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Mansur ist kein Einzelfall

 

Zwei Tage Gefängnis in Deutschlands Hauptstadt, das hört sich nicht so schlimm an – angesichts der Haftbedingungen, die an anderen Orten der Welt herrschen. Doch wer einmal die Untersuchungshaftanstalt von Berlin-Moabit von innen gesehen hat, möchte dort trotzdem keine Stunde in einer Zelle eingesperrt sein; ich habe mit Leuten gesprochen, denen schon ein Tag in Haft erheblich zugesetzt hat. Man sollte sich daher nicht von dem Lächeln des ägyptischen Journalisten Ahmed Mansur täuschen lassen, als dieser am Montag aus dem Gefängnis trat. Der Schaden ist angerichtet.

Und das Schlimme: Mansur ist kein Einzelfall. Er hatte bloß das Glück, dass ihn sein Arbeitgeber, der Fernsehsender Al-Dschasira, sowie Menschenrechtsorganisationen seit seiner Festnahme am Samstagabend am Flughafen Berlin-Tegel massiv unterstützten und auf seine Freilassung drängten. Andere haben nicht solches Glück und immer wieder geht es um Ausschreibungen zur Fahndung von Interpol: So wurde der in der Schweiz unter anderem wegen erlittener Folter anerkannte politische Flüchtling Muzaffer Acunbay bei einem Griechenland-Urlaub im Juni 2014 aufgrund eines türkischen Haftbefehles festgenommen, und das obwohl er sich vorher erkundigt hatte, ob ihm Gefahr drohe. Erst in der zweiten Instanz entließ ihn ein griechisches Gericht im Februar 2015.

Im November 2013 schilderte die angesehene britische Bürgerrechtsorganisation Fair Trials International in einem langen Bericht nicht nur Fälle von Missbrauch des Interpol-Systems durch autoritäre Staaten, die Organisation legte auch zahlreiche Lösungsvorschläge vor. Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete vor einigen Monaten über das Problem politischer Verfolgung unter dem Deckmantel transnationaler Zusammenarbeit. Das ist zum Beispiel der Fall Abdul Al-Mahouzi: Der bahrainische Menschenrechtsaktivist wurde aufgrund eines Haftbefehls in seiner Heimat im Juli 2014 am Flughafen Frankfurt festgenommen. Erst nach zwei Wochen kam er frei. Die Interpol-Fahndung hatte jeder Grundlage entbehrt, ein Gericht in Bahrain hatte Al Mahouzi längst freigesprochen.

Keine Überraschung also, der Fall Mansur, jedenfalls nicht für halbwegs gut informierte Zeitungsleser. Haben die deutschen Polizeibehörden und die Regierung diese Berichte und Artikel nicht gelesen?

Im Fall Mansur wiegt besonders schwer, dass selbst Interpol eine Ausschreibung zu dessen Inhaftierung bereits abgelehnt hatte, die deutschen Behörden sich aber darüber hinwegsetzten. Warum, haben bisher weder das Auswärtige Amt noch das Bundesjustizministerium wirklich überzeugend erklären können.

Die Auslieferung des kritischen Journalisten nach Ägypten war offenkundig ausgeschlossen – auch nach deutschem Recht. Er hätte also überhaupt nicht festgenommen werden dürfen. Als es dennoch passierte, hätte schnellstmöglich, und nicht erst nach zwei Tagen, auf Freilassung entschieden werden müssen.

Muss sich jemand für diesen Fehler verantworten? Es sieht nicht danach aus – und das ist Teil des Problems. Das Bundesjustizministerium und alle anderen beteiligten Instanzen müssen jetzt schleunigst Maßnahmen ergreifen, um das Interpol-System und dessen Umsetzung in Deutschland nach menschenrechtlichen Standards zu reformieren.