Als wenn es noch nicht ausreichen würde, was wir auf der ganzen Welt an Morden und Misshandlungen zu beklagen haben, geht mit diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit allzu oft auch noch massive sexualisierte Gewalt einher. Und wenn es schon schwierig ist, selbst im Zeitalter internationaler Menschenrechtsverträge und des Internationalen Strafgerichtshof, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, so tun sich bei sexualisierter Gewalt zumeist noch größere Hindernisse in der Strafverfolgung auf.
Uns allen fehlen oft der Blick und das Problembewusstsein dafür. Befreundete, fürwahr engagierte Menschenrechtler berichten etwa aus ihrem Alltag, dass es angesichts der massenhaften Gewalt mitunter einfacher sei, ja gar nicht anders möglich, als erst einmal die Toten zu zählen und die Leichen zu identifizieren, um irgendwo anzufangen. So kommen sie in ihrer Arbeit nicht dazu, mit den oft traumatisierten Opfern dieser so lange nachwirkenden körperlichen und psychischen Drangsalierung zu sprechen, ihre Leiden aufzuzeichnen und gemeinsam mit ihnen zu versuchen, die Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Auch in Deutschland werden Jahr für Jahr etwa 7.500 Vergewaltigungen verzeichnet, die Dunkelziffer gilt als um einiges höher. Gerne arbeiten sich deutsche Medien an den indischen Verhältnissen ab, berichten ausführlich über Vergewaltigungen wie zuletzt die zweier 15-jähriger Mädchen im Bundesstaat Uttar Pradesh. Patriarchale Gewalt pur, das stimmt. Doch notwendig wäre es, auch über das Kastensystem und die Diskriminierung der Dalits, der sogenannten Unberührbaren, als einige der Ursachen für die zunehmenden Vergewaltigungen zu berichten.
Erschreckend sind die Verhältnisse auch in Konfliktgebieten wie Sri Lanka. Dort wurden nicht nur während der Endphase der Bekämpfung der tamilischen Guerilla 2009 Hunderte Frauen vergewaltigt; kaum zu ertragende Bilder des Dokumentarfilms No Fire Zone des britischen Channel 4 zeigen zudem den spektakulären Fall der ermordeten Journalistin Isaippiriya. Auch nach dem Sieg der Regierungsarmee ging das Treiben der Soldateska weiter: Frauen wurden nachts aus Flüchtlingslagern entführt, an Straßensperren der Armee angehalten und misshandelt.
Auch in Kolumbien sind Abertausende Frauen in den letzten Jahren Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Das ECCHR versucht derzeit mit regionalen Organisationen, die Situationen in Sri Lanka und Kolumbien aufzuarbeiten. Doch wir kommen nur in kleinen Schritten voran – zu groß ist die Gefahr für die betroffenen Frauen und ihre Fürsprecherinnen. Immer wieder hören wir, dass Frauenrechtlerinnen vor allem in ländlichen Gebieten gezielt verfolgt und wegen ihres Engagements vergewaltigt werden.
Mehr als überfällig ist daher der Weltgipfel, der diese Woche in London stattfindet. Dort wird unter Federführung des sonst zu Recht vielgescholtenen britischen Außenministeriums ein Protokoll für die Dokumentation und Untersuchung von sexueller Gewalt in Konfliktgebieten diskutiert. Schritte in die richtige Richtung. Das zeigt auch der neueste Bericht der Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof, Fatou Bensouda, die hoffentlich bald die erste Anklage in einem derartigen Fall erheben wird. Kein Grund allerdings für den Westen, sich in einer vermeintlichen zivilisatorischen Überlegenheit zu sonnen. Bis heute wurden die Opfer von Massenvergewaltigungen durch Soldaten der deutschen Wehrmacht und der Kaiserlichen Japanischen Armee weder entschädigt noch die Peiniger vor Gericht gestellt. Und zu kurz ist es her, dass britische und US-Soldaten irakische Kriegsgefangene mit sexuell konnotierten Foltermethoden quälten.
Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.