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Die CSU braucht Islamnachhilfe. Dringend.

Wie man an einem einzigen Social-Media-Posting sehen kann, dass die CSU gar keine vernünftige Debatte über den Islam führen möchte

Von Yassin Musharbash

Zuerst dachte ich: Ist das vielleicht ein Satire-Account? Aber es ist wirklich die CSU, von der das Posting kommt. Zumindest jemand, den die CSU dafür bezahlt, die Partei in den sozialen Netzwerken zu präsentieren.

Das Posting, um das es geht, ist ignorant und ärgerlich. Auch wenn die CSU es vermutlich für witzig und pointiert hält.

Das Posting erschien auf der Facebook-Seite der Partei und in ihrem Twitter-Account und sieht folgendermaßen aus: 

 

Das Bild der Frau in der Burka wird also genutzt, um ein Umfrageergebnis zu illustrieren, demzufolge 76 Prozent der Deutschen finden, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Es ist natürlich immer schwierig, etwas Abstraktes wie „den Islam“ in einem einzigen Bild darzustellen. Man könnte das Foto einer Moschee nutzen. Das eines aufgeschlagenen Korans. Eines Minaretts. Vielleicht nicht superoriginell, aber wenigstens unproblematisch.

Eine Frau mit einer Burka auszuwählen, ist dagegen grotesk. Es gibt circa 4,5 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland. Sehr, sehr hoch gegriffen, tragen möglicherweise einige wenige Hundert Musliminnen eine Burka. Die CSU illustriert also „den Islam“ mit dem Abbild einer Frau, die allerhöchstens jeden zehntausendsten Muslim repräsentiert.

Die CSU braucht Islamnachhilfe, wenn sie das nicht weiß. Dringend. Könnten also bitte ein paar Islamwissenschaftler oder noch besser: Muslime, in die Partei eintreten und dort segensreich wirken?

Alle Bayern sind Reichsbürger

Nur mal zum Vergleich: In Bayern gab es 2016 laut Verfassungsschutzbericht etwa 1.700 Reichsbürger. Der Anteil der Reichsbürger unter den bayerischen Bürgern ist damit interessanterweise ziemlich exakt so hoch wie der Anteil der Burkaträgerinnen unter den deutschen Muslimen: 0,014 Prozent.

Wie die CSU es wohl fände, wenn man einen Beitrag über Bayern mit Reichsbürgern illustrierte statt mit Bildern von Frauenkirche, Brezen oder Oktoberfest? Wenn man die Bayern also auf eine extreme Minderheit unter ihnen reduzierte. Denn genau das macht das CSU-Posting ja mit den Muslimen und der Burka: Der Islam = Frau mit Burka. Also: Bayern = Reichsbürger. Alles klar?

Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass die CSU ihre Montage nicht aus Ahnungslosigkeit so gestaltet hat, sondern aus Absicht. Hier wird offensichtlich ein Transfer angestrebt: Alle finden Burkas inakzeptabel. Burkas stehen aber irgendwie für „den Islam“, das sagt uns die Bildsprache. Also ist es nur logisch, wenn 76 Prozent der Deutschen (und offenbar 100 Prozent der CSU) finden, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Weil sonst … wäre man ja für die Burka!

Das ist natürlich nicht logisch. Aber darum geht es der CSU ja auch nicht. Sondern darum, jeder Differenzierung aktiv entgegenzuwirken.

Schließlich ist das ganze Posting in erster Linie gedacht als nachgetragene Rechtfertigung der Äußerung von Horst Seehofer, dem neuen CSU-Bundesinnenminister, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Eine Debatte, die eigentlich schon pensioniert war. Und dann das … Deshalb sagt uns jetzt die CSU: Seehofer kann ja nicht falsch liegen, wenn so viele Menschen seine Meinung teilen!

Das Ganze weitet sich zu einer Kampagne aus: Am Dienstag legte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach und erklärte: „Der Islam gehört egal in welcher Form nicht zu Deutschland“.

Noch mal zum Nachlesen: „Egal in welcher Form“!

Was auf diese Weise vollständig unter den Tisch fällt: Jede vernünftige Kritik an Burkas und extremistischen Varianten des Islam. Alles ist jetzt nämlich eins. Denn so wie man ein Rührei nicht mehr in Eiweiß und Eigelb scheiden kann, macht die CSU es mit solcher Agitation schwieriger, zwischen ganz normalen, vollständig harmlosen Muslimen auf der einen und Besorgnis erregenden Salafisten, Extremisten und Dschihadisten auf der anderen Seite zu unterscheiden.

Kein gutes Omen, wenn ein Bundesinnenminister einer Partei entstammt, die geradezu lustvoll und in seinem Namen eine der wichtigsten Trennlinien der deutschen Sicherheitspolitik verwischt.

 

„Ich bitte Sie, meine Worte zu veröffentlichen“

Mittlerweile gibt es erste Reaktionen auf den Fall Abu Adam und wie ich mich ihm hier nähere. Auch kritische. Außerdem: Post von einem Professor. Teil 5 unseres Ermittlungsblogs.

Von Yassin Musharbash

In bisher vier Blogposts habe ich versucht, etwas mehr Licht in die Vorwürfe zu bringen, aufgrund derer der Leipziger Imam Hesham Shashaa, besser bekannt als Abu Adam, seit Ende April in Spanien in U-Haft sitzt.

Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf erste Reaktionen und weitere Medienberichterstattung einzugehen.

 

Hesham Shashaa alias Abu Adam

Ich fange an mit Sigrid Herrmann-Marschall, einer Bloggerin, die sich selbst als Sekten- und Islamismusexpertin bezeichnet und die auf jeden meiner bisher erschienen Blogs-Posts ausführlich reagiert hat.

Ihre Repliken enthalten einige Anmerkungen, die ich nachvollziehbar finde. Und sie enthalten einige Vorwürfe, auf die ich gerne kurz eingehen würde.

Frau Herrmann-Marschall findet, dass ich die Vorgeschichte von Abu Adam nicht sorgfältig genug recherchiert habe. Sie verweist zum Beispiel auf eine Zeitungsnotiz, in der Abu Adam sich einst als Journalist bezeichnet habe, nicht als Religionsgelehrten. Diese Meldung kannte ich tatsächlich nicht. Danke für den Hinweis.

Sie stört sich daran, dass ich nicht ermittelt habe, dass Abu Adam sich mit dem saudischen Prediger Abdallah al-Muslih nachweisbar getroffen habe und verlinkt entsprechendes Videomaterial. Auch hier: Danke für den Hinweis. Allerdings möchte ich eine kleine Information nachreichen. Wie in Teil 4 beschrieben, bin ich mir noch nicht abschließend sicher, dass der „Abdallah al-Muslih“, der in den spanischen Akten auftaucht, wirklich derselbe Mann ist. Es ist wahrscheinlich. Aber arabische Namen sind oft nicht ganz eindeutig. Deshalb war ich an dieser Stelle zurückhaltend.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob Abu Adam tatsächlich politisch verfolgt worden sei, was, so verstehe ich das, eigentlich auf diese Frage hinausläuft: unter welchen Umständen hat er seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten? Sie steht mit dieser Frage nicht allein, auch einige Leser haben sie gestellt. Ich habe sie bisher nicht recherchiert, weil ich finde, dass sie mit den aktuellen Terrorvorwürfen nichts zu tun hat.

