Dieser Tage begeht die Women’s International League for Peace and Freedom in Den Haag den 100. Jahrestag des ersten Frauenfriedenskongresses. Dort hatten sich mitten im Ersten Weltkrieg und allen Widrigkeiten zum Trotz mehr als 1.136 Frauen aus verschiedensten Ländern zusammengefunden, weil sie es nicht ertrugen, „dass Regierungen einzig nackte Gewalt zur Lösung internationaler Konflikte tolerieren“. Die Teilnehmerinnen protestierten zudem gegen das besondere Unrecht, das Frauen in Kriegszeiten angetan wird: „die entsetzlichen Vergewaltigungen, welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind“.
Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten – dieses Thema ist bis heute akut. Zwar, so betonte die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, diese Woche in Berlin, wurden seit der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und der Pekinger Frauenrechtskonferenz 1995 wichtige internationale Abkommen und nationale Gesetze zum Schutz von Frauen geschaffen. Menschenrechte sind inzwischen auch Frauenrechte. Und m internationalen Strafrecht wurde sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Aber erst heute beginnen mutige Frauen wie die Sexsklavinnen der Japaner im Zweiten Weltkrieg oder die Überlebenden aus Jugoslawien und Ruanda das Schweigen über massenhaft verübtes Unrecht zu brechen.
Doch egal, welches Kriegsgebiet man näher betrachtet: neben Mord, Raub und Folter gibt es allenthalben Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei.
So auch in Kolumbien, wo nach aktuellen Statistiken jede halbe Stunde eine Frau vergewaltigt wird und alle anderthalb Tage eine Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen geschieht. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Nach Schätzungen der kolumbianischen Frauenorganisation Sisma Mujer tauchen mehr als 80 Prozent der Vergewaltigungsfälle in keiner Statistik auf. Die Zahlen machen nicht zuletzt deutlich, dass sexualisierte Gewalt im Bürgerkrieg auch Folge der allgemeinen strukturellen Diskriminierung von Frauen in Kolumbien ist.
Teil einer Strategie zur Unterdrückung der Zivilbevölkerung
Deswegen hat das ECCHR gemeinsam mit Sisma Mujer und der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation CAJAR diese Woche Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht. Sexualisierte Gewalt in Kolumbien ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und keineswegs nur eine Nebenerscheinung des Konfliktes. Verschleppungen, Vergewaltigungen und sexuelle Versklavung sind Teil der militärischen Strategie zur Unterdrückung der Zivilbevölkerung.
Das Ernüchternde an den zwei Jahren Arbeit, die der Strafanzeige voraus gingen, war, dass wir aufgrund von Berichten von Amnesty International und kolumbianischer Organisationen bereits wussten, dass Zehntausende von Frauen sexualisierte Gewalt erlitten haben und noch erleiden. Wir wussten auch, dass vor allem schwarze, indigene oder intern vertriebene Frauen betroffen sind, also diejenigen, die auch sonst diskriminiert werden und besonders verletzlich sind. Doch umfassende offizielle Daten gibt es nicht – trotz der jahrelangen Arbeit und Recherche unserer Partnerorganisationen in Kolumbien. Erst recht lagen so gut wie keine Akten von Staatsanwaltschaften oder Gerichten vor.
Bei Vergewaltigungen wird in Kolumbien nur selten ermittelt. Wenn überhaupt, trifft es einzelne Täter. Das muss sich ändern: Wenn derart massenhaft Gewalt ausgeübt wird, sind auch die militärischen Vorgesetzten in der Pflicht. Wenn sie das Treiben ihrer Soldaten nicht unterbinden, müssen sie selbst bestraft werden. Diese Verantwortlichkeit ranghoher Militärs sollten die Ankläger des Den Haager Gerichtes schleunigst ermitteln, damit in Kolumbien keine Vergewaltigung mehr ungestraft bleibt. Denn trotz erfolgversprechender Friedensverhandlungen und sinkender Zahlen bei anderen konfliktbezogenen Gewalttaten: Die Zahl der sexualisierten Straftaten steigt. Zu sehr haben sich die Krieger daran gewöhnt, sich alles mit Gewalt zu nehmen. Dagegen muss nicht nur Den Haag einschreiten. Es bedarf auch eines Richtungswechsels in der kolumbianischen Justiz, der deutlich macht: Sexualisierte Gewalt darf nicht länger ungesühnt bleiben.