CDU und SPD ist knapper als je zuvor (siehe auch den Beitrag „Zeit für Kampagnen!“). Die Wahlentscheidung zwischen CDU, SPD und den drei kleinen Parteien ist – trotz des nicht zu unterschätzenden Kandidatenfaktors – v.a. eine Entscheidung zwischen den programmatischen Angeboten der Parteien. Doch: Wie verständlich vermitteln die Parteien ihren Wählern diese Programme? Gibt es Unterschiede zwischen Regierung und Opposition oder kleinen und großen Parteien? Welche Partei schafft es am besten, eine Sprache zu treffen, die nicht nur von Politikern, sondern auch von ganz normalen Bürgern verstanden wird?

Wie schon bei der Europa- und Bundestagswahl im letzten Jahr haben Kommunikationswissenschaftler der Uni Hohenheim in Kooperation mit dem Ulmer CommunicationLab die Verständlichkeit der Wahlprogramme zur Landtagswahl in NRW genauer unter die Lupe genommen. Betrachtet man die Ergebnisse der Forscher, so lässt sich zunächst feststellen: Trotz der negativen Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ zur Bundestagswahl hat die Verständlichkeit der Wahlprogramme seitdem insgesamt kaum zugenommen. Auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex, der von 0 (kaum verständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht, erreichen die fünf untersuchten Parteien nach wie vor lediglich Werte zwischen etwa 6 und 12 Punkten.

Am besten schneidet hierbei die CDU mit einem Wert von 11,8 Punkten ab, am schlechtesten die FDP mit nur 5,8 Punkten. Letztere liegt damit nur knapp über der Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3 Punkte). SPD (10,1 Punkte), Grüne (9,0) und Linkspartei (8,1) gruppieren sich zwischen diesen beiden Polen. Im Vergleich zur Bundestagswahl haben CDU und Linkspartei damit ihre Verständlichkeit erhöhen können, während die Programme von Grünen und FDP spürbar an Verständlichkeit eingebüßt haben. Die Grünen fallen deshalb von ihrem Spitzenplatz bei der Bundestagswahl auf den dritten Rang zurück und tauschen diesen dabei gleichzeitig mit der CDU.

Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die Kurzprogramme der Parteien betrachtet, die von einem deutlich größeren Teil der Wählerschaft gelesen werden dürften: Hier legt die SPD das mit Abstand verständlichste Programm vor (17,2 Punkte) und übertrifft dabei in der Einfachheit ihrer Sprache sogar einen durchschnittlichen Bild-Zeitungsartikel (16,8 Punkte). Auch Grüne (12,7 Punkte) und FDP (12,4 Punkte) kommunizieren in ihren Kurzprogrammen deutlich verständlicher als in den Langfassungen. Bei der Linkspartei führt die Kürzung ihres Programms hingegen – anders als noch bei der Bundestagswahl – zu einem Verlust an Verständlichkeit (7,8 Punkte). Die CDU schließlich, die mit 28 Seiten die mit Abstand kürzeste Originalfassung vorlegt, sieht diese offensichtlich zugleich auch als ihre Kurzfassung an. Ob sie damit die Leselust ihrer potenziellen Wähler überschätzt hat, könnte eines der Diskussionsthemen des nächsten Sonntagabends sein…

P.S.: Ab sofort beobachten die Hohenheimer Forscher die Verständlichkeit der Parteien auch kontinuierlich auf monatlicher Basis unter www.polit-monitor.de

Links:
– Wahlprogramm-Check der Uni Hohenheim: https://komm.uni-hohenheim.de/wahlprogramm-check.html
– PolitMonitor der Uni Hohenheim: http://www.polit-monitor.de

 

Wahlprogramme als Sprachtest? Die Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme im Vergleich (Teil 2: Die Kurzprogramme)

Jan KercherNicht einmal mehr ganze drei Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Und mittlerweile haben alle im Bundestag vertretenen Parteien neben ihren regulären Wahlprogrammen auch Kurzfassungen dieser Programme vorgelegt. Dass dies keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, zeigt ein Blick auf vergangene Wahlkämpfe: Noch im Wahlkampf 2005 veröffentlichte lediglich die FDP eine Kurzversion ihres Wahlprogramms. Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim haben nun auch die Verständlichkeit dieser Kurz-Wahlprogramme untersucht, nachdem Sie vor zwei Monaten bereits die Langfassungen der Wahlprogramme einem Verständlichkeitstest unterzogen hatten.

