Lesezeichen
 

Ein Werbeprospekt fürs Kalifat

Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), die kürzlich ein Kalifat ausgerufen hat, nimmt Rücksicht auf die vermuteten Wissenslücken ihrer Sympathisanten im Westen – und hat ein Hochglanz-Magazin produziert, das auf Englisch erklärt, was es mit diesem neuen Staatswesen so auf sich hat. Es ist, im Grunde, eine Werbebroschüre für die Auswanderung in den Irak oder nach Syrien. Es ist aber auch Beispiel dafür, wie niedrigschwellig die Rekrutierungsangebote der Dschihadisten geworden sind.

Früher mussten sich Freiwillige aus dem Westen selbst bemühen, etwa Arabisch lernen, um mitreden zu können und ernst genommen zu werden; heute bemühen sich die Terroristen – und bauen ihnen Brücken, erklären ihnen die Regeln, ermöglichen ihnen, Teil der Debatte zu werden. Natürlich leidet das Niveau ein wenig darunter – besonders tiefsinnig ist die Publikation nicht. Aber ich fürchte, auch angesichts der Tatsache, in welcher Zahl die Download-Links zu diesem Material herumgereicht werden, dass das nicht ohne Effekt ist. 

In dem aktuellen Magazin (eine Nullnummer; es soll aber weitere, regelmäßige Ausgaben geben) geht es vor allem um die Bedeutung der Gründung dieses Terror-Kalifats. Ausführlich wird noch einmal aus den zwei maßgeblichen Reden zitiert: der des offiziellen IS-Sprechers Al-Adnani, der das Kalifat ausrief; und der des „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi, der sich anschließend ausführlich ausließ. Es sind vor allem Passagen ausgewählt worden, die Sympathisanten im Westen ansprechen sollen. Aus der Rede Al-Baghdadis etwa diese Stelle:

„Schon bald, mit Allahs Erlaubnis, wird der Tag kommen, an dem ein Muslim überall als Meister auftreten wird, mit Ehre ausgestattet, verehrt, mit erhobenem Haupt und unversehrter Würde. Jeder, der ihn beleidigt, wird bestraft werden. Eine Hand, die nach ihm langt, wird abgeschlagen. Lasst die Welt wissen, dass wir in einer neuen Ära leben.“

Von Al-Adnani gibt es zum Beispiel diesen Auszug zu lesen:

„Die Zeit ist gekommen, dass jene Generationen, die in einem Ozean der Schande zu ertrinken drohten, die mit der Milch der Erniedrigung genährt wurden, die von den liederlichsten aller Menschen regiert wurden, nach einem langen Schlummer sich nun endlich erheben werden … Die Sonne des Dschihad ist aufgegangen!“

Ich zitiere das nur deshalb so ausführlich, um zu verdeutlichen, dass die Macher genau wissen, was sie hier tun. Sie appellieren an Gefühle, die viele radikalisierte Muslime im Westen empfinden: Erniedrigung, Diskriminierung, Ausgrenzung, Machtlosigkeit. Diese Redeauszüge sind Angebote an sie, eine neue Identität anzunehmen – als virtuelle oder tatsächliche „Staatsbürger“ dieses „Kalifats“, das sie angeblich mit Ehre und Würde auszustatten in der Lage sind und aus Opfern Gestalter werden lässt.

Das ist ein starkes Narrativ. In Varianten beschwören Dschihadisten es schon lange; aber tatsächlich glaube ich, dass die Kalifatsidee, durch die unmittelbare Verknüpfung mit der als ideal verherrlichten islamischen Frühgeschichte, diese Gedankenwelt noch einmal stärker konturiert. Jedenfalls für jene, die dafür anfällig sind.

Ganz allmählich wird die Propaganda in dem Onlinemagazin dann konkreter, wechselt vom Hocherhabenen ins Alltägliche: Ingenieure brauche das Kalifat, Spezialisten, die mit anfassen, wird den Lesern mitgeteilt. Sprich: Auch für dich gibt es hier eine Rolle zu spielen.

Die folgenden Seiten beschreiben dann (natürlich extrem geschönt, wenn nicht erfunden), wie IS-Kader dort, wo sie das Sagen haben, vorgehen. Indem sie etwa Listen von Waisen erstellen, um denen die vorgeschriebene Wohltätigkeitsabgabe der frommen Muslime zukommen zu lassen. Indem sie jene zur Umkehr und Reue aufrufen, die auf der Gegenseite gekämpft haben („bevor sie festgenommen werden“, was freilich nur Code ist für: getötet werden).

Dann folgt eine Art Grundkurs über Herrschaftslehren in der islamischen Theologie (wie gesagt: Das Niveau ist hier nicht gerade das einer islamischen Hochschule; alles ist arg verknappt, unterschlägt wichtige Argumente der islamischen Theologie, mit der Dschihadisten nicht einverstanden sind, etc.). Schließlich folgen Geschichten über „Reuige“, die sich dem IS angeschlossen haben und „Nachrichten“ aus den Provinzen des „Kalifats“.

Man muss zugeben, das ist gut gemacht. Erschreckend gut gemacht sogar. Der Islamische Staat arbeitet daran, Dschihadisten cool und lässig erscheinen zu lassen. Und er verfügt offensichtlich über (aus dem Westen stammende?) Kader, die sich das zum Projekt gemacht haben. Wenn ich mir einen anradikalisierten, jungen, wütenden Islamisten in Frankreich, Großbritannien oder Deutschland vorstelle, dann kann ich mir durchaus denken, dass er so etwas attraktiver findet als die zwar unglaublich wichtigen, aber leider deutlich weniger glamourösen islamischen Gelehrten auf der gesamten Welt, die sich mittlerweile aus einer Vielzahl theologischer, humanitärer und moralischer Gründe gegen IS und deren Terror-Kalifat gestellt haben. Im Kampf um die Hearts and Minds geht es leider nicht nur um Argumente, es geht auch um Oberfläche. Diesen Faktor darf man nicht ignorieren: Propaganda funktioniert.

 

Der Terroristen-„Kalif“ hält seine erste Rede

Abu Bakr al-Baghdadi, Chef der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und seit wenigen Tagen selbst ernannter „Kalif“, hat am frühen Dienstagabend seine erste Tonbotschaft veröffentlicht, seit er diesen Titel für sich in Anspruch nimmt. Die Rede ist knapp 20 Minuten lang, sie wurde von der Medienabteilung des IS verbreitet, auch in schriftlicher Form und in Übersetzungen in mehrere Sprachen, darunter Deutsch. Es gibt wenig Grund an der Echtheit der Datei zu zweifeln. Dschihadisten auf der ganzen Welt, darunter etliche IS-Anhänger, halten sie jedenfalls für echt. Der Inhalt, der Duktus und Sprachgebrauch sowie die Verbreitungswege sprechen ebenfalls dafür.

Die Rede Al-Baghdadis erinnert entfernt an die Ansprachen des 2011 getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden: Sehr viel religiöse Ausschmückung, massenhaft Beschwörungen und Verheißungen einer besseren Zukunft, lange Aufzählungen von Feinden, Lamentieren über das Schicksal der geknechteten Muslime auf der ganzen Welt… Das alles en detail wiederzugeben ist nicht nötig. Es genügt vielleicht zu sagen, dass die Rede vielen Sympathisanten des Terrorführers gefallen dürfe. Ich habe schon schlechtere Dschihadisten-Ansprachen gehört, und zwar etliche.

