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Abschottung, Abschreckung – und Verdrängung

 

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Julia Duchrow. Sie ist Juristin und leitet das Referat Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt.

Aus den Augen, aus dem Sinn – so lautet das Motto, nach dem die EU ihre Flüchtlingspolitik organisiert. Trauriger Höhepunkt dessen ist der Türkei-Deal vom 18. März. Ab sofort schicken griechische Behörden alle Migranten, die über die Türkei irregulär nach Griechenland eingereist sind, kein Asyl oder anderen Schutz erhalten oder in türkischen Gewässern abgefangen wurden, in die Türkei zurück. Die Asylgesuche in Griechenland sollen in Schnellverfahren überprüft werden.

Dabei verbieten aber das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland angesichts des nicht funktionierenden dortigen Asylsystems und der katastrophalen Aufnahmebedingungen. Seit Jahren ist es nicht gelungen, hier Verbesserungen herbeizuführen, die die Rückführung von Schutzsuchenden erlauben würden. Daran hat auch die Einrichtung der sogenannten Hotspots nichts geändert.

In die Türkei abgeschoben werden auch solche Frauen, Kinder und Männer, deren Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden, weil sie aus einem sogenannten sicheren Drittstaat kommen. Als solchen will die EU jetzt die Türkei einstufen. Im Gegenzug werden der Türkei Visaerleichterungen bis Mitte 2016 in Aussicht gestellt. zudem sollen die bisherigen drei Milliarden Euro für die Unterstützung der Flüchtlingsaufnahme sollen schneller verteilt werden. Weitere drei Milliarden Euro soll die Türkei bis 2018 erhalten, wenn sie sich an den Deal hält. Schließlich hat die EU in Aussicht gestellt, für jeden von der Türkei zurückgenommenen Flüchtling einen syrischen Flüchtling aus türkischen Flüchtlingslagern aufzunehmen.

Hier zeigt sich der Zynismus des gefeierten Deals: Nur wenn Menschen die gefährliche Überfahrt über die Ägäis wagen, ist die EU bereit, syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das klammheimliche Kalkül: Gelingt es der Türkei, den Weg über die Ägäis zu versperren, wird auch niemand aufgenommen. Ohnehin ist für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei eine Obergrenze von 72.000 festgelegt. Und ausgeschlossen ist die Aufnahme derjenigen, die versucht haben, irregulär in die EU einzureisen.

Das Prinzip der Abschreckung will es so: Nur diejenigen, die in der Türkei verharren, und von diesen nur die Syrer, haben Aussicht, bei dem Tauschhandel berücksichtigt zu werden. Nicht die Eritreer, die vor einem diktatorischen Regime, nicht die Iraker, die vor dem sogenannten IS und auch nicht die Afghanen, die vor den Taliban geflohen sind.

Dabei verschärft sich die Menschenrechtslage in der Türkei täglich und das Land ist instabil wie selten zuvor. Das türkische Asylsystem ist weit davon entfernt, menschenrechtlichen Standards zu entsprechen. Dem spricht es Hohn, die Türkei als sicher für Flüchtlinge einzustufen. Die Türkei hat einen Vorbehalt zur Genfer Flüchtlingskonvention erklärt: Sie gilt nur für europäische Asylsuchende, nicht für Syrer, Iraker und andere. Diese erhalten nur einen „bedingten“ oder „temporären“ Flüchtlingsstatus. Laut dem Asylrechtsexperten Reinhard Marx entspricht dies nicht dem Schutzniveau der Genfer Flüchtlingskonvention.

Mit diesem Deal hat sich die EU über die ungewöhnlich deutlichen Mahnungen des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, des UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechte der Migranten und des Menschenrechtskommissars des Europarates hinweggesetzt. Ganz so, wie es sich autoritäre Regime wünschen, hat die EU gezeigt, dass sie an der Einhaltung von Menschenrechten nur interessiert ist, solange ihre Interessen nicht betroffen sind.

Statt anzuknüpfen an die große Hilfsbereitschaft weiter Teile der europäischen Gesellschaften, statt die Seenotrettung zu verbessern, statt die Familienzusammenführung zu ermöglichen, statt die unmenschliche Aufnahmesituation an den Außengrenzen der EU zu verbessern, setzt sie auf Abschottung, Abschreckung – und Verdrängung. Aus den Augen, aus dem Sinn eben.