Immerhin: Das Untersuchungsgericht in Paris (Chambre de l’instruction de la Cour d’appel) hatte ihn zum 1. März vorgeladen, den ehemaligen Kommandeur des US-Gefangenenlagers Guantanamo, Major General Geoffrey Miller. Miller, einer der bekanntesten Promoter der Folter von Terrorverdächtigen, sollte zu eben diesem Thema in Frankreich aussagen. Denn dort läuft seit über zehn Jahren ein Ermittlungsverfahren, weil zu Millers Zeiten in Guantanamo auch die mittlerweile heimgekehrten französischen Staatsbürger Nizar Sassi und Mourad Benchellali misshandelt wurden. Wie in vergleichbaren Fällen in Spanien, Großbritannien und Deutschland besteht kein Zweifel daran, dass europäische Gerichte sich mit den Folterverbrechen von US-Armee und CIA befassen können, ja: zu befassen haben.
Miller erschien nicht zum Gerichtstermin – keine wirkliche Überraschung. Das Verfahren in Frankreich ist damit aber keineswegs beendet. Dafür werden unsere französischen Kooperationsanwälte sorgen.
Allerdings haben Menschenrechtsanwälte und -organisationen derzeit mit der Situation im eigenen Land alle Hände voll zu tun. Denn der Notstand, den Frankreich nach den Anschlägen von Paris im November 2016 ausgerufen und im Februar 2016 verlängert hat, ist nicht nur ein abstraktes Problem: Hunderte Personen wurden verhaftet und unter Hausarrest gestellt – und wie so oft wird das Label Terrorismus auch gerne gegen unliebsame Protestler genutzt. Im Dezember 2015 beispielsweise wurden der Klimaaktivist Joel Domenjoud und 25 weitere Menschen vor dem Klimagipfel in Paris unter Arrest gestellt – mit der Auflage, sich dreimal täglich bei der Polizei zu melden.
Ebenso menschenrechtswidrig wie Guantanamo
Auch Guantanamo ist in den vergangenen Wochen wieder ins Gespräch gekommen. Auf der Zielgeraden seiner Amtszeit startete US-Präsident Barack Obama gerade einen neuerlichen Versuch, das Folterlager zu schließen. Für die 34 Gefangenen, die selbst die US-Regierung inzwischen nicht mehr für gefährlich hält, könnte dies endlich die Entlassung nach über zehn Jahren unrechtmäßiger Haft bedeuten. Wenn sich denn endlich Staaten finden, die zu ihrer Aufnahme bereit sind. Die anderen 57 Guantanamo-Insassen erwartet nicht unbedingt eine Verbesserung ihrer Lage, sollten sie in die USA verlegt werden: Für sie sollen besondere Sicherheitsgefängnisse oder -trakte eingerichtet werden, die nach Auffassung von Menschenrechtsorganisationen und vieler Juristen ebenso menschenrechtswidrig wie das US-Haftlager auf Kuba sind.
Für die dort eingesperrten Menschen interessiert sich die Öffentlichkeit noch weniger als für die in Guantanamo – obwohl deren Schicksal unsere Aufmerksamkeit verdiente. An dieser Stelle sei nur an den Fall des Black-Panther-Aktivisten Albert Woodfox erinnert, der im Sommer 2015 nach dreiundvierzig (43!) Jahren Isolationshaft entlassen wurde. Woodfox war ohne Beweise, nur auf Grundlage der Aussage von drei Häftlingen, verurteilt worden.
Vergeben an Nordkorea
Beispiele wie diese – mit ihnen ließen sich Bibliotheken füllen – belegen, wo man mit dem Der-Zweck-heiligt-das-Mittel-Denken landet: im Unrecht. Unschuldige Menschen werden ohne rechtsstaatliches Verfahren inhaftiert und misshandelt, weil man sie als Terroristen, Kriminelle, Staatsfeinde oder alles zusammen einstuft. Wenn Hunderte oder Tausende von derartigem Unrecht betroffen sind, also massenhaftes Unrecht begangen wird, ließe sich auch von Unrechtsstaaten reden – aber dieses Etikett ist ja schon für die Nordkoreas dieser Welt vergeben.
Warum über all das jetzt und hier in Europa zu reden ist? Weil den von den USA und ihren Verbündeten Gefolterten bisher keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Weil sich die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA mit widerwärtigen Vorschlägen zur Behandlung Terrorismusverdächtiger überbieten. Weil in Frankreich, in Großbritannien und in der Schweiz aus unterschiedlichen Gründen laut darüber nachgedacht wird, sich der Gerichtsbarkeit des Europäischen Menschenrechtsgerichthofes zu entledigen. Und weil auch bei der Behandlung nach Deutschland und Europa Geflüchteter das Recht nur dann eine Rolle zu spielen scheint, wenn es keine Unannehmlichkeiten bereitet.