Einige Passagen möchte ich an dieser Stelle trotzdem zitieren oder zusammenfassen, weil sie etwas über das Denken Al-Baghdadis verraten, von dem wir ansonsten nicht besonders viel wissen. Angesichts des Land- und Machtzuwachses seiner Organisation im Irak und der Provokation, die sein „Kalifat“ für die gesamte muslimische Welt bedeutet, sind solche Hinweise interessant.

So beschreibt Al-Baghdadi die Gründung beziehungsweise Neuerrichtung des Kalifats als eine Zäsur, die den Muslimen weltweit „Würde, Macht, Rechte und Herrschaft“ zurückbringen soll. „Dafür, o Muslime, eilt zu eurem Staat. Ja, es ist euer Staat! (…) Der Staat ist der Staat für alle Muslime.“ Es sei außerdem eine Pflicht, in diesen neu geschaffenen islamischen Staat einzuwandern, behauptet Al-Baghdadi. Offenbar hofft er, auf diese Weise an mehr Kämpfer zu kommen. Und auch an „Bürger“, die seinen „Staat“ aufbauen helfen; so adressiert er insbesondere „Richter und natürlich Leute mit militärischen, behördlichen, und Dienstleistungs-Sachkenntnissen sowie Doktoren und Ingenieure in allen verschiedenen Fachbereichen“. (Ich zitiere hier die IS-Übersetzung, die etwas wackelig, aber grundsätzlich in Ordnung ist.)

Konkrete Ziele nennt Al-Baghdadi derweil nicht. Hier bleibt er ausgesprochen blumig: Die „Götzen des Nationalismus“ sollen „zertrampelt werden“; die Muslime sollen sich „von den Fußfesseln der Schwäche befreien“, und so weiter. Aber Al-Baghdadi erklärt zum Beispiel nicht, dass der IS Anschläge im Westen wünscht oder selbst planen wird. Das muss man natürlich nicht glauben. Aber Osama bin Laden fand es immer wichtig, die Länder, die er attackieren ließ, vorzuwarnen. Wir wissen freilich nicht, ob Al-Baghdadi ähnlich denkt.

Die sunnitischen Muslime sollen seine „Bürger“ gut behandeln, bittet Al-Baghdadi. Sie sollen außerdem untereinander nicht streiten. Diese Passage ist deshalb interessant, weil er zugleich in seiner Rede nicht gegen Al-Kaida wettert, obwohl IS und Al-Kaida aufs Heftigste zerstritten sind und sich in Syrien aktiv bekriegen. Vermutlich will Al-Baghdadi die Tür nicht ganz zuknallen – er ist jetzt der Kalif, und sollten Al-Kaida-Kader sich ihm unterstellen wollen, fällt ihnen das womöglich leichter, wenn er sie nicht vorher öffentlich beschimpft.

Die Reaktionen der IS-Sympathisanten, das sei noch kurz nachgetragen, sind natürlich begeistert. Aber das war erwartbar. Kritik wäre deutlich interessanter. Falls sich welche regen sollte, werde ich das nachtragen. (Jenseits des engen Kreises der IS-Sympathisanten gibt es natürlich schwerste Kritik von Muslimen an der „Kalifats“-Ausrufung.)

Zusammengefasst präsentiert sich Al-Baghdadi hier also als Taktiker, der staatstragend und gedankenschwer auftritt, aber zugleich pragmatische Belange beachtet. Er schreit und geifert nicht die ganze Zeit, wie es sein Vorvorvorgänger Abu Musab al-Sarkawi zu tun pflegte, sondern orientiert sich eher an dem stets auf ein würdevolles Auftreten bedachten Osama bin Laden. Von dessen Eitelkeit setzt er sich ab, indem er nur eine Audio-, keine Videobotschaft veröffentlichte. Das kann aber auch Sicherheitsbedenken zum Grund haben. Oder beides.

Alles in allem: Keine großen Überraschungen, kein Erdbeben, keine Sensation. Aber der Islamische Staat stellt derzeit eine so große Herausforderung dar, dass man die erste Rede Al-Baghdadis auch nicht ganz ignorieren kann.

 

Kalifat und Angstlust

Ist Saudi-Arabien das nächste Ziel der Terroristen des Islamischen Staates? Oder Jordanien? Oder Israel? Der Libanon vielleicht? Oder doch zuerst die USA?

Wenn man sich durch die aktuellen Schlagzeilen großer, internationaler Medien zu den Vorgängen im Irak und in Syrien wühlt, könnte man denken, es sei nur noch eine Frage von Tagen, bis irgendwo außerhalb des Iraks ein gigantischer Anschlag stattfindet. Oder bis die Dschihadisten des Islamischen Staates, frisch befeuert durch ihre Ausrufung eines Kalifats, vor Mekka und Medina auftauchen. Weit weniger Augenmerk scheint darauf gelegt zu werden, was diese Terroristen derzeit tatsächlich tun: irakische Zivilisten und Soldaten ermorden.

Dabei kann ich ja verstehen, dass die Frage gestellt wird, was der Islamische Staat (IS) als nächstes vorhat, nicht nur im Irak, sondern in der Region und darüber hinaus. Diese Frage ist gerechtfertigt, denn die Vorläuferorganisationen des IS haben stets eine internationale Agenda verfolgt, zum Beispiel mit Bombenanschlägen in Jordanien vor fast zehn Jahren und Plänen für Anschläge in Europa schon in den neunziger Jahren.

Aber Szenarien auszumalen ist nicht Dasselbe wie Fragen aufzuwerfen und Antworten zu suchen. Ich will nicht zynisch klingen, aber einige Berichte schmecken fast nach Angstlust. Warum noch nach Informationen suchen, wenn irgendwie alles denkbar ist?

Der US-Sender NBC zum Beispiel hat ungenannte Experten gefunden, die der Meinung sind, dass der IS eine „extrem große“ Gefahr für US-Interessen darstelle. Vermutlich stammen die Quellen aus den Sicherheitsbehörden. Solche Behörden warnen immer, denn sie wollen niemals die sein, die am Ende nicht gewarnt haben. In dem Report wird dann alles zusammengeworfen: Die Möglichkeit, dass IS-Kämpfer den internationalen Flughafen von Bagdad attackieren könnten; die Möglichkeit, dass der IS US-Botschaften in der Region angreifen könnte; die Möglichkeit, dass es einen IS-Anschlag in den USA geben könnte. Tatsächlich sind das drei Szenarien, zwischen denen Größenordnungen von Wahrscheinlichkeiten liegen. Und gar nicht gestellt wird die Frage, ob US-Ziele derzeit für IS wirklich Priorität haben.

Die ehemals renommierte Londoner Times schreibt derweil, dass Al-Kaidas Filiale in Nordafrika (Aqmi) dem IS Unterstützung zugesagt habe und die Al-Kaida-Filiale auf der Arabischen Halbinsel (Aqap) ihre besten Grüße sende. Beides ist irreführend. Es gibt einen Prediger aus dem Aqap-Umfeld, der sich lobend über den IS geäußert hat, aber er betonte zugleich, dass er überhaupt niemanden repräsentiere. Und gegrüßt hat eine unbedeutende Aqmi-Unteruntergruppe. Das war es auch schon. Die Times zitiert aber zusätzlich schon mal „Experten“, die prophezeien, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Schabaab-Milizen in Somalia und Boko Haram in Nigeria nachzögen.Womit nachziehen? So entsteht vor dem geistigen Auge der Leser das Gemälde einer Terror-Internationale, das in der Wirklichkeit kein Pendant hat. Sicher: Wer kann schon ausschließen, dass es so kommt? Natürlich niemand. Aber ich kaufe doch keine Zeitung, um zu erfahren, was so alles denkbar ist in dieser Welt.