Das wichtigste Ergebnis der Hohenheimer Studie: Im Vergleich zu den Langfassungen erhöht sich die Verständlichkeit bei den Kurzprogrammen bei allen Parteien. Am deutlichsten fällt dieser Befund allerdings bei der Linken aus: Hier schneidet das Kurzprogramm auf der Hohenheimer Verständlichkeitsskala von 0 (überhaupt nicht verständlich) bis 20 (sehr verständlich) fast 10 Punkte besser ab als die Langfassung. Dieser Befund führt zu dem Umstand, dass die Verständlichkeitsrangfolge der Parteien bei den Kurzprogrammen – wiederum im Vergleich zur Analyse der Langfassungen – durcheinander gewirbelt wird: Ganz vorne rangiert nun die Linke (die bei den Langfassungen noch am schlechtesten von allen Parteien abgeschnitten hatte), ganz hinten SPD und Union.

Kurzprogramme

Zusätzlich zu den Lang- und Kurzfassungen haben fast alle Parteien auch noch weitere Ausgaben ihrer Programme veröffentlicht. So bieten mit Ausnahme der FDP alle Parteien auch Wahlprogramme in „leichter Sprache“ (d.h. barrierefreier Sprache für Menschen mit Behinderungen) an. Diese erreichen auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex zwar ausnahmslos die vollen 20 Punkte, über die Angemessenheit des hierbei vermittelten Informations- und Sprachniveaus wird jedoch zumindest bei der Linken bereits gestritten. Trotz dieser Problematik bleibt festzuhalten: Alle Parteien bemühen sich in diesem Wahlkampf ganz besonders auch um Wähler mit Behinderungen. So kann man sich die Programme von Union, SPD und FDP auch als Hörbuch bzw. Download anhören oder als Video in Gebärdensprache anschauen. Die Union bietet darüber hinaus sogar die kostenlose Bestellung eines Programms in Braille-Schrift für blinde Wähler an. Bei der Linken und den Grünen gibt es diese Angebote zwar nicht, doch findet sich hier zumindest das bereits erwähnte Programm in leichter Sprache. Auch Wähler mit Migrationshintergrund werden bei allen Parteien bis auf die Grünen mit Übersetzungen der Kurzprogramme angesprochen. Am internationalsten gibt sich hier FDP: Diese bietet ihr Kurzprogramm gleich in sieben weiteren Sprachen an, darunter chinesisch, russisch, türkisch und polnisch.

Fazit: Betrachtet man die Ergebnisse der Hohenheimer Forscher, so drängen sichvor allem zwei zentrale Feststellungen auf. Erstens haben mittlerweile alle Parteien Menschen mit Behinderungen und Bürger mit Migrationshintergrund als potenzielle Wähler entdeckt, auch wenn sie diese noch mit unterschiedlich starkem Engagement und teilweise fragwürdiger Kompetenz umwerben (hier überrascht insbesondere das vergleichsweise zurückhaltende Engagement der Grünen). Zweitens zeigt sich, dass sich die Funktion von Wahlprogrammen im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen entscheidend gewandelt hat. Die Originalfassungen der Wahlprogramme scheinen heute vor allem ein Kommunikationsmittel zwischen parteiinternen und -externen Experten (Parteifunktionäre, -mitglieder, und Journalisten) darzustellen, während die Kurzprogramme nun offensichtlich die eigentlich zentralen Funktionen von Wahlprogrammen erfüllen sollen, nämlich die der (allgemein verständlichen) Werbung, Profilierung und Agitation.

