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Trittbrettfahrer des Terrors

 

Jetzt sind sie wieder unterwegs, die Trittbrettfahrer des Terrors: Jene, die ihr reaktionäres Gedankengut von Abschottung und Identität ebenso wie die Gesetze zur inneren Sicherheit schon lange in ihren Schubladen liegen haben. Nach den Anschlägen von Paris sehen sie die Zeit gekommen, ihre Vorstellungen durchzusetzen.

Schon vor den Attentaten war es kaum möglich, eine rationale Diskussion über Migration zu führen, doch es gibt keine Alternative. Migration gab es, gibt es und wird es geben. Laut UN-Flüchtlingswerk waren allein 2014 geschätzt 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, doch anders als derzeit suggeriert wird, bleiben neun von zehn Flüchtlingen in ihren Regionen, das heißt in Ländern der sogenannten Dritten Welt, nur etwa jeder Zehnte macht sich auf den weiten Weg. Die Frage ist, wie Deutschland und Europa mit diesen Menschen umgehen.

Viel Törichtes ist in den letzten Jahren ausprobiert worden: Grenzen wurden dicht gemacht, möglichst hohe Zäune mit möglichst scharfem Stacheldraht wurden an den EU-Außengrenzen errichtet, doch all das hat nicht funktioniert. Das EU-Grenzregime bringt nur Schaden – allen voran für die Flüchtenden. Aber für die meisten der rassistischen und populistischen Politiker der Abschottung zählt ohnehin nur der Schein von Politik.

Also wird einmal mehr versucht, das Problem auszulagern, zu „externalisieren“, wie es in Politikersprech heißt. Dieses Mal sollen nicht die südlichen EU-Staaten die Last tragen, sondern die Staaten Afrikas. Zwei Tage vor den Anschlägen in Paris trafen beim afrikanisch-europäischen Flüchtlingsgipfel in La Valetta (Malta) die Vertreter der EU auch zahlreiche Abgesandte autokratischer Staaten. Die EU sprach also genau mit denen, die einen erheblichen Teil der Schuld daran tragen, dass Menschen aus Afrika Richtung Norden fliehen, zum Beispiel aus dem Sudan, Eritrea, Ägypten. Mit ihnen wurde darüber verhandelt, wie die Europäer Flüchtlinge künftig leichter abschieben können, wie Auffanglager für Flüchtende auf dem afrikanischen Kontinent errichtet werden können. Als ob die jüngste Vergangenheit nicht eindringlich belegt hätte, wie menschenverachtend und deswegen auch wie wenig stabil diese Unrechtsregime sind. Letztlich wird Europa die Folgen dieses politischen Zusammenbruchs tragen.

Wie viel mehr Sinn würde es machen, die Zivilgesellschaften im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika zu stärken, statt mit dem Verkauf von Waffen und Überwachungstechnologie die Konflikte dort zu befeuern und zur Unterdrückung demokratischer Opposition beizutragen. Immer wieder heißt es, auch die Fluchtursachen müssten bekämpft werden. Doch welcher Politiker spricht je davon, dass zur Schaffung lebenswürdiger Bedingungen auf der ganzen Welt auch eine faire Weltwirtschafts- und Handelspolitik gehören?

Und dann sind da noch die vielen Menschen, die sich bereits in Europa aufhalten – die wird man nicht durch Abschottung und auch nicht durch verschärfte Sicherheitsgesetze los. Für diese Schutzsuchenden müssen alle menschenrechtlichen Standards gelten. Das Recht auf Asyl darf nicht – wie einige Rechtsnihilisten vorschlagen – unter den Vorbehalt des Machbaren gestellt werden. Standards einhalten, das bedeutet in erster Linie, den Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Akteure Einhalt zu gebieten, das bedeutet keine weitere Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten wie in Spanien, Ungarn, Kroatien oder Bulgarien. Nicht zuletzt müssen die Staaten Europas die Geflüchteten menschenwürdig unterbringen und auch für ausreichenden Schutz vor Angriffen auf Leib oder Leben durch Neonazis und ähnlich Gesinnte sorgen.