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Volksparteien gibt es nicht

Journalisten und Wissenschaftler sind sich einig wie selten und die Wahlkämpfer der Gegenseite genießen den Befund: Die SPD ist keine Volkspartei mehr. Endgültig. Schwache Wahlergebnisse (zuletzt noch magere 20,8 Prozent bei der Europawahl), anhaltender Mitgliederschwund und geringes Vertrauen ins politische Personal sprechen seit langem eine deutliche Sprache.

So war es am Wahlparteitag vorgestern vielleicht Frank-Walter Steinmeiers Hauptaufgabe, das Bild der gebrechlichen alten Dame SPD zurechtzurücken und den Anspruch zu untermauern, eine Partei für das gesamte Volk zu sein. „Ich will Kanzler aller Deutschen werden“, sprach der Kandidat, und er machte auch deutlich, wo er sich dabei verortet: „Wir dürfen die Mitte der Gesellschaft nicht räumen.“

Was aber ist dran am Nimbus Volkspartei? Der Begriff stammt aus der politikwissenschaftlichen Forschung der 1960er Jahre – und streng genommen gehört er genau da auch hin. „Volkspartei“ war damals ein Synonym für „Allerweltspartei“, im Englischen sprach man von einer „catch all party“ oder einem „big tent“. Diese Wortschöpfungen zeigen: Die Konnotationen waren durchaus gemischt. Eine Partei setzt auf allumfassende Breitenwirkung und vermarktet sich und ihr Spitzenpersonal auf Kosten ihrer Ideologie, das kann man kritisch sehen.

Eine Volkspartei, schrieb Otto Kirchheimer anno 1965, „lenkt ihr Augenmerk in stärkerem Maße auf die Wählerschaft; sie opfert also eine tiefere ideologische Durchdringung für eine weitere Ausstrahlung und einen rascheren Wahlerfolg.“ Volksparteien, so die Vermutung, würden dank flexibler Programme und moderner Werbemethoden Wahlen in Serie gewinnen und so zum dominierenden Parteitypus werden. Allerdings war dieser Typ Partei in Westeuropa in seiner reinen Form damals nirgends zu finden. Und bis heute haben weder CDU und SPD in Deutschland noch andere Großparteien in Europa so konsequent auf Ideologien verzichtet und sich so vollständig von Ihren Milieus gelöst, dass sie wirklich für die gesamte Bevölkerung wählbar wären.

Die echte Volkpartei war also nie Realität in Deutschland, eine CDU ohne „C“ ist nicht vorstellbar. Und Wahlergebnisse in ganz Europa zeigen sehr deutlich, dass sich die Parteienlandschaften derzeit eher fragmentieren als konzentrieren; neue Parteien entstehen und besetzen Positionen. Nachdem sie nie wirklich Realität wurde, scheint die Volkspartei also inzwischen auch als Modell überholt. Der Begriff ist neudeutsch ausgedrückt nicht mehr als ein „Label“, das einen bestimmten Anspruch ausdrücken soll. Damit reiht sich die Volkspartei neben dem Volkswagen und dem Volkshandy ein.

Die großen deutschen Parteien werden mittelfristig weiter abschmelzen und sie täten gut daran, sich schon heute darauf einzustellen, indem sie nicht Inhalte für Wählerstimmen opfern. Die Kunst wird darin liegen, die Programme unverwechselbar zuzuschneiden und für diese Positionen durch geeignetes Spitzenpersonal eine breite Zustimmung zu organisieren. Insofern müssen der SPD nicht vergangene Wahlausgänge sondern die aktuellen schlechten persönlichen Werte ihres Kandidaten zu denken geben: Laut ARD-Deutschlandtrend fanden fanden letzte Woche nur 32 Prozent der Deutschen, dass Frank-Walter Steinmeier ein guter Bundeskanzler wäre. Diesen Wert muss er steigern, vor allem im eigenen Lager, wo er auch nur 59 Prozent Zustimmung erreichen konnte. Ein erster kleiner Schritt wurde am Wochenende getan.