Sie fragt darüber hinaus, wie genau denn die angeblichen Studien Abu Adams ausgesehen haben, beziehungsweise was für Zertifikate er besitzt. Ich habe auch das aktuell nicht nachrecherchiert. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich, als ich Abu Adam vor einigen Jahren in Spanien besuchte, einige akademische Zertifikate zu sehen bekommen. Dass Abu Adam großes Fachwissen in islamischer Theologie hat, merkt indes jeder, der sich mit ihm darüber unterhält.

Dieses Blog ist ein Experiment

Frau Herrmann-Marschall würde zudem gerne wissen, wann und wo genau Abu Adam bei Schulungen und Vorträgen, etc. aufgetreten sei. Das ist eine legitime Frage. Eine Liste habe ich leider nicht. Wenn ich die Zeit finde, werde ich das gerne als Auftrag begreifen, dem hinterherzusteigen. Aber auch hier: mit den Terrorvorwürfen gegen Abu Adam hat das wenig zu tun, deshalb ist es für mich aktuell keine Priorität.

Sie stellt außerdem die Frage, ob es sein könne, dass die Vorsitzende des Vereins „Darul Quran“, der Abu Adam als Extremismus-Experten eingestellt hat, seine Ehefrau ist. Kurze Antwort: Ja, ist sie. Ich hatte auch vor, das an der Stelle zu erwähnen, wo es meiner Meinung nach sinnvoll ist: in dem Blogpost, den ich zu Abu Adams Finanzen noch schreiben werde.

Ich bemühe mich in diesem Ermittlungsblog um größtmögliche Transparenz, und ich hoffe, es ist den Leserinnen und Lesern auch schon klargeworden, dass es sich um eine unerprobte journalistische Form handelt, in der ich hier berichte. Wenn Sie wollen: Ein Experiment. „Work in Progress“, habe ich es in Teil 1 genannt. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich es überhaupt nicht schlimm finde, wenn ich auf Lücken in der Recherche hingewiesen oder konstruktiv kritisiert werde.

Sigrid Herrmann-Marschall hat aber auch Kritik vorgebracht, die ich zurückweisen möchte.

„Warum ‚ermittelt‘ er nur die positiven Dinge“, fragt sie etwa. Ich finde nicht, dass ich das tue. Ich habe auch nicht das „Ziel, ein Bild zu erzeugen“, wie die Kritikerin meint. Ich beharre weiterhin darauf, dass meine Recherche ergebnisoffen ist.

Frau Herrmann-Marschall suggeriert zudem, ich verwendete nur wenig Zeit auf dieses Blog. Als ich mitteilte, dass eine Kollegin mich einen halben Tag lang mit ihren Spanischkenntnissen unterstützt habe, kommentierte sie zum Beispiel ironisch: „Doch so lange? Na, das muss ja gut werden! Man fragt sich ernsthaft, wie viel Zeit sich der Herr Musharbash für weniger komplizierte Recherchen nehmen mag.“

Tatsächlich habe ich schon jetzt etliche Arbeitstage, über Monate verteilt, in dieses Projekt investiert. Dieses Blog ist also nicht, wie die Kritikerin mutmaßt, „zwischen Tür und Angel“ entstanden oder „eilig zusammengeschustert.“

Es stimmte auch nicht, dass ich kein Interesse daran hätte, etwas zu ermitteln, was „über den potentiellen Sachstand der Behörden hinausgeht“. Erst in der letzten Folge habe ich über Kontakte Abu Adams zu zwei späteren IS-Terroristen berichtet, von denen die spanischen Ermittler bisher gar nichts wissen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass weder der MDR noch der BR (Frau Herrmann-Marschall findet, ich ignoriere deren Berichterstattung, dabei habe ich zwei von drei Beiträgen verlinkt) im Gegensatz zu mir die spanischen Akten auch nur durchgegangen sind.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob man nicht, „wie das üblicherweise der Fall ist im Journalismus, abwarten“ könne „bis es etwas Gehaltvolles von den Behörden gibt oder man selber Berichtenswertes gefunden hat“.

Ja, kann man. Aber dies hier ist eben etwas Neuartiges, die Erprobung einer Idee: nämlich in Form eines Blogs nachvollziehbar für die Leserinnen und Leser zu recherchieren, im Idealfall auch, um auf aktuelle Entwicklungen oder Hinweise eingehen zu können.

Das muss natürlich niemand mögen. Mir gefällt es bisher.

Zwei Dinge an Frau Herrmann-Marschalls Replik ärgern mich allerdings sehr. So behauptet sie, ich sei im Fall Peter (Sie können die Folge dazu hier nachlesen) „eine Art Gutachter“ gewesen und selber „Akteur“. Das stimmt schlicht nicht.

Desweiteren schreibt die Bloggerin: „Vieles wirkt wie frei von der Leber geschrieben, der Herr Musharbash schreibt ja auch Fiktives – da tut man sich mit Ausschmückungen leicht.“

Liebe Frau Herrmann-Marschall, seien Sie versichert: Ich verfüge über die notwendige intellektuelle Kapazität, meine berufliche Tätigkeit als Journalist von meinem Wirken als Romanautor zu unterscheiden und zu trennen.

Möglicherweise kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, Frau Hermann-Marschall nicht. Im Interesse der Transparenz reiche ich hier deshalb noch drei Links nach. Einer führt zu einem Interview, in dem Frau Herrmann-Marschall Auskunft über ihr Engagement gegeben hat; die anderen beiden führen zu Artikeln von Süddeutscher Zeitung bzw. Spiegel, in denen Frau Herrmann-Marschalls Tätigkeit (bzw. ihr en „Aktivismus“ – SZ) thematisiert wird.

Ein Professor meldet sich 

Eine zweite Reaktion, die ich gerne hier teilen möchte, erreichte mich per Email von Professor Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, der dort die Professur für Islamische Religionspädagogik innehat. (Mehr über Herrn Khorchide hier und hier.)

 

„Lieber Herr Musharbash,

ich habe gerade ihre beiden Beiträge über Herrn Shashaa gelesen. Ich schreibe Ihnen, weil es mich persönlich stark irritiert, dass ausgerechnet Herr Shashaa im Zusammenhang mit Terror gebracht wird. Ich gebe zu, ich kenne ihn lediglich aus einem Podiumsgespräch in Bonn im Jahre 2014. Ich hatte nach dem Podium die Gelegenheit, mich für ca. 15 Minuten mit ihm unter vier Augen auszutauschen und zwar auf Arabisch (in palästinensischem Dialekt). Ich war erstaunt, wie stark wir uns beide über Gott und die Welt einig waren. Er beschwerte sich bei mir über Salafisten, die ihn zu einem Häretiker erklären und er dankte mir für meine Arbeit, die in seinen Augen sehr wichtig sei und den richtigen barmherzigen Islam darlegen würde. Er sagte mir, dass er sehr oft Kritik bekomme, weil er mich in Schutz nehmen würde, obwohl er mich persönlich nie kannte, aber er habe den Kritikern stets gesagt: „Habt ihr seine Bücher wirklich gelesen? Habt ihr mit ihm geredet? Wenn nein, dann lasst den Mann in Ruhe. Alles was er sagt, ist dass der Islam eine Religion der Barmherzigkeit ist“. Er sagte mir offen, dass man in Detailfragen gerne streiten kann (er sei auch mit allen Details, die ich schreibe einverstanden), aber das seien unwichtige Details.