Denn denkbar ist immer viel. Natürlich auch, dass Aqap seine besten Bombenbauer nach Syrien schickt. Und wenn ich bei der CIA arbeiten würde, wäre es womöglich tatsächlich Teil meines Jobs, mir das vorzustellen. Vielleicht sogar, dass am Ende einer solchen möglichen Kooperation ein Anschlag auf einen US-Jet stehen könnte. Das nennt man dann ein Szenario. Keine Nachricht. Aber im Moment werden aus Szenarien schnell vermeintliche Nachrichten, zum Beispiel im Telegraph, in dem die entsprechende Schlagzeile heißt: „Das Weiße Haus befürchtet, Al-Kaida-Ableger könnte Anschlag auf Flugzeug auf dem Weg in die USA planen“. Etwas genauer ist der Ursprungsbericht von ABC. Aus dem geht wenigstens hervor, dass es irgendwelche Geheimdienstinformationen gibt, auf denen das Szenario basiert. Aber welche das sind, wie zuverlässig und wie aktuell, erfahren wir nicht. Weil auch ABC es nicht weiß. Aber spüre ich irgendwo in dem Beitrag einen Hauch von Misstrauen gegenüber solchen angeblichen Geheimdienstinformationen? Nein.

Noch eine Schlagzeile aus dem Telegraph muss ich hier wiedergeben. „Hat der Islamische Staat Scud-Raketen?“, fragt das Blatt bang. Der Grund ist, dass der IS auf einer Militärparade eine solche erbeutete Rakete vorgeführt hat. Im Text selbst gibt der Telegraph dann Entwarnung und zitiert den Experten-Blogger Eliot Higgins mit dessen einschlägigem Tweet: „Die einzige Gefahr, die von dieser Scud-Rakete ausgeht, besteht darin, dass der IS aus Versehen einen Fußgänger überfährt, während er sie präsentiert.“ Higgins ist sich mit anderen Experten einig, dass die Scud-Rakete nicht einsatzfähig ist. Hier haben wir es also mit dem sozusagen umgekehrten Fall zu tun: Es wird eine Frage gestellt, obwohl die Antwort bekannt ist. Aber warum? Weil die Frage so viel dramatischer als die Antwort ist? Weil es ohne die Frage eine Nicht-Meldung wäre? 

Wie gesagt: Als gäbe es nicht genug zu berichten über die aktuellen Untaten des Islamischen Staates.

Trotzdem bin ich nicht der Ansicht, dass es falsch ist, sich mit Szenarien auseinanderzusetzen oder Spekulationen darüber anzustellen, was der IS als nächstes vorhat. Nur bevorzuge ich es, wenn es eine Faktengrundlage gibt, von der man ausgeht. Also zum Beispiel: Die Vorgeschichte, der track record, dieser Gruppe. Oder die Reden ihrer wichtigsten Kader, die natürlich immer noch Propaganda sein können, aber wenigstens den Vorteil haben, dass sie sich ja auch an die eigenen Anhänger und Kämpfer richten und deswegen durchaus etwas über Ideologie und Strategie verraten.

Aber vor allem gehört es dazu, immer wieder ehrlich zuzugeben, was wir alles nicht wissen. Und im Falle des IS ist das sehr viel. Im Vergleich zum IS war Al-Kaida ein offenes Buch. Im Falle von Al-Kaida war es über die Jahre jedem Interessierten möglich, sich auch unabhängig von Sicherheitsbehörden ein Bild von der Organisation und ihrem Führungspersonal zu machen. Es gab zahlreiche Bücher, die diese verfasst haben; Reden, die sie gehalten haben; glaubwürdige Berichte von Aussteigern, die sie gut kannten; Videos, in denen man sie agieren sehen konnte. Im Falle der aktuellen IS-Führung gibt es all das nicht. Und ich bin sicher, dass die Geheimdienste dieser Welt das Problem ebenfalls haben.

Der Islamische Staat ist eine monströse Terrorgruppe. Ich selbst würde kaum ein Schreckensszenario kategorisch ausschließen. Aber gerade bei Fragen, die für solche Szenarien bedeutsam sind, wie etwa die, ob Al-Kaidas Filialen sich nun tatsächlich oder eben doch nicht oder nur teilweise dem IS unterstellen, kommt es auf kleinteilige Informationssuche an, nicht auf den großen Pinselstrich.

 

Was bedeutet die Ausrufung des Kalifats durch Isis?

Am gestrigen Sonntag, der nicht zufällig mit dem ersten Tag des Fastenmonats Ramadan nach dem islamischen Kalender zusammenfiel, hat die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (Isis) offiziell das Kalifat ausgerufen. Die entsprechende arabische Audiobotschaft sowie eine von Isis selbst verbreitete englische Übersetzung liegen mir vor. Es ist nicht möglich, alle Fragen sofort zu beantworten, die dieser Schritt aufwirft. Aber etwas Klarheit kann man schon in die sich nun sicherlich überschlagende Nachrichtenlage bringen.

1.- Ist diese Erklärung authentisch? 

Ziemlich sicher: Ja. Die entsprechenden Links zu der Audiobotschaft und der schriftlichen Erklärung wurden zunächst über offizielle Isis-Accounts bei Twitter verbreitet und dann auf dschihadistischen Websites zum Download bereitgehalten, die auf diese Art von Publikationen spezialisiert sind und seit Jahren authentisches Material von Isis (und anderen dschihadistischen Terrorgruppen) weiterverbreiten. Außerdem passen der Inhalt, der Tonfall und nicht zuletzt die Reaktion der Isis-Sympathisanten. Eine absolute Sicherheit kann es zu diesem Zeitpunkt nicht geben. Aber ich bin mir hinreichend sicher.

2.- Was steht in der Erklärung? 

Die Erklärung stammt vom offiziellen Sprecher von Isis. Die Botschaft holt sehr weit aus und beginnt mit Beispielen aus der Lebensgeschichte des Propheten Mohammed und der frühislamischen Geschichte, die allesamt auf das Thema Führung der Muslime und Ausrufung eines Gemeinwesens oder Staates hinauslaufen. Ich werde mich damit noch ausführlicher auseinandersetzen, aber die Hauptpunkte sind folgende:

– Ab sofort besteht ein Kalifat. Der neue Kalif (beziehungsweise Imam, was in diesem Zusammenhang weltlicher und geistlicher Führer der Gläubigen bedeutet) ist Abu Bakr al-Baghdadi, der schon jetzt Chef von Isis war.

– Isis heißt ab sofort nur noch „Der islamische Staat“.

– Alle Muslime weltweit werden aufgefordert, Abu Bakr die Treue zu schwören.

– Allen existierenden muslimischen Staaten wird die Existenzberechtigung entzogen. Das Kalifat will seine Grenzen ausdehnen

– Die Verschiebung der Ausrufung des Kalifats sei nicht zu rechtfertigen, da die religionsrechtlichen Bedingungen gegeben seien

3.- Was ist ein  Kalifat? Was ist ein Kalif? 

