„Verhaftet Kissinger!“ stand in den Anzeigen, die 2012 in den drei Berliner Tageszeitungen Tagesspiegel, Berliner Zeitung und die tageszeitung (taz) erschienen. Es handelte sich um eine gemeinsame Kunstaktion des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar und von uns, dem European Center for Constitutional and Human Rights. Die Anzeige erschien nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Spanisch, Vietnamesisch, Khmer, Portugiesisch und Timoresisch, in den Sprachen einiger der Länder also, in denen große Bevölkerungsgruppen den Preis für die bis heute hochgelobte Realpolitik des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger zahlen mussten.
Das Werk des weltbekannten Jaar setzt sich vor allem mit der Pinochet-Diktatur und seinem Heimatland auseinander. Am Anfang steht ein Datum: der 11.9.1973, der Tag, an dem die Luftwaffe der Putschisten den Moneda-Palast in Santiago de Chile zu bombardieren begann. Ein Datum, das nicht nur für Chiles damalige Gesellschaft, sondern für ganz Lateinamerika und für alle Linken bis heute eine ungeheure Bedeutung hat. Es steht für den Moment, in dem die Staaten des Westens gewalttätig zum Ausdruck brachten, dass sie nicht bereit waren, den in freien und demokratischen Wahlen zum Präsidenten gewählten Sozialisten, Salvador Allende, zu akzeptieren.
Im Gedächtnis Lateinamerikas steht das Datum 11. September seither für den Akt der Dominanz der USA schlechthin. Seit dem 11. September 2001 wird dieser Tag freilich weltweit vor allem mit den Al-Kaida-Anschlägen in New York und Washington in Verbindung gebracht. Es ist deshalb ein schmerzhafter Akt imperialen Sprachgebrauchs, wenn mittlerweile die Lateinamerikaner wahrnehmen, dass der 11. September 1973 nur mehr als Once de Septiembre chico, der kleine 11. September, bezeichnet wird.
In „Searching For Mr. K“ zitiert Jaar aus einem aufgezeichneten und später bekannt gewordenen Dialog zwischen Kissinger und seinem Präsidenten Richard Nixon am 16. September 1973, in dem es um den fünf Tage vorher stattgefundenen Putsch in Chile geht:
P: Hi Henry.
K: Mr. President.
P: Where are you. In New York?
K: No. I am in Washington. I am working. I may go to a football game this afternoon if I get through.
P: Good. Good. Well it is the opener. It is better than television. Nothing new of any importance …?
K: Nothing of very great consequence. The Chilean thing is getting consolidated and of course the newspapers are bleeding because a pro-Communist government has been overthrown.
P: Isn’t that something? Isn’t that something?
K: I mean instead of celebrating, in the Eisenhower period we would be heroes.
Die Folge des von den USA gezielt unterstützten Militärcoups: Tausende von Toten, Abertausende gefoltert und ins Exil getrieben, die Demokratie in Chile für Jahrzehnte zerstört. „Nothing of very great consequence“, also nichts von großer Bedeutung, so urteilte damals der bis heute bei Gala-Veranstaltungen und in vielen Redaktionen, zuletzt beim Spiegel, gern gesehene Kissinger.
Die Universität Bonn und das Bundesverteidigungsministerium setzten noch einen drauf und benannten im März 2014 einen Lehrstuhl nach dem Kriegsverbrecher. Ja, so bezeichne ich ihn, auch wenn er im juristischen Sinne als unschuldig gilt. Er blieb straflos, weitestgehend sogar unverfolgt. Die zur Tatzeit geltenden Gesetze erlaubten anders als heute eine universelle Strafverfolgung nicht. Nirgendwo gab es Ermittlungen wegen seines Tatbeitrages. Und in den USA sind derlei Strafverfahren gegen die Mächtigen aus den eigenen Reihen bis heute tabu.
„Verhaftet Kissinger!“ bleibt daher eher eine symbolische Forderung. Wie es aber den Kissingers von heute gehen kann, zeigt das Urteil gegen den liberianischen Ex-Präsidenten Charles Taylor, der wegen seiner tatkräftigen Unterstützung der Rebellenarmee in Sierra Leone als Beteiligter an den Menschenrechtsverletzungen gesehen wird und sich vor einem UN-Tribunal verantworten muss.
(Mehr zu dem Thema im neuen und instruktiven Themenheft ‚Orientierungen. Zeitschrift zur Kultur Asiens‘: „Kissinger und Südostasien“)