In der selben Befragung gaben übrigens stolze 74 Prozent an, dass Angela Merkel eine gute Bundeskanzlerin sei, im eigenen Lager waren es 96 Prozent. Auch eine Direktwahl würde die Amtsinhaberin mit 60 zu 29 Prozent klar gewinnen. Die CDU ist auch keine Volkspartei – sie hat aber die „Volkskanzlerin“…

 

Die Bundeskanzlerin bei Maybrit Illner – und warum ein bisschen Boris Becker gutgetan hätte!

Das Format hatten wir in ähnlicher Besetzung schon einmal: Erst kürzlich war Angela Merkel zu Gast bei Anne Will, gestern Abend dann beim ZDF. Auf die Frage: „Was haben Sie mit Deutschland vor“ hatte Frau Merkel eine gute Stunde Zeit, Antworten und Ausführungen zu geben. Auch hier hatten zwei Gäste im Publikum die Möglichkeit, ihre Fragen an die Kanzlerin zu stellen. So etwas schafft für den Zuschauer Nähe und Vertrauen. Wie gesagt, mittlerweile ein vertrautes Format!

Die Sendung gab inhaltlich wenig Neues über Frau Merkel her: Ihre Rechtfertigung zur Opel-Rettung trotz innerparteilicher Querelen, die Rolle der Politik in der Krise, keine Mehrwertsteuererhöhung, die (Nicht-)Querelen in der großen Koalition. Was sie wirklich mit Deutschland vorhat, hat der Zuschauer in den 60 Minuten nicht erfahren. Aber das lag u.a. auch an den wenig zielführenden und wenig bohrenden Fragen der Journalistin! (Siehe hierzu auch den Beitrag auf ZEIT online.)

Es erinnert an Boris Becker, der in einem Sportstudio-Auftritt 1995 irgendwann einmal wutentbrannt die Moderatorin anging mit der Frage: Warum fragen sie nicht die wirklich wichtigen Dinge? Warum ich z.B. beim Stande von 5:5 keinen Slice-Aufschlag gespielt habe? – So etwas, mit Verlaub – gilt auch für politische Sendungen. Besonders im Wahljahr!

 

Professoren, Grafen und Barone an der Wahlurne

Spätestens mit seinen Einlassungen zur Opel-Frage hat sich Gerhard Schröder in der deutschen Innenpolitik zurückgemeldet. Der sozialdemokratische Altmeister der Wahlkampfrhetorik wandte sich gegen Wirtschaftsminister zu Guttenberg und bedachte ihn mit der Bezeichnung „dieser Baron aus Bayern“. Damit knüpfte der Altkanzler an den Wahlkampf 2005 an, in dem er Paul Kirchhof gerne und häufig als „diesen Professor aus Heidelberg“ titulierte. Diese Rhetorik zielt offenbar darauf, an Ressentiments „der kleinen Leute“ gegen „die da oben“ zu appellieren, mit dem Ziel, die Wahlchancen des politischen Gegners zu schmälern und die eigenen zu steigern. Doch reagieren Bürger bei der Wahlentscheidung auf akademische Titel oder Adelstitel tatsächlich mit Stimmenentzug? Lassen sie solche Titel bei der Stimmabgabe kalt? Oder belohnen sie Professoren, Doktoren und Aristokraten gar mit einem Bonus?

Befunde der empirischen Wahlforschung sprechen dafür, dass akademische Titel und Adelstitel die Wahlchancen von Kandidaten nicht drastisch beeinflussen. Bei der Bundestagswahl 2005 steigerte ein Adelstitel den Stimmenanteil von Direktkandidaten um weniger als einen Prozentpunkt. In ähnlich geringem Umfang profitierten Wahlkreiskandidaten von einem akademischen Titel. Befunde zur bayerischen Landtagswahl 2003 deuten darauf hin, dass Adelige einen kleinen Malus hinnehmen mussten. Uneinheitlich sind die bayerischen Ergebnisse zu akademischen Titeln. Während ein Doktortitel den Stimmenanteil eines Bewerbers um knapp zwei Prozentpunkte steigerte, minderte ein Professorentitel die Wählerunterstützung um etwa die gleiche Marge.