Herr Shashaa, zu dem ich nachher aus zeitlichen Gründen leider nie wieder Kontakt aufnehmen konnte, machte auf mich den authentischen Eindruck, er sei zwar in manchen Fragen konservativ, aber für innerislamische Pluralität offen, er tritt authentisch für den Frieden und für ein konstruktives Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ein. Ich sage bewusst „authentisch“, weil er mir unter vier Augen und unter uns Palästinensern alles sagen konnte, was er wirklich denkt.

Ja, ich gebe zu, als ich auf das Podium kam, ich innerlich dachte: „Oh, nein! Jetzt muss ich mit einem Salafisten diskutieren“, denn sein Erscheinungsbild deutete auf das hin. Aber schon seine warme Begrüßung und die Art wie er mich angeschaut hat, vermittelte mir sofort etwas anderes. Während des Podiums fragte er mich zwischendurch was das eine oder andere deutsche Wort auf Arabisch heiße, weil er nicht alles verstanden hat und war sehr dankbar für meine Unterstützung. Ich kann mich nicht mehr an die Inhalte der Diskussion erinnern (sie wurde aber sicher aufgezeichnet), aber wir haben nicht gegeneinander sondern miteinander und zwar gegen die Radikalen argumentiert.

Umso mehr irritiert es mich, dass der Mann nun seit April im Untersuchungshaft sitzt. Der Mann Shashaa, den ich im April 2014 kennengelernt habe, ist definitiv kein Radikaler, im Gegenteil, er war äußerst höflich und bescheiden. Seine religiösen Ansichten entsprachen nicht im Geringsten denen von Salafisten oder Radikalen. Jemand, wie ich, der die salafistische Szene und deren Argumente sehr gut kennt, würde sofort erkennen, wer vor ihm steht.

Ich bitte Sie, diese meine Worte zu veröffentlichen und wenn möglich auch an die zuständigen Behörden weiterzugeben, denn ich habe den starken Verdacht, dass hier ein unschuldiger Mensch verdächtigt wird.“

Kurz darauf schickte Professor Khorchide noch eine Ergänzung:

„Ich habe mich nachträglich daran erinnert, dass er sich in unserem Vier-Augen-Gespräch auch darüber beschwert hat, dass viele Muslime heute den Islam als Hassansage gegen den Westen verstehen würden, was total verkehrt wäre, denn uns Muslimen würde es hier in Europa viel besser gehen als in den meisten islamischen Ländern. Ein Salafist oder Extremist würde niemals dies unter vier Augen so formulieren. Ich habe genug andere Erfahrungen gemacht. Ich war danach öfters auf seiner Facebook Seite und habe mitbekommen, wie stark er von Salafisten angefeindet und beschimpft wird, er schrieb immer wieder kurze Statements, meist auf Arabisch, in denen er extremistische Meinungen kritisiert und für den Frieden gerufen hat.“

Ein spanischer Medienbericht

Ich kenne die spanische Zeitung nicht, in der dieser Beitrag erschienen ist.

Aber der Bericht geht vor allem auf den auch von mir berichteten Umstand ein, dass der IS zur Ermordung Abu Adams aufgerufen hat, und listet ansonsten viele der Vorwürfe auf, die auch in diesem Blog schon erörtert worden sind.

An einer Stelle schreibt der Verfasser über die spanischen Ermittlungsakten, sie ließen Abu Adam als perfekten Dschihadisten erscheinen – und zugleich als das Gegenteil. Ich verstehe, dass er diesen Eindruck hat.

In der nächsten Woche wird es um Geldflüsse gehen.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de

 

Was bedeutet „um sie zu beruhigen“?

Menschenhandel, Terrorfinanzierung, Propaganda: Die Vorwürfe spanischer Ermittler gegen den Leipziger Imam Abu Adam sind heftig. Und die Recherche ist kompliziert. Folge 3 unseres Ermittlungsblogs

Von Yassin Musharbash

Hesham Shashaa alias Abu Adam

 

Nimmt nicht ab.

Nummer nicht vergeben.

Nimmt nicht ab.

Zur Zeit nicht erreichbar.

E-Mail unbeantwortet.

Nimmt nicht ab.

Nimmt nicht ab.

„No one is available to answer your call right now.“

Viele Personen, die etwas über den Fall Abu Adam wissen könnten, sind nur schwer oder gar nicht erreichbar: Etliche seiner angeblichen Spender zum Beispiel, die in verschiedenen Golfstaaten leben. Und ebenso die jungen Männer, die dem IS nahestehen sollen sollen, und deren Kennverhältnisse zu Abu Adam den spanischen Ermittlern so brisant vorkommen, dass sie den Leipziger Imam seit Ende April in Untersuchungshaft halten.

Ein Lichtblick deshalb, dass die Kollegin Lea Frehse aus dem Politik-Ressort der ZEIT sich letzte Woche einen halben Tag Zeit genommen hat, um mit mir die zentralen Passagen der spanischen Ermittlungsakten noch einmal genau durchzugehen. (Ich muss ansonsten mit Latinum, Google Translate, einem Volkshochschulsemester Spanisch und Nachfragen bei Spanisch sprechenden Bekannten zurechtkommen.)

Bis jetzt habe ich in diesem Ermittlungsblog Abu Adam vorgestellt (lesen Sie Teil 1 hier) und seine Beziehung zu dem jungen Deutschen Peter beschrieben (lesen Sie Teil 2 hier). Aber es gibt  noch viel zu tun. Ist Abu Adam ein glaubwürdiger Kämpfer gegen den Extremismus, ein im Verborgenen wirkender radikaler Aufwiegler, oder irgendetwas dazwischen?

Heute will ich einen Überblick über die Vorwürfe gegen Abu Adam geben, wie sie sich aus den Teilen der spanischen Ermittlungsakten ergeben, die ich kenne. Ob die Unterlagen vollständig und aktuell sind, weiß ich nicht. Das weiß auch der deutsche Anwalt von Abu Adam nicht, weil er mangels Zulassung in Spanien gegenüber den Behörden dort kein Recht auf Akteneinsicht geltend machen kann. In Spanien hat Abu Adam erst seit Kurzem überhaupt einen Anwalt, der sich aber noch einarbeitet.

Trotzdem ist es möglich, die wichtigsten Verdachtsmomente zusammenzufassen.

In einem Dokument des Ermittlungsgerichts listen die Ermittler unter der Rubrik „unterstellte Verbrechen“ zunächst Folgendes auf:

  • Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS (wörtlich: „integración en“, was man eventuell noch treffender mit „Einbindung in“ übersetzen kann)
  • Terrorverherrlichung und Indoktrination
  • Terrorfinanzierung

Dann heißt es etwas ausführlicher, es sei „als Ergebnis der bisherigen Aktionen bestätigt worden“, dass Hesham Shashaa (so Abu Adams bürgerlicher Name) eine Organisation mit Sitz in Alicante gegründet habe, die als „Zufluchtsort, Transitort oder Basis für Operationen oder logistische Versorgung“ für Rückkehrer des IS aus Syrien oder dem Irak dienen solle, welche gemäß den Richtlinien des IS das Ziel hätten, terroristische Anschläge in Spanien oder auf europäischen Boden zu verüben. Absicht dieser Organisation sei es wohl zudem, junge Muslime zu manipulieren, um sie später als Führer zu islamistische Gruppen „wie IS, Al-Kaida oder Dschabhat al-Nusra zu entsenden“.

Und weiter: Die Ermittlungen hätten ergeben, dass man Abu Adam „als eingebunden in die Struktur des IS“ betrachten könne – als ein Mitglied außerhalb der Konfliktgebiete, das in der Lage sei, muslimische Communitys in Europa zu erreichen.

