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Es geht nicht um „wir gegen die“

 

Was mich an der aktuellen Debatte um die BND-Affäre so nervt? Es ist der nationalistische Unterton. Natürlich bin ich gegen Überwachung, gegen illegale Praktiken sowieso. Ich kritisiere aber auch vieles, was das Gesetz erlaubt. Wenig interessiert mich dabei, ob meine politischen Mitstreiter oder ich von den deutschen, den französischen oder den US-Geheimdiensten überwacht werden. Mir geht es nicht um nationale Interessen, wenn ich nach den aktuellen Nachrichten, vor allem aber seit den Enthüllungen von Edward Snowden, Aufklärung fordere und dafür eintrete, dass Verantwortliche für ihr Fehlverhalten bestraft werden. Mir geht es um Strukturen, und die ähneln sich verdammt häufig, egal wohin man schaut.

Derzeit unterscheiden sich die Dienste vor allem in ihren technologischen Möglichkeiten. Die Kontinental-Europäer würden viele Praktiken der NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ gern übernehmen, wenn sie das technisch fertigbrächten. Und es ist auch nicht erkennbar, dass sich seit den Snowden-Leaks etwas an dieser Einstellung der Geheimdienste oder dem politischen Willen, diese zu kontrollieren, geändert hätte.

Insofern erscheint mir die französische und deutsche Entrüstung über die USA scheinheilig. Wohler würde ich mich fühlen, wenn nirgendwo massiv und niemand präventiv überwacht würde, wenn es weder Inlands- noch Auslandsgeheimdienste gäbe. Denn nach dem, was wir im Zuge der rechtsradikalen Mordserie der NSU wissen: Wofür brauchen wir einen Verfassungsschutz, einen Inlandsgeheimdienst? Die Polizei soll erledigen, was zu erledigen ist, aber bitte transparent und im Rahmen der Gesetze.

Stattdessen herrscht auch bei den Wohlmeinenden aus der Opposition viel zu viel Freund-Feind-Denken. Die USA, die NSA, das Böse – diese Politikmodelle sind mir zu schlicht. Das gilt erst recht, wenn sie mit einem Lamento über eine mangelnde Respektierung der deutschen Souveränität einhergehen – hier ist der Übergang zu nationalistischen Denkmustern fließend, und das Problem umfassender geheimdienstlicher Kontrolle, die die individuelle Freiheit in allen Teilen der Welt bedroht, gerät schnell aus dem Blickfeld gegenüber einem Diskurs des „wir gegen die“. Das Mobilisieren derartiger Ressentiments ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich.

Rassismus, Exklusion, Nationalismus allenthalben

Das zeigt ein hastiger Blick in die Zeitungen dieser Tage: Rassismus, Exklusion, Nationalismus allenthalben. Bei den Ermittlungen wegen des rechtsradikalen Oktoberfest-Attentats 1980 – 13 Tote, 200 Verletzte – versagten Geheimdienste und Polizei auf ganzer Linie und ignorierten umfangreiche Aussagen und Hinweise zu den Hintermännern des Attentäters Gundolf Köhler. Dieses eklatante Versagen soll nun, 35 Jahre später, nachträglich ausgebügelt werden. Auch bei den NSU-Morden an Migranten sowie der Ermordung einer Polizistin und dem Mordversuch an ihrem Kollegen, tapp(t)en Polizei und Geheimdienste im Dunkeln – jahrelang war ein rassistisches Tatmotiv kategorisch ausgeschlossen und waren die Opfer in einen Zusammenhang mit organisierter Kriminalität gerückt worden. Angesichts der Informationen über umfangreiche Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU und der dramatischen Versäumnisse während der Ermittlungen aller beteiligter Behörden scheint es nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang von einem institutionalisierten Rassismus zu sprechen, der eine frühere Aufdeckung des NSU und effektive Ermittlungsarbeit verhindert hat.

Doch auch im Ausland sieht es nicht besser aus: Der französische Front National, der vielleicht bald Regierungspartei werden könnte, leistet sich (noch) einen Ehrenvorsitzenden Le Pen, der die Gaskammern der Nazis als Detail der Geschichte bezeichnet. Brave Schweizer befürchten einen „Asylanten-Tsunami„, weil in die Schweiz geflüchtete Menschen Zuflucht in ihrem Dorf finden sollen. Ausgerechnet im Post-Apartheid-Südafrika, dort, wo die formale Gleichstellung aller Menschen erreicht schien, wurden sieben Menschen, Einwanderer, bei rassistischen Ausschreitungen umgebracht, und der Präsident gießt weiter Öl ins fremdenfeindliche Feuer. Die Meldungen über rassistische Polizeigewalt, überall auf der Welt, reißen nicht ab, eine willkürliche Auswahl: in Israel gegen einen äthiopisch-stämmigen israelischen Soldaten, in den USA in Baltimore, Ferguson und anderswo.

Soll so unsere zukünftige Welt aussehen, wollen wir in Gesellschaften leben, die zwischen uns und denen, zwischen privilegierten Angehörigen der Mehrheit und anderen Menschen unterscheiden? In Gesellschaften, in denen die Staatsgewalt zwar auf minutiöse Präventivüberwachung zur Verhinderung islamistischen Terrors setzt, aber unfähig und nicht willens ist, neonazistisches Morden umfassend aufzuklären, geschweige denn zu verhindern?

Wenn wir das nicht wollen, müssen wir uns einerseits gegen Rassismus und Exklusion und für gerechtere und lebenswerte Zustände nicht nur vor unserer Haustür engagieren. Um nationalistischen Ressentiments wirksam zu begegnen, gehört aber auch dazu, uns anders mit den Realitäten von heute auseinanderzusetzen und sie verstehen zu lernen – wenn die Diskussion über Massenüberwachung zu einer Debatte über die Verteidigung deutscher Souveränität gegen US-amerikanisches Eingreifen wird, anstatt sich mit dem strukturellen Problem unkontrollierbarer Geheimdienste zu befassen, würden wir Edward Snowdens Einsatz einen Bärendienst erweisen.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.