Nach dem Tod des Propheten Mohammed begannen die ersten Muslime mehr oder weniger unmittelbar darüber zu streiten, wer nun die Gemeinde der Gläubigen und den Stadtstaat führen sollten, die Mohammed hinterlassen hatte. Historisch geschah Folgendes: Als erste setzten sich hintereinander drei Prophetengefährten durch, die diese Rolle übernahmen. Sie wurden (zum Teil erst rückblickend, aber das vernachlässigen wir hier) Kalifen genannt, von arabisch Khalifa = Nachfolger (gemeint ist allerdings als Führer der Gläubigen, nicht als Prophet). Der vierte Kalif war Ali, der Schwiegersohn und Neffe des Propheten. Weil der Prophet keinen Sohn hatte, war Ali und waren dessen direkten Nachfahren die engsten Blutsverwandten – für eine Gruppe früher Muslime, die „Partei Alis“ (woraus später die Schiiten wurde), konnten zukünftige Führer der Muslime nur aus dieser Linie stammen. Die meisten der übrigen Muslime (später: die Sunniten) befanden, es reiche, dass der Kalif jeweils aus dem Stamme des Propheten komme, den Kureish. Es ist aus diesem Grund, dass Isis-Chef al-Baghdadi seit Jahren den Namenszusatz „al-Kureishi“ führt. Er suggeriert damit (ob zu Recht oder Unrecht weiß niemand genau), dass er diese Bedingung erfüllt. Der Kalif muss nach sunnitischer Auffassung außerdem gesund und gebildet sein und die Zustimmung der meisten Rechtsgelehrten auf sich vereinigen. Er ist theologisch gesprochen fehlbar.

In der Geschichte folgte auf Alis Kalifat das Kalifat der Ommayaden – einer Untersippe der Kureish. Sie residierten in Damaskus und machten das Kalifat zur Erbsache. Ihnen folgten die Abbasiden in Baghdad, die wiederum eine andere Untersippe der Kureish repräsentierten. Nach dem Fall Bagdads 1253 regierten pro forma weiterhin abbasidische Kalifen, aber unter Fuchtel der Mamluken in Kairo. Es folgte nach dem Fall von Byzanz das Kalifat unter osmanischer Oberherrschaft, bis es schließlich 1924 abgeschafft wurde.

Das Kalifat ist dem Ideal nach das Zusammenfallen von Reich und Religionsgemeinschaft; das war es historisch allerdings fast nie, und fromm waren auch nicht alle Kalifen. Es gab immer wieder auch Gegenkalifate, einen einheitlichen, alle Muslime umfassenden Staat gab es nur in der sehr, sehr frühen muslimischen Geschichte.

In der dschihadistischen Ideologie, der Abu Bakr al-Baghdadi entspringt, ist das aber sowieso egal – denn Dschihadisten akzeptieren einen großen Teil der muslimischen Geschichte sowieso nicht als wahrhaft muslimisch. Dasselbe gilt für die islamische Theologie des Mainstreams. Die Ausrufung des Kalifats knüpft daher nur sehr bedingt an das Jahr 1924 an. Es ist eher ein Neugründung – Isis würde sich ganz sicher eher auf die ersten vier Kalifen (also bis einschließlich Ali) als Vorbilder berufen als auf irgendeinen Kalifen danach.

Die Ausrufung des Kalifats ist eine Provokation für viele fromme Sunniten, die mit der dschihadistischen Ideologie nichts am Hut haben. Es ist auch eine Herausforderung für jene muslimischen Führer, die sich ebenfalls als Nachfahren Mohammeds und der Kureish betrachten – das gilt insbesondere für die Könige von Jordanien und Marokko (nicht für die saudischen Könige, die beanspruchen das nicht).

4.- Was bezweckt Isis? 

Ich vermute, dass die Isis-Führung im Zuge ihrer jüngsten ja tatsächlich gewaltigen Ausdehnung im Irak das Gefühl bekommen hat, über genügend Sympathien und Rückhalt in der muslimische Welt zu verfügen, um diesen Schritt zu wagen. Vermutlich erhofft Isis sich, dass Stämme, kleinere Städte etc. in verschiedenen muslimischen Ländern nun ihren Anschluss an das Kalifat erklären. Das würde in diesen Staaten Chaos auslösen – und Chaos mag Isis, denn es bedeutet, dass keine Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen, um Isis zu bekämpfen.

5.- Wie sind die Reaktionen? 

Bisher haben vor allem Sympathisanten reagiert und sich geäußert. In den sozialen Netzwerken und auf den dschihadistischen Websites mit angeschlossenen Internetforen herrscht Hochstimmung. Es wird allerdings auch massive Propaganda und Agitation betrieben. Wie und ob Regierungen muslimischer Staaten reagieren werden, muss man abwarten. Einige könnten versuchen, das Ganze zu ignorieren und/oder für lächerlich zu erklären. Andere dürften versucht sein, die Deklaration zum Anlass zu nehmen, um für eine massive (eventuell kriegerische) Bekämpfung von Isis zu werben.

6.- Was jetzt? 

Die nächsten Tage werden bedeutsam sein. Auch die Reaktion von Al-Kaida zum Beispiel spielt eine Rolle: Schluckt das Terrornetzwerk seinen Stolz hinunter und schließt sich al-Baghdadi an, obwohl Al-Kaida sich im Kriegszustand mit Isis befindet? Führt die Ausrufung des Kalifats zu einer neuen Welle von Freiwilligen, die sich nach Syrien und in den Irak aufmachen? Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft?

Sicher ist, dass Isis gestern ziemlich viel riskiert hat. Die Dschihadisten sind sehr selbstsicher; ich vermute aber, dass sie die Sympathien, die unter Muslimen für sie bestehen, überschätzen.

 

Isis-Anhänger warnen USA vor Terroranschlägen

Schon mein letzter Blog-Post drehte sich um das Thema Propaganda. Heute müssen wir uns aus gegebenem Anlass noch einmal damit befassen. Denn heute ist der „Freitag der Warnung an das amerikanische Volk“, den Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (Isis) ausgerufen haben.

Austragungsort ist hauptsächlich Twitter. Dort haben die Terror-Sympathisanten einen arabischen Hashtag und einem ähnlichen englischen Hashtag (#CalamityWillBefallUS, also „Ein Desaster wird den USA widerfahren“) etabliert. Seither laufen im Sekundentakt Drohungen, Warnungen und hämische Kommentare ein.

Natürlich ist das ganze eine PR-Aktion. Sie ist vermutlich auch nicht von irgendwelchen relevanten Isis-Kadern instigiert worden, für mich sieht es eher aus wie eine unabhängige Idee von sogenannten „Sessel-Dschihadisten“. Das bedeutet auch, dass die dort gewitterten und teils drastischen Drohungen nicht unmittelbar ernst genommen werden müssen.

Sie gehen zum Beispiel so:

„Unsere Konvois werden eure vorgebliche Zivilisation zerstören, sobald wir einen Fuß auf euer Land setzen.“

„Sollte Amerika im Irak angreifen, wird jede US-Botschaft der Welt zum Ziel und mit Autobomben angegriffen.“

„Niemand in Amerika wird sicher sein.“

„Wir wollen nur Frieden – in unserer Weise… also wenn die Schwarze Flagge auf dem Weißen Haus gehisst sein wird.“

„Der Countdown zur Zerstörung der USA wurde gestartet.“

„Jedes Land, das den USA erlaubt, von dort aus im Irak anzugreifen, wird ein legitimes Ziel.“

Die Kampagne zu beobachten, ist trotzdem aufschlussreich. Sie verrät etwas darüber, wie Isis-Anhänger denken und was sie von Isis erwarten. Da besteht zum einen die Sorge, dass die USA im Irak eingreifen könnten, um Isis zu bekämpfen. Und da gibt es zum anderen die Erwartung, dass Isis in Al-Kaidas Fußstapfen tritt und Anschläge im Westen verübt oder wenigstens dazu aufruft.

