Seine Kollegin warnt mich vor: Er brauche immer eine Weile, um seine Widmungen zu schreiben. Ich schaue mich im Sitzungszimmer der Botschaft um. Die Rollläden und Vorhänge sind fast ganz zugezogen an diesem Nachmittag in London. An den Wänden Naturfotos von Schlangen und Krokodilen; ein Schrank mit gebundenen Büchern; dort der Ständer mit der ecuadorianischen Flagge.
Julian Assange schreibt seinen Gruß an Edward Snowden, den ich kurz darauf treffen werde. Assange sieht schlechter aus als noch vor ein, zwei Jahren. So wie man eben aussieht, wenn man über zwei Jahre fast keine Sonne, keine frische Luft und keine Bewegung bekommt. So wie Haft halt. Deswegen ist es auch plausibel, dass Assanges Anwälte in ihren jüngsten Eingaben argumentieren, seine Situation komme rechtlich einer Haft gleich.
Nur die schwedische Justiz bleibt ungerührt. Die Staatsanwaltschaft unternimmt offenkundig nichts, um die Vorermittlungen gegen ihn voranzutreiben. Genau gesagt geht es darum, Assanges Aussage in dem laufenden Strafverfahren einzuholen; dies allerdings hat er bereits mehrfach angeboten, ob in einer Vernehmung in der ecuadorianischen Botschaft oder auf andere Weise. Nur eben nicht in Schweden, von wo aus Assange an die USA ausgeliefert zu werden fürchtet. Doch die Schweden lehnen ab.
Ich berichte Assange davon, was wir als europäische Strafverteidiger gegen den Europäischen Haftbefehl unternehmen. Dieses problematische Instrument wurde als ein Teil der vielen Antiterror-Pakete nach dem 11. September 2001 eingeführt. Es ermöglicht die vereinfachte Überstellung von Verdächtigen und Verurteilten innerhalb der Europäischen Union ohne die aufwändige Prüfung innerhalb eines Auslieferungsverfahrens. Die Gesetzgeber nutzten damals die Gunst der Stunde und verkauften den Haftbefehl als Maßnahme der Terrorismusbekämpfung. Seitdem wird aber auch gegen viele Betroffene in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität ohne jeden Terrorbezug vollstreckt.
Die EU-Staaten nutzen gerne und oft die vereinfachten Auslieferungsbeziehungen untereinander. Das einheitliche Europa – „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ wie es in Art. 29 Abs. 1 der EU heißt – bleibt aber auch hier nur eine Fiktion: Denn einfach ist es nur für die Strafverfolger, nicht für die Betroffenen und ihre Anwälte. Ein nicht vermögender Inhaftierter wird in der Kürze der Zeit kaum Verteidiger in zwei, manchmal sogar mehr, involvierten Staaten finden. Und selbst wenn, bekommen diese nur schwer Zugang zu Informationen, um die Verteidigung zu organisieren.
Auf der einen Seite werden also die Grenzen und Widerstände zwischen den Staaten abgebaut, damit die Behörden besser kooperieren können. Auf der anderen Seite erwachsen den Betroffenen erhebliche Nachteile daraus, dass sie nicht als Staatsbürger des Staates behandelt werden, der sie vor Gericht bringen will: Oft wird ihnen eine Fluchtgefahr unterstellt, die sonst durchaus übliche Freilassung auf Kaution ist oft nicht möglich, oder der Staatsanwalt weigert sich wie im Fall Assange, von Stockholm nach London zu reisen, um eine Aussage aufzunehmen.
Sein Buch übrigens, When Google meets Wikileaks, das mir Julian Assange für Edward Snowden mitgibt, handelt von einer leicht surrealen Begegnung Assanges mit den Google-Chefs Eric Schmidt und Jared Cohen, während seines Hausarrests in einem Landhaus im englischen Norfolk im Juni 2011. Assange kritisierte später in der New York Times Schmidt und Cohen für ihr Buch The New Digital Age – insbesondere die personelle und ideologische Verflechtung von Google und State Department. Assange wirft den beiden Doppelstandards vor: Die Google-Chefs akzeptieren und fördern soziale Netzwerke und Leaks, solange deren Nutzer aus Regimes kommen, deren Sturz aus Sicht der US-Außenpolitik genehm ist. Whistleblower und Dissidenten aus dem eigenen Lager aber haben, selbst wenn sie wie Chelsea Manning Straftaten aufdecken, drastische Strafverfolgung und Haftstrafen zu vergegenwärtigen.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.