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Der Fall Tauss – (noch) kein Problem für die SPD

Für Jörg Tauss (SPD) wird es eng: Nach wie vor gelingt es ihm offenbar nicht, die Ermittler davon zu überzeugen, dass die in seinem Besitz befindlichen Kinderpornos ausschließlich im Zusammenhang mit seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter stehen. Deshalb werden nun die Stimmen in den eigenen Reihen lauter, Tauss solle sein Mandat niederlegen sowie auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag verzichten.

Dass der Fall Tauss ein Problem für die SPD wird, erscheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Zum einen wird in den Medien keinerlei Verbindung zwischen ihm und seiner Partei hergestellt. Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, dass sich in der Bevölkerung die Wahrnehmung verbreitet, dass hier kein Einzelfall, sondern ein Problem von größerer Tragweite vorliegt. Zum anderen liegt das Thema noch unter der Schwelle der öffentlichen Problemwahrnehmung, da die Medien – genau aus dem genannten Grund – bislang nur punktuell über die Entwicklung in diesem Fall berichten.

Dennoch ist aus Sicht der Sozialdemokraten Vorsicht geboten: Empirische Untersuchungen zu früheren Skandalen zeigen, dass die Wähler sehr sensibel auf Fehltritte ihrer Volksvertreter reagieren. Zu spüren bekam dies etwa die Union im Zusammenhang mit dem Parteispendenskandal des Jahres 1999/2000: In Umfragen halbierte sich innerhalb von nur acht Wochen der Anteil derjenigen, die angaben, für CDU/CSU stimmen zu wollen, „wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl“ wäre. Tatsächlich trug die Affäre dann auch mit dazu bei, dass der schleswig-holsteinischen CDU der schon sicher geglaubte Sieg bei der Landtagswahl im Februar 2000 aus den Händen glitt.

Zwar gibt es im Unterschied zu anderen Ländern keine Erfahrungswerte, wie sich Sex-Skandale in der deutschen öffentlichen Meinung niederschlagen – skandalisiert werden hierzulande vorzugsweise der unangemessene Umgang mit Geld und Macht. Es ist aber anzunehmen, dass die Bürger Kinderpornos geschlossen ablehnen und sich die Bevölkerungsreaktionen deshalb massiv gegen die Akteure richten dürfte, die mit einem solchen Skandal in Verbindung gebracht werden. Sollten sich deshalb doch noch parteiinterne Querverbindungen zeigen (möglicherweise genügt es auch schon, wenn Tauss – ohne dass er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zweifelsfrei ausräumen kann – tatsächlich für den Bundestag kandidiert), könnte dies zu einer ernsten Belastung für die SPD im Superwahljahr 2009 werden.

 

Noch immer in Führung…

Ein beliebter Vorwurf an Angela Merkel lautet derzeit, sie sei führungsschwach. Sowohl die Opposition, jüngst in Person von Guido Westerwelle, als auch der Koalitionspartner betonen, dass Frau Merkel die Republik eher verwalte denn führe. Es wird eine Kanzlerin gefordert, die im eigenen Land und auf internationalem Parkett sichtbar ist und hier wie dort die Interessen der Bevölkerung durchsetzt. Doch Angela Merkel bevorzugt einen weniger pompösen Politikstil, der gerade in Zeiten der Krise angemessen erscheint. Sie lässt sie sich nicht auf Wahlkampfrhetorik ein, sondern betont, dass die Regierung bis zum Herbst weiterarbeiten müsse und werde. Mit den klassischen „Stimmungsthemen“ wie vorgezogenen Neuwahlen möchte sie sich nicht beschäftigen, auch gestern Abend bei „Anne Will“ hat sie das Gespräch sehr schnell auf inhaltliche Fragen gelenkt.

Bei den Wählerinnen und Wählern bringt ihr dieser Ansatz viele Sympathien ein, die Umfragewerte für sie persönlich sind unverändert gut. Der Grund scheint nahe liegend: Gerade in Krisenzeiten erwarten wir von unseren politischen Führern keinen Aktionismus sondern verantwortungsvolles Handeln. Eine Studie der Forschungsgruppe Wahlen und der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass Glaubwürdigkeit die mit Abstand wichtigste Eigenschaft von Politikern ist – 71 Prozent der Befragten nannten diese Qualität, damit liegt sie klar vor den Eigenschaften „Sachverstand“ (53 Prozent), „Bürgernähe“ (36 Prozent), „Tatkraft“ (26 Prozent) und „Sympathie“ (9 Prozent). Genau diesen Eindruck einer authentischen, sachlichen und unaufgeregten Führungspersönlichkeit vermittelte Frau Merkel auch gestern wieder im Gespräch mit Anne Will.

Zwei Fragen bleiben jedoch offen. Erstens: Werden die Wähler im September auch gemäß dieser Kriterien ihre Wahlentscheidung treffen oder werden im dann hoch emotionalisierten Wahlkampf nicht doch wieder andere Beweggründe im Vordergrund stehen? Schon die zitierten Daten der kürzlich veröffentlichten Studie sind nicht mehr ganz aktuell, sie wurden Ende 2008 erhoben. Und zweitens: Ist die derzeitige Beliebtheit der Kanzlerin ein Ausdruck ihrer Führungsstärke?