 

Wer versteht die Bundesregierung? Die Webseiten der Bundesregierung im Verständlichkeitstest

Dass die Bedeutung der politischen Online-Kommunikation von Parteien und Politikern stetig zunimmt, dürfte heute als Konsens bezeichnet werden können. Dass diese Online-Kommunikation gerade in Wahlkampfzeiten aber besonders wichtig ist, hat nicht zuletzt der beeindruckende Wahlkampf und Wahlerfolg von Barack Obama in den USA gezeigt. Auch die deutschen Parteien haben auf diese Entwicklung reagiert und zur Bundestagswahl ausnahmslos aufwändige Kampagnen-Portale gestartet. Und die amtierende deutsche Bundeskanzlerin ist die erste Regierungschefin der Bundesrepublik, die einen regelmäßigen Video-Blog im Internet betreibt. Zweifellos scheint die Chance der direkten und ungefilterten Ansprache der Wähler über das Internet von der deutschen Politik erkannt worden zu sein. Doch schlägt sich diese Erkenntnis auch in einer angemessenen Ansprache der Zielgruppe nieder? Gelingt es der Politik, die Übersetzungsleistung der Medien zu kompensieren und sich bei der direkten Ansprache ihrer Wählerschaft verständlich zu machen?

Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim sind dieser Frage nun erstmals nachgegangen. Als Forschungsobjekt haben sie hierbei die Online-Auftritte der Bundesregierung unter die Lupe genommen. Denn: Keine andere politische Institution in Deutschland verfügt über mehr Ressourcen, um einen angemessenen Online-Auftritt zu realisieren, als Kanzleramt und Bundesministerien. Trotzdem stießen die Forscher bei ihrer Recherche schnell auf Wort- und Satzungetüme, die darauf schließen lassen, dass eine institutionalisierte Verständlichkeitsprüfung der veröffentlichten Webseiten-Texte in den meisten Berliner Ministerien keinesfalls Gang und Gäbe ist. Ein Beispiel gefällig? „Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zur Ausweitung der Schutzklausel bei der Rentenanpassung beschlossen.“ Nominalstil in Reinkultur, entnommen aus dem Info-Text „Schutz vor Rentenkürzungen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Dass es auch anders geht, bewiesen die Hohenheimer Forscher ebenfalls: Alle untersuchten Texte wurden in ihrer Verständlichkeit optimiert. Aus dem obigen Satzbeispiel wurde so beispielsweise: „Die Bundesregierung hat heute den Entwurf zu einem Gesetz beschlossen, das die Höhe der Rente schützen soll.“ Diese optimierten Text-Versionen wurden ebenso wie die Original-Texte zwei Gruppen von Probanden zur Bewertung und zum anschließenden Ausfüllen von Verständnistests vorgelegt. Das Ergebnis dieses Experiments: Bei allen optimierten Texten konnte die subjektive Verständlichkeitsbewertung sowie das objektive Verständnis signifikant verbessert werden. Der Optimierungseffekt betrug hierbei teilweise bis zu 56 Prozent.

Quelle: Universität Hohenheim. Die Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung sollte die Verantwortlichen in den Ministerien besonders hellhörig werden lassen: Alle untersuchten Wählergruppen, ob mit hoher oder niedriger Bildung, mit hohem oder niedrigem politischen Wissen, profitierten in ähnlicher Weise von den verbesserten Texten. Selbst die Stärke der Parteiidentifikation wirkte sich nicht systematisch und in der erwarteten Richtung auf den Optimierungseffekt aus. Im Gegenteil: Der Optimierungseffekt lag bei den stark Parteigebundenen in vielen Fällen sogar höher als bei den schwachen Parteianhängern und den Parteilosen. Eine Verständlichkeitsoptimierung politischer Webseiten wäre demnach keineswegs eine Nischen-Strategie für bestimmte Teilgruppen der User, sondern würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der gesamten Nutzer-Gemeinde zugute kommen; eine Perspektive, die sicher nicht nur Demokratietheoretiker interessieren dürfte.

 

Wahlprogramme als Sprachtest? Die Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme im Vergleich

Am 28. Juni haben mit CDU und CSU die beiden letzten der im Bundestag vertretenen Parteien ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl vorgelegt. Wie schon bei der Europawahl haben Kommunikationswissenschaftler der Uni Hohenheim in Kooperation mit der Ulmer Kommunikationsberatungsagentur CommunicationLab nun die fünf vorliegenden Wahlprogramme genauer unter die Lupe genommen: Wie verständlich sind die Programme insgesamt? Welche Themen werden verständlicher behandelt, welche weniger verständlich? Und was sind die Gründe für mangelnde Verständlichkeit?

