Guatemala-Stadt, 10. Mai 2015: Es ist der zweite Jahrestag des Urteils im Völkermord-Prozess gegen den ehemaligen Militärdiktator Efraín Rios Montt. Neben mir auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung sitzt Edgar Pérez. Der stämmige Rechtsanwalt, ehemaliger Ringer, hat die meisten indigenen Überlebenden und Zeugen in dem historischen Prozess vertreten. Während seiner Rede schwenkt er die Buchausgabe des Urteils von 2013, einen dicken Band, in dem begründet wird, warum die Morde und Massaker, die General Rios Montt und seine Untergebenen an den Maya-Ixil verübten, als Völkermord anzusehen sind – und warum Rios Montt unmittelbare Verantwortung trägt.
Pérez bringt die Probleme auf den Punkt: „Ich vertrete die Geschlagenen von damals – und von heute.“ Er spielt darauf an, dass der große Teil der indigenen Bevölkerung auch nach dem Friedensschluss zwischen Regierung und Guerilla-Organisationen von 1996 noch materiell leidet; und dass die vielen Großprojekte, gerade der Minenunternehmen, ständig die Rechte der Indigenen verletzen. Pérez leidet mit ihnen, muss aber von Berufs wegen an die Justiz in Guatemala glauben, sie an den Ansprüchen und Maßstäben einer rechtsstaatlichen fairen Justiz messen.
Ich bin auf Einladung von Menschenrechtsorganisationen und -juristen in Guatemala-Stadt und spreche auf verschiedenen Veranstaltungen, auf denen die historische Bedeutung dieses Urteils diskutiert wird. Es sollte aber auch über die Korruption innerhalb des guatemaltekischen Justizsystems gesprochen werden. Über die Korruption, die dazu führte, dass das Verfassungsgericht im Mai 2013 das Urteil gegen Rios Montt aufhob.
In Guatemala überschlagen sich derzeit die Nachrichten: Die 2006 von der UN mit eingesetzte Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala spielte seinerzeit bei dem Völkermord-Verfahren eine wichtige Rolle, und spielt sie bis heute. So wichtig, dass sie der aktuellen Regierung des Militärs Otto Pérez ein Dorn im Auge ist. Präsident Pérez persönlich werden schließlich Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Das Mandat der Kommission, so will es der Präsident, soll nun im September auslaufen.
Doch die UN-Juristen schlagen zurück. Sie führen umfangreiche Ermittlungen vor allem wegen der endemischen Korruption – und sie werden immer wieder fündig. Die Vizepräsidentin musste zurücktreten, hohe Funktionäre innerhalb des Justizapparates sind nach abgehörten Telefonaten stark belastet.
Eine verhängnisvolle Rolle bei der Korruption, auch bei den betrügerischen Manövern, die zur – vorläufigen – Annullierung des Völkermord-Urteils führten, spielen aber auch etliche Rechtsanwälte. Rodolfo Rohrmoser, angesehener ehemaliger Verfassungsgerichtspräsident, erzählt, wie einer seiner ehemaligen Studenten ihn als Mitarbeiter für seine Kanzlei anfragt, ihn aber vorsichtig warnt: „Du musst deine hohen ethischen Ansprüche zurückschrauben, hier gilt das lex mercatoria.“ Was das heißt, erfährt Rohrmoser dann in der Praxis, immer wieder wird er aufgefordert, an Rechtsverletzungen mitzuwirken. „Wenn du nicht mitmachst, bist du raus aus dem Markt“, heißt es.
Im Kontext der Völkermord-Prozesse fanden sich überzeugte Staatsanwältinnen und Richterinnen – doch sie wurden mit Disziplinarverfahren und Ausreiseverboten belegt oder aus dem Land getrieben wie die Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz. Aber die angegriffenen Juristinnen bleiben ebenso standhaft wie die Rechtsanwälte, sie verteidigen das Urteil gegen Rios Montt – ein Urteil, das irgendwann, da sind wir uns alle sicher, in derselben historischen Linie wie die Nürnberger Urteile gegen die Nazi-Kriegsverbrecher oder die Verurteilung von Liberias Ex-Präsident Charles Taylor stehen wird. Die jüngste Entwicklung in Guatemala lässt hoffen, dass integre Juristen wie Edgar Pérez, Rodolfo Rohrmoser oder Claudia Paz y Paz sowohl an der Aufarbeitung des historischen als auch bei der Verhinderung aktuellen Unrechts mitwirken können.