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Keine Lust auf Dreier: Zu aktuellen Koalitionspräferenzen und -erwartungen der Parteianhänger

Zum Übergang der „alten“ Bundesrepublik in die wiedervereinigte „Berliner Republik“ gehörte auch ein konsequenzenreicher Wandel des Parteiensystems. Im westdeutschen Zweieinhalb-, später dann „Zweizweihalbe“-Parteiensystem hatten sich Parteien und Bürger über Jahrzehnte daran gewöhnt, dass durch Kooperation einer großen mit einer kleinen, politisch benachbarten Partei auf unproblematische Weise stabile, durch Mehrheiten im Bundestag abgesicherte Bundesregierungen gebildet werden konnten. Das änderte sich durch die Auffächerung des Parteiensystems infolge des Hinzutretens der PDS. Seit der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl waren die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag stets mehr oder weniger prekär. Nur fiel das zunächst nicht weiter auf, weil die Wahlen bis 2002 dennoch – wenngleich überwiegend knapp – Mehrheiten produzierten, die für eine Regierungsbildung nach bewährtem Muster ausreichten. Mit der Bundestagswahl 2005 änderte sich das. Weder die schwarz-gelbe noch die rot-grüne Parteienkombination erreichte genügend Stimmen, um gemeinsam regieren zu können. Nach der Wahl machte sich die Republik einige bewegte Wochen lang Gedanken über unorthodoxe, bislang nie praktizierte Modelle der Regierungszusammenarbeit von drei Parteien (bzw. teilweise sogar vier, wenn man die CSU separat zählt). Doch am Ende entschieden sich die schwarzen und roten Parteiführer für jene Große Koalition, die sie heute – glaubt man ihrer Rhetorik – am liebsten umgehend beerdigen würden. Freilich ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis auch 2009 eine Auseinandersetzung mit Varianten der Regierungszusammenarbeit jenseits der hergebrachten, lagerinternen Zweiparteienbündnisse erzwingen wird.

Wie gut sind die Bürger auf eine solche Situation vorbereitet? Wie bewerten sie die verschiedenen Möglichkeiten parteipolitischer Zusammenarbeit? Und welche Koalitionskonstellation erwarten sie derzeit als Resultat der Bundestagswahl? Hiervon vermittelt eine Umfrage einen Eindruck, die Anfang Juni 2009 im Rahmen der „German Longitudinal Election Study 2009 (GLES)“ bei 1071 wahlberechtigten Personen durchgeführt wurde. Die Untersuchung wurde über das Internet durchgeführt und ist nicht repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung. Sie ermöglicht aber einen aufschlussreichen Vergleich der Kernanhänger der verschiedenen Parteien – derjenigen Wähler also, die sich den Parteien gefühlsmäßig auf Dauer verbunden fühlen.

Parteigebundene Wähler orientieren sich in ihren Einstellungen oft an den Positionen ihrer Parteiführungen. Verfolgt man die öffentlichen Stellungnahmen der Parteien, gewinnt man den Eindruck, dass diese sich nur ungern mit der Perspektive eines Wahlergebnisses auseinander setzen, das ähnlich unklar ausfallen könnte wie bei der Vorwahl. Lieber unterstellen sie weiterhin geordnete Verhältnisse und setzen auf die gewohnten Modelle der Zusammenarbeit, vor allem auf der bürgerlichen Seite des Parteienspektrums. Wer sich zu weit vorwagt und anregt, auch die Möglichkeit bislang (auf Bundesebene) unerprobter Kooperationen offenzuhalten, wird prompt zurückgepfiffen. Eine Ausnahme bildet lediglich die SPD mit ihren Gedankenspielen über eine „Ampel“-Regierung mit Grünen und FDP.

Koalitionspräferenzen parteigebundener Wähler

Anhänger der CDU/CSU und der FDP favorisieren klar das von ihren Parteien angestrebte schwarz-gelbe Bündnis. Alle anderen Kombinationen, die Christdemokraten bzw. Liberale einschließen, werden neutral oder sogar leicht negativ bewertet. Korrespondierend hierzu geben auch der SPD und den Grünen zuneigende Wähler einer Neuauflage ihrer lagergebundenen Zusammenarbeit eindeutig den Vorzug, wenngleich weniger enthusiastisch. Der Großen Koalition stehen schwarze wie rote Wähler indifferent gegenüber – nicht positiv, aber auch nicht sonderlich negativ. Dreierbündnisse werden durchweg nicht positiv gesehen. Das gilt auch für die Haltung der SPD-Anhänger gegenüber der „Ampel“, die sie ähnlich bewerten wie die Große Koalition. Lediglich die Anhänger der Linken weichen von diesem Muster ab – sie favorisieren eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit. Die Koalitionspräferenzen der parteigebundenen Wähler erscheinen somit tatsächlich als Echo der Vorgaben ihrer Parteien – und deren Rhetorik bewegt sich bislang überwiegend in den hergebrachten Bahnen, in denen Dreikoalitionen keine Rolle spielen.

