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Wer bestimmt die Arbeitsbedingungen der Textilindustrie Südasiens?

 

Diese Woche dreht sich bei uns im ECCHR viel um die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Südasiens, um die Fabriken, die für den deutschen Markt produzieren. Einen Augenblick dachte ich, dass ich hier noch einmal über das dringende Problem der rechtsradikalen und rassistischen Attacken in Deutschland und über die Situation der Flüchtlinge schreiben sollte. Tatsächlich aber hängen beide Themenkomplexe enger zusammen, als viele hierzulande wahrhaben wollen. Wir müssen über die Globalisierung reden, über ihre verschiedenen Teilaspekte. Vor allem müssen wir lernen, über den nationalen Rahmen hinaus europäisch und global zu agieren – wenn es um Flüchtlinge geht, ebenso wie wenn es um die weltweite Wirtschaftskrise geht.

Die Globalisierung der Weltwirtschaft hat zu einer De-Industrialisierung in den nordatlantischen Staaten geführt, wie Sven Beckert in seinem Buch King Cotton beschreibt. Zu sehen ist das vor allem in der Baumwoll- und Textilindustrie, wo die historische Arbeiterbewegung bessere Arbeitsbedingungen erkämpft hat. Damit stiegen die Kosten für Löhne und dies führte dazu, dass sich dieser Fortschritt nun gegen sie wendet. Die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Textilindustrie in Südasien leiden demgegenüber unter vielen Mängeln, nicht zuletzt der Sicherheit in den Fabriken. Bei Bränden wie dem bei Ali Enterprises im September 2012 in Karachi (Pakistan) oder beim Zusammenbruch des Rana-Plaza-Fabrikkomplexes im April 2013 in Dhaka (Bangladesch) haben Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihrem Leben für die Kleidung europäischer Hersteller bezahlt.

Darüber sprechen diese Woche zwei Protagonisten aus Pakistan und Bangladesch auf unterschiedlichen Foren in Berlin: Mahmudul Hasan Sumon gehört zu einer Gruppe aktivistischer Anthropologen und beschreibt, wie seine Mitstreiter und er nach einem Fabrikbrand erst einmal eine Aufgabe übernahmen, die dem Staat obliegen würde, dieser sie aber nicht erfüllte: Es musste eine Liste der unter den Trümmern des Gebäudes begrabenen Arbeiterinnen und Arbeiter erstellt werden. Ali Karamat, Gewerkschaftsaktivist aus Karachi, spricht gar von einem „Verschwinden“ des Staates und führt dies auch auf die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den 1980er Jahren zurück. Damals forderte der IWF als Auflage für Kredite an Pakistan massive Einsparungen im staatlichen Bereich sowie die Deregulierung des Arbeitsmarktes, unter anderem durch Beschneidung der Arbeitsschutzgesetze. Sparmaßnahmen und Deregulierung waren Mit-Ursachen der tödlichen Ereignisse der vergangenen Jahre, die keine Naturkatastrophen waren, wie beide betonen, sondern von Menschen gemachte Desaster. Beide Aktivisten fordern eine Wiederherstellung von Staatlichkeit in ihren Ländern, freilich nicht die der autoritären Militärregime vergangener Tage, vielmehr demokratische Staaten.

Interessant wird es, wenn Sumon und Karamat über die westlichen Nichtregierungsorganisationen sprechen, die in ihren Ländern aktiv sind. Beide sind so freundlich, deren – also auch unser – Engagement nicht offen zu kritisieren. Aber sie wenden sich gegen die „NGOisierung der Welt“ und betonen, dass bestimmte Aufgaben wie sichere Arbeitsplätze oder das Herstellen rechtlicher Verantwortung genuin staatliche Aufgaben sind. Daneben sind aus ihrer Sicht vor allem starke Gewerkschaften wichtig, um nach Fabrikbränden und -zusammenstürzen über ad-hoc-Reaktionen hinaus langfristig für sichere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Wie aktuell die Debatte ist, zeigt die Zivilklage, die vier Betroffene des Fabrikbrandes bei Ali Enterprises vor dem Landgericht Dortmund gegen den deutschen Textildiscounter KiK eingereicht haben und die das ECCHR gemeinsam mit medico international unterstützt. In der Klageerwiderung, die KiK diese Woche eingereicht hat, weist das Unternehmen die Entschädigungsansprüche vehement zurück. KiK weist einmal mehr darauf hin, dass der Verhaltenskodex, den sich die Firma gegeben hat, ausschließlich „ethisch motiviert“ sei und keinerlei rechtliche Verbindlichkeit habe – eine folgenlose Moral also, die sich die KiKs dieser Welt auf die Fahnen schreiben. Damit belegt der Discounter aus Bönen einmal mehr – wenn auch unfreiwillig –, warum die Zivilgesellschaft in Deutschland, die Gewerkschaften und die Betroffenen in Bangladesch und Pakistan zu Recht verbindliche Normen und staatliches Eingreifen fordern.