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Warum wir das Weltrechtsprinzip brauchen

 

Madrid. Seit zwei Tagen diskutieren wir im Teatro Goya über das Weltrechtsprinzip. Baltasar Garzón, der stets umstrittene ehemalige Richter und heutige Rechtsanwalt (unter anderem von Julian Assange), hat zu einer Konferenz über universelle Jurisdiktion geladen, also die Idee, dass nationales Strafrecht auch anwendbar sein kann, wenn die Straftat keinen direkten Bezug zu diesem Land hat. Madrid, das ist der Ort, wo vor knapp 20 Jahren die Hoch-Zeit der Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip begann, wo die Diktatoren der Welt vor Gericht gestellt wurden, lange bevor der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnahm.

Zunächst ging es vor allem um Fälle aus den ehemaligen spanischen Kolonien in Lateinamerika, mit einem spektakulären Höhepunkt am 16. Oktober 1998: Garzón, damals Ermittlungsrichter, verfügte die Festnahme des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London. Pinochet selbst wurde zwar niemals verurteilt, verbrachte er immerhin ein Jahr in Haft und unter Arrest. Am Ende kehrte er als geschlagener Mann zurück nach Chile, wo ihm, seiner Familie und seinen Schergen der Prozess gemacht wurde. Ähnlich erging es danach im benachbarten Argentinien den in den 1970er Jahren herrschenden Militärs. Juristen sprechen seitdem vom „Pinochet-Effekt“: Die Verfahren in Europa führten zwar nur zu wenigen Verurteilungen auf unserem Kontinent, bewirkten jedoch im Zusammenspiel mit dem permanenten Druck der Menschenrechtsbewegungen in den jeweiligen Ländern, dass sich dort die blockierten Rechtswege öffneten und ein Ende der Straflosigkeit begann.

So weit, so verheißungsvoll. Doch was in El Salvador und Guatemala noch einigermaßen funktionierte, läuft im Falle von Gaza, Guantánamo und Tibet heute nur noch sehr schleppend. Immer wieder und immer lautstärker beschweren sich die Staaten, dass die spanische Justiz wegen Menschenrechtsverletzungen gegen ihre Staatsbürger ermittelt.

Proteste für Baltasar Garzón
Januar 2012: Unterstützer von Baltasar Garzón demonstrieren in Madrid

Und Garzón? Er ist seit Frühjahr 2010 vom Richteramt suspendiert. Ausgerechnet während der Untersuchungen der Verbrechen der Franco-Ära brachte ihn der Vorwurf der Rechtsbeugung zu Fall. Ausgerechnet deshalb, weil Politiker aus dem globalen Süden immer wieder und zu Recht kritisieren, dass die europäischen Staaten sich vornehmlich mit den Menschenrechtsverletzungen in den ehemaligen Kolonien beschäftigen, statt sich der der eigenen Verbrechen anzunehmen. Garzón meinte es immer ernst mit der Gleichheit vor dem Gesetz. Mithilfe republikanischer Veteranen, deren Familienangehörigen und einer jungen Geschichtsbewegung wollte er in Spanien das gerichtlich aufklären lassen, was heute noch möglich ist – den Verbleib von vielen Verschwundenen und die Identifizierung von in Massengräbern verscharrten Opfern. Das alleine wäre es wert gewesen.

Doch genau das verhinderten die Konservativen in Spanien bis heute. Garzón wurde selbst zum Angeklagten. Für ihn, den oft arrogant auftretenden und die Strafgesetze sehr weit auslegenden Richter, war das eine neuartige Erfahrung, wie er mir kurz vor seiner Hauptverhandlung gestand. Er wisse nicht, was ihm genau vorgeworfen werde; und egal, wie er aussage, ihm werde es zum Nachteil gereichen.

Was Garzón für sich selbst voraussah, das erleben Angeklagte tagtäglich auf der ganzen Welt, und es untermauert, warum das Recht auf ein faires Verfahren ein so bedeutsames Menschenrecht ist. Mehr als nur pikant ist überdies, dass später ausgerechnet Garzóns Fehlverhalten in dem großen Korruptionsverfahren gegen die damals regierende Partido Popular in Valencia zu seiner Verurteilung führte. Denn die gigantische Verschwendung und Korruption der Eliten Spaniens ist eine Ursache für die heutige soziale und ökonomische Misere des Landes.

Vor diesem Hintergrund wird es in Madrid auch darum gehen, jene couragierten Richter, Staatsanwälte und Anwälte in Spanien zu stärken, die trotz vieler Gesetzesänderungen daran festhalten, weiterhin zu Tibet oder Guantánamo zu ermitteln.

Wirklich erfolgreich wären wir allerdings, wenn sich daraus eine europäische und weltweite Praxis entwickelte und Spanien, das bislang einzige Land, welches das Weltrechtsprinzip konsequent anwendet, sich nicht alleine mit dem daraus resultierenden politischen und ökonomischen Druck aus China und den USA herumschlagen müsste.

Auf die Bundesregierung wird dabei wenig Verlass sein – das wissen wir nicht zuletzt aus der bemerkenswert feigen Umgangsweise mit den Enthüllungen und der Person Edward Snowdens.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.