Bisher hat Isis offiziell nicht angekündigt, im Westen Terrorakte auszuüben. Das bedeutet nicht, dass die Gruppe es nicht vorhat. Aber Al-Kaida (ich weiß, das klingt bizarr, es ist aber so) hat stets großen Wert darauf gelegt, behaupten zu können, dass die USA ja gewarnt waren – und zwar von ihnen selbst, öffentlich und Jahre vor dem 11. September.

Al-Kaidas Führung brachte für diese Warnungen an die USA (und später an Europa) sogar islamrechtliche Begründungen vor, um den Anhängern zu suggerieren, dass die Gruppe sich an die religiösen Regeln halte. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn Isis ähnlich denkt. Aber wir wissen das nicht. Denn wir kennen das Denken der Isis-Führung nicht gut genug. Im Vergleich zu Osama Bin Laden ist der Isis-Chef Abu Bakr al-Baghdadi ein nahezu unbeschriebenes Blatt. (Das gilt übrigens auch für die Isis-Anhänger; ihr Bild von Al-Baghdadi ist ebenfalls eine Projektion.)

Die Frage, ob und in welcher Weise Isis Al-Kaida als Speerspitze des internationalen dschihadistischen Terrorismus ablösen will, ist also einstweilen nicht klar zu beantworten. Wir wissen auch nicht, wie Al-Kaida darüber denkt, denn seit Monaten herrscht in dieser Hinsicht beredtes Schweigen. Isis hat sich vor Monaten von Al-Kaida losgesagt und die Kooperation beendet. Die beiden Gruppen kämpfen in Syrien sogar aktiv gegeneinander, wo Al-Kaida durch die Zweigstelle „Dschabhat al-Nusra“ vertreten ist.

Der Konflikt, der die Trennung verursachte, hatte weniger mit Ideologie als mit Fragen der Kontrolle und Befehlsgewalt zu tun. Das Verhältnis ist also zerrüttet, vermutlich unrettbar. Oder könnte es eine Art Putsch bei Al-Kaida geben, und ein Bündnis unter umgekehrten Vorzeichen – also mit al-Baghdadi an der Spitze?

Ist es vielleicht auch vorstellbar, dass einzelne Filialen Al-Kaidas, die auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) oder die in Nordafrika (AQIM) die Seiten wechseln und sich Isis unterstellen? Das sind relevante Fragen, deren Antwort wir noch nicht kennen – die aber ernste Auswirkungen haben könnten. Ich bin kein großer Freund von Spekulationen, aber auf Twitter und anderswo äußert sich eine gewisse unter Dschihadisten verbreitete Sehnsucht nach einer einheitlichen Organisation, einem unangefochtenen Oberkommando. Die Zentrale Al-Kaidas in Pakistan ist schwach; Al-Baghdadi ist stark. Stark genug und willens genug, Al-Kaida durch eine Art „feindliche Übernahme“ in seine Organisation zu integrieren?

Vergessen wir die Propaganda, sie liefert uns keine Antworten. Aber ich warte gespannt darauf, dass sich Al-Baghdadi, Al-Kaida oder die Filialen Al-Kaidas zu Wort melden.

 

Nein, Messi wird nicht Amir von Südamerika

Das erste Opfer in jedem Krieg… genau. Auch im Irak ist es derzeit nicht anders, die Wahrheit wird passend gemacht, erfunden, geschönt und verkürzt – je nach dem, wer welche Interessen verfolgt. Das ist wenig überraschend. Trotzdem habe ich mir heute vorgenommen, ein paar Beispiele zu dokumentieren; nicht zuletzt weil manche Fakes es immer  wieder bis in die internationalen Mainstream-Medien schaffen. Vielleicht schärft das den Blick.

Fangen wir mit einem spektakulären Fall an. Gestern berichtete Ishaan Tharoor, der für die Washington Post bloggt, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (Isis) dem argentinischen Stürmer Messi gratuliert habe, nachdem dieser mit seinem späten 1:0 den Sieg über Iran besiegelt hatte. Dies sei über ein Twitter-Account erfolgt, das aus dem Isis-Umfeld stamme („affiliated with Isis„). Tharoor dokumentierte den (arabischen) Tweet. Tatsächlich steht dort, man gratuliere Messi, er möge sich den „Schlachtreihen des Dschihad“ anschließen und könne „Amir über Südamerika“ werden. Wie man sich vorstellen kann, ging die Meldung rasch um die Welt.

Das Dumme ist, dass das Twitter-Account nicht aus dem Isis-Umfeld stammt. Man hätte schon deshalb drauf kommen können, weil in dem Tweet Isis als „Da’sh“ bezeichnet wird. Das ist ein Begriff, der sich in den letzten Monaten in der arabischen Welt etabliert hat – ein Kunstwort, das entsteht, wenn man die Anfangsbuchstaben des arabischen Namens von Isis zusammensetzt. Isis verwendet das Wort „Da’sh“ selbstverständlich nicht als Selbstbezeichnung.

Noch aufschlussreicher ist es allerdings, in die Selbstbeschreibung des besagten Twitter-Accounts zu schauen. Dort steht, das Anliegen des Accounts sei es, die „Verbrechen“ von „Da’sh“ zu thematisieren. „Affiliated“ ist das Account mit einer syrischen Webseite. Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, wie das passieren konnte. Aber noch absurder ist, dass der arabische Satellitensender Al-Arabija die vermeintliche Nachricht ebenfalls weiterverbreitete.

Etwas elaborierter finde ich da schon einen anderen Fake. Ebenfalls über Twitter wurde ein angeblich von Isis verfasstes Schreiben verbreitet. Es besagt, dass nach der Einnahme der Provinz Ninive im Irak, alle Familien ihre unverheirateten Frauen präsentieren müssten, damit diese den „Mudschahidin“ sexuell zu Diensten sein könnten. Der Ursprung des angeblichen Isis-Dokuments scheint ein Bericht auf der Webseite von AINA zu sein, der „Assyrischen Nachrichtenagentur“. Ich kenne AINA nicht. Aber es ist klar, dass es sich um eine Webseite assyrischer Christen handelt, die (natürlich und zu Recht) Angst vor Isis haben. Sagen wir so: Ich traue Isis alles mögliche zu, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt inklusive. Aber diese angebliche Erklärung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Quark. Der Sprachgebrauch und der Duktus liegen weit jenseits dessen, was ich aus Dokumente von Isis und anderen dschihadistischen Terrorgruppen kenne, die ich selbst gelesen habe. Und das sind Tausende. Es passt schlicht nicht. Ich will damit nicht sagen, dass die Leute von AINA das Dokument erfunden haben. Vielleicht halten sie es wirklich für echt (auch wenn sie ehrlicherweise betonen, sie könnten die Authentizität nicht garantieren). Aber ich halte es  für eine Fälschung.

Andererseits betreibt natürlich niemand mehr Propaganda und Desinformation als Isis selbst. Mein Lieblingsbeispiel aus der letzten Woche ist das Bild eines Hubschrauber mit Isis-Flagge drauf, das in einem dschihadistischen Internetforum herumgereicht wurde und suggerieren sollte, die Dschihadisten hätten nicht nur Helikopter erbeutet, sondern könnten sie auch fliegen. Als ich darüber gewittert hatte, schickte mir jemand ein deutlich schärferes Bild desselben Helikopters – mit der Originalbeschriftung und Beflaggung der irakischen Luftwaffe. Es sieht also ziemlich klar danach aus, dass hier ein Isis-Sympathisant Fotoshop angewendet hat. Denn die beiden Bilder sind dasselbe Bild – aber eines wurde manipuliert.

