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„Ich bitte Sie, meine Worte zu veröffentlichen“

 

Mittlerweile gibt es erste Reaktionen auf den Fall Abu Adam und wie ich mich ihm hier nähere. Auch kritische. Außerdem: Post von einem Professor. Teil 5 unseres Ermittlungsblogs.

Von Yassin Musharbash

In bisher vier Blogposts habe ich versucht, etwas mehr Licht in die Vorwürfe zu bringen, aufgrund derer der Leipziger Imam Hesham Shashaa, besser bekannt als Abu Adam, seit Ende April in Spanien in U-Haft sitzt.

Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf erste Reaktionen und weitere Medienberichterstattung einzugehen.

 

Hesham Shashaa alias Abu Adam

Ich fange an mit Sigrid Herrmann-Marschall, einer Bloggerin, die sich selbst als Sekten- und Islamismusexpertin bezeichnet und die auf jeden meiner bisher erschienen Blogs-Posts ausführlich reagiert hat.

Ihre Repliken enthalten einige Anmerkungen, die ich nachvollziehbar finde. Und sie enthalten einige Vorwürfe, auf die ich gerne kurz eingehen würde.

Frau Herrmann-Marschall findet, dass ich die Vorgeschichte von Abu Adam nicht sorgfältig genug recherchiert habe. Sie verweist zum Beispiel auf eine Zeitungsnotiz, in der Abu Adam sich einst als Journalist bezeichnet habe, nicht als Religionsgelehrten. Diese Meldung kannte ich tatsächlich nicht. Danke für den Hinweis.

Sie stört sich daran, dass ich nicht ermittelt habe, dass Abu Adam sich mit dem saudischen Prediger Abdallah al-Muslih nachweisbar getroffen habe und verlinkt entsprechendes Videomaterial. Auch hier: Danke für den Hinweis. Allerdings möchte ich eine kleine Information nachreichen. Wie in Teil 4 beschrieben, bin ich mir noch nicht abschließend sicher, dass der „Abdallah al-Muslih“, der in den spanischen Akten auftaucht, wirklich derselbe Mann ist. Es ist wahrscheinlich. Aber arabische Namen sind oft nicht ganz eindeutig. Deshalb war ich an dieser Stelle zurückhaltend.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob Abu Adam tatsächlich politisch verfolgt worden sei, was, so verstehe ich das, eigentlich auf diese Frage hinausläuft: unter welchen Umständen hat er seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten? Sie steht mit dieser Frage nicht allein, auch einige Leser haben sie gestellt. Ich habe sie bisher nicht recherchiert, weil ich finde, dass sie mit den aktuellen Terrorvorwürfen nichts zu tun hat.

Sie fragt darüber hinaus, wie genau denn die angeblichen Studien Abu Adams ausgesehen haben, beziehungsweise was für Zertifikate er besitzt. Ich habe auch das aktuell nicht nachrecherchiert. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich, als ich Abu Adam vor einigen Jahren in Spanien besuchte, einige akademische Zertifikate zu sehen bekommen. Dass Abu Adam großes Fachwissen in islamischer Theologie hat, merkt indes jeder, der sich mit ihm darüber unterhält.

Dieses Blog ist ein Experiment

Frau Herrmann-Marschall würde zudem gerne wissen, wann und wo genau Abu Adam bei Schulungen und Vorträgen, etc. aufgetreten sei. Das ist eine legitime Frage. Eine Liste habe ich leider nicht. Wenn ich die Zeit finde, werde ich das gerne als Auftrag begreifen, dem hinterherzusteigen. Aber auch hier: mit den Terrorvorwürfen gegen Abu Adam hat das wenig zu tun, deshalb ist es für mich aktuell keine Priorität.

Sie stellt außerdem die Frage, ob es sein könne, dass die Vorsitzende des Vereins „Darul Quran“, der Abu Adam als Extremismus-Experten eingestellt hat, seine Ehefrau ist. Kurze Antwort: Ja, ist sie. Ich hatte auch vor, das an der Stelle zu erwähnen, wo es meiner Meinung nach sinnvoll ist: in dem Blogpost, den ich zu Abu Adams Finanzen noch schreiben werde.

Ich bemühe mich in diesem Ermittlungsblog um größtmögliche Transparenz, und ich hoffe, es ist den Leserinnen und Lesern auch schon klargeworden, dass es sich um eine unerprobte journalistische Form handelt, in der ich hier berichte. Wenn Sie wollen: Ein Experiment. „Work in Progress“, habe ich es in Teil 1 genannt. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich es überhaupt nicht schlimm finde, wenn ich auf Lücken in der Recherche hingewiesen oder konstruktiv kritisiert werde.