Er habe zudem selbst gesagt, dass er für die Terrororganisationen „Al-Kaida, Injes und Najda arbeite“. (Ich habe keine Ahnung, wer oder was mit Najda und Injes gemeint sein könnten.) Und er soll zu Dschabhat al-Nusra gehören und die Gruppe unterstützen.

Es folgt der Vorwurf des Menschenhandels.

Außerdem verfüge Abu Adam über erhebliche finanzielle Mittel, die er einsetze, um „Bereiche des internationalen, islamistischen Terrorismus sowie diverse Ideen zu finanzieren, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen“.

Er habe in sozialen Medien extremistische Videos geteilt, um Terrorismus zu lehren und zu verherrlichen.

Es werden mehrere Kontakte zu mutmaßlichen IS-Mitgliedern aufgezählt.

Und schließlich habe Abu Adam sich verdächtig gemacht, weil er Habiba A. mitsamt ihrer Familie aus Rakka (damals noch Hauptstadt des IS in Syrien) nach Spanien verbracht habe.

Ich glaube, es ist am sinnvollsten, die Vorwürfe in zwei Gruppen zu teilen: solche, die offensichtlich schwerwiegend und recherchenwürdig sind; und andere, die eher Missverständnissen geschuldet sein dürften, nicht schlüssig sind oder angesichts der übrigen Verdächtigungen so wenig ins Gewicht fallen, dass es nicht lohnt, sie zeitraubend zu untersuchen.

Die folgenden Vorwürfe werde ich in kommenden Folgen einzeln durchgehen:

  • Kontakte zu mutmaßlichen IS-Mitgliedern und mutmaßliche Mitgliedschaft beim IS
  • Geldflüsse und angebliche Terrorfinanzierung
  • Terrorpropaganda und soziale Medien

Auf einige andere Vorwürfe werde ich keine eigenen Blogposts verwenden, weil  die Beweislage meiner Meinung nach dürftig ist. Diese werde ich an dieser Stelle kurz betrachten.

Da ist zum Beispiel der Vorwurf des Menschenhandels. Es geht dabei, wo weit ich sehen kann, um ein abgehörtes Telefonat aus dem Oktober 2016, in dem Abu Adam mit einem Mann namens Amar spricht und diesem empfiehlt, eine „junge, arme Frau marokkanischer Abstammung zu suchen“, sodass er der Familie lediglich 200 Euro zahlen müsse. Er selbst habe das so gehandhabt.

Abu Adams Ehefrau (die ich auf ihre Bitte hin nicht namentlich nenne) behauptet, dass es sich bei dem Gespräch um das Thema Mahr drehte, also das traditionelle Brautgeld, das bei einer islamischen Eheschließung in den Besitz der Ehefrau übergeht. Weil Frauen in Europa heutzutage oft sehr hohe Beträge verlangten, habe Abu Adam seinem Gesprächspartner vorgeschlagen, sich eine marokkanische Frau aus armer Familie zu suchen, die nicht mehr als 200 Euro verlangen würde. Solch einen Vorschlag würden die meisten Leser vermutlich nicht nachahmenswert finden (ich auch nicht); es erscheint mir aber plausibel, dass das Gespräch so gemeint war. Ob dass den  Tatbestand des Menschenhandels erfüllt (solange keine weiteren Verdachtsmomente hinzukommen), kann man anzweifeln.

Es erscheint mir auch etwas weit hergeholt, Abu Adam die Unterstützung von (beziehungsweise Mitgliedschaft bei) IS, Al-Kaida und Dschabhat al-Nusra zugleich vorzuwerfen. Die drei Terrorgruppen sind untereinander verfeindet. Zum Teil haben sie gegeneinander gekämpft oder tun das noch.

Sehen wir uns die Begründung der Ermittler an. Woher kommt der Vorwurf, Abu Adam „arbeite für Al-Kaida“? Auch er ergibt sich den Akten zufolge aus einem abgehörten Telefonat. Im Januar 2016 hat Abu Adam demnach zu einem Mann namens Saad gesagt:

„Ich habe einen Job, einen sehr sehr speziellen Job, der an vielen Orten stattfindet (…) Ich arbeite für („para“) Al-Kaida, Injes und Najda, arbeite daran („para“), sie zu beruhigen.“

Die Ermittler notieren dazu, dass sie den Begriff  „sie zu beruhigen“ (im spanischen Original „para tranquilizarlos“) folgendermaßen interpretieren: Aufgaben ausführen, die es ihnen ermöglichen, Ressourcen zu dem Zweck zu erhalten, ihre gegenwärtigen oder künftigen Aktivitäten weiterzuentwickeln (…) .“

Auch das finde ich nicht zwingend. Warum soll „beruhigen“ nicht einfach genau das bedeuten: beruhigen?

Und woher rührt der Vorwurf, Abu Adam habe eine Verbindung zu Dschabhat al-Nusra? Ausweislich der Akten gründet er auf einem Facebook-Kommentar Abu Adams aus dem Herbst 2015. Abu Adam hatte damals eine Meldung des arabischen Satellitensenders Al-Arabiya verlinkt und darüber einen Kommentar gesetzt. In der Meldung von Al-Arabiya ging es darum, dass syrische Oppositionskämpfer Waffen an die aus Al-Qaida hervorgegangene dschihadistische Gruppe Dschabhat al-Nusra abgegeben hätten.

 

Der Facebook-Kommentar, auf den sich die Ermittler stützen

 

Die spanischen Ermittler haben Abu Adams Kommentar aus dem Arabischen ins Spanische übersetzt. Die wörtliche Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche lautet so:

„Nein … aussprechen und (die Welt) verändern … wir glauben … in Wahrheit verdienen wir, ‚Dschabhat al-Nusra‘, die Führer zu sein.“

Ich schrieb ja eingangs, dass ich nicht fließend Spanisch verstehe. Aber ich bin studierter Arabist. Und ich habe den Facebook-Kommentar von Abu Adam mit meinem Kollegen Mohamed Amjahid besprochen, der arabischer Muttersprachler ist. Wir finden beide, dass die Übersetzung aus dem Arabischen fehlerhaft ist. Richtig ist:

„Nein … ihr ändert eure Meinung … wir haben euch geglaubt … es stimmt, wir verdienen etwas Besseres (oder: mehr).“

Es erschließt sich zwar nicht, was Abu Adam gemeint hat, der Kommentar bleibt kryptisch. Aber das Wort Dschabhat al-Nusra taucht darin gar nicht auf. Es sind die spanischen Ermittler, die das „wir“ in dem Kommentar so interpretieren und den Namen der Gruppe ergänzt haben. Warum, das erklären sie nicht.

Ich plädiere dafür, den Verdacht, Abu Adam sei Mitglied von Al-Kaida und Dschabhat al-Nusra, einstweilen zur Seite zu legen: Die Belege der spanischen Ermittler sind mir zu dünn. (Ob Teile von Abu Adams Gedankenwelt sich mit den Ideologen solcher Gruppen überschneiden, ist eine andere Frage, auf die ich auch noch eingehen werden.)

Als nächstes werde ich mich am Mittwoch in der vierten Folge einem Verdacht zuwenden, für den es substanziellere Belege gibt: Abu Adams angebliche Kontakte zu IS-Mitgliedern.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de

 

Der Fall Peter

Einst hielt der Leipziger Imam Abu Adam den jungen Deutschen Peter davon ab, in den Krieg zu ziehen. Jetzt sitzt er selbst als Terrorverdächtiger in Untersuchungshaft.  Folge 2 unseres Ermittlungsblogs.

