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Die Überlebenden von Distomo kämpfen um ihr Recht

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Carsten Gericke. Er ist Rechtsanwalt in Hamburg und berät das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Bereich Völkerstraftaten und Rechtliche Verantwortung. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Distomo nimmt er an den aktuellen Gedenkfeierlichkeiten in Griechenland teil.

Argyris Sfountouris war vier Jahre alt, als eine SS-Panzergrenadierdivision am 10. Juni 1944 im Zuge einer „Vergeltungsmaßnahme“ für die Aktionen griechischer Partisanen das griechische Dorf Distomo am Fuße des Parnass-Gebirges überfiel. Die SS metzelte seine Eltern und 30 Verwandte nieder. Insgesamt starben bei dem Massaker von Distomo mehr als 200 Menschen – vor allem Alte, Frauen und Kinder.

Heute, 71 Jahre später, führt uns Sfountouris zum Ort des Geschehens – zu seinem Elternhaus im Ortskern von Distomo, unmittelbar neben dem Rathaus und dem kleinen Museum, in dem der Opfer des Massakers gedacht wird. Danach gehen wir gemeinsam zur Gedenkstätte auf einer Anhöhe über dem Dorf. Hier findet alljährlich die zentrale Gedenkveranstaltung statt. Im kollektiven Gedächtnis haben die Ereignisse vom Juni 1944 bis heute ihren festen Platz, davon zeugt nicht zuletzt die Vielzahl politischer und kultureller Veranstaltungen in diesen Tagen. Weiter„Die Überlebenden von Distomo kämpfen um ihr Recht“

 

Die fragwürdigen Geständnisse von Iguala

Mexiko lässt mich nicht los. In meinen letzten Stunden in der Hauptstadt erlebe ich deren schöne Seite im Park Alameda de Santa María im idyllischen Altstadtviertel Santa María la Ribera. Von den Drogenproblemen rundum ist hier nichts zu spüren: Skater und Fußballer, im Hintergrund ein Gitarrist und neben mir auf der Bank José María Fuentes. Er ist seit 15 Jahren obdachlos und dennoch ein unverbesserlicher Optimist, viel Schönes habe er erlebt, nur wenige schlimme Dinge, er sei zufrieden mit seinem Leben.

Wenig später sitze ich – immer noch frohgemut – im Flugzeug nach Paris, da holen mich mexikanische Zeitungen wieder in die dunkle Realität des Landes zurück. An einem ganz normalen Mittwoch ist La Jornada, ein etwas linkeres Blatt, voll von Ungeheuerlichkeiten: verfolgte Journalisten, rassistische Beamte, Gewalt gegen mittelamerikanische Flüchtlinge, willkürliche Verhaftungen und Foltervorwürfe gegen die Polizei. Und dann ein langer Artikel der Investigativreporter der Zeitschrift Proceso über das Massaker und die seit September 2014 immer noch „verschwundenen“ Studenten aus Iguala im Bundesstaat Guerrero. Die Hauptakteure des Stücks, das sich wenig anders liest als der neueste Roman von Don Winslow, Das Kartell, sind: ein Generalstaatsanwalt, ein Haufen verhafteter Polizisten und „Sicherheitsleute“ – sowie eine deutsche Waffenfirma.

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Kein Ende der Drohnenangriffe via Deutschland

Wir sind nicht naiv. Dennoch hat meine Organisation, das ECCHR, gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Reprieve aus London eine Klage initiiert, die der jemenitische Staatsbürger Faisal bin Ali Jaber und zwei seiner Verwandten wegen der Rolle Deutschlands bei den Drohnennangriffen der USA beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht hat.

Am Mittwoch kam es zur mündlichen Verhandlung und das Verwaltungsgericht Köln entschied, die Klage abzulehnen – aber nicht für unzulässig zu erklären. Weiter„Kein Ende der Drohnenangriffe via Deutschland“

 

Hoffnung für Mexiko

Mexiko-Stadt im Mai 2015. 2008 präsentierte die Regisseurin Christiane Burkhard mit ihrem Film Trazando Aleida dem mexikanischen Publikum ein unbeachtetes Kapitel seiner Geschichte. Burkhard erzählt darin die Geschichte einer jungen Frau, Aleida, die Mitte der 2000er Jahre erfährt, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen sind und darauf aufmerksam wird, dass ihre leibliche Großmutter sie und ihren Bruder sucht. Die Eltern der beiden, so die Aussage der Großmutter, sind „Verschwundene“ in dem schmutzigen Krieg, den auch Mexiko gegen Oppositionelle in den 1970er Jahren führte, die Art der Aufstandsbekämpfung, die wir aus fast allen Ländern Lateinamerikas der damaligen Epoche kennen. Die Filmemacherin geht auf doppelte Suche: Gemeinsam mit Aleida forscht sie nach dem Verbleib ihres Bruders, findet ihn schließlich in Washington, und sie folgen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero den Spuren von Aleidas Eltern, die dort in einer Landguerilla aktiv waren.

