Vor vierzig Jahren, am 24. März 1976, übernahm in Argentinien eine Militärjunta unter Führung des Generals Jorge Rafael Videla nach einem Putsch auch formal die Macht in dem lateinamerikanischen Staat. Bereits in den Jahren zuvor hatten Videlas Schergen Hunderte von Oppositionellen extralegal hinrichten und foltern lassen. Im Namen des Antikommunismus und der Guerillabekämpfung begann eine der blutigsten Militärdiktaturen des vergangenen Jahrhunderts, die an ihrem Ende 1983 geschätzt 30.000 Menschen ermordet hatte beziehungsweise zwangsweise verschwinden ließ.
Eine ernst zu nehmende bewaffnete Guerillabewegung gab es zum Zeitpunkt des Militärputsches bereits nicht mehr, sie war in den Jahren zuvor aufgerieben worden. Die massive Repression traf daher SchülerInnen und StudentInnen, AnwältInnen und JournalistInnen. Vor allem musste aber die starke Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung Argentiniens einen hohen Blutzoll zahlen, sie stand der neoliberalen Umgestaltung des Landes, welche die Militärjunta gemeinsam mit der Wirtschaftselite vorantrieb, im Wege.
Die westlichen Staaten und Unternehmen spielten angesichts dieser und der anderen Diktaturen im Süden Amerikas eine verhängnisvolle Rolle, wie ja auch zuletzt die Diskussion um die deutsch-chilenische Sektensiedlung Colonia Dignidad zeigte. Der damalige deutsche Botschafter Jörg Kastl in Buenos Aires kommentierte in Depeschen an das Auswärtige Amt das Geschehen. Seine Einschätzungen belegen, wie sehr und wie lange „Das Amt“ nach Ende des Zweiten Weltkrieges von autoritären Ideologien durchsetzt war. So schrieb der Diplomat: Das „Eingreifen“ der Militärs in Argentinien, einem „Eckpfeiler im erweiterten transatlantischen Sicherheitsgefüge, Absatzmarkt und Rohstofflieferant, Heimat vieler deutscher Siedler und Vermögen und stets ein treuer Freund unseres Volkes“, biete den „einzig gangbaren Weg aus der Sackgasse“. Die FAZ und andere Medien lobten die Regierung der Militärs, weil sie den Zufluss neuen Kapitals ermutige, und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages Otto Wolff von Amerongen fand den Wirtschaftsminister der Junta der Bewunderung, des Lobes und der Nachahmung würdig.
Diese Zeiten sind vorbei und in Argentinien hat sich seit dem Ende der Diktatur viel getan: Wie auch immer man zu den linksperonistischen Regierungen der letzten Dekade unter Nestor und Cristina Kircher stehen mag: Was die Aufarbeitung dieses Menschheitsverbrechen angeht, haben die argentinische Gesellschaft und der argentinische Staat weltweit Einzigartiges geleistet. Denn nicht nur Hunderte von ehemaligen Militärs, Polizisten und Geheimdienstler wurden seit 2005 vor Gericht gestellt und verurteilt. Auch ein erheblicher Teil der Gesellschaft setzte sich auf vielfältigste Weise in Literatur, bildender Kunst, Kino und Theater mit der blutigen Staatsgewalt der 1970er Jahre auseinander. Dabei nutzten Akademiker, Künstler und Aktivisten, die Aussagen der Folterüberlebenden, der Familienangehörigen der „Verschwundenen“ und der sonstigen Zeugen als Material, die Gerichtsverfahren wurden dokumentiert und ausgewertet. Keine Frage: Es hätte noch mehr passieren können, hätte man mehr Ressourcen eingesetzt, dennoch lässt sich die Bilanz der Aufarbeitung sehen.
Noch ist nicht absehbar, ob der neue argentinische Präsident Mauricio Macri die Aufarbeitung von Folter und Verschwindenlassen durch die Justiz gewähren lassen wird. Die Richter und Staatsanwälte sind offenbar dazu bereit. Zwar kommen einzelne Störmanöver aus dem Kreise rechter Ideologen. Doch es wäre wohl ein zu offensichtlicher Eingriff in rechtsstaatliche Prozesse und die Rede vom Schutz der Menschenrechte wäre konterkariert, griffe Macris Regierung direkt ein. Wenig ermutigend sind allerdings die erheblichen Stellenstreichungen im Menschenrechtsbereich, also bei den Menschen die die gesellschaftliche Aufarbeitung der Diktatur in den letzten Jahren maßgeblich mitgetragen haben. Ich bin gespannt darauf, was die Menschenrechtsbewegung und die progressive Öffentlichkeit bei den zahlreichen Veranstaltungen und Demonstrationen in den kommenden Wochen in Buenos Aires und den Provinzen darauf erwidern wird.