Es gibt Hunderte solcher Fakes. Das Problem ist, wenn sie für wahr gehalten werden. So kursieren mehrere Landkarten des Nahen Ostens unter Isis-Anhängern, in denen das von Isis beanspruchte Gebiet schwarz eingefärbt und mit ihrer Flagge markiert ist – das zukünftige Kalifat. Solche Karten gibt es seit Jahren, von Al-Kaida-Anhängern fabriziert, von Sympathisanten von Isis‘ Vorläufergruppen – es ist ein alter Propaganda-Hut. Weiterverbreitet wurde aber letzte Woche eine Version dieser Karte mit dem Hinweis, es handle sich um den Fünf-Jahres-Plan von Isis. Huch! Und schon wird aus einer schnell hinretouchierten Karte plötzlich ein vermeintliches Dokument.

Als hätten wir nicht schon genug Schwierigkeiten, bei den wirklich von Isis stammenden Informationen herauszufinden, welche bedeutsam sind, welche die Wahrheit abbilden oder nur einen absichtsvoll gewählten Teil der Wahrheit, und welche gelogen sind. Auch dafür ein Beispiel: Isis meldet seit gestern mehrere Fälle, in denen Kader der verfeindeten Dschihadistengruppe „Dschabhat al-Nusra“ in Syrien sich Isis angeschlossen hätten. Es werden Namen genannt und entsprechende Bilder gepostet. Das könnte der Beginn einer bedeutsamen Entwicklung sein – oder ein paar aufgebauschte Einzelfälle. Zu früh, um es zu sagen. Und mühsam, es herauszufinden.

 

 

 

 

Die aktuelle Lage im Irak (6)

Vorbemerkung: Dieses Posting bildet den aktuellen Stand von Montag, den 23. Juni, 11 Uhr ab. Von Yassin Musharbash 

Irak verliert Kontrolle über Westgrenze an Isis

Kämpfer der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) haben über das Wochenende vier Ortschaften im Irak eingenommen, nachdem die irakische Armee sie geräumt hatte, darunter die strategisch wichtige Stadt Rutba. Am Sonntag übernahmen sie in der Folge auch den Grenzübergang Turaibil zwischen dem Irak und Jordanien. Laut der Jordan Times hat Jordanien Gendarmerie, paramilitärische Einheiten und Spezialkräfte in Richtung des Grenzüberganges entsandt; in anderen Medien war von einer Teilmobilmachung die Rede, aber das könnte sich um eine Interpretation desselben Vorgangs handeln. Jordanien und der Irak haben eine 180 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Diese liegt sehr weit entfernt von jordanischen Bevölkerungszentren mitten in der Wüste, ist aber für den Handel bedeutsam. Aus Isis-Sicht ist die Kontrolle der Grenze aus einem anderen Grund wichtig. So kann sie entscheiden, was aus Jordanien in den Irak gelangt.

Gefechte in Ramadi und Kirkuk

Offizielle Twitter-Accounts von Isis vermeldeten gestern und heute Kampfhandlungen zwischen Isis und kurdischen Peschmerga-Kämpfern bei Kirkuk sowie zwischen Isis und irakischer Armee in Ramadi. Isis behauptet außerdem, die Kontrolle über die Straße zwischen Tikrit und Kirkuk gewonnen zu haben. Unabhängige Bestätigungen für diese Informationen gibt es nicht. Unwahrscheinlich sind sie nicht. Die New York Times schätzt, dass ein Viertel der irakischen Armee „nicht kampf-effektiv“ ist. Kurdische Quellen berichten zudem, dass ein Isis-Sprengsatz nahe der syrischen Grenze bei Rabia zwei Peschmerga-Kämpfer getötet und sieben verletzt habe; auch an anderen Orten habe es Gefechte gegeben, die kurdischen Milizen seien in erhöhter Alarmbereitschaft.

Kerry in Bagdad

Unterdessen ist US-Außenminister John Kerry in Bagdad eingetroffen. Sein Besuch lenkt den Blick auf die Tatsache, dass der Irak derzeit keine funktionierende Regierung hat. Kerry will offenbar Druck auf Premier Nuri al-Maliki ausüben, endlich eine Koalition hinzubekommen, um die Abwehr der Isis-Offensive zu vereinfachen.

Und sonst

Zahlreichen Berichten zufolge, die vor allem in sozialen Netzwerken kursieren, haben Isis-Kader Rauf Rashid Abd al-Rahman zum Tode verurteilt und hingerichtet. Er hatte als Richter 2006 das Todesurteil gegen Saddam Hussein gesprochen. Berichte über seine Hinrichtung gibt es seit fast einer Woche, jetzt rollt eine zweite Welle. Eine seriöse oder offizielle Bestätigung kenne ich nicht. Sollte die Nachricht stimmen, würde ich sie als Beleg für die Allianz zwischen früheren Baath-Kadern und Isis interpretieren.

Scott Peterson vom Christian Science Monitor ist in die Schiiten-Hochburg Kerbela gereist und berichtet über die Entschiedenheit dort, jeden etwaigen Angriff von Isis zurückzuschlagen.

Human Rights Watch zufolge haben Isis und andere Fraktionen des syrischen Bürgerkrieges Kindersoldaten rekrutiert. Ich kann auf Grundlage etlicher geposteter Bilder aus sozialen Netzwerken zumindest bestätigen, dass Isis in Syrien minderjährige Kämpfer ausstattet, darunter sind allem Anschein nach auch einige, die aus dem Westen stammen.

Für alle, die sich für die Social-Media-Strategie von Isis interessieren: Der Beitrag, den Sie dazu lesen sollten, ist dieser.

 

Isis oder Isil?

Wie soll man die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und Großsyrien am besten abkürzen? Denn eine Abkürzung braucht sie, der Name ist schlicht zu lang, um ihn ständig in voller Länge zu verwenden. Das ist nicht verwerflich, sondern nur pragmatisch, und wir handhaben das (als Journalisten, aber auch als breitere Öffentlichkeit) ja nicht nur bei militanten Gruppen so (RAF, Hamas, etc.), sondern auch zum Beispiel bei CDU und SPD. Außer die Namen sind deutlich kürzer, so wie bei Al-Kaida oder den Grünen.

Im konkreten Fall beginnt das Problem schon bei der Übersetzung ins Deutsche, Englische oder Französische – oder genau genommen jede nicht arabische Sprache. Denn auf Arabisch heißt diese Terrorgruppe „al-Dawla al-Islamiyya fi al-Iraq wa al-Sham“. Das bedeutet wörtlich übersetzt: „Der Islamische Staat im Irak und al-Sham“. Das Problem ist das letzte Wort: Al-Sham (gesprochen: asch-Schaaaaam mit laaaaangem a; auf Französisch meistens als al-Cham transkribiert). Denn es gibt dafür mehrere mögliche Übersetzungen.

Die geschichtliche Herleitung ist zunächst einmal klar. „Bilad al-Sham“, also „die Gebiete von al-Sham“, bezeichnen im historischen Gebrauch des Arabischen die ehemaligen östlichen Provinzen des Byzantinischen Reiches, die im Zuge der islamischen Expansion unter islamische Herrschaft gerieten und zu einer Provinz zusammengefasst wurden. Die Etymologie ist nicht ganz unumstritten, aber die Mehrheit deutet es als Ableitung aus dem arabischen Wort für „Norden“. Umgangssprachlich wird al-Sham im Nahen Osten oftmals für das Land Syrien verwendet, aber auch als Synonym für die Hauptstadt Damaskus. Es schwingt dabei allerdings stets mehr mit als nur der Staat Syrien in seinen politischen Grenzen oder die Hauptstadt.