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Der Prozess nach dem Völkermord-Urteil

Guatemala-Stadt, 10. Mai 2015: Es ist der zweite Jahrestag des Urteils im Völkermord-Prozess gegen den ehemaligen Militärdiktator Efraín Rios Montt. Neben mir auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung sitzt Edgar Pérez. Der stämmige Rechtsanwalt, ehemaliger Ringer, hat die meisten indigenen Überlebenden und Zeugen in dem historischen Prozess vertreten. Während seiner Rede schwenkt er die Buchausgabe des Urteils von 2013, einen dicken Band, in dem begründet wird, warum die Morde und Massaker, die General Rios Montt und seine Untergebenen an den Maya-Ixil verübten, als Völkermord anzusehen sind – und warum Rios Montt unmittelbare Verantwortung trägt.

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Es geht nicht um „wir gegen die“

Was mich an der aktuellen Debatte um die BND-Affäre so nervt? Es ist der nationalistische Unterton. Natürlich bin ich gegen Überwachung, gegen illegale Praktiken sowieso. Ich kritisiere aber auch vieles, was das Gesetz erlaubt. Wenig interessiert mich dabei, ob meine politischen Mitstreiter oder ich von den deutschen, den französischen oder den US-Geheimdiensten überwacht werden. Mir geht es nicht um nationale Interessen, wenn ich nach den aktuellen Nachrichten, vor allem aber seit den Enthüllungen von Edward Snowden, Aufklärung fordere und dafür eintrete, dass Verantwortliche für ihr Fehlverhalten bestraft werden. Mir geht es um Strukturen, und die ähneln sich verdammt häufig, egal wohin man schaut. Weiter„Es geht nicht um „wir gegen die““

 

Sexuelle Gewalt im Krieg bleibt omnipräsent und ungesühnt

Dieser Tage begeht die Women’s International League for Peace and Freedom in Den Haag den 100. Jahrestag des ersten Frauenfriedenskongresses. Dort hatten sich mitten im Ersten Weltkrieg und allen Widrigkeiten zum Trotz mehr als 1.136 Frauen aus verschiedensten Ländern zusammengefunden, weil sie es nicht ertrugen, „dass Regierungen einzig nackte Gewalt zur Lösung internationaler Konflikte tolerieren“. Die Teilnehmerinnen protestierten zudem gegen das besondere Unrecht, das Frauen in Kriegszeiten angetan wird: „die entsetzlichen Vergewaltigungen, welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind“.

Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten – dieses Thema ist bis heute akut. Zwar, so betonte die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, diese Woche in Berlin, wurden seit der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 und der Pekinger Frauenrechtskonferenz 1995 wichtige internationale Abkommen und nationale Gesetze zum Schutz von Frauen geschaffen. Menschenrechte sind inzwischen auch Frauenrechte. Und m internationalen Strafrecht wurde sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Aber erst heute beginnen mutige Frauen wie die Sexsklavinnen der Japaner im Zweiten Weltkrieg oder die Überlebenden aus Jugoslawien und Ruanda das Schweigen über massenhaft verübtes Unrecht zu brechen.

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Aufarbeitung mit langem Atem

Vergangene Woche in Washington: Die American Society for International Law tagt in einem Hotel am Capitol Hill, also im politischen Zentrum der Stadt. Hier treffen sich die international orientierten Juristen aus der Regierung, aus großen Wirtschaftskanzleien, von Universitäten und Menschenrechtsorganisationen. Gleich mehrere Podien beschäftigten sich mit den Menschenrechtsverletzungen der USA im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001. Auch ich soll dazu vortragen. Thema unserer Diskussion sind die Gerichtsverfahren wegen dieser Rechtsbrüche außerhalb der USA.

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Thomas Middelhoff ist nicht der einzige Häftling, der leidet

Warum bedarf es eigentlich eines Thomas Middelhoff oder eines Uli Hoeneß, damit sich eine breitere Öffentlichkeit für das Innenleben deutscher Gefängnisse interessiert? Es wäre schön, wenn nicht nur Voyeurismus dieses Interesse leiten würde. Schön wäre es zudem, wenn das Interesse sich auch auf die Schicksale der weniger prominenten Häftlinge erstrecken würde, der Zehntausenden von Untersuchungs- und Strafhäftlingen. Auch die Zustände in anderen geschlossenen Einrichtungen wie den Alters- und Pflegeheimen oder in der Psychiatrie finden nur selten große Aufmerksamkeit. Man horcht nur hin, wenn Spektakuläres passiert. Also will ich diese rare Gelegenheit nutzen.
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