Im Vergleich zur Europawahl können die Programme der meisten Parteien erfreulicherweise als verständlicher bezeichnet werden. Nur die Verständlichkeit des Programms der Union fällt hinter die Verständlichkeit des CSU-Programms zur Europawahl zurück. Am verständlichsten ist das Bundestagswahlprogramm der Grünen (11,0 von möglichen 20 Punkten), dicht gefolgt vom Programm der SPD (10,5). Deutlich schlechter schneiden bereits die Wahlprogramme von Union (8,6) und FDP (8,4) ab, das mit Abstand unverständlichste Wahlprogramm legt jedoch die Linke vor (6,5). Betrachtet man die Verständlichkeit der einzelnen Themenbereiche, so fällt auf, dass bei fast allen Parteien Einleitung und Schlussteil sowie die Passagen zum Selbstverständnis am verständlichsten formuliert wurden. Unter den unverständlichsten Teilen hingegen finden sich besonders häufig die beiden Themen Gesundheitspolitik und Verteidigungspolitik.

Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme im Vergleich

Die Gründe für die mangelnde Verständlichkeit vieler Abschnitte der Wahlprogramme liegen v.a. in einer häufig zu hohen Wort- und Satzkomplexität sowie der Verwendung von Fachsprache. Die Folge: Leser mit niedrigerer Bildung und geringem politischen Vorwissen dürften bei der Lektüre der meisten Wahlprogramme nach Kurzem kapitulieren. Dies lässt sich anhand einiger Beispiele eindrucksvoll unterstreichen. So versucht die Union ihre potenziellen Wähler u.a. mit dem folgendem Argument zu überzeugen: „Für Kreditzusagen an eine nicht konsolidierte Zweckgesellschaft müssen grundsätzlich die gleichen Eigenkapitalvorschriften gelten wie für Aktiva vergleichbaren Risikos in der Bilanz.“ Ähnlich unverständliche Formulierungen finden sich auch bei der FDP: „Der konsequente Weg zur Aufdeckung von Ineffizienzen bei der Erhebung von Netzentgelten wird weiterverfolgt und eine weitergehende Entflechtung der Energienetze angestrebt.“ Beide Beispiele vereint auch eine weitere Gemeinsamkeit, die zu mangelnder Verständlichkeit füht: Klare Verantwortlichkeiten werden häufig durch die Vermeidung von „Wir“-Aussagen umgangen, stattdessen werden Passivkonstruktionen oder „Man“-Aussagen verwendet. Doch auch einzelne, nicht weiter erläuterte Fachbegriffe dürften einige Leser zur Verzweiflung treiben. So lobt die SPD die „britische Stempelsteuer“, die Grünen empfehlen ihr „Progressivmodell“, die Linke kritisiert „Agroenergie-Importe“ und die Union warnt vor „prozyklisch wirkenden Regeln“.

Auch bei den Bundestagwahlprogrammen besteht jedoch, wie schon bei den Europawahlprogrammen, Anlass zur Hoffnung: So planen fast alle Parteien die Veröffentlichung von Kurzversionen ihrer Programme (was angesichts eines Umfangs von über 200 Seiten insbesondere bei den Grünen eine gute Idee sein dürfte). Die SPD war dabei am schnellsten und präsentiert jetzt bereits die acht zentralen Ziele ihres Wahlprogramms. Deren Verständlichkeit legt die Messlatte für die Kurzprogramme der anderen Parteien hoch: Mit einem Wert von 16,3 auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex kommt die SPD nahe heran an die durchschnittliche Verständlichkeit von Politik-Beiträgen der Bild-Zeitung (16,8). Ob damit auch der Informationsgehalt der Kurzprogramme auf Bildzeitungsniveau sinkt, soll in Folgestudien der Hohenheimer Forscher untersucht werden.

Weitere Informationen
Wahlprogramm-Check 2009 der Uni Hohenheim (auch Europawahl- und Kommunalwahl-Analyse)

Bundestag will sich in Zukunft bei Gesetzen von Sprach-Experten beraten lassen

Änderungsantrag der Grünen zur Verständlichkeit ihrer Wahlprogramme

CDU will Anglizismen bekämpfen

 

Wie verständlich sind unsere Wahlprogramme?

