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Herbert Bastian: „Gari Kasparow polarisiert zu stark“

ZEIT ONLINE: Herr Bastian, vor wenigen Monaten musste der Schachsport um Fördermittel des Bundes, ja um seine Anerkennung als Sportart kämpfen. Darüber wurde breit debattiert, auch bei uns (hier und hier). Aber ganz praktisch gesprochen: Was macht es für einen Durchschnittsspieler für einen Unterschied, ob es etwas mehr oder weniger Fördermittel gibt?

Herbert Bastian: Das ist eine etwas egoistische Haltung. So wird man in der Konkurrenz zu anderen Sportarten nicht bestehen können. Die Diskussion um die Fördermittel war eine rein formal-juristische um die Formulierung der Förderrichtlinien. Es ist nicht so, dass jemand das Schach plötzlich nicht mehr fördern wollte, ganz im Gegenteil: Schach hat in der Politik einen sehr guten Rückhalt.

Herbert Bastian, seit 2011 Präsident des Deutschen Schachbundes wurde im August zum Vizepräsidenten des Weltschachbundes gewählt. Hauptberuflich ist er Lehrer für Physik und Mathematik. Seine aktuelle ELO-Zahl: 2315
Herbert Bastian, seit 2011 Präsident des Deutschen Schachbundes wurde im August zum Vizepräsidenten des Weltschachbundes gewählt. Hauptberuflich ist er Lehrer für Physik und Mathematik. Seine aktuelle ELO-Zahl: 2315 (Bild: Deutscher Schachbund)

ZEIT ONLINE: Aber was hätte sich geändert, wenn diese 130.000 Euro pro Jahr wirklich entfallen wären?

Bastian: Im Extremfall hätte man das komplette Leistungssportpersonal entlassen können, dann hätten wir keine Trainer mehr. Oder wir hätten die Beiträge erhöhen müssen. Wenn die Mitglieder bereit gewesen wären, einen bis zwei Euro im Jahr mehr zu zahlen, dann hätten wir uns diese Diskussion sparen können. Aber man kann sich leicht vorstellen, was passiert wäre, wenn wir das vorgeschlagen hätten.

ZEIT ONLINE: Und zwar?

Bastian: Die Landesverbände hätten sich gegen die Beitragserhöhung gestemmt und wir hätten doch Personal entlassen müssen. Und die vielen Ehrenamtlichen hätten dadurch noch mehr Arbeit als vorher. Es kann nicht sein, dass der Staat sich dermaßen aus der Verantwortung zurückziehen will wegen einer unglücklichen Formulierung („eigenmotorische Aktivität des Sportlers“, Anm. des Autors). Es ist ja nicht so, dass man Schach generell nicht fördern will, oder nicht als etwas Sinnvolles ansieht, es stand nur diese Formulierung im Wege. Deshalb haben wir auch erbittert gekämpft.

ZEIT ONLINE: Es hat sich gelohnt?

Bastian: Es steht eine Einigung bevor, nach der es eine gewisse Reduzierung der Fördermittel geben wird. Die Richtlinien für förderungswürdige Sportarten werden im Dezember überarbeitet und anstelle der notwendigen eigenmotorischen Aktivität wird dort eine andere Formulierung stehen, die auch das Schach wieder diskussionslos mit einschließen wird.

ZEIT ONLINE: Ist auch eine Finanzierung jenseits der nächsten vier Jahre gesichert, oder ist die kommende Einigung ein letzter Akt der Kulanz seitens der Politik?

Bastian: Das glaube ich nicht. Wie gesagt, die Unterstützung der Politik ist sehr gut und es wird durchaus wahrgenommen, welche positiven Effekte das Schachspielen auf junge Leute ausübt.

ZEIT ONLINE: Beim Fide-Kongress am Rande der Schacholympiade in Tromsø wurden Sie zu einem der Vizepräsidenten der Fide gewählt. Versprechen Sie sich durch ihr neues Amt auch Vorteile für den Deutschen Schachbund?

Bastian: Zuallererst hoffe ich, dass sich das Verhältnis zur Fide etwas verbessert. Da ist einiges zu tun, zum Beispiel wurden bei den letzten zwei Olympiaden keine deutschen Schiedsrichter eingesetzt, als Strafe, weil der Deutsche Schachbund zuvor zusammen mit anderen Landesverbänden die Fide verklagt hatte. Solche Streitigkeiten müssen endlich ein Ende nehmen. Ein möglicher Vorteil für den Schachbund aus der engeren Zusammenarbeit könnte zum Beispiel ein Spitzenturnier der Fide sein, das in Deutschland stattfinden könnte. Auch für das Senioren- und das Frauenschach erhoffe ich mir starke Impulse.

