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Folteropfer aus Syrien sollen in Deutschland klagen können

 

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Ibrahim Alkasem aus Syrien. Der Rechtsanwalt ist aus seiner Heimat geflohen und  arbeitet derzeit von Berlin aus. Dabei kooperiert er unter anderem mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Als 2011 der Aufstand gegen das syrische Regime und den Machthaber Baschar al-Assad begann, unterstützte eine Mehrheit des syrischen Volkes diese revolutionäre Bewegung. Auch ich persönlich war von Anfang an Teil dieser friedlichen Bewegung. Ich nahm an gewaltlosen Demonstrationen teil und leistete humanitäre Hilfe, verteilte Lebensmittel und Medikamente. Die wichtigste Art des Engagements kam jedoch durch meine Tätigkeit als Rechtsanwalt zustande.

Als Ehrenamtlicher schloss ich mich der Syrischen Kommission zur Verteidigung von politischen Gefangenen an. In dieser Funktion vertrat ich kostenlos Gefangene vor syrischen Gerichten, insbesondere in Fällen, die vor dem Gericht für Terrorismusfälle verhandelt wurden, das 2012 zur juristischen Repression von Assad-Gegnern geschaffen wurde. In diesem Zusammenhang habe ich daran mitgewirkt, Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, speziell solche auf der Grundlage von Geschlecht, sowie Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Wegen dieses Engagements wurde auch ich selbst vom syrischen Geheimdienst für mehrere Wochen willkürlich inhaftiert. In dieser Zeit wurde ich oft attackiert, geschlagen und mit dem Tode bedroht. Schließlich wurde ich selbst vor dem Terrorismusgericht wegen meiner Tätigkeit für die Kommission angeklagt.

Aus diesem Grund floh ich aus Syrien in den Libanon, wo ich die vergangenen zwei Jahre verbracht habe. Meine Aufgabe, schwere Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, habe ich fortgeführt. Ich habe darüber hinaus etliche andere Anwälte im Bereich Menschenrechte und internationales Strafrecht weitergebildet sowie in Methoden unterrichtet, mit denen man die Täter in Syrien strafrechtlich verfolgen kann. Seit zwei Monaten bin ich beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin zu Besuch, um mehr Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet zu erlangen.

Meine syrischen Kolleginnen und Kollegen und ich nehmen alle rechtliche Mechanismen in den Blick, die helfen können, die Täter in Syrien zur Verantwortung zu ziehen, ganz gleich, welcher Partei sie angehören. Wir prüfen auch die Möglichkeiten nationaler europäischer Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip, das für Völkerstraftaten und für Folter gilt. Das bedeutet, dass auch europäische Gerichte diese Straftaten vor Gericht bringen können, auch wenn sie in Syrien und von Syrerinnen und Syrern begangen wurden. Angesichts der syrischen Flüchtlinge in Deutschland, Frankreich und in anderen europäischen Staaten könnte dies eine Möglichkeit sein, Verantwortlichkeit einzufordern, da die Anwesenheit von Zeugen und Opfern in den Gerichtsstaaten die Strafverfolgung erleichtert.

Das Weltrechtsprinzip ist für uns deshalb von Bedeutung, weil andere Mechanismen derzeit nicht zur Verfügung stehen: Es gibt keine andere Möglichkeit, die Täter in Syrien anzuklagen und für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Nationale syrische Gerichte sind nicht in der Lage, ihrer Verantwortung, diese Täter zu verurteilen, nachzukommen. Auch weil das Regime keinerlei Interesse daran hat. Vielmehr hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine totalitäre Diktatur errichtet und sich selbst rechtlich in einer Art und Weise abgeschottet, in der es faktisch Immunität genießt, die außerdem durch die Verfassung und entsprechende Gesetze gegen die Strafverfolgung von Sicherheitskräften garantiert wird. Die Sicherheitskräfte sind also de facto autorisiert, im Sinne des Regimes Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Darüber hinaus verhindert der rechtliche Grundsatz, dass es keine Strafe und kein Urteil geben kann, das nicht auf einem entsprechenden Gesetzestext fußt – das syrische Strafrecht kennt keine Gesetze, die Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord unter Strafe stellen.