Koalitionserwartungen parteigebundener Wähler

Auch die Erwartungen der Parteianhänger hinsichtlich des Wahlergebnisses verlassen kaum den Rahmen des Gewohnten. Eine Dreierkoalition halten nur sehr wenige Befragte für wahrscheinlich. Leicht eingefärbt durch ein Quantum Wunschdenken, das die eigene Seite stets im Vorteil sieht, sind die aktuellen Ergebnisse von Meinungsumfragen die wichtigste Quelle dieser Einschätzungen. An Union oder FDP gebundene Wähler sind mehrheitlich zuversichtlich, dass die Bundestagswahl in ihrem Sinne ausgehen wird. Der SPD, den Grünen und der Linken nahe stehende Wähler rechnen hingegen deutlich eher mit einer Fortsetzung der Großen Koalition. Ähnlich verbreitet ist unter ihnen aber auch die Erwartung, dass Schwarz-gelb die Nase vorn haben wird. Mit einer Realisierung der eigenen Wunschkoalition rechnen nur geringe Anteile dieser Wähler.

Doch was geschieht, wenn der demoskopisch ermittelte schwarz-gelbe Vorsprung in den Umfragen in den kommenden Wochen schwindet? Es sei daran erinnert, dass 2005 in ähnlichem zeitlichem Abstand von der Bundestagswahl sogar noch eine Alleinregierung der Union für möglich gehalten wurde. Wie erinnerlich, hat das dann doch nicht geklappt. Bis zum Wahltag kam es zu so starken Verschiebungen der Wahlabsichten, dass sich am Ende nicht einmal das angestrebte bürgerliche Bündnis der CDU/CSU mit der FDP realisieren ließ. Dass es diesmal wieder so kommt, kann niemand ausschließen. Die deutschen Wähler werden immer wankelmütiger und treffen ihre Entscheidungen immer später, viele (bei der Bundestagswahl 2005 immerhin fast jeder Zehnte!) sogar erst am Wahltag selbst.
Vieles wird davon abhängen, ob und wie sich die Parteien im Wahlkampf auf eine solcherart geänderte Erwartungslage einstellen. Wenn sie sich jetzt durch frühzeitige Festlegungen eingraben, wird es ihnen später schwer fallen, ohne Glaubwürdigkeitsverluste neue koalitionspolitische Zielvorgaben zu formulieren. Überdies wirkt eine Polarisierungsstrategie, die der Lagerlogik verhaftet bleibt, mobilisierend und bringt dadurch Wählerstimmen. Sie ist also für die Parteien attraktiv. Es erscheint daher wenig wahrscheinlich, dass sich die Parteien während des Wahlkampfes von der hergebrachten Blocklogik lösen und sich für Planspiele mit neuen Koalitionsformen öffnen werden. Die Wähler, die ja auf die Signale der Parteien reagieren und sich an deren Vorgaben orientieren, werden sich infolgedessen nicht mit Alternativoptionen auseinandersetzen und anfreunden. Am Ende eines solchen Szenarios steht freilich die Gefahr einer (ohnehin jeglicher Koalitionspolitik inhärenten, dann aber besonders ausgeprägten) Loslösung der Regierungsbildung vom Wählerwillen, mit potenziell ungünstigen Folgen für die Legitimität der neuen Regierung.

Lektüreempfehlungen
Faas, Thorsten/Rüdiger Schmitt-Beck. 2007. “Wahrnehmung und Wirkungen politischer Meinungsumfragen. Eine Exploration zur Bundestagswahl 2005.” in: Frank Brettschneider/Oskar Niedermayer/Bernhard Weßels (Hg.). Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse. Wiesbaden: VS-Verlag: 233-267.

Franz Urban Pappi, Regierungsbildung im deutschen Fünf-Parteiensystem, in: Politische Vierteljahresschrift 50:2 (2009), 187-202.