Akademische Titel und Adelstitel scheinen also nicht zwangsläufig für einen durchschlagenden Wahlerfolg zu sorgen, rauben ihren Trägern aber auch nicht automatisch jede Chance auf einen großen Wählerzuspruch. So betrachtet, genügt es nicht, einem politischen Gegner das Etikett „Professor“ oder „Baron“ anzuheften, um seine Wahlaussichten zu mindern oder ihn gar politisch zu erledigen. Offenbar muss man ihm dazu auch Fehler, Versäumnisse oder abstruse Vorschläge nachweisen können. Ob das Gerhard Schröder und der SPD im Jahr 2009 mit dem Wirtschaftsminister wie im Jahr 2005 mit dem Schattenfinanzminister gelingen wird, ist ungewiss. Umso interessanter wird es sein, im Wahljahr 2009 zu beobachten, welches Bild zu Guttenbergs sich in der öffentlichen Wahrnehmung durchsetzen wird: das eines hartherzigen Marktradikalen oder das eines prinzipientreuen Hüters wirtschaftlicher Vernunft.

 

Chance zum wirklichen Dialog verpasst: Angela Merkels Bürgersprechstunde auf RTL

Gestern Abend fand es also statt, das erste „Townhall-Meeting“ mit Angela Merkel – und sie hat das Kind auch gleich beim Namen genannt: Bürgersprechstunde. Die Bundeskanzlerin steht mit Rat und Tat zur Seite. Das ist sicherlich gut und schön, zumal Angela Merkel Bodenständigkeit und Humor bewiesen hat. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Veranstaltung wirklich ihr Ziel erreicht hat. Als Bundeskanzlerin muss es Frau Merkel ein Anliegen sein, das Interesse und die Teilnahme der Bürger an der Politik zu fördern. In Ihrer Rolle als Vorsitzende und Spitzenkandidatin der CDU muss sie zudem die Inhalte ihrer Partei transportieren und Stimmen für sich gewinnen. Für beide Zwecke ist ein Townhall-Meeting eine ideale Umgebung: Es erlaubt die direkte Ansprache aller Zuschauer, die durch die Fragesteller repräsentiert werden. Viele dieser Wähler sind bislang unentschlossen, das Potenzial einer solchen Sendung ist groß: Noch weiß ca. ein Drittel der Deutschen nicht, welche Partei sie wählen würden; knapp 30 Prozent sind gemäß einer aktuellen Befragung nicht sicher, ob sie überhaupt an der Bundestagswahl teilnehmen werden.

Diese Gruppe der Unentschlossenen anzusprechen, ist ein Hauptanliegen von Formaten wie dem Townhall-Meeting. Überzeugend war die Veranstaltung allerdings nicht. Das Spontane, das Lebendige und das Flexible fehlten völlig. Die Antworten wirkten vorformuliert – und das waren sie sicherlich auch. Frau Merkel hatte wohl genügend Zeit, sich auf die Fragen in den Videobotschaften einzustellen. Die Bürger aber möchten mehr Authentizität und mehr Spontaneität, sie sind diese hochpolierten, bis an die Grenze durchprofessionalisierten und damit austauschbaren Polit-Köpfe leid. Mehr Emotionalität, mehr Empathie, bitte schön!

Verantwortlich für den Ablauf und den Zuschnitt der Sendung ist natürlich auch der Sender. Er wäre zu fragen, wie viele Botschaften überhaupt eingesandt wurden und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden? Alles in allem haben beide, Angela Merkel und RTL, die Chancen, die eine solche Veranstaltung bietet, nicht genutzt.