Hinzu kommt, dass es in Syrien wenig Erfahrungen mit solchen Fällen gibt. In der gesamten syrischen Rechtsgeschichte gab es noch nie Strafverfolgung für solche Taten. Anwälte, Verteidiger und Richter sind darin allesamt gleichermaßen unerfahren.

Syrien hat auch nicht das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ratifiziert. Die einzige Möglichkeit für den IStGH, sich der Verbrechen in Syrien anzunehmen, wäre daher eine entsprechende Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat. Im Mai 2014 hat der UN-Sicherheitsrat bewiesen, dass er unfähig ist, eine solche Resolution zu verabschieden – wegen des Vetos Chinas und Russlands. Dieser Weg ist damit verschlossen.

Was wäre mit internationalen Ad-hoc-Gerichten nach Vorbild des Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien oder mit hybriden Gerichten wie dem Sondertribunal für den Libanon, das etabliert wurde, um das Attentat auf den früheren Premierminister Rafuq al-Hariri aufzuklären? Ich sehe derzeit keinen politischen Willen, ein unabhängiges Tribunal zu installieren, insbesondere wegen der Weigerung Russlands und Chinas.

Im Licht des Beschriebenen ist umso klarer: Die Aktivierung nationaler Gerichtsbarkeit nach dem Weltrechtsprinzip in Europa, wo es damit bereits Erfahrungen gibt, ist unerlässlich. Europäische Ankläger und Richter sollten sich auf Folterverbrechen in syrischen Gefängnissen konzentrieren. Die Täter könnten in vielen europäischen Staaten auf Grundlage der Konvention gegen die Folter strafverfolgt werden, weil sie diese unterzeichnet haben. Dasselbe gilt für Strafverfolgung von Tätern, die sich der brutalen, herabwürdigenden Bestrafung schuldig gemacht haben. Auch dies deckt die Konvention ab. Alle europäischen Staaten haben sie unterzeichnet – 2004 sogar Syrien.

Vor wenigen Tagen hat das ECCHR zu diesem Thema einen Workshop veranstaltet, an dem viele syrische Organisationen teilgenommen haben, die sich mit der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beschäftigen und Aussagen von Gefangenen sammeln. Auch verschiedene europäische und internationale Organisationen haben sich beteiligt. Dabei ging es vor allem um die Frage der Zuständigkeit europäischer Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip. Wir haben die Vorteile und Techniken erörtert, aber auch, welche Risiken und Herausforderungen sich daraus ergeben würden.

Tatsächlich gibt es Hunderte von Opfern, Zeuginnen und Zeugen der schlimmsten Verbrechen unter den syrischen Flüchtlingen, die in Europa Asyl beantragt haben. Deutschland hat den größten Anteil derer aufgenommen, die allen möglichen Arten von Misshandlungen von allen Seiten und allen Parteien des Konflikts in Syrien ausgesetzt waren. Und auch einige Täter dürften unter den Geflüchteten sein.

Die Frage ist nun, wie gewillt die europäischen Staaten sind, sich der Strafverfolgung syrischer Tätern anzunehmen. Sie stellt sich insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich bisher fast alle Verfahren gegen Täter richten, die als islamische Extremisten betrachtet werden und die dann nach „Terrorismusstrafrecht“ verfolgt werden. Gleichzeitig wird weitgehend davon absehen, strategisch jene zu verfolgen, die für die Menschenrechtsverletzungen in Syrien die größte Verantwortung tragen. Doch nur, wenn auch mächtige Täter in Syrien mit Strafverfolgung rechnen müssen, lässt sich das derzeit im Land herrschende Klima der Straflosigkeit verändern.

Das entsprechende Spezialreferat beim Generalbundesanwalt in Deutschland ist eigentlich in einer guten Ausgangsposition für die Verfolgung der Hauptverantwortlichen. Das Völkerstrafgesetzbuch ermöglicht nicht nur die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen und Deutschland ist auch eines der wenigen Länder in Europa mit einem „reinen“ Weltrechtsprinzip, wonach es für die Strafverfolgung keine Verbindung zwischen Deutschland und den in Syrien begangenen Menschenrechtsverletzungen geben muss. Meine syrischen Kolleginnen und Kollegen und ich hoffen daher, dass Deutschland sich daran beteiligt, systematisch die menschenverachtende Gewalt in Syrien aufzuarbeiten.