Sigrid Herrmann-Marschall hat aber auch Kritik vorgebracht, die ich zurückweisen möchte.

„Warum ‚ermittelt‘ er nur die positiven Dinge“, fragt sie etwa. Ich finde nicht, dass ich das tue. Ich habe auch nicht das „Ziel, ein Bild zu erzeugen“, wie die Kritikerin meint. Ich beharre weiterhin darauf, dass meine Recherche ergebnisoffen ist.

Frau Herrmann-Marschall suggeriert zudem, ich verwendete nur wenig Zeit auf dieses Blog. Als ich mitteilte, dass eine Kollegin mich einen halben Tag lang mit ihren Spanischkenntnissen unterstützt habe, kommentierte sie zum Beispiel ironisch: „Doch so lange? Na, das muss ja gut werden! Man fragt sich ernsthaft, wie viel Zeit sich der Herr Musharbash für weniger komplizierte Recherchen nehmen mag.“

Tatsächlich habe ich schon jetzt etliche Arbeitstage, über Monate verteilt, in dieses Projekt investiert. Dieses Blog ist also nicht, wie die Kritikerin mutmaßt, „zwischen Tür und Angel“ entstanden oder „eilig zusammengeschustert.“

Es stimmte auch nicht, dass ich kein Interesse daran hätte, etwas zu ermitteln, was „über den potentiellen Sachstand der Behörden hinausgeht“. Erst in der letzten Folge habe ich über Kontakte Abu Adams zu zwei späteren IS-Terroristen berichtet, von denen die spanischen Ermittler bisher gar nichts wissen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass weder der MDR noch der BR (Frau Herrmann-Marschall findet, ich ignoriere deren Berichterstattung, dabei habe ich zwei von drei Beiträgen verlinkt) im Gegensatz zu mir die spanischen Akten auch nur durchgegangen sind.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob man nicht, „wie das üblicherweise der Fall ist im Journalismus, abwarten“ könne „bis es etwas Gehaltvolles von den Behörden gibt oder man selber Berichtenswertes gefunden hat“.

Ja, kann man. Aber dies hier ist eben etwas Neuartiges, die Erprobung einer Idee: nämlich in Form eines Blogs nachvollziehbar für die Leserinnen und Leser zu recherchieren, im Idealfall auch, um auf aktuelle Entwicklungen oder Hinweise eingehen zu können.

Das muss natürlich niemand mögen. Mir gefällt es bisher.

Zwei Dinge an Frau Herrmann-Marschalls Replik ärgern mich allerdings sehr. So behauptet sie, ich sei im Fall Peter (Sie können die Folge dazu hier nachlesen) „eine Art Gutachter“ gewesen und selber „Akteur“. Das stimmt schlicht nicht.

Desweiteren schreibt die Bloggerin: „Vieles wirkt wie frei von der Leber geschrieben, der Herr Musharbash schreibt ja auch Fiktives – da tut man sich mit Ausschmückungen leicht.“

Liebe Frau Herrmann-Marschall, seien Sie versichert: Ich verfüge über die notwendige intellektuelle Kapazität, meine berufliche Tätigkeit als Journalist von meinem Wirken als Romanautor zu unterscheiden und zu trennen.

Möglicherweise kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, Frau Hermann-Marschall nicht. Im Interesse der Transparenz reiche ich hier deshalb noch drei Links nach. Einer führt zu einem Interview, in dem Frau Herrmann-Marschall Auskunft über ihr Engagement gegeben hat; die anderen beiden führen zu Artikeln von Süddeutscher Zeitung bzw. Spiegel, in denen Frau Herrmann-Marschalls Tätigkeit (bzw. ihr en „Aktivismus“ – SZ) thematisiert wird.

Ein Professor meldet sich 

Eine zweite Reaktion, die ich gerne hier teilen möchte, erreichte mich per Email von Professor Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, der dort die Professur für Islamische Religionspädagogik innehat. (Mehr über Herrn Khorchide hier und hier.)