 

Vorhang auf für starke Inhalte

Dass Personen in Wahlkämpfen immer wichtiger geworden sind, wurde hier bereits mehrfach diskutiert und dargelegt (siehe etwa die früheren Blog-Beiträge zu Angela Merkel und Franz Müntefering). Es wurde dabei auch darauf hingedeutet, dass die Person bzw. der Kandidat nicht alleine den Ausschlag geben kann, sondern in Verbindung zu einem Thema gebracht werden muss. Ursula von der Leyen und die CDU-Familienpolitik sind momentan das beste Beispiel dafür. Am Sonntag steht nun wieder eine Person im medialen Vordergrund: Die Bundeskanzlerin bestreitet ihr erstes „Townhall Meeting“ und stellt sich den Fragen der Bürger.

Natürlich werden die Zuschauer genau darauf achten, wie Angela Merkel zu Fragen Position bezieht, die nicht von Fernsehmoderatoren erdacht wurden, sondern aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Und abgesehen davon hat dieses Ereignis noch eine weitere spannende Komponente: Die empirische Forschung hat klar gezeigt, dass mehr und mehr auch die „unpolitischen“ Eigenschaften eines Kandidaten bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielen.

Die Geschichte hierzu ist schnell erzählt: Wähler orientieren sich bei der Entscheidungsfindung immer weniger an Parteien, das Grundvertrauen in eine Partei (die so genannte Parteiidentifikation) ist konstant rückläufig und weicht einem Grundvertrauen in politische Köpfe. Vor allem auch aufgrund der Komplexität und des permanenten Wandels der politischen Agenda rücken verstärkt die unpolitischen Eigenschaften der Kandidaten in den Mittelpunkt. Der Wähler beurteilt den Politiker anhand seiner Managementfähigkeiten und seiner Möglichkeit, Dinge kurz und prägnant darzustellen. Auch die angemessene Gestik und Mimik tragen dazu bei, dass ein Politiker jenseits konkreter Themen glaubwürdig, seriös und zuverlässig wirkt und somit das Vertrauen der Wähler genießt. Einige empirische Untersuchungen zeigen sogar, dass phyische Attraktivität förderlich für den Wahlerfolg ist – so etwa ein überzeugendes Papier von Ulrich Rosar und Markus Klein zu „Pretty Politicians“.

Allerdings gibt es trotz dieser interessanten Impulse keine systematischen Hinweise darauf, dass diese unpolitischen Eigenschaften die Bedeutung von politischen Eigenschaften verdrängen. Die „A-Note“, überzeugende Programme und Inhalte, ist nach wie vor das zentrale Kriterium für die Wahlentscheidung; die „B-Note“, die Darstellung und der Ausdruck, gewinnt jedoch an Bedeutung. Zu dieser Kategorie gehört nicht zuletzt auch der politische Instinkt dafür, die richtigen Themen in den richtigen Formaten zum richtigen Zeitpunkt zu präsentieren.

Wenn Frau Merkel nun im Rahmen des „Townhall Meeting“ auf die Bürger zugeht und sich ihren Fragen stellt, dann zeigt sie damit sowohl in der A- als auch in der B-Note ihre Kompetenz…

 

Grüne: Unsichtbares Spitzenpersonal in Hülle und Fülle

Zwei Parteivorsitzende, zwei Spitzenkandidaten – ein Mangel an Führungskräften herrscht bei den Grünen wahrlich nicht, die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom vergangenen Wochenende hat dies dem interessierten Bürger eindrucksvoll vor Augen geführt. Und doch kann man in diesen grünen Wein auch Wasser gießen. Am vergangenen Freitag hat die Forschungsgruppe Wahlen die Ergebnisse ihres neuesten Politbarometers veröffentlicht; fester Bestandteil davon ist die Liste der zehn wichtigsten Politiker – fast schon eine Währung deutscher Politik. Grüne dort? Fehlanzeige!