ZEIT ONLINE: Ihre Wahl war für die Öffentlichkeit eine ziemliche Überraschung. War Ihre Nominierung geplant oder spontan?

Bastian: Solche Wahlen laufen nie unvorbereitet. Allerdings habe ich die Diskussion in Deutschland bewusst vermieden, weil es ja auch Diskussionen darüber gab, ob bei den Fide-Präsidentschaftswahlen der Herausforderer Gari Kasparow unterstützt werden soll oder nicht oder ob man eventuell sogar den alten Präsidenten Iljumschinow unterstützt. Wir haben uns entschieden, neutral zu bleiben, das soll auch weiter so sein. Deutschland ist ein starker und selbstbewusster Verband und wird sich auch weiter keinem Lager zuordnen oder instrumentalisieren lassen.

ZEIT ONLINE: Sie finden es nicht schade, dass es Kasparow nicht geschafft hat?

Bastian: Geld ist sicherlich auf beiden Seiten in Unmengen geflossen. Aber die Mehrheit für Iljumschinow ist nicht nur dadurch zustande gekommen. Kasparow gilt nicht als Teamplayer und er hat im Wahlkampf einen klaren strategischen Fehler gemacht: Er hat seine Opposition gegen Putin mit dem Engagement in der Fide verknüpft. Das konnte nicht gutgehen. Die russische Föderation ist seit jeher die stärkste und die wichtigste in der Fide und es ist unklug, wenn man diese gegen sich aufbringt. Der Präsident der Fide muss ein Diplomat sein und mit allen 181 Mitgliedsnationen klarkommen. Und Kasparow polarisiert zu stark.

ZEIT ONLINE: Aber ist Iljumschinow nicht schon aus dem Grunde untragbar, dass sich, solange er an der Macht ist, nichts daran ändern wird, dass jedes Land bei den Wahlen genau eine Stimme hat?

Bastian: Ich glaube nicht, dass er nichts ändern will. Das ist im Übrigen einer der Punkte, warum ich mich engagiere. Ich werde versuchen auszuloten, was man ändern könnte. Diese Regel ist in der Tat unsäglich und sie muss infrage gestellt werden. Aber es geht nur, wenn man Änderungen im Rahmen der geltenden Gesetze beschließt, also mit Einverständnis einer Mehrheit der Föderationen.

ZEIT ONLINE: Kein Präsident vor Iljumschinow hat diese Regel so skrupellos ausgenutzt. Warum sollte sich irgendetwas ändern?

Bastian: Der Pessimismus ist für mich durchaus nachvollziehbar, aber man muss sich trotzdem nicht in sein Schicksal ergeben. Wenn man etwas verändern will, muss man anfangen und nach Möglichkeiten suchen. Dass es nicht einfach sein wird, ist klar, aber so eine Materialschlacht wie bei diesem Wahlkampf war mit Sicherheit für keine der Seiten gut. Was da an Geld verpulvert worden ist, hätte man besser sinnvoll für Schach eingesetzt.

ZEIT ONLINE: So ist das Geld überall auf der Welt bei irgendwelchen Schachfunktionären versickert.

Bastian: An sich macht die Fide eine kluge Politik, weil sie Projekte bezuschusst. Aber es ist klar, dass diese Unterstützungen auch mit dem Wahlkampf zusammenhängen. Nur es darf auf keinen Fall passieren, dass man an Privatpersonen Geld verteilt im Rahmen des Wahlkampfs.

ZEIT ONLINE: Kann man sagen, dass Sie auch angetreten sind, um Iljumschinow zu zähmen?

Bastian: Mit so einer Formulierung würde ich mich selbst überschätzen. Aber ich sehe Iljumschinow gar nicht so negativ, wie er in der Presse dargestellt wird.

ZEIT ONLINE: Was ist Iljumschinow denn für ein Mensch? Wenige kennen ihn persönlich. In den Medien steht er nicht besonders positiv da.

