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Verfluchte Politiker

 

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kolleg/innen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Claire Tixeire. Sie leitet das Education Programme des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Im vergangenen Dezember hat EarthRights International junge Anführer von Gemeinden aus den Mekong Anrainerstaaten zusammen mit einer Delegation der Bertha Foundation zu einer viertägigen Exkursion in den Norden Thailands eingeladen. Unsere Gastgeber waren Dorfbewohner, die jahrzehntelang friedlichen Widerstand gegen den Bau eines Damms geleistet haben, der drohte, sie vom Land ihrer Vorfahren zu vertreiben.

Bevor wir den Wald aus goldenen Teakbäumen betreten konnten, mussten wir einen kurzen Halt einlegen. Wir haben in den Pick-ups gewartet und beobachtet wie Paw Saman, seines Zeichens Geistermedium, zum Haus der Geister ging. Der uns begleitende Mönch wartete bei uns. In dem Haus der Geister, einer kleinen Hütte, hat Paw einige Objekte – getrocknete Blumenketten, ganz genau konnte ich es nicht erkennen – umher geschoben, wobei er voller Konzentration schien. Er sprach leise und erklärte dem Geist des Waldes, wer und warum wir dort seien und versprach, dass wir während unseres Besuchs keines seiner Lebewesen verletzen oder töten würden. Danach war es uns erlaubt, den dichten Wald zu betreten – ein besonderes Gefühl, wir wurden in den größten noch existierenden Teakwald Asiens geführt.

Ich dachte, dass der Geist des Waldes, wenn er denn existieren sollte, der Sa-iab Gemeinde des Geistermediums mit Sicherheit dankbar sei. Denn wenn die Dorfbewohner keinen Widerstand gegen die thailändische Regierung und die Weltbank geleistet hätten, wäre der Wald mit seinem einzigartigen Ökosystem schon vor einigen Jahrzenten von der Erdoberfläche verschwunden – um für ein künstliches Wasserbecken, begrenzt von einer 90 Meter hohen Staumauer, Platz zu machen.

Der Wald ist Teil des Mae Yom Nationalparks in der Provinz Phrae im Norden Thailands. Seit 1989 ist er Gegenstand der Streitigkeiten um den Bau des Kaeng Sua Ten Damms (der Damm des springenden Tigers), der den dortigen Yom Fluss aufstauen soll. Seine Errichtung würde die Vertreibung von mindestens 3500 Familien vom Land ihrer Vorfahren bedeuten.

Ursprünglich dazu gedacht, Energie zu erzeugen, dann, um Bewässerungssysteme zu unterstützen und heute, um Überflutungen unter Kontrolle zu halten, kann das Dammprojekt niemanden überzeugen, der sich näher mit seinen Kosten und Nutzen auseinandersetzt. Nichtsdestotrotz tun thailändische Politiker und Industrielle alles in ihrer Macht stehende, um das Bauprojekt zu realisieren.

„Warum?“, wollten wir wissen. „Die goldenen Teakbäume würden vor dem Dammbau abgeholzt und wer auch immer sie bekäme, wäre Millionär“ erklärte Paw Saeng Kwanyeun, der Kampagnenführer der ersten Generation.

„Große Dämme haben verheerende sozioökonomische und Umweltfolgen“. Das war die Schlussfolgerung die kürzlich vom führenden Experten in diesem Bereich, dem Anthropologieprofessor Thayder Scudder (California Institute of Technology), gezogen wurde. Dabei hatte Scudder seinerzeit den Bau von Dämmen unterstützt. Eine Studie der Oxford University von 2014 zu 245 großen Dämmen, die zwischen 1934 und 2007 gebaut wurden, stellt fest, dass diese für den erzielten Nutzen unverhältnismäßig teuer sind, unabhängig von den nahezu immer negativen Folgen für die betroffenen Gemeinschaften und die Umwelt.

Nichtsdestotrotz ist der Bau von Dämmen für die Vertreibung von schätzungsweise 2 Millionen Menschen jährlich verantwortlich. Aber in diesem Fall haben es die Betroffenen geschafft, den Bau 26 Jahre lang immer wieder zu verhindern. Die Geschichte des Widerstandes dieser Dorfbewohner ist so beindruckend, dass die Organisation EarthRights International (ERI), selbst von einem Burmesischen Aktivisten und einem US Anwalt gegründet, uns als Delegation sowie junge Naturschützer, die an ERI’s Mekong School teilnehmen, hierhergebracht hat.