Ein Blick auf die Liste unter parteipolitischen Gesichtspunkten liefert interessante Befunde: Die CDU ist mit Merkel und von der Leyen (was werden die Mitglieder des Andenpakts davon halten?) doppelt vertreten; die CSU mit zu Guttenberg und Seehofer ebenfalls. Die SPD schafft mit den Stones und Müntefering drei Platzierungen, die FDP ist mit Westerwelle in den Top Ten vertreten, die Linke mit ihrem Führungsduo Gysi/Lafontaine sogar doppelt. Grüne – 0.

Neu ist das nicht. Die folgende Grafik zeigt, welche Parteien mit ihrem Spitzenpersonal in der Liste der Top Ten seit 2004 vertreten waren:


 

Seit dem Ausscheiden von Joschka Fischer aus der aktiven Politik (und damit auch der Liste der wichtigsten Politiker) Ende 2005 hat es kein grüner Spitzenpolitiker mehr in die Liste geschafft. Wäre weniger hier mal wieder mehr?

 

Angie 2.0 – die Kanzlerin gewinnt im Internet

Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, so viel ist mittlerweile klar, müssen sich im Internet präsentieren. Dabei hielt sich lange der Eindruck, dass die SPD der CDU auf diesem Terrain ein Stück weit voraus sei: Thorsten Schäfer-Gümbel konnte in Hessen dank einer allseits gelobten Online-Kampagne eine noch größere Wahlniederlage verhindern, Heiko Maas setzt im Saarland seit einigen Wochen verstärkt auf Präsenz im Internet und feiert laut jüngster Umfragen überraschende Erfolge. Die Union hingegen ist bisher noch nicht mit aufregend-provokativen YouTube-Spots oder ähnlichen Formaten in Erscheinung getreten. Man beschränkt sich weitestgehend auf bewährte Formen der Internet-Kommunikation, ein Beispiel sind die Video-Podcasts der Kanzlerin, die bereits seit Juni 2006 regelmäßig zu sehen sind und sich großer Resonanz erfreuen.

Seit zehn Tagen präsentieren sich die im Bundestag vertretenen Parteien und ihre Kandidaten nun auch auf der insbesondere von Jugendlichen stark frequentierten Online-Plattform studiVZ (mit diesem Thema beschäftigte sich schon ein Beitrag von Andrea Römmele). Sie präsentieren sich in multimedialen Botschaften und werben um die Nutzer, die sich als Befürworter eines Kandidaten oder einer Partei eintragen können. Ein erster Blick zeigt Überraschendes: Angela Merkel konnte bisher 13.587 Unterstützer gewinnen, Frank-Walter Steinmeier liegt mit 3.846 Anhängern klar hinter der Bundeskanzlerin. Auch auf Facebook, einem anderen sozialen Netzwerk, wo man schon seit längerer Zeit öffentlich Kandidaten unterstützen kann, zeigt sich ein ähnliches Bild.

Unterstützer der Spitzenkandidaten in den sozialen Netzwerken

Stand: 7.5.2009, 14:00 Uhr.

Kann Angela Merkel sich und ihre Botschaften in den sozialen Netzwerken also besser verbreiten als ihr Herausforderer? Die Werte der beiden ähneln den Zahlen, die Umfrageinstitute beispielsweise für die so genannte „K-Frage“ erhoben haben (Wenn man den Kanzler/die Kanzlerin direkt wählen würde, für wen würden Sie stimmen?“). Dort sind die persönlichen Zustimmungswerte der Kanzlerin derzeit knapp doppelt so hoch wie die ihres Konkurrenten.

