In vielen Ländern geht es heiß her, wenn über das internationale Strafrecht diskutiert wird. Heftig gestritten wird vor allem dort, wo es um die juristische Aufarbeitung von Verbrechen im eigenen Land geht, wie im ehemaligen Jugoslawien, in Argentinien oder Kolumbien; aber auch dort, wo Gerichte sich mit Völkerstraftaten auseinandersetzen müssen, die sich anderswo ereignet haben – wie im vergangenen Jahr in Südafrika, als dort der per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gesuchte sudanesische Präsident Omar al-Baschir zu Besuch war. Oder auch in den vergangenen Jahren in Spanien, wo die konservative Regierung mehrfach Gesetze erlassen hat, um die Zuständigkeit der spanischen Justiz für Morde in Tibet oder Folter im US-Gefangenenlager Guantanamo oder Lateinamerika zu beschränken. Damit schaffte die Regierung in Madrid die in Spanien bisher sehr erfolgreiche Praxis der Universellen Jurisdiktion de facto ab.
Dieser Grundsatz, auch Weltrechtsprinzip genannt, ermöglicht es der nationalen Justiz dritter Staaten, in Fällen von Folter, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann tätig zu werden, wenn kein Bezug zum eigenen Staatsgebiet oder kein Staatsbürger auf Seiten der Täter oder Opfer zu finden ist.
Vor diesem Hintergrund ist es zunächst wohltuend, dass in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch, in dem dieses Prinzip verankert ist, nicht nur seit 2002 gilt, sondern derzeit von praktisch niemandem infrage gestellt wird. Eine Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages zu Beginn dieser Woche verlief entsprechend unspektakulär. Abgeordnete und juristische Experten zogen eine Zwischenbilanz des Völkerstrafrechtes in der Praxis. Im Fokus stand die sehr aufwändige jahrelange Hauptverhandlung vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht, bei der im September 2015 schließlich zwei von Deutschland aus tätige Anführer der exilruandischen FDLR-Miliz wegen der Beteiligung an Verbrechen im Osten der Demokratischen Republik Kongo verurteilt wurden.
Obwohl die Experten jeweils von unterschiedlichen Bundestagsfraktionen vorgeschlagen worden waren – auch ich zählte zu den Angehörten –, waren sich die Juristen im Grundsätzlichen einig. Das ist nicht nur angesichts der Situation in anderen Ländern bemerkenswert, sondern auch, weil bei der letzten ähnlichen Anhörung im Bundestag 2007 Streit herrschte. Insbesondere wir Vertreter von Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Völkerstrafgesetzbuch damals als ein Gesetz ohne Anwendung. Es fehlte eine spezialisierte Abteilung bei der zuständigen Bundesanwaltschaft. Die Bundesanwälte wollten nur aktiv werden, wenn sich ein Verdächtiger länger in Deutschland aufhielt.
Heute nunmehr gibt es eine, wenn auch immer noch zu kleine, Einheit von Staatsanwälten und Ermittlern beim Bundeskriminalamt, und diese werden – ähnlich wie der Internationale Strafgerichtshof – auch vorausschauend aktiv, etwa wenn es Beweise wie Zeugenaussagen zu sichern gilt.
Was gibt es also noch zu kritisieren aus unserer Sicht, die wir mit den Betroffenen zusammenarbeiten?
Die Geschädigten sollten früher und intensiver durch Anwälte betreut werden, etwa als Zeugenbeistand. Und sie sollten bessere Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Einstellung von Verfahren oder die Nichtaufnahme von Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft erhalten.
Vor allem aber muss sichergestellt werden, dass sich die Strafverfahren in Deutschland nicht nur gegen Tatverdächtige aus schwächeren Nationen richten, sondern auch gegen mächtige Menschenrechtsverletzer aus Staaten wie Russland oder den USA. Die Praxis der Doppelstandards im internationalen Strafrecht muss ein Ende finden. Auch transnationale Unternehmen sollten in den Blick genommen werden, wenn sie der Beteiligung an Verbrechen in Afrika oder Lateinamerika verdächtig sind. Bisher wurden europaweit vornehmlich Prozesse gegen Staatsbürger aus schwächeren Nationen geführt – nie gegen hochrangige Militärs aus dem Westen oder gegen Manager globaler Konzerne. Bliebe es dabei, wäre der Anspruch des Weltrechtsprinzips als Mittel zur Durchsetzung universell geltender Menschenrechte nicht glaubwürdig.
Dies mag im Einzelfall zu politischen Konflikten führen. Doch entspräche eine solche Vorgehensweise einer menschenrechtsorientierten und aufgeklärten Außenpolitik, wie sie Deutschland derzeit für sich in Anspruch nimmt.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis zu den Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.