Von Yassin Musharbash

 

Islamismus: Der Fall Peter
Hesham Shashaa alias Abu Adam

„Ich habe bemerkt, dass sie mich beobachten“, tippt der junge Mann in sein Handy. „Von allen Seiten.“

Wer sind ‚die‘? Und was heißt das: ‚von allen Seiten‘?

„Immer wieder dieselben Personen, die an meinem Haus vorbeilaufen und schauen“, antwortet der junge Mann. „Auch Polizeiautos, die regelmäßig schauend vorbeifahren, die Polizisten mustern mich aus dem Auto heraus. Und ich hatte das Gefühl, dass Leute sich an mich angekoppelt haben, und dass man über mich befragt wurde.“

Der junge Mann, mit dem ich chatte, ist Peter, Mitte Zwanzig, Deutscher. Eigentlich heißt er anders. Aber als ich vor fast drei Jahren das erste Mal mit ihm sprach und für die ZEIT eine Reportage über ihn schrieb, bat er mich, ihm einen fiktiven Namen zu geben. Auch jetzt möchte er nicht, dass sein wahrer Name genannt wird.

An die 1000 Männer und Frauen sind den vergangenen Jahren aus Deutschland ausgereist und nach Syrien oder in den Irak gezogen; viele haben sich der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) angeschlossen. Peter wäre fast einer von ihnen geworden: „Ich hatte diesen Traum, einmal sagen zu können: Ich bin seit dreißig Jahren auf dem Schlachtfeld!“, sagte er mir 2014.

Aber er setzte seinen Plan nicht um. Und der Mann, der ihn davon abhielt, das sagt Peter selber, ist der Leipziger Imam Hesham Shashaa alias Abu Adam – der Mann mithin, um den sich dieses Blog dreht (Lesen Sie Teil 1 hier). Die Geschichte von Peter galt als Beleg dafür, dass Abu Adam etwas kann, was nicht viele Menschen können: Extremisten erfolgreich deradikalisieren.

Genau das steht freilich auf einmal in Frage. Genau genommen seit dem 26. April, dem Tag, an dem Abu Adam in Spanien wegen des Verdachts verhaftet wurde, den IS in Wahrheit zu unterstützen.

In den Akten der spanischen Justiz wird nun auch Peter als „Dschihadist“ charakterisiert. Die Ermittler halten es demnach für möglich, dass Peter doch in Syrien gewesen sei, auch wenn sie dafür keine Belege aufbieten. Sie bezeichnen ihn als „investigado“, was darauf hindeutet, dass auch gegen ihn ermittelt wird. In seiner Abwesenheit, das ist ebenfalls aktenkundig, haben die Ermittler seine Wohnung durchsuchen lassen.

Es ist also nicht abwegig, wenn Peter glaubt, ausgeforscht zu werden.

In dieser Folge des Blogs wird es um Peters Fall gehen. Und um alles, was daran hängt. Denn an dem Versuch, Peter zu deradikalisieren, war nicht nur Abu Adam beteiligt. Sondern auch
Claudia Dantschke, die Leiterin der Berliner Deradikalisierungs-Initiative Hayat.(*) Sowie Solveig Prass von der Beratungsstelle zu negativen Sekten und Kulten und extremistischen Gruppen, einem Projekt der Kinderveinigung Leipzig e.V., das bei der städtischen Jugendförderung angesiedelt ist. Und indirekt spielt auch noch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Rolle.

Alle stehen nun in der Kritik. Hayat habe den Fall Peter „offensichtlich nicht ausreichend kontrolliert“, moniert der MDR und problematisiert die Tatsache, dass die Initiative auch Steuergelder erhält. Hayat habe Abu Adam „labile Jugendliche anvertraut und viel Geld dafür bezahlt – Steuergeld“, empört sich der Bayerische Rundfunk.

Was genau ist passiert?

Der Fall „Peter“ beginnt damit, dass seine Mutter sich 2014 an den Verfassungsschutz wendet. Sie ahnt, dass er sich radikalisiert hat. Sie sucht Hilfe. Über den Verfassungsschutz kommt der Fall zur „Beratungsstelle Radikalisierung“, die im BAMF angesiedelt ist und den Kontakt zu jenen Deradikalisierungs-Projekten koordiniert, mit denen das BAMF zusammenarbeitet. Weil Peters Mutter in Sachsen lebt, und Hayat in dem Bundesland aktiv ist, landet der Fall dort.

„Ich sehe es in ihren Augen…“

„Wir haben dann erstmal eine Fallanalyse gemacht“, sagt Claudia Dantschke, die Leiterin von Hayat. „Der junge Mann war eng in eine radikale und zugleich kleinkriminelle Szene in einer westdeutschen Großstadt eingebunden. Er orientierte sich sehr eng an dem einschlägig bekannten Imam dieser Gruppe. Wir fanden, dass er hochgradig gefährdet war.“ Schnell sei man sich einig gewesen über das erste Ziel: Peter von der Szene zu isolieren.

Allerdings sei nirgendwo jemand zu finden gewesen, der Peter hätte stabilisieren können. Aus verschiedenen Gründen seien zum Beispiel die Mutter und Geschwister nicht in Frage gekommen, sagt Dantschke. Daraufhin reifte bei Hayat der Gedanke, dass vielleicht Abu Adam geeignet wäre, an die Stelle des radikalen Imams zu treten.

Und warum ausgerechnet Abu Adam?

Claudia Dantschke kannte Abu Adam damals schon gut zwei Jahre. Sie hatte ihn kennengelernt als einen orthodoxen, konservativen, aber dezidiert nicht-radikalen Islamgelehrten. „Ich habe ihn zwei Jahre lang intensiv geprüft“, sagt sie. „Ende 2013 habe ich ihn besucht, habe alle seine Frauen und alle seine Kinder kennengelernt. Ich habe ein langes Interview mit ihm zum Thema Deradikalisierung und zu seiner Art, das anzugehen, gemacht. Wir hatten einen ähnlichen Ansatz. Dass es vor allem auf stabilisierende Beziehungen ankommt, zum Beispiel.“

Abu Adam hatte sich tatsächlich schon Jahre zuvor zum Deradikalisierer erklärt. Die Moscheegemeinde in München, die er gegründet hatte, beschäftigte ihn als Anti-Extremismus-Beauftragten, was er offiziell bis heute ist. (Der Arbeitsvertrag liegt mir vor.) Die Spuren einiger Auseinandersetzungen, die Abu Adam in jenen Jahren anzettelte, lassen sich bis heute nachzeichnen. Auf Facebook attackierte er etwa regelmäßig Al-Qaida. Er schloss nach islamischem Recht eine Ehe zwischen einem Sunniten und einer Schiitin, was ihm harsche Kritik eines radikalen Imams einbrachte.

Im Moment ist es wegen der Untersuchungshaft nicht möglich, Abu Adam zu befragen. Aber als ich ihn 2014 traf, antwortet er auf meine Frage, wie er das mit dem Deradikalisieren mache, so: „Ich sehe es in ihren Augen, wenn sie radikal werden. Vor der Moschee zum Beispiel.“ Dann verwickele er sie in Gespräche, lasse sie spüren, dass er viel mehr Wissen über ihre Religion habe als sie. Dass sie einem Irrglauben aufgesessen seien, wenn sie dächten, es käme aufs Kämpfen an. Oder dass man keinen Kontakt zu Ungläubigen haben dürfe.