 

„Lieber Herr Musharbash,

ich habe gerade ihre beiden Beiträge über Herrn Shashaa gelesen. Ich schreibe Ihnen, weil es mich persönlich stark irritiert, dass ausgerechnet Herr Shashaa im Zusammenhang mit Terror gebracht wird. Ich gebe zu, ich kenne ihn lediglich aus einem Podiumsgespräch in Bonn im Jahre 2014. Ich hatte nach dem Podium die Gelegenheit, mich für ca. 15 Minuten mit ihm unter vier Augen auszutauschen und zwar auf Arabisch (in palästinensischem Dialekt). Ich war erstaunt, wie stark wir uns beide über Gott und die Welt einig waren. Er beschwerte sich bei mir über Salafisten, die ihn zu einem Häretiker erklären und er dankte mir für meine Arbeit, die in seinen Augen sehr wichtig sei und den richtigen barmherzigen Islam darlegen würde. Er sagte mir, dass er sehr oft Kritik bekomme, weil er mich in Schutz nehmen würde, obwohl er mich persönlich nie kannte, aber er habe den Kritikern stets gesagt: „Habt ihr seine Bücher wirklich gelesen? Habt ihr mit ihm geredet? Wenn nein, dann lasst den Mann in Ruhe. Alles was er sagt, ist dass der Islam eine Religion der Barmherzigkeit ist“. Er sagte mir offen, dass man in Detailfragen gerne streiten kann (er sei auch mit allen Details, die ich schreibe einverstanden), aber das seien unwichtige Details.

Herr Shashaa, zu dem ich nachher aus zeitlichen Gründen leider nie wieder Kontakt aufnehmen konnte, machte auf mich den authentischen Eindruck, er sei zwar in manchen Fragen konservativ, aber für innerislamische Pluralität offen, er tritt authentisch für den Frieden und für ein konstruktives Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ein. Ich sage bewusst „authentisch“, weil er mir unter vier Augen und unter uns Palästinensern alles sagen konnte, was er wirklich denkt.

Ja, ich gebe zu, als ich auf das Podium kam, ich innerlich dachte: „Oh, nein! Jetzt muss ich mit einem Salafisten diskutieren“, denn sein Erscheinungsbild deutete auf das hin. Aber schon seine warme Begrüßung und die Art wie er mich angeschaut hat, vermittelte mir sofort etwas anderes. Während des Podiums fragte er mich zwischendurch was das eine oder andere deutsche Wort auf Arabisch heiße, weil er nicht alles verstanden hat und war sehr dankbar für meine Unterstützung. Ich kann mich nicht mehr an die Inhalte der Diskussion erinnern (sie wurde aber sicher aufgezeichnet), aber wir haben nicht gegeneinander sondern miteinander und zwar gegen die Radikalen argumentiert.

Umso mehr irritiert es mich, dass der Mann nun seit April im Untersuchungshaft sitzt. Der Mann Shashaa, den ich im April 2014 kennengelernt habe, ist definitiv kein Radikaler, im Gegenteil, er war äußerst höflich und bescheiden. Seine religiösen Ansichten entsprachen nicht im Geringsten denen von Salafisten oder Radikalen. Jemand, wie ich, der die salafistische Szene und deren Argumente sehr gut kennt, würde sofort erkennen, wer vor ihm steht.

Ich bitte Sie, diese meine Worte zu veröffentlichen und wenn möglich auch an die zuständigen Behörden weiterzugeben, denn ich habe den starken Verdacht, dass hier ein unschuldiger Mensch verdächtigt wird.“

Kurz darauf schickte Professor Khorchide noch eine Ergänzung:

„Ich habe mich nachträglich daran erinnert, dass er sich in unserem Vier-Augen-Gespräch auch darüber beschwert hat, dass viele Muslime heute den Islam als Hassansage gegen den Westen verstehen würden, was total verkehrt wäre, denn uns Muslimen würde es hier in Europa viel besser gehen als in den meisten islamischen Ländern. Ein Salafist oder Extremist würde niemals dies unter vier Augen so formulieren. Ich habe genug andere Erfahrungen gemacht. Ich war danach öfters auf seiner Facebook Seite und habe mitbekommen, wie stark er von Salafisten angefeindet und beschimpft wird, er schrieb immer wieder kurze Statements, meist auf Arabisch, in denen er extremistische Meinungen kritisiert und für den Frieden gerufen hat.“

Ein spanischer Medienbericht

Ich kenne die spanische Zeitung nicht, in der dieser Beitrag erschienen ist.

Aber der Bericht geht vor allem auf den auch von mir berichteten Umstand ein, dass der IS zur Ermordung Abu Adams aufgerufen hat, und listet ansonsten viele der Vorwürfe auf, die auch in diesem Blog schon erörtert worden sind.

An einer Stelle schreibt der Verfasser über die spanischen Ermittlungsakten, sie ließen Abu Adam als perfekten Dschihadisten erscheinen – und zugleich als das Gegenteil. Ich verstehe, dass er diesen Eindruck hat.

In der nächsten Woche wird es um Geldflüsse gehen.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de