Morgen – am 7. Juni – sind die Bürgerinnen und Bürger in sieben deutschen Bundesländern aufgerufen, das europäische Parlament und die Gemeinderäte neu zu wählen. Die Wahlprogramme der Parteien können bei diesen Wahlen durchaus eine wichtige Entscheidungshilfe darstellen. In ihnen informieren die Parteien den Wähler darüber, welche Ziele sie in der nächsten Legislaturperiode verfolgen wollen. Doch: Kommunizieren die Parteien hierbei überhaupt so verständlich, dass der „normale“ Wähler sie verstehen kann? Diese Frage wurden nun in zwei Analysen der Uni Hohenheim (in Kooperation mit der Ulmer Kommunikationsberatungsagentur Communication Lab) untersucht.

Ausgangspunkt der beiden Studien war zum einen die Vermutung, dass die immer wieder kritisierte Bürgerferne und Komplexität der EU und ihrer Institutionen sich möglicherweise auch auf die Verständlichkeit der Europa-Wahlprogramme auswirkt. Im Gegensatz dazu sollten die Kommunalwahlprogramme aufgrund der unmittelbaren Alltagsrelevanz der Kommunalpolitik für den Bürger verständlicher formuliert werden können. Beide Vermutungen konnten durch die Analysen der Uni Hohenheim bestätigt werden: Die Verständlichkeit der Europawahl-Programme aller untersuchten Parteien fällt – mit Ausnahme der CDU – im Vergleich zu den Kommunalwahlprogrammen deutlich geringer aus (exemplarisch wurden die Wahlprogramme zur Stuttgarter Gemeinderatswahl untersucht). Die Programme der SPD und der Grünen erreichen hierbei eine (Un)Verständlichkeit, die sich mit politikwissenschaftlichen Dissertationen vergleichen lässt. Die einzige erwähnenswerte Ausnahme stellt das Wahlprogramm der CSU dar: Dessen Verständlichkeit liegt deutlich über den restlichen Parteien, wobei auch hier noch zahlreiche Verstöße gegen zentrale Regeln des verständlichen Schreibens zu verzeichnen waren.

Die Verständlichkeit der Wahlprogramme im Vergleich

Am besten lassen sich diese Defizite anhand einiger weniger Beispiele aus den Europawahlprogrammen demonstrieren. So versucht die SPD ihren Wählern die Bedeutung europäischer Politik mit folgendem Satzungetüm näher zu bringen: „Dort wo die Gestaltungskraft der Nationalstaaten in unserer zusammenwachsenden Welt mit neuen Abhängigkeiten und vernetzten Problemen an ihre Grenzen stößt, kann und muss Europa den Primat der Politik gegenüber den freien Kräften des Marktes behaupten und dem Wirtschaften im europäischen Binnenmarkt wie weltweit soziale und ökologische Regeln geben.“ Auch das verwendete Vokabular der Parteien dürfte so manchen Leser der Wahlprogramme zur Verzweiflung treiben: So finden sich neben dem „Primat der Politik“ im eben zitierten Satz auch zahlreiche weitere Beispiele in den Wahlprogrammen der Parteien. Begrifflichkeiten und Fachausdrücke wie „Lissabon-Strategie“, „prekäre Beschäftigung“, „effektiver Multilateralismus“, „EU-weite Einspeiseregelung“ werden immer wieder verwendet – und das vollkommen ohne erläuternden Kommentar oder Klammerzusatz. Spätestens hier wird der Anspruch, die Wahlprogramme richteten sich an den „normalen“ Bürger, äußerst fraglich. Die Stuttgarter Kommunalwahlprogramme schneiden im direkten Vergleich deutlich besser ab als die Europawahlprogramme. Allerdings kann man auch hier keineswegs von allgemeiner Verständlichkeit sprechen. Als Vergleichswert wurde die Verständlichkeit von Politik-Beiträgen aus der Bild-Zeitung herangezogen: Von diesen Werten, auch wenn sie einen zugegebenermaßen hohen Verständlichkeitsanspruch darstellen, sind alle Parteien meilenweit entfernt.

Trotz allem besteht durchaus Anlass zur Hoffnung: Denn zumindest die Grünen scheinen das Problem mittlerweile erkannt zu haben: Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz Anfang Mai 2009 stellten einige Delegierte den Antrag, dass die grünen Wahlprogramme in Zukunft auch als leicht verständliche und bebilderte Kurzfassung erscheinen sollten. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Parteien diesem Beispiel folgen werden.