Nach und nach erreichten Abu Adam vermehrt Anfragen, als Referent über die Themen Islam, Islamismus und Radikalisierung zu sprechen. Anfang Juli 2014, just zu der Zeit, als der Fall Peter an Fahrt aufnahm, saß er etwa auf einer Fachtagung der Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn auf dem Podium. Teilnehmer hätten ihr gesagt, er habe eine „glänzende Figur“ gemacht, erinnert sich Dantschke.

Mit Abu Adam stand in Dantschkes Augen also auf der einen Seite jemand bereit, der theologisch versiert war, keine Berührungsängste mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft hatte, sich öffentlich für Dialog und gegen Extremisten aussprach – und, eine weitere wichtige Zutat, über spürbares Charisma verfügte. Auf der anderen Seite gab es einen Radikalisierungs-gefährdeten jungen Mann, der sich an männlichen Autoritätspersonen ausrichtete und dringend aus seinem radikalen Umfeld gelöst werden musste.

„Es lief gut“

„Ich habe also Peters Mutter mit Abu Adam zusammengebracht“, berichtet Dantschke. Drei Stunden hätten die beiden gesprochen. Dann habe die Mutter dem Plan zugestimmt, Peter mit Abu Adam bekannt zu machen. Auch diese Begegnung verlief erfolgreich: Peter war sofort von Abu Adam eingenommen; das sagt nicht nur Dantschke, das hat mir Peter 2014 selbst berichtet. Er stimmte zu, nach Leipzig zu ziehen, um in Abu Adams Nähe zu sein. Damit war das erste Problem, das Herauslösen aus seiner radikalen Umgebung, für den Moment geklärt.

Es gab jedoch weitere Schwierigkeiten, unter anderem finanzielle: Wovon sollte Peter, der Schulabbrecher, leben? Und wo?

Deshalb bezog Dantschke Solveig Prass ein, die sich ihrerseits bemühte, einen Platz in einer Jugend-WG für Peter zu finden. „Ich fand die Entscheidung, Abu Adam einzubeziehen, nachvollziehbar“, sagt Prass heute. Peter sei derart radikalisiert gewesen, dass er zum Beispiel mit ihr als Frau gar nicht reden wollte; Abu Adam habe ihm jedoch klargemacht, „er solle mit mir sprechen, auch wenn ich Christin bin, ich wolle schließlich helfen, das sei doch gut.“ Genauso sei Peter erst auf Abu Adams Drängen hin bereit gewesen, seine islamische Kleidung abzulegen und sich nach gängigeren Maßstäben anzuziehen, wenn er Termine bei Ämtern hatte.

Solveig Prass sagt, auch sie habe Abu Adam keinesfalls als Extremisten kennengelernt. Einmal habe sie mitgehört, wie er einen Anruf bekam: Ein Mann habe wissen wollen, ob es islamisch rechtens sei, wenn er Polizist würde. Ja, habe Abu Adam geantwortet – man müsse dem Land dienen, in dem man lebe. „Da kriegt man schon mit, was er für eine Einstellung hat“, sagt Solveig Prass.

Auch Solveig Prass versteht etwas von Deradikalisierung, es ist Teil ihres Jobs, neben Islamisten hat es sie auch mit Zeugen Yehovas oder Rechtsradikalen zu tun. In ihrem Büro gab es ungefähr zwölf Sitzungen mit Peter zum Zweck der Deradikalisierung. Bei bei den ersten sechs Terminen war Abu Adam dabei. „Es lief gut“, sagt sie im Rückblick.

Im Oktober 2014 allerdings erlitt Peter einen Rückfall. Abu Adam, so berichtet Claudia Dantschke, habe Peter davor bewahren können, sich wieder seiner alter Clique anzuschließen. Aber es war offen, wie es weitergehen sollte. Ein Problem ließ sich in Leizig nämlich nicht lösen: Als mehrfacher Schulabbrecher konnte Peter nicht mehr ins deutsche Schulsystem integriert werden, was ansonsten zu seiner Stabilisierung hätte beitragen können. „Der Deradikalisierungs-Prozess war damals noch extrem brüchig“, sagt Dantschke. Wegen familiärer Probleme sei Peter zudem praktisch obdachlos gewesen.

Abu Adam in Spanien. Das Bild entstand beim Besuch des Autors.

In dieser Zeit kam in Gesprächen zwischen Abu Adam, Solveig Prass und Claudia Dantschke eine neue Idee auf: Was wenn Peter in Spanien zur Schule gehen würde? Denn Abu Adam pendelte damals zwischen Leipzig und einem kleinen Ort nahe Alicante. Einige seiner Kinder besuchten dort eine englischsprachige, internationale Privatschule.

„Schwachsinn, Quatsch“

Der Plan wurde mit Peters Einverständnis umgesetzt, und Abu Adam meldete Peter an der Schule seiner Kinder an. „Die Hoffnung war, dass er dort Freunde finden würde“, sagt Dantschke. „Denn wir hatten durchaus Sorge, dass er sich zu eng an Abu Adam orientierte.“ Deshalb zog Peter in Spanien auch nicht bei Abu Adam ein, sondern eine kleine Wohnung einige Kilometer entfernt.

Kurz nach seinem Umzug nach Spanien habe ich Peter und Abu Adam dort besucht. Peter ging es gut, er war zufrieden. Er haderte allerdings damit, dass er alleine leben sollte. Er hätte gerne mehr Kontakt zu Abu Adam gehabt.

Das sagte er mir damals schon, und darüber hegt er bis heute tiefen Groll. Aus seiner Sicht hat Abu Adam ihn von dem Moment an, als er in Spanien ankam, im Stich gelassen. „Ich halte leider nicht mehr viel von ihm, nachdem er mich so hat sitzen lassen“, schrieb er mir während unseres Chats. Er sei deswegen deprimiert und frustriert gewesen und fühle sich von Abu Adam „als falsch abgestempelt“, als sei er es nicht wert, dass Abu Adam sich um ihn kümmere.

Dass Peter die Loslösung von Abu Adam so empfinden würde, war nicht vorherzusehen gewesen. Der Umzug erschien Prass und Dantschke zunächst einmal als notwendiger Schritt in die richtige Richtung: Weg von seinen alten Kreisen, hin in eine Umgebung, die ihn neuen Einflüssen aussetzte. „Das hat leider nicht so geklappt, wie wir uns das gewünscht hätten“, sagt Dantschke.

Peter behauptet heute, seine Trennung von Abu Adam habe ihn ebenso anfällig gemacht für Radikalisierung als wenn er in Deutschland geblieben wäre. Als aktive Deradikalisierung durch Abu Adam habe er die Zeit Spanien nicht erlebt. Aber er gibt zu, dass seine Verbitterung mit hineinspielt, wenn er das sagt.

Die spanischen Ermittler scheinen den Fall so zu sehen: In ihren Augen ist Peter einer von mehreren jungen Radikalen, die Abu Adam gezielt an sich gebunden habe, um dem Islamismus Vorschub zu leisten. Als Indizien für Peters Extremismus werten sie handschriftliche Dokumente, die sie bei der Durchsuchung sicherstellen. Peter hatte auf Zetteln notiert, dass er für den Fall seiner Beerdigung Abu Adam gerne dabei hätte. Sie fanden eine Liebeserklärung an seine Mutter. Und eine islamische Segensformel, die im Todesfall gesprochen wird. Die spanischen Ermittler schreiben, zusammen mit der Tatsache, dass Peter öfter seine Telefonnummer änderte, ließen die Funde die Theorie zu, dass er seine radikalen Ansichten zu verbergen versuche und ihm Akte vorschwebten, die seinen Tod nach sich ziehen könnten.

