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Meine Terroristen, deine Terroristen

 

Es hört sich banal an, weil es schon so oft ausgesprochen wurde: Aber der Terrorist von gestern könnte der Regierungschef oder jedenfalls der Verbündete von heute oder morgen sein. Vielleicht am anschaulichsten: Der Fall von Nelson Mandela, der tatsächlich erst 2008 von den USA aus den dortigen Terrorismuslisten gestrichen wurde, auf die er und seine Organisation, der African National Congress (ANC), in den 1980er Jahren gesetzt worden waren. In der Zwischenzeit war die Apartheid abgeschafft, Mandela demokratisch zum Präsidenten Südafrikas gewählt und zum Friedensnobelpreisträger gekürt geworden.

Genau wegen solcher Fälle, zu denen auch die palästinensische PLO zählt, weigern sich vor allem Länder des globalen Südens bis heute, auf UN-Ebene eine Terrorismusdefinition zu verabschieden. Sie fürchten zu Recht die Instrumentalisierung dieser Kategorie – auf der Grundlage der Erfahrungen vieler Jahrzehnte, in denen anti- und später postkoloniale Freiheitskämpfe mit dem Terrorismusverdikt diskreditiert wurden.

Doch nicht nur prominente politische Persönlichkeiten stehen mitsamt ihren Organisationen auf den diversen Listen, die auf der Ebene der UN, der EU und den Staaten (auch hier allen voran: die USA) geführt werden. In den USA haben weder die Betroffenen noch die großen Bürgerrechtsorganisationen wie die ACLU genaue Kenntnisse darüber, wer warum auf welcher Liste steht – wehren kann man sich also noch weniger dagegen.

Das betrifft die Filmemacherin Laura Poitras, die gerade ihren Snowden-Film Citizenfour auf den großen Festivals der Welt präsentiert, ebenso wie viele, viele weitere – nach einer jüngeren Veröffentlichung des Rechercheportals The Intercept geschätzte 680.000 Personen.

In Europa mögen es weniger sein. Doch auch hier nutzten die Regierungen und ihre Bündnispartner die politische Gelegenheit nach dem 11. September 2001 aus, um nicht nur Al-Kaida-Verdächtige auf die Listen zu setzen, nein, auf den ersten Listen waren mehr baskische als arabische Namen zu finden. Und es waren viele Organisationen benannt, die in ihren Ländern in bewaffneten Konflikten kämpften. Keineswegs – um dieses Missverständnis von vornherein auszuschließen – sympathische Organisationen. Nein, durchaus solche, die Kriegsverbrechen oder Entführungen begehen, wie die tamilischen Tiger oder die kolumbianische Farc. Doch deswegen hatte man sie nicht gelistet. Die Listen hatten zwar das selbsterklärte Ziel, die Finanzierung des Terrorismus zu verhindern, aber Gelder wurden nur wenige beschlagnahmt. Man wollte vielmehr den Partnern aus den Philippinen, der Türkei oder Kolumbien politisch entgegenkommen, und setzte darum deren ärgste Feinde auf die Liste. Deren Folter, Entführungen und Morde waren nunmehr Terrorismus. Während man Folter, Entführungen und Morde der philippinischen, türkischen und kolumbianischen Regierung bis heute geflissentlich übergeht.

Das war reine politische Opportunität, keine an Rechtsprinzipen orientierte Politik. Denn wäre es nach rechtsstaatlichen Kriterien gegangen, hätten die gelisteten Personen angehört und ihnen die Möglichkeit der Gerichtskontrolle eingeräumt werden müssen. Über die Verurteilung von Parteien in bewaffneten Konflikten hätte öffentlich diskutiert, auch ihnen der Gang zu Gericht eröffnet werden müssen. Und wenn man eine Partei als terroristisch bezeichnet, warum nicht ihr folterndes und mordendes Gegenüber?

Jetzt ist nicht zum ersten Mal im Nahen Osten der Schlamassel perfekt: der alte Feind Iran, bekämpft von den als Terrorgruppe gelisteten doch mitunter gerne vom Westen eingesetzten Volksmudjahedin, unterstützt die irakische Regierung. Die wiederum, nicht gelistet, aber dennoch mordend, wird vom jüngst gelisteten, wohl noch grausamer mordenden „Islamischen Staat“ (IS) bekämpft. Dessen Vormarsch wiederum konnte nur noch von den Kurden aufgehalten werden, von denen einige, nämlich die in der PKK organisierten, als Terroristen gelistet sind. Weswegen es rechtlich problematisch ist, ihnen Waffen zu liefern.

Alles klar? Mir auch nicht.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hatte es geheißen, Mandela sei erst 2013 von den US-Terrorlisten gestrichen worden. Das stimmt nicht. Es war 2008. Wir haben das geändert. Die Redaktion