Politische Führungsqualitäten sollten nicht mit der Beliebtheit und auch nicht mit den Wahlchancen einer Person gleichgesetzt werden. Denn die Beliebtheit in der Bevölkerung spiegelt allenfalls die Führungsqualitäten nach außen wider. Führung wirkt aber auch nach innen – sie muss Parteimitglieder an die Wahlstände und befreundete Ministerpräsidenten auf Linie bringen. Dazu reichen ausgezeichnete Managementfähigkeiten allein nicht aus, es braucht auch die Qualität, die Partei zu begeistern. Der zugehörige Begriff lautet „inspirational leadership“ und das große Vorbild ist – natürlich – Barack Obama. Der große Erfolg seiner Kampagne lag nicht nur (und vielleicht nicht einmal in erster Linie) in der Ansprache der Wähler, sondern in der Mobilisierung der Anhänger. In diesem parteipolitischen Sinne kann man Angela Merkel tatsächlich eine gewisse Führungsschwäche attestieren.

Dass die politische Konkurrenz dies aber beklagenswert findet, ist nicht anzunehmen. Eher liegt die Interpretation nahe, dass es Müntefering und Westerwelle den Wahlkampf eröffnet haben, während die Kanzlerin sich ihrer Arbeit verpflichtet fühlt. Welche der genannten Personen da nun inspirierend ist, muss wohl jeder Wähler für sich selbst entscheiden.

 

Alles neu macht Horst Seehofer?

Am vergangenen Samstag nominierte die CSU auf einer Delegiertenkonferenz in Erlangen ihre Listenkandidaten für die Bundestagswahl. Viele Berichte darüber wiesen darauf hin, dass die CSU erstmals bei der Besetzung der ersten zehn Listenplätze auf einen Geschlechter- und Regionalproporz geachtet und „fünf Frauen und fünf Franken“ nominiert habe. Wen hätte diese Innovation überraschen sollen angesichts des demonstrativen Erneuerungswillens des neuen Parteivorsitzenden? War das nicht eine längst überfällige Konsequenz aus den christsozialen Turbulenzen der vergangenen Monate und Jahre, die auch Beobachtern jenseits des weiß-blauen Freistaats tiefe Einblicke in die Verästelungen der komplizierten landsmannschaftlichen Verhältnisse in Bayern gewährten?

Allein, die vermeintliche Neuerung war keine. Wirft man einen Blick auf den Listenvorschlag der CSU zur Bundestagswahl 2005, findet man auf den ersten zehn Plätzen fünf Frauen und fünf Franken. Geschlechterproporz und regionale Ausgewogenheit wurden also bereits 2005 eingehalten, auch wenn dieses Jahr in der politischen Zeitrechnung Bayerns und der CSU mittlerweile zur grauen Vorzeit zu gehören scheint. Der CSU ist es also gelungen, in den Medien eine Neuigkeit zu platzieren, die keine ist, und auf diesem Weg – vermutlich gewünschte – Signale an potentielle Wähler auszusenden. Dies ist umso bemerkenswerter, als die meisten Bewerber auf den ersten zehn CSU-Listenplätzen in als „sicher“ geltenden Wahlkreisen kandidieren und ihre Platzierung auf der Liste daher ohnehin vor allem symbolische Bedeutung hat. So betrachtet, scheint das Geschehen dem Kommunikationsmanagement der Partei ein besseres Zeugnis auszustellen als einer kritischen, allein an der politischen Substanz interessierten Berichterstattung.

 

Leichte Annäherung im linken Lager?

Müntefering nimmt – zwar vorsichtig, aber immerhin – das Linke-Thema auf und versucht, aus den Fehlern seines gescheiterten Vorgängers zu lernen. Möchte man sich mittelfristig den Weg zur Macht nicht versperren, darf man eine Partei, die immerhin in den neuen Bundesländern schon nahezu Volksparteicharakter hat, nicht gänzlich ausblenden. Diese Ignoranz bzw. auch Arroganz auf dem linken Auge hatte die SPD bereits in den 80er Jahren gegenüber den Grünen – auch daraus sollte sie gelernt haben. Man errinnere sich nur an Holger Börner und seine Annäherung an die Grünen. Möchte man auf Bundesebene links der Mitte wirklich eine Regierung bilden, müssen langfristig alle Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums mögliche Koalitionspartner sein. Nur so lässt sich die konservative strukturelle Mehrheit sprengen.

Die Gelegenheit hierfür scheint günstig, einer aktuellen Emnid-Umfrage zufolge scheint im Unions-Lager die Unterstützung für die eigene Partei zu schwinden. Da die SPD andererseits von dieser Entwicklung nur indirekt profitiert (die meisten CDU/CSU-Abwanderer wollen schlicht nicht mehr wählen gehen), liegt die Mobilisierung des eigenen Lagers nahe.