Peter sagt dazu, dass er chronisch chaotisch sei und erst seit Kurzem, dank seiner Freundin, eine feste Telefonnummer habe. Dass er immer schon viel über den Tod nachgedacht habe. Und darunter leide, dass er seine Mutter nie zufriedengestellt habe. „Ich war nie in Syrien und ich habe mich nichts und niemandem angeschlossen.“ Den Terrorverdacht gegen Abu Adam hält er für „Schwachsinn“ und „Quatsch“.

Handfestere Hinweise darauf, dass Peter ein Dschihadist ist, gibt es nicht. In den Akten nicht. Und auch sonst nirgendwo, meines Wissens auch nicht bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Stattdessen spricht sein derzeitiger Lebenswandel (über den ich keine Details berichte, obwohl sie mir bekannt sind, weil es sich um Privatangelegenheiten handelt) dafür, dass er zwar gläubig, aber gerade nicht mehr extremistisch ist.

Auf die Beratungsstelle Hayat färben der Fall Abu Adam und der Fall Peter trotzdem ab. Aber die Kritik ist unpräzise. Der BR insinuiert, es seien Steuergelder eingesetzt worden, um mit Abu Adam einen Mann einzusetzen, der für Deradikalisierungsprojekte ungeeignet sei. Der MDR wirft Hayat darüber hinaus mangelnde Kontrolle vor.

Richtig ist, dass Dantschke Peter in Spanien nicht besucht hat. „Dafür haben wir auch gar kein Geld“, sagt Dantschke. Sie stand allerdings in stetem Austausch mit Peter und Abu Adam. Sie wusste so durchaus von Peters Schwierigkeiten; aber eben auch, dass er seinen Extremismus abgebaut hatte.

Was das Geld angeht: Abu Adam selbst hat nach übereinstimmender Auskunft von Prass und Dantschke kein Geld erhalten. „Wir haben ihm ein Honorar angeboten, aber er wollte keines“, sagt Dantschke. „Er hat keinen Cent von meinem Verein oder der Stadt Leipzig bekommen“, ergänzt Solveig Prass. „Im Gegenteil, er hat draufgezahlt, er hat nicht mal Fahrtkosten abgerechnet, selbst wenn er aus Spanien angereist ist.“

Hayat hat zwar in vier Raten insgesamt 5.780 Euro an Abu Adam überwiesen, der damit für Peter das Schulgeld in Spanien bezahlte, dieser Betrag kam allerdings nicht aus Steuergeldern, sondern aus Spendenmitteln.** Steuergeld ist also höchstens indirekt geflossen, weil Hayat insgesamt Fördermittel vom Bundesinnenministerium erhält. (Hayat betreut aktuell übrigens 405 Fälle.)

Welche Rolle spielt das BAMF?

Es gab darüber hinaus laut Dantschke keinen weiteren Fall neben Peter, in dem Hayat mit Abu Adam kooperiert hat – auch wenn der BR von „labilen Jugendlichen“  im Plural sprach, die Hayat Abu Adam anvertraut habe, und die Süddeutsche Zeitung schrieb, Hayat habe „mehrmals Jugendliche nach Spanien“ geschickt, „damit Abu Adam sie vom Weg der Gewalt abbringe“. (In der Online-Fassung korrigierte die SZ das später, machte das jedoch nirgendwo als Korrektur kenntlich.)

Aber was ist mit der eigentlichen Gretchenfrage: War Abu Adam in Wahrheit von Vornherein ungeeignet?

Tatsache ist zunächst einmal, dass Claudia Dantschke, nachdem das BAMF den Fall an Hayat abegegen hatte, monatlich an das BAMF berichtet hat. Die Behörde wusste also über die Einbindung von Abu Adam Bescheid.

Ein Sprecher bestätigte das auf meine Anfrage hin auch:

 

Grundsätzlich arbeitet die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts vertrauensvoll und eng mit seinen Kooperationspartnern zusammen. Gerade die Expertise und Erfahrung der Kooperationspartner sind enorm wichtig, um in jedem einzelnen Beratungsfall individuelle Maßnahmen, die einer (weiteren) Radikalisierung entgegenwirken, ergreifen zu können: Sie haben direkten Kontakt zu den Hilfesuchenden, erfahren dadurch viel über die sich radikalisierende Person und kennen Maßnahmen und Personen vor Ort mit deren Hilfe ein Umfeld zur Deradikalisierung geschaffen werden kann. Aus diesen Gründen wird die Fallbearbeitung durch die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle jeweils eigenverantwortlich und situativ im Sinne des auf den Einzelfall ausgerichteten, individuellen Settings organisiert. Über die ergriffen Schritte unterrichten die Partner im Zuge des Fallmonitorings das Bundesamt in regelmäßigen Abständen. So wurde die Zusammenarbeit von Hayat mit Abu Adam in dem geschilderten Einzelfall im Herbst 2014 mitgeteilt.

Und der Sprecher ergänzt:

Die Tatsache, dass Abu Adam dem salafistischen Spektrum zuzuordnen ist, wurde dem Bundesamt zum Jahreswechsel 2014/2015 bekannt. Unmittelbar danach hat das Bundesamt im Januar 2015 gegenüber Hayat deutlich gemacht, dass es Abu Adam für einen nicht geeigneten Kooperationspartner in der Beratung islamistisch radikalisierter Personen hält. Eine Einbeziehung des Imams Abu Adam in weitere Beratungskonstellationen durch HAYAT ist nach Kenntnis des Bundesamts danach nicht erfolgt.

Das BAMF hat Abu Adam also nachträglich für ungeeignet erklärt. Was war der Grund dafür? Nach meinen Recherchen hat das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz seine Erkenntnisse aus der Zeit vor 2012, als Abu Adam in München lebte, Anfang 2015 mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen geteilt. Die Sachsen wiederum setzten das BAMF in Kenntnis.

Wenn das stimmt, dürfte es sich im Wesentlichen um jene Erkenntnisse handeln, die ich in meinem Artikel über Abu Adam und Peter im Februar 2015 (inklusive Abu Adams Erwiderung) wiedergegeben habe:

Eine Verfassungsschutzbehörde ordnete ihn 2012 als Salafisten ein. Er lehne die pluralistische Gesellschaft ab, habe wiederholt geäußert, dass eine Frau nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes aus dem Haus gehen dürfe und habe sich während des Gazakriegs 2009 in einer Predigt abschätzig über Juden geäußert. Er wolle einen Gottesstaat, der mit Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Parlamentarismus nicht vereinbar wäre. Er habe drei Videos mit extremistischen Inhalten gepostet. Seine Distanzierung vom Extremismus, so hieß es mit Blick auf die bis 2012 gewonnenen Erkenntnisse, sei ‚zu hinterfragen‘.

‚Lügen‘, sagt Abu Adam, ‚bestenfalls Missverständnisse.‘ (…) Frauen dürften das Haus nur mit Einverständnis des Ehemanns verlassen? ‚Das gilt für beide Ehepartner! Sie sollen sich absprechen, wenn einer irgendwohin geht.‘ Die Juden? ‚Ich habe über israelische Soldaten gesprochen, die Kinder ermorden – das ja. Aber ich rede nie schlecht über Christen oder Juden, nie!‘ Und der Gottesstaat? Abu Adam lacht auf. ‚Ich war auf Konferenzen in Ministerien, mit Polizisten, mit Politikern, um gegen Extremismus zu kämpfen! Die SPD lädt mich ein – ich komme. Würde ich das tun, wenn ich diesen Staat hasse?‘ Die Videos schließlich habe er als Provokation gepostet, ‚um die Extremisten aus ihren Löchern zu locken, sie zu stellen‘.

