Was über jemanden gesagt wird, verrät mitunter mehr über denjenigen, der es sagt. So verhält es sich im Moment mit den beiden großen argentinischen Tageszeitungen Clarín und La Nación, die zusammen fast über ein Monopol verfügen. Wenn diese beiden Blätter über den Tod des argentinischen Staatsanwaltes Alberto Nisman am 14. Januar dieses Jahres berichten, erfahren wir kaum etwas. Vielmehr beweisen die Artikel, dass die Verfasser wenig ernsthaft um Aufklärung bemühte, an einem Ethos orientierte Journalisten sind, sondern vielmehr Teil einer politischen Kampftruppe, die die Botschaften der Rechten nachbeten oder gar formulieren.
Im Herbst 2015 wird in Argentinien gewählt. Die amtierende Präsidentin Cristina Kirchner kann nicht noch einmal kandidieren. Doch ihrer politischen Formation, den Linksperonisten, werden die besten Chancen vorausgesagt. Die Basis der Wähler, die in den vergangenen zehn Jahren von der Politik der Regierung des Präsidentenehepaars Kirchner profitiert haben, ist groß – zuletzt waren es etwa die Rentner. Die politische Opposition ist hingegen zersplittert, kann mit ihrem Programm nicht überzeugen und ergreift daher jede Möglichkeit, um die Präsidentin zu diskreditieren. So weit die Ausgangslage.
Nun kann man Kirchner gewiss nicht attestieren, in der Affäre Nisman klug zu agieren. Sie hätte zum Beispiel erklären können: „Argentinien hat eine ordentliche Justiz, wir sollten darauf vertrauen, dass diese sorgfältig und in Ruhe ermittelt.“ Stattdessen kommentiert sie in aller Länge und mitunter widersprüchlich die bisherigen Ergebnisse.
So weit, so schlecht und traurig der Zustand der politischen Kultur in Argentinien, wo die Polarisierung zwischen unbedingter Zustimmung und unbedingter Ablehnung der Regierung extrem stark ist.
Aber was machen eigentlich die deutschen Medien, wie lässt sich bewerten, was deutsche Berichterstatter uns über die Lage in Argentinien mitteilen? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung positioniert sich am deutlichsten: Der Versuch der Kirchner-Regierungen, sich durch politische Maßnahmen aus der ökonomischen Umklammerung zu befreien, die das Land in der Wirtschaftskrise 2001/2002 an den Rande des Abgrundes trieb, habe dem Land „vermutlich mehr geschadet als alle anderen Unzulänglichkeiten seiner Gesellschaft“, heißt es dort. Und weiter: „Der Linkspopulismus, der das Land und andere Teile Lateinamerikas ins Unglück gestürzt hat, findet auch in Europa immer mehr Zuspruch, siehe Spanien und Griechenland.“
Das schreibt die Zeitung, die sich kurz nach dem Militärputsch 1976 „Hoffnung auf positive Veränderung“ machte und schändlich schwieg, als die argentinischen Militärs Zehntausende umbrachten. Stattdessen zelebrierte die FAZ damals die wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Diktatur.
Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung? Haben ihre Reporter aus Buenos Aires abgezogen und übernehmen in ihrer lustlosen Berichterstattung den Tenor der rechten Kampftruppen von Clarín und La Nación: Die Präsidentin steht vor der Anklage, sie entgeht der Anklage, ihr droht die Anklage und der Haftbefehl stand bevor. Keine eigenen Recherchen, die Hintergründe bleiben ausgespart. Und die taz, die immerhin einen Mann vor Ort hat? Schreibt Stimmungsberichte über Demonstrationen der mittelständischen Wutbürger.
Es bleibt Horacio Verbitsky vorbehalten, einem von der deutschen Presse weitgehend unbeachteten argentinischen Journalisten, der diese Berufsbezeichnung wirklich verdient, in der New York Times in wenigen Worten zu verdeutlichen, dass die angebliche Anklage des Staatsanwaltes Nisman juristisch wenig werthaltig ist.
Das übrigens bestätigen in Argentinien alle seriösen Juristen und mittlerweile auch der Richter Daniel Rafecas in seiner Entscheidung aus der vergangenen Woche, „nicht einmal minimale Anhaltspunkte für eine Anklage“ gebe es.
Und der angebliche Deal, für den Nisman die Präsidentin und andere vor Gericht stellen wollte: Die Rücknahme von Haftbefehlen gegen iranische Attentatsverdächtige im Tausch für iranisches Öl? Das Öl ist für argentinische Raffinerien unbrauchbar. Darüber hinaus stellte der Interpol-Chef im direkten Widerspruch zu Nisman öffentlich klar: Die betreffenden Haftbefehle sind ebenso in Kraft wie die Fahndungsersuche bei Interpol.
Das Fazit ist für mich eindeutig: Die Argentinien-Berichterstattung in Deutschland ist ein politisches Desaster.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.