Gefühlt beschreibt al-Sham eigentlich immer jene Region, die von Damaskus aus dominiert wird beziehungsweise im kollektiven Gedächtnis von dort aus dominiert wurde. Der Libanon gehört dazu ebenso wie der nördliche Teil Jordaniens und Teile Palästinas. Eine scharfe Grenze um dieses Gedankengebilde al-Sham kann man daher nicht ziehen. Aber wenn eine dschihadistische Terrorgruppe den Begriff verwendet, ist jedem, der Arabisch spricht, klar, dass es nicht um den Staat Syrien und nicht um die Stadt Damaskus geht. Al-Kaida und Co. recyceln gerne historische Begriffe dieser Art, weil sie die gegenwärtigen Staatsgrenzen nicht akzeptieren: Khorasan für Afghanistan, Zweistromland für den Irak, Kan’an für den Sinai (plus Israel natürlich), Maghreb für Nordafrika (inklusive Andalusien, selbstverständlich), etc. Es geht hier also um die Region rund um Damaskus herum, so weit, wie man eben kommt – in Abgrenzung zu den Nachbarregionen Zweistromland, Palästina/Kan’an und al-Dschasira (die Arabische Halbinsel) sowie den türkischsprachigen Teil der Türkei.

Und wie übertragen wir den Begriff dann in eine nicht arabische Sprache? Entweder gar nicht – dann heißt die Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und al-Sham“, und eine sinnvolle Abkürzung wäre ISIS. Oder wir übersetzen al-Sham mit Syrien – dann heißt die Gruppe ebenfalls ISIS. Deshalb kann man, wenn jemand ISIS schreibt, auch nicht immer gleich wissen, was genau er damit abkürzt.

Oder man übersetz al-Sham mit Levante – einem Begriff aus dem Italienischen, der die Region des östlichen Mittelmeeres beschreibt. Manche Journalisten und Terrorexperten finden, dass Levante ein angemessener Begriff ist, weil er ebenfalls eine gewisse Unschärfe in sich trägt und damit etwas transportiert, was die Übersetzung mit „Syrien“ nicht transportiert. Dann lautet die Abkürzung ISIL.

Ich habe mich für einen Eiertanz entschieden. Ich schreibe bei der ersten Erwähnung der Gruppe meistens „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“, kürze ihn aber mit ISIS ab. Unlogisch, nicht wahr? Jawohl. Schuldig im Sinne der Anklage. Aber für mich transportiert der Begriff Großsyrien am besten das, was mit al-Sham gemeint ist. Ich habe ganz am Anfang, als ISIS sich so benannte, sogar dafür plädiert, als Abkürzung ISIGS zu etablieren. Ich konnte mich (kein Wunder) nicht durchsetzen. Mein Kompromiss ist also: Ich nutze dieselbe Abkürzung wie die meisten, die sich mit ISIS befassen – um Verwirrung zu minimieren und um zum Beispiel auf Twitter nicht mit dem Hashtag #ISIGS alleine dazustehen. Aber ich verwende den Begriff „Großsyrien“, weil ich ihn für treffender als Levante oder Syrien halte. Das hat damit zu tun, dass er in der historischen europäischen Literatur ziemlich lange ziemlich einheitlich verwendet wurde, im Englischen als Greater Syria. Sie dürfen das gerne anders handhaben. Es gibt keine Regeln. ISIS hat auch keine ausgegeben (und selbst wenn, müssten wir uns an die auch nicht halten.)

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass Menschen solche Abkürzungen, die man auch wie ein Wort aussprechen kann, auch gerne so aussprechen. Niemand sagt N-A-T-O. Alle sagen Nato. Und so wird (auch bei der ZEIT und ZEIT ONLINE) aus ISIS im nächsten Schritt Isis. Wie die ägyptische Göttin. Ich spreche allerdings in Vorträgen lieber I-S-I-S. Wenn ich Isis sage, kommt mir das immer vor wie eine ausgedachte Terrorgruppe aus einem James-Bond-Film.

Ein Letztes: Nichts auf der Welt schlägt die Penibilität deutscher Beamter. In einigen deutschen Sicherheitsbehörden heißt Isis deswegen abgekürzt IStIGS. Denken Sie kurz drüber nach; Sie kommen schon darauf, warum.

Soweit alles klar? Gut, dann haken wir jetzt noch schnell Dschabhat al-Nusra ab. Hä? Ja, genau. Dschabhat al-Nusra (der  offizielle Name ist noch länger, aber das lassen wir jetzt mal) bedeutet übersetzt: „Unterstützungsfront“. Das ist der Name der Dschihadistengruppe in Syrien, die sich Al-Kaida unterstellt hat und von Al-Kaida als die offizielle Filiale dort betrachtet wird. (Ursprünglich wurde sie von der Vorläufer-Organisation von Isis gegründet, aber auch das lassen wir an dieser Stelle mal aus).

Im Falle von Dschabhat al-Nusra ist das Problem zum Teil ein grammatikalisches: Oft bezeichnen Journalisten und selbst Experten die Gruppe verkürzt als „Nusra“. Das ist Quatsch. Denn das bedeutet „Unterstützung“. Wenn schon ein einzelnes Wort, dann besser „Dschabha“.  Haben Sie was gemerkt? Dschabha – und nicht Dschabhat! Das liegt am arabischen Genitiv. Den will ich hier nicht erklären, aber glauben Sie mir bitte: Wenn Sie das Wort Dschabha alleine verwenden, fällt in der Aussprache das -t weg.

Das zweite Problem bei Dschabhat al-Nusra ist die Abkürzung. Meistens wird international JN verwendet – wegen der englischen Umschrift des arabischen Buchstabens am Anfang des Wortes. Derselbe Buchstabe, mit dem auch Dschihad/Jihad beginnt. Daher kennen Sie das Problem vielleicht schon. Denn deutsche Zeitungen schreiben lieber „Dsch“ als „J“. International werden wir mit der Abkürzung „DschN“ aber nicht durchkommen. Also auch hier ein Kompromiss: Ich schreibe meistens „Dschabhat al-Nusra“, kürze aber JN ab. Auch hier gilt: Machen Sie es gerne anders.

Im Arabischen ist das alles naturgemäß etwas einfacher. Die meisten Araber, die ich kenne, sagen einfach „Dschabha“, und abgekürzt werden muss das auch nicht, ist auf Arabisch nämlich ein sehr kurzes Wort. Auch bei Isis haben sich die Araber was überlegt. Viele sagen „Da’ish“. Keine Sorge, Sie müssen das nicht. Auf Arabisch ergibt das aber Sinn. Das ist das Wort, das herauskommt, wenn man die arabischen Anfangsbuchstaben als ein Wort ausspricht. Also im Grunde nur die arabische Variante von Isis.

 

Die aktuelle Lage im Irak (5)

Vorbemerkung: Dieser Post bildet den Stand von Donnerstag, 19. Juni, 12 Uhr ab.