Diese Erkenntnisse aber waren kein Geheimnis, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Abu Adam schon lange umstritten ist. Im öffentlich einsehbaren bayerischen Verfassungsschutzbericht taucht Abu Adams Münchner Moschee zum Beispiel schon 2012 als eine „Plattform“ salafistischer Bestrebungen auf. Bereits 2010 berichtete der Spiegel, Abu Adams Aussicht auf Einbürgerung sei gleich null, weil es „Sicherheitsbedenken“ gäbe.  In demselben Artikel erwähnte der Spiegel allerdings auch schon Abu Adams Arbeit gegen Extremismus und Gewalt – ebenso wie im selben Jahr die New York Times. 

Zeit für ein Zwischenfazit: Was haben wir bis hierhin gelernt, was in Erfahrung gebracht?

  1. Der Verdacht der spanischen Ermittler, Peter sei Teil eines von Abu Adam orchestrierten Extremisten-Rings, lässt sich nicht erhärten
  2. Die Deradikalisierung Peters unter Einbeziehung von Hayat, der Kindervereinigung Leipzig e.V., dem BAMF und Abu Adam ist weder ein strahlender Erfolg, noch ein Desaster
  3. Zwischen den Bedenken, welche die Sicherheitsbehörden gegenüber Abu Adam hegen, und der positiven Wirkung, die Dantschke, Prass und andere ihm zuschreiben, bleibt ein Spannungsverhältnis bestehen.

Der Ausgangspunkt dieses Blogs ist freilich, dass Abu Adam von der spanischen Justiz der Terror-Unterstützung verdächtigt wird. In der nächsten Folge, die am Montag erscheint, wird es deshalb genau darum gehen: Wie lauten die Vorwürfe eigentlich im Detail?

* Im Interesse der Transparenz weise ich darauf hin, dass ich Claudia Dantschke seit 15 Jahren aus meiner journalistischen Arbeit kenne. Als ich im September 2017 mein neues Buch vorgestellt habe, saß Claudia Dantschke auf dem Podium, um dort mit mir über das Thema Dschihadismus zu diskutieren. Im Nachwort meines Buches danke ich Claudia Dantschke außerdem für fachliche Hinweise. 

** Eine Passage aus meinem Text von 2015 muss ich deshalb hier nachträglich korrigieren. Dort stand, Hayat unterstütze Abu Adam mit Honoraren. 


Haben Sie Hinweise oder verfügen Sie über Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de

 

Wie eine Anti-IS-Karikatur zum Rohrkrepierer wurde

Eine ganze Reihe arabischer Intellektueller, Komiker und Satiriker sind in den letzten Jahren zu dem Schluss gekommen, dass hintergründiger Humor eine mächtige Waffen gegen die Mörderbande des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) sein kann. Dass das auch schiefgehen kann, lässt sich gerade in Jordanien beobachten, wo der Fall des Kolumnisten Nahed Hattar eskaliert.

Was ist geschehen? Nahed Hattar, ein bekannter Linker und bekennender Anhänger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist, hatte am vergangenen Freitag eine Karikatur auf seiner Facebook-Seite geteilt, die den selbstgefälligen Extremismus des IS aufzuspießen versucht. Das Problem: Durch die Zeichnung (die gar nicht von Hattar selbst stammt) fühlten sich nicht nur Extremisten, sondern auch viele einfache Gläubige beleidigt. Hattar wurde am Sonntag in Gewahrsam genommen, ihm droht eine Anklage wegen Religionsbeleidigung.

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Warum Analyse gegen Angst helfen kann

Im Angesicht der Anschläge und Gewalttaten der vergangenen Tage verspüren viele Menschen in Deutschland ein neues Gefühl von Unsicherheit. Das ist nachvollziehbar. Genauso nachvollziehbar ist, dass dieses Empfinden diffus ist: Die Nachrichten überschlagen sich, was zunächst wie ein Terroranschlag erschien, stellt sich plötzlich als Amoklauf dar und andersherum – wieso soll ich da das eine vom anderen überhaupt noch krampfhaft unterscheiden, für mich, als potenzielles Opfer, ändert das doch nichts?!

Mir hilft es trotzdem, wenigstens etwas Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Deshalb die unten stehende Übersicht (Stand Montagnachmittag). Sie beantwortet keine Fragen, aus ihr kann man keine Politik ableiten, und auch nicht, ob man morgen auf das Dorffest, Musikfestival oder Sportevent gehen soll oder besser nicht. Aber sie zeigt, wie unterschiedlich die Gewaltakte dieser fürchterlichen vergangenen Tage waren. Und dass es zum Beispiel zwischen dem Amoklauf von München und dem Axtangriff von Würzburg erhebliche Unterschiede gibt: Im ersten Fall war der Täter psychisch instabil, er war hier geboren, es gibt keinerlei Hinweis auf irgendeine Beeinflussung durch den „Islamischen Staat“ (IS). Ganz anderes Würzburg: Der Täter war ein jugendlicher Flüchtling aus Afghanistan, er bekannte sich zum IS und der IS sich zu ihm, Hinweise auf eine psychische Erkrankung gibt es hingegen nicht.

Es ergibt sich daraus, dass zur Prävention weiterer solcher Taten unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Politiken erforderlich sind. So lässt sich ein wenig Handlungsfähigkeit zurückgewinnen: Denn wir können mehr tun, je genauer wir wissen, womit wir es zu tun haben. Weiter„Warum Analyse gegen Angst helfen kann“

 

Was die Ramadan-Terrorkampagne des IS bedeutet

Am Dienstagmorgen veröffentlichte Amarnath Amarasingam von der kanadischen Dalhousie University via Twitter einen aufschlussreichen Ausschnitt aus einem Chat, den er mit einem Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) geführt hat. Der Dialog kreist um den Anschlag, der sich am Montagabend in unmittelbarer Nähe der Prophetenmoschee in Medina in Saudi-Arabien ereignet hat und bei dem vier Menschen ums Leben kamen.

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Drei Vorschläge, wie man über Köln reden kann

„Es gibt so Wochen, da hört man vor lauter Gebrüll kaum seine eigenen Gedanken“, hat die Kollegin Carolin Emcke gestern getwittert. Die Diskussion darüber, was an Silvester am Kölner Hauptbahnhof passiert ist, ist wichtig. Aber sie ist auch laut, in Teilen überlaut, und sie verdient in manchen Ecken auch den Namen Diskussion nicht mehr: nämlich dort, wo Informationskrümelchen nur noch als Munition verwenden werden, um Ressentiments gegen Flüchtlinge, Migranten, Muslime, Araber loszuwerden.

Wer Nachdenklichkeit einfordert, den Mangel an gesicherten Informationen beklagt oder nicht zu jedem Aspekt sofort eine knallharte Meinung hat, gilt dann plötzlich als feige oder naiv oder als Apologet aller nur denkbaren Verbrechen. Ich will mich aber nicht in die Defensive drängen lassen. Ich bin, ganz im Gegenteil, davon überzeugt, dass man vernünftig über Köln diskutieren kann, ohne in eine dieser vermeintlichen Fallen zu tappen.

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