Eine rationale, aufgeklärte Menschenrechtspolitik stößt angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in der Welt oft auf Schwierigkeiten: Für wen sollte man sich wie einsetzen, ohne dass man die Komplexität einer Situation unterschätzt? Wie vermeidet man es, instrumentalisiert zu werden oder Applaus von denen zu bekommen, mit denen man so gar nichts am Hut hat? Das Recht, zumal das internationale Recht, kann eine Orientierung bieten: Es definiert rote Linien, die Akteure auch dann nicht überschreiten dürfen, wenn sie für sich in Anspruch nehmen, demokratische Rechtsstaaten zu sein oder humanitäre Ziele zu verfolgen. Die westlichen Staaten, insbesondere die USA, haben diese rechtlichen Gebote im Namen der Terrorismusbekämpfung in den Jahren seit 2001 oft und an verschiedenen Orten gebrochen und niemand konnte ihnen rechtlich Einhalt bieten. In den Bush-Jahren wurden systematisch und massiv Gefangene gefoltert und misshandelt, ohne dass bis heute diese Sachverhalte aufgeklärt und die Betroffenen angemessen entschädigt worden wären. Präsident Obama ist vor allem wegen der kontinuierlichen Ausweitung der – naja, mehr oder weniger – gezielten Tötungen durch Drohnen in der Kritik.
Ein großer Teil der Drohnenangriffe trifft Afghanistan und Pakistan, eine Region, wo bewaffnete Konflikte herrschen und das Humanitäre Völkerrecht viel erlaubt, wenn es um die Tötung von Kombattanten geht. Das genau war auch bisher das Problem in den Fällen, in denen sich die deutsche Justiz mit Drohnenangriffen beschäftigen musste. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hatte in Ermittlungsverfahren wegen der Tötung deutscher Staatsangehöriger in Pakistan zu prüfen, ob die von den USA dort geführten Angriffe deutsches Strafrecht verletzten. In bislang einem Fall kam der Generalbundesanwalt zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war; die Anwälte der betroffenen Familie und meine Organisation haben dies stark kritisiert. Doch andere Länder wie Jemen, fernab dieser Kriege, sind ebenfalls Schauplätze von Drohnenangriffen, wobei dort keinerlei völkerrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit wie im Falle Afghanistan/Pakistan besteht.
Darum geht es jetzt in der Klage, die eine jemenitische Familie beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesverteidigungsministerium, eingereicht hat. Die Familie lebt in der Region Hadramaut, in der regelmäßig Drohnenangriffe geflogen werden, zwei Angehörige sind bereits getötet worden, andere leiden unter schweren Traumata. Alle machen sich Gedanken darüber, ob man den Weg zum Arzt in die nächste Stadt oder auch einfach nur Familienfeiern wagt, weil die Gefahr von Angriffen besteht. Das Geräusch der über der Region kreisenden Drohnen kennen und fürchten – wie auch in Pakistan – mittlerweile alle, selbst kleinere Kinder. In den USA haben die Betroffenen kaum Möglichkeiten zu klagen, so dass die Familie, mit Unterstützung der britischen Organisation Reprieve und meines Berliner Zentrums, des ECCHR, nunmehr deutsche Gerichte anruft. Deutsche Gerichte deswegen, weil auch deutsches Territorium für die Vorbereitung und Durchführung der Angriffe genutzt wird, namentlich der US-Militärstützpunkt Ramstein. Die Bundesregierung lässt bisher klare Äußerungen vermissen, behauptet, den Sachverhalt nicht wirklich zu kennen. Nun wird sie gezwungen sein, sich im Verwaltungsgerichtsverfahren damit auseinanderzusetzen. Das Gericht wird die Regierung hoffentlich dazu anhalten, die rechtswidrigen Tötungen von deutschem Boden aus zu unterbinden.
Und ja: Natürlich machen wir uns angesichts der dramatischen Lage im Irak und in Syrien Gedanken darüber, gerade jetzt gegen die Drohnenangriffe vorzugehen. Uns ist klar, dass im Nahen und Mittleren Osten viele andere Akteure die Menschenrechte verletzen. Dennoch erwarten wir von der Bundesregierung und den USA, dass auch sie die rechtlichen Standards, die sie selbst geschaffenen haben, akzeptieren, gerade weil diese sonst vollends erodieren.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.