Dieser Befund wirft eine Frage zum Nutzen des „Web 2.0″ für Wahlkampfzwecke auf: Kann man auf interaktiven Online-Plattformen wirklich Themen setzen und Kandidaten bekannt machen? Oder sind die genannten Unterstützerzahlen nicht eher ein Abbild der allgemeinen Bekanntheits- und Beliebtheitswerte der Kandidaten? Kann Angela Merkel mich online für sich gewinnen oder unterstütze ich sie dort, weil sie mich zuvor schon in TV, Radio, Zeitungen oder auf Veranstaltungen überzeugt hat?

Eine weit verbreitete Kampangen-Weisheit lautet: „Get them where they are“ – Hol‘ die Wähler dort ab, wo sie sind. Dies gilt für die Inhalte, in denen sich die Wähler „heimisch“ fühlen sollen, ebenso, wie für den Ort einer Kampagne: Plakate sollten gut sichtbar positioniert werden, Wahlstände an Plätze mit großem Publikumsverkehr gestellt werden und Fernsehspots in den passenden Programmen geschaltet werden. Das Internet kann diesem Credo nur bedingt folgen, hier gibt es keine „Hauptverkehrsstraßen“, an denen wir früher oder später alle vorbeikommen. Vielmehr kommt es immer auf den entscheidenden Klick an, den nur der Nutzer selbst durchführen kann. Er muss sich aktiv informieren und beispielsweise die Homepage einer Partei gezielt ansteuern.

Die sozialen Netzwerke, die das Internet zunehmend prägen, spielen für Wahlkämpfe sicherlich eine große Rolle. Wahlkämpfer sollten sich aber zugleich der Möglichkeiten und Grenzen bewusst sein und die zur Verfügung stehenden Online-Instrumente zielgerichtet einsetzen. So bietet das Internet beispielsweise schnelle und unkomplizierte Wege für die Organisation von Unterstützern und die Koordination von Wahlkampfaktionen. Wenn das strategische Ziel aber lautet, Themen zu verbreiten und Kandidaten bekannt zu machen, ist nach wie vor die „Offline“-Arbeit entscheidend.

 

Showdown im Fernsehstudio – oder doch woanders?

Dass es auch bei der Bundestagswahl 2009 zu so genannten TV-Duellen zwischen Merkel und Steinmeier kommen wird, stand für Wahlkampfexperten und Wahlforscher eigentlich außer Frage: Zu groß ist der Anreiz der Wahlkampfstrategen, Wähler unter weitgehender Umgehung journalistischer Selektionskriterien direkt anzusprechen. Zu einzigartig ist die Chance, Wählern den Kontrast zum Kandidaten des gegnerischen Lagers unmittelbar vor Augen zu führen. Zu groß war das Publikumsinteresse bei den beiden Fernsehdebatten zwischen Schröder und Stoiber 2002 (jeweils rund 15 Millionen Zuschauer) bzw. der einzigen Live-Konfrontation zwischen Schröder und Merkel 2005 (21 Millionen Zuschauer). Zu groß ist damit der Marktanteil, der die an der Ausstrahlung solcher Duelle beteiligten Sender lockt. Und zu groß ist deshalb der mediale Druck, der auf die beiden Hauptakteure der diesjährigen Bundestagswahl ausgeübt wird.

Die Nachricht des SPIEGEL, dass die Wahlkampfteams der beiden Kandidaten über Anzahl und Format von Fernsehdebatten verhandeln, ist daher wenig überraschend. Dass die Union dabei versucht, die Zahl der gemeinsamen Fernsehauftritte von Merkel und Steinmeier zu minimieren, verwundert auch nicht. Denn erstens knüpft dies an die Strategie des Wahljahrs 2005 an, in dem sich Merkel mit Hinweis auf Terminschwierigkeiten weiteren Live-Diskussionen mit Schröder entzog. Und zweitens ist Merkel jetzt Kanzlerin und hat nur wenig Interesse, der schwächelnden SPD eine Plattform „auf Augenhöhe“ zu bieten. Bemerkenswert ist aber der Vorstoß der Fernsehsender, vom bislang gewohnten Format abzuweichen und auf so genannten Town-Hall-Meetings – also ein Format, in dem Wähler den Kandidaten Fragen stellen dürfen – zu setzen.