Neugierig darauf, was sie vom Versprechen der thailändischen Regierung auf Umsiedlung zu erwarten hätten, besuchten die Sa-iab Dorfbewohner in den frühen 90er Jahren Gemeinden, die unter ähnlichen Umständen umgesiedelt worden waren. Was sie sahen war Armut, zum Scheitern verurteilter Ackerbau auf unfruchtbaren Böden und eine alternde, isolierte Bevölkerung, da die junge Generation sich gezwungen sah, auf der Suche nach Arbeit nach Bangkok zu migrieren.

Als die Dorfbewohner entschieden, Widerstand gegen das Projekt zu leisten, waren sie jahrelang mit Intrigen, Lügen und Spionage von Befürwortern des Damms konfrontiert. Daraufhin fingen sie an, Kontrollpunkte zu errichten, um diesen den Zugang zu ihrem Land zu verwehren, veranstalteten massive Proteste und organisierten eine thailändische Kampagne mit anderen Umweltaktivisten der Assembly of the Poor (Versammlung der Armen). Nachdem sie ihren Widerspruch gegenüber einer Delegation der Weltbank aufs Vehementeste zum Ausdruck gebracht hatten, wurde die Gemeinde sogar vom Bezug öffentlicher Dienstleistungen ausgeschlossen. Seitdem bemühen sie sich, möglichst autark zu werden.

Ihr spiritueller Glaube eint sie und macht sie unabhängig – die Angehörigen der Gemeinschaft protestieren nicht, ohne vorab den Segen der Geister zu erbitten, wofür sie regelmäßig Tieropfer bringen. Sie haben sich mit thailändischen Naturschützern zusammengetan und es geschafft, das Projekt erst zu verzögern, dann im Umfang zu reduzieren und schließlich ganz zu verhindern. Insofern ist kaum zu glauben, dass nun wieder eine reduzierte Version aus zwei kleineren Dämmen, namens Upper and Lower Yom dam auf der Agenda der Regierung steht.

Im Wald sahen wir Dutzende, von unterschiedlich ausgeblichenen, orangenen Mönchsroben umwickelte Teakbäume. Deshalb waren wir hier: Für die Segnung eines Baumes. Einer wurde ausgewählt, weil er so wunderbar gerade und hoch war, 120 Meter. Der uns begleitende buddhistische Mönch sang ein langes mitreißendes Lied, bevor die Robe um den Baum gewickelt wurde. „Jetzt wo er gesegnet ist, würde das Fällen des Baums dem Töten eines Mönchs gleichkommen“. Am Tag darauf war es der Fluss, der gesegnet wurde.

Doch erst als wir zurück im Dorf waren, wo an vielen Häusern der Schriftzug „Kein Damm, kein Krieg“ prangt, erzählte der Geistliche, was bei mir am meisten Eindruck hinterlassen hat: Als Teil ihrer jahrzehntelangen Anstrengungen gegen den Bau des Dammes führen die Dorfbewohner Zeremonien zur Verfluchung von Politikern, die den Damm befürworten, durch. Dazu wird ein Abbild, mit dem Bild des Politikers als Gesicht, verbrannt und erdolcht und ihm wird mit einer Schleuder in die Augen geschossen. Darauf folgt eine symbolische Bestattung der Puppe.

„Für wie erfolgreich halten Sie diese Zeremonien?“, wollte ich wissen. „Sie sind sehr erfolgreich. Von zehn Politikern, die wir verflucht haben, sind fünf gestorben.“

Manche der Buddhisten unter uns waren schockiert: Ein solches Vorgehen steht im Gegensatz zu den Lehren über Gewaltlosigkeit und Karma. Andere erklärten, dass ihre Gemeinden das gleiche mit den Verantwortlichen für den Bau von Goldminen machen würden.

Ist eine solche Verfluchung ein Akt der Gewalt? „Es ist Selbstverteidigung“, meinte einer der Dorfbewohner. „Jemand hält uns ein Messer an die Kehle. Wir haben keine Atomwaffen, aber unsere Macht gründet sich in unserer lokalen Weisheit und unserem Volk.“