Schlacht um Baidschi und andere Scharmützel

Der Ort, an dem aktuell wohl die wichtigste Auseinandersetzung stattfindet, scheint die Stadt Baidschi mit der dazugehörigen Ölraffinerie zu sein. Diese Raffinerie ist zentral für den gesamten nördlichen Irak. Die Lage in Baidschi ist allerdings widersprüchlich. Sympathisanten des „Islamischen Staates in Irak und Großsyrien“ (Isis) behaupten, dass die schwarze Flagge der Dschihadisten über der Raffinerie wehe. Regierungsbeamte lassen hingegen verlauten, das Gelände sei von ihnen gesichert. Andererseits gibt es in Sozialen Netzwerken Fotos, die angeblich brennende Teile der Einrichtung zeigen – allerdings ist unklar, von wann genau diese Aufnahmen stammen. Medienberichten zufolge haben Anwohner Schusswechsel gemeldet. Nimmt man alles zusammen, kann man mit hinreichender Gewissheit sagen, dass es Gefechte um Baidschi gibt oder zumindest gestern noch gab. Darüber hinausgehende Aussagen sind schwierig.

In anderen Teilen des Irak scheint es immer wieder zu Gefechten oder Scharmützeln zwischen Regierungssoldaten auf der einen und Isis-Kämpfern auf der anderen Seite zu kommen; darunter sind viele Mittelstädte oder kleinere Orte. Für die angekündigten Großoffensiven gegen Bagdad, Nadschaf und Kerbala sehe ich derzeit keine Anzeichen.

Hingegen verdichten sich die Anzeichen, dass Isis punktuell Bündnisse mit Gruppen des irakischen Widerstandes eingegangen ist – dabei handelt es sich vor allem um sunnitisch dominierte Gruppen, die zum Teil von alten Kadern des Saddam-Regimes geführt werden, so etwa die Brigaden der 1920er-Revolution, eine Gruppe, die vor Jahren eine einigermaßen prominente Rolle im Kampf gegen die US-Besatzung spielte und von Hass auf die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad getrieben ist. Diese Bündnisse sind rein taktischer Natur, inhaltlich und ideologisch passt zu Isis keine dieser Gruppen. Aber Isis verfügt nicht über genügend Kämpfer, um die überrannten Gebiete zu sichern und gleichzeitig weiter vorzustoßen. Das dürfte der Grund für die Allianzen sein.

Aus Mossul dringen – vor allem über Twitter – Gerüchte, denen zu Folge die harsche, islamistisch geprägte „Stadtverordnung“, die Isis vergangene Woche erlassen hat, wieder aufgehoben wurde, angeblich auf Druck der nicht-dschihadistischen Bündnispartner. Das wäre interessant, weil ein echter Kompromiss von Isis, der anzeigen würde, wie angewiesen sie darauf sind, Allianzen zu bilden. Leider kann ich aber nicht bestätigen, dass die Gerüchte stimmen. Isis selbst hat sich nicht dazu geäußert. Das wiederum könnte damit zusammenhängen, dass nach wie vor etliche offizielle Isis-Twitter-Accounts suspendiert sind und kein Ersatz etabliert wurde.

Indische Geiseln bei Isis

Unterdessen hat Isis mehrere Dutzend Gastarbeiter als Geiseln genommen, darunter 40 Inder und mehrere Pakistaner. Schon letzte Woche setzte Isis etliche türkische Arbeiter fest. Bis jetzt hat sich die Gruppe noch nicht dazu geäußert, ob und in welcher Weise sie die Freilassung an Forderungen knüpfen wird.

USA weiten Luftaufklärung aus

Die USA lassen laut CNN bereits seit Tagen Aufklärungsdrohnen über den Irak fliegen, um sich ein Bild von Isis-Stellungen zu machen. Nun wird das Land auch von bemannten Aufklärungsflugzeugen überwacht. US-Präsident Obama hat sich dem Bericht zufolge noch nicht festgelegt, ob und falls ja wie sein Land im Irak militärisch eingreifen könnte. Eine Invasion steht außer Frage, aber Luftschläge, ob von Kampfjets ausgeführt oder mit Hilfe von Flugzeugträgern im Golf, sind denkbar. Die Regierung des Irak hat mittlerweile offiziell um solche Luftschläge gegen Isis gebeten.

Und sonst?

Isis in der syrischen Stadt Raqqa beschwert sich, dass die türkische Regierung ihnen angeblich das Wasser abdreht, in dem sie einen Staudamm entsprechend manipuliert habe.

In sozialen Netzwerken rufen Isis-Sympathisanten dazu auf, sich als Anhänger des Netzwerks zu outen und entsprechende Stellungnahmen über YouTube zu veröffentlichen, das Motto lautet „eine Milliarde Muslime für Isis“. Erste Videos sind schon eingegangen, von Ägyptern, Jordaniern, Indonesiern. Es ist natürlich eine klare PR-Aktion.

In ungenannten Orten in der irakischen Provinz Niniweh haben nach Isis-Angaben mehrere Pro-Isis-Demonstrationen stattgefunden. Entsprechende Bilder veröffentlichte Isis in der Nacht zum Donnerstag. Tatsächlich zeigen sie größere Mengen von Zivilisten, die Isis zu preisen scheinen. Leider gibt es keine konkreten Ortsangaben, noch lässt sich verifizieren, dass die Aufnahmen tatsächlich aktuell sind. Ich finde das interessant, denn mein Eindruck ist, dass Isis immer verschwommener wird, wenn es um Orte und Zeiten geht – offensichtlich eine Maßnahme, die sicherstellen soll, dass die Gegner nicht allzu genau wissen, wo sich die Kämpfer gerade aufhalten.

 

Die aktuelle Lage im Irak (4)

Dieser Post bildet den aktuellen Stand von Mittwoch, den 18. Juni, 11 Uhr, ab.

Angriff auf Ölraffinerie

Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge hat der Islamische Staat in Irak und in Syrien (Isis) in der Nacht auf Mittwoch die Ölraffinerie bei Baidschi attackiert. Dabei hätten sie Maschinengewehre und Granaten eingesetzt. Baidschi liefert 300.000 Fass Öl am Tag, etwa die Hälfte der irakischen Fördermenge. Mehr Details sind im Moment noch nicht bekannt. Zum Hintergrund vielleicht noch so viel: Nach zahlreichen Medienberichten ist Isis durchaus in der Lage, Öl auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen (in Syrien kontrolliert Isis bereits Raffinerien). Ich weiß nicht, wie dieser Schwarzmarkt funktioniert, und kann das aus eigenen Recherchen nicht bestätigen.

Die Isis-Propaganda versiegt

Eine interessante Situation lässt sich derweil in den Sozialen Medien, vor allem auf Twitter, beobachten. Zum einen sind nach wie vor etliche der offiziellen Isis-Twitter-Accounts abgeschaltet. Der Gruppe ist es auch noch nicht gelungen, verlässliche neue Accounts zu etablieren. Zugleich verbreiten Sympathisanten über Twitter, dass die Isis-Führung alle Kämpfer und Anhänger gebeten habe, keine Namen von eingenommen Ortschaften und keine Standorte der Kampfverbände auszuplaudern. Das bedeutet im Ergebnis, dass es derzeit weniger Informationen als noch vor einigen Tagen darüber gibt, wie es aktuell um den Vormarsch von Isis bestellt ist. Genau genommen bin ich derzeit nicht einmal sicher, ob Isis überhaupt noch weitermarschiert, oder sich jetzt erst konsolidieren will.

Exekution von Imamen

Die Washington Post berichtet derweil, dass nach Überzeugung der UN Isis-Kämpfer gezielt Imame umgebracht haben, die sich weigerten, dem „Islamischen Staat“ die Gefolgschaft zu schwören. Unter anderem sei der Imam der großen Moschee von Mossul getötet worden. Ferner verfüge die UN über verifizierte Informationen, dass es tatsächlich Massenhinrichtungen gab, die „beinahe sicher Kriegsverbrechen darstellen“.