Town-Hall-Meetings sind keine deutsche Erfindung. Sie kommen, wie das TV-Duell-Format, das seit der vorvergangenen Bundestagswahl hierzulande gepflegt wird, aus den Vereinigten Staaten. 1992 kam es dort erstmals im Rahmen eines Präsidentschaftswahlkampfes zu einem Town-Hall-Meeting. Bill Clinton, Bob Dole und Ross Perot standen damals 209 parteipolitisch ungebundenen Wählern Rede und Antwort. Town-Hall-Meetings sind also keine Veranstaltung, in deren Rahmen jeder beliebige Fragen stellen kann, sondern ausgewählte Bürger stellen den Kandidaten Fragen, die natürlich vorher von Dritten als einem solchen Ereignis angemessen bewertet wurden. Auch ist ein Town-Hall-Meeting keine basisdemokratische Diskussion zwischen Wählern und noch zu Wählenden. Vielmehr gelten auch hier strikte Regeln – etwa was die Zeit betrifft, in der die Kandidaten eine Antwort geben können. Town-Hall Meetings geben den Bürgern aber das Gefühl, sich – vertreten durch andere Bürger – direkt an die Kandidaten zu wenden. Solche Formate sind besondere Zuschauermagneten; häufig liegt die Sehbeteiligung hier deshalb über der „klassischer“ TV-Debatten.

Über die weiteren Konsequenzen, die sich aus unterschiedlichen Debattenformaten ergeben, ist allerdings nur wenig bekannt. Die wenigen empirischen Ergebnisse aus den USA weisen darauf hin, dass sich Kandidaten in Town-Hall-Meetings zurückhaltender präsentieren: Verbale Angriffe auf den politischen Gegner sind seltener, dafür steigt die Zahl der Aussagen über die eigenen Leistungen und Ziele. Als Ursache hierfür wird die Art der gestellten Fragen gesehen, die sich deutlich von journalistischen Fragen in traditionellen Duell-Formaten unterscheiden. Nachdem Wähler sensitiv auf negative campaigning reagieren, kann sich das Format damit zumindest indirekt auf Zuschauerurteile auswirken. Ob die direkten Effekte von Town-Hall-Formaten auf Wissen, Einstellungen und Verhalten stärker ausfallen als bei klassischen Aufeinandertreffen, ist aber nach wie vor eine ungeklärte Frage. Ein Wechsel zu einem neuen Debattenformat wäre zwar (vor allem für die TV-Sender) interessant und für die Zuschauer sicherlich attraktiv. Angesichts der unklaren Wirkung auf die Wahrnehmungen und Bewertungen der Kandidaten birgt er für die Wahlkämpfer aber ein zusätzliches Risiko. Man darf deshalb gespannt sein, wer sich am Ende der vom SPIEGEL berichteten Verhandlungen durchsetzen wird: Die Medien oder die Wahlkampfstäbe?

 

Steinmeier auf Stoibers Spuren?

„Die SPD hat viel aufzuholen“ stellte Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach in ihrem jüngsten demoskopischen Bericht für die Frankfurter Allgemeine Zeitung fest. Ein wichtiges Defizit erkannte sie darin, dass Frank-Walter Steinmeier in der Kanzlerfrage deutlich hinter Angela Merkel zurückliege. Bereits am Freitag darauf vermeldete das ZDF-Politbarometer: „Steinmeier legt bei Kanzlerfrage zu“. In der jüngsten Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen ist demnach der Vorsprung Angela Merkels auf ihren Herausforderer von rund 30 Prozentpunkten im März auf 20 Prozentpunkte zusammengeschmolzen. Binnen weniger Wochen ist Steinmeiers Rückstand also um ein Drittel geschrumpft. Sollte es für den Außenminister dann nicht ein Leichtes sein, in den Monaten bis zum Wahltag mit der Kanzlerin gleichzuziehen? Haben wir also den Beginn einer fulminanten Aufholjagd erlebt?

