Ein vier Jahre währender Strafprozess, mehrere Millionen Euro Prozesskosten und ein Gericht, das sich in der mündlichen Urteilsbegründung darüber beklagt, das deutsche Recht sei nicht für derlei Straftaten eingerichtet: Gemeint ist das sogenannte FDLR-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, in dem zwei gebürtige Ruander wegen Verbrechen im Ost-Kongo angeklagt waren.
Von Baden-Württemberg aus haben die beiden als politische Führer eine von vielen Vergewaltiger- und Mordmilizen im Osten Kongos per Satellitentelefon, SMS und E-Mail kommandiert – so der Urteilsspruch, in dem eine dreizehnjährige Haftstrafe gegen den einen Angeklagten wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und acht Jahre Freiheitsstrafe gegen den zweiten ausgesprochen wurden.
Viele stellen nun die ebenso banale wie nachvollziehbare Frage: War es das wert? Warum in aller Welt muss sich ein deutsches Gericht mit Kriegsverbrechen im fernen Kongo befassen?
Deutschland war eine der treibenden Kräfte bei der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag 2002 und macht sich stark für die weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten. Es geht dabei nicht nur um Sühne oder Vergeltung für die schlimmsten denkbaren Verbrechen. Dem Eintreten für das Völkerstrafrecht liegt vielmehr die Erkenntnis zugrunde, dass eine friedliche, demokratische und sozial gerechte Gesellschaft nur aufgebaut werden kann, wenn sich die betroffenen Gesellschaften ernsthaft mit den Folgen und Wirkungen von Diktaturen und Massenverbrechen auseinandersetzen.
Deswegen unterstützt Deutschland nicht nur das Den Haager Gericht massiv, sondern etablierte im Juli 2002 ein eigenes Völkerstrafgesetzbuch. Damit wollte man das Versprechen einlösen, gemeinsam und arbeitsteilig mit anderen Instanzen an der Aufarbeitung dieser Form von Makrokriminalität mitzuwirken.
In den ersten Jahren war es ein Gesetz ohne Anwendung. Dann kam der Fall der beiden jetzt Verurteilten, den die deutsche Justiz schon deswegen bearbeiten musste, weil die Täter von Deutschland aus agierten. Schön wäre es natürlich gewesen, die deutschen Behörden hätte deren Treiben frühzeitig unterbunden.
Im deutschen Justizalltag kommen lange Verfahren mit Auslandsbezug durchaus vor, auch Drogenhandel- und Autoschieberprozesse ziehen sich mitunter Jahre hin. Nur scheinen deutsche Staatsanwälte und Richter ebenso wie die Öffentlichkeit sich an solche Strafprozesse gewöhnt und die Verfahren akzeptiert zu haben – was vor allem deswegen bedenklich stimmt, weil der Schaden oftmals sehr viel geringer ist als bei Völkerstraftaten, die sich gegen die Weltgemeinschaft als Ganzes richten.
Diese Überzeugung ist zwar in Gesetzesform gebracht worden, was aber noch fehlt und jetzt entwickelt werden muss, das ist eine durchdachte Praxis von Untersuchungen und Gerichtsverfahren, die mit den Standards der deutschen Strafprozessordnung vereinbar ist.
Keiner sagt, dass das einfach ist. Aber sollten kongolesische Massaker-Opfer und vergewaltigte Frauen bei der deutschen Justiz wirklich weniger zählen als Millionenschäden bei Autoversicherern? Das ist polemisch, ich weiß.
Man kann es auch pragmatischer ausdrücken: Im FDLR-Verfahren mit 320 Verhandlungstagen potenzierten sich verschiedene Problemlagen: vergewaltigte Frauen ohne wirklichen Zugang zum Justizsystem, Zeugen vom Hörensagen – und das in einem der am längsten andauernden und größten bewaffneten Konflikte weltweit. Auf Verbrechen der Dimension des großen afrikanischen Bürgerkriegs in der Region der großen Seen gibt es keine perfekte, schlüssige, vollständige Antwort. Das Nichtstun allerdings stellt die schlechteste aller Alternativen dar.
Auch wenn ein Verfahren wie das soeben beendete nur als kleiner Schritt und der Weg beschwerlich erscheint – wir sollten ihn gehen.
Zum Beispiel mit Blick auf Syrien: Die Bundesanwaltschaft sollte weiterhin die Aussagen von Zeugen künftiger Verfahren sichern. Das wäre ein wichtiges Signal, auch in andere Konfliktregionen: Kriegsverbrecher sollten nicht darauf bauen können, dass sie straffrei ausgehen und unbehelligt durch Europa reisen können.