Auszuschließen ist das nicht, aber eine Garantie dafür gibt es erst recht nicht. Die Zustimmung zu Frank-Walter Steinmeier in der Kanzlerfrage dürfte wesentlich davon profitiert haben, dass die SPD am vorausgegangenen Wochenende ihren Wahlkampfauftakt mit dem Außenminister in der Hauptrolle inszeniert hatte und die Massenmedien ausführlich über dieses Ereignis und die Wahlkampfbotschaften der SPD berichtet hatten. Derartige Konstellationen sind nicht neu. Beispielsweise beherrschte zu Beginn des Wahljahres 2002 das denkwürdige Wolfratshauser Frühstück Edmund Stoibers mit Angela Merkel, das dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien bescherte, die Medienberichterstattung. Nach diesem Ereignis schnitt Stoiber in der Kanzlerfrage merklich besser ab als vorher. Allerdings war dies nicht der Auftakt zu einer erfolgreichen Aufholjagd, denn Stoiber gelang es – laut Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen – im gesamten Wahljahr nicht, den Amtsinhaber Gerhard Schröder in der öffentlichen Meinung auszustechen. Auch in den USA steigt die in Umfragen gemessene Zustimmung zu einem Präsidentschaftskandidaten regelmäßig in den Tagen nach seiner Nominierung deutlich an. Doch dieser Popularitätszuwachs ist oft nicht von langer Dauer. Denn nach einem Nominierungsparteitag mit seinen einseitig positiven Aussagen über einen Kandidaten ziehen bald wieder andere Ereignisse und für den Bewerber weniger angenehme Meldungen die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit auf sich.

Die SPD und ihr Kanzlerkandidat sind daher gut beraten, den jüngsten Popularitätsschub Steinmeiers nicht überzubewerten. Er zeigt, dass gute Öffentlichkeitsarbeit Früchte tragen kann, und kann daher als Ansporn für die künftige Arbeit dienen. Doch sollte man ihn nicht als Beleg dafür missverstehen, dass Frank-Walter Steinmeier – wie Gerhard Schröder im Jahr 2005 – einen Rückstand in der Wählergunst bis zum Wahltag in einen Vorsprung verwandeln werde. Etwas aussagekräftiger wäre wohl das Ausbleiben eines Popularitätsschubs gewesen. Denn wenn es dem SPD-Kandidaten selbst unter derart günstigen medialen Bedingungen nicht gelungen wäre, in der öffentlichen Meinung Boden gutzumachen, hätte man sich in der SPD – allem demonstrativen Optimismus zum Trotz – sehr ernsthaft mit einigen unangenehmen Fragen beschäftigen müssen.

 

Erwin Sellering, die Zweite

Über Erwin Sellerings Aussage zu den Schwächen, aber eben auch Stärken der früheren DDR habe ich an dieser Stelle schon einmal einige Zahlen geliefert. Am Wochenende hat Sellering seine Aussagen noch einmal bekräft – und mittlerweile gibt es auch noch neue Zahlen, die dazu passen. Im Allbus 2008 konnten die ostdeutschen Befragten (wieder einmal) angeben, ob sie sich mit der früheren DDR und ihren Bürgern verbunden fühlen. Das Ergebnis – für Ostdeutschland insgesamt, aber auch aufgeschlüsselt nach Bundesland – zeigt die folgende Grafik:

Zwei Drittel der Bürger fühlen sich demnach auch weiterhin mit der früheren DDR verbunden – in Mecklenburg-Vorpommern wird dabei der höchste Wert überhaupt erreicht: Für rund 75 Prozent der Bürger gilt dies dort. Die neuerlichen Aussagen des wahlkämpfenden Sellering sind vor diesem Hintergrund (weiterhin) verständlich.