Bastian: Ich empfinde ihn als sehr angenehm, als einen Menschen der sehr freundlich ist, immer lächelt und seinen Gegnern grundsätzlich immer die Hand ausstreckt. Wer in der Fide aber das Sagen hat, ist Georgios Makropoulos. Iljumschinow hat das Geld. Worüber man sich auch im Klaren sein muss: Iljumschinow ist ein Sonderbotschafter von Putin. Seine Besuche bei Gaddafi und Assad waren politische Missionen und dass das Schach dabei mit auf den Tisch gekommen ist, war sehr unglücklich. Diese Auftritte sind ihm sehr negativ angelastet worden, aber man muss auch bedenken, was die Fide in den vergangenen Jahren Positives geleistet hat. Im Grunde ist sie ein hervorragend funktionierender Apparat mit gesicherten Finanzen und kompetenten Mitarbeitern, wenn auch teils etwas überehrgeizigen Zielen. Iljumschinow und die Fide sind nicht das Gleiche.

ZEIT ONLINE: Schach wurde in Tromsø auch gespielt. Wie beurteilen Sie das Abschneiden der beiden deutschen Mannschaften?

Bastian: Die Frauen haben sehr gut gespielt. Leider hat es noch nicht für eine Medaille gereicht, aber jetzt haben sie endlich gemerkt, dass sie noch mehr können und werden hoffentlich in Zukunft weiter an Selbstbewusstsein gewinnen. Die Männer haben nur in den letzten beiden Runden Konditionsprobleme gehabt, bis dahin konnte man sogar auch auf eine Medaille hoffen. Deswegen bin ich mit dem Abschneiden der Männer nicht so unzufrieden, wie es Platz 30 vielleicht vermuten lässt. Wir brauchen aber noch mehr Spieler, die in der Nationalmannschaft spielen können. Aktuell sind wir zu sehr auf die Form einiger weniger angewiesen. Es wird sich bald zeigen, ob die Prinzen Dennis Wagner und Matthias Blübaum schon so weit sind, gegen Weltklasseleute antreten zu können.

ZEIT ONLINE: Der Schachbund und seine Sponsoren lassen sich das Schachjahr der beiden Jugendspieler einiges kosten. Die Spieler, die zurzeit in der deutschen Mannschaft spielen, sind aber auch ohne großartige Fördermaßnahmen dahin gekommen, wo sie jetzt stehen. Wie erklären Sie diese Schachjahr-Ausgaben dem normalen Beitragszahler?

Bastian: Vieles sind sowieso zweckgebundene Sponsorengelder. Es werden für das Schachjahr nicht mehr Gelder aus den Beiträgen benutzt als sonst, diese werden nur anders verteilt.

ZEIT ONLINE: Aber kommt das Geld auch irgendwann zurück?

Bastian: Wir müssen in Deutschland langfristig sowieso das komplette Ausbildungssystem von jungen Spielern umstellen. Es geht nicht nur um den Einsatz von mehr Geld, es muss sich auch strukturell einiges verändern. Wir müssen viel mehr Menschen an der Basis motivieren, dass sie die Talente früher erkennen und schneller zu einer hohen Spielstärke führen, dass wir schneller herausfinden können, wie konkurrenzfähig wir auch international sind. Wenn man eine Sportorganisation ist, muss man das Bestreben haben, in die Weltspitze zu kommen, sonst macht man sich überflüssig. Aber da haben wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die Investition in Spitzenspieler zahlt sich immer aus, weil sie Sogwirkungen erzeugen.

ZEIT ONLINE: Für viele, die es versucht haben, hat sich der Weg Richtung Weltelite aber nicht als der richtige erwiesen.

Bastian: Das stimmt. Aber man lebt ja länger als ein paar Jahre. Es ist durchaus denkbar, dass eine Entwicklung wie in anderen Sportarten einsetzt: Dass unsere besten Talente ein paar Jahre Profischach machen und anschließend, vielleicht gerade mit Hilfe des Schachverbandes, wieder in den Jobmarkt eingegliedert werden. Viele Arbeitgeber schätzen hochqualifizierte Schachspieler sehr.

 

Schachfieber damals und heute

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Screenshot: José Raul Capablanca, Schachweltmeister von 1921 bis 1927 in dem Film Schachfieber von 1925

Über einen Mangel an medialer Aufmerksamkeit konnten sich die Organisatoren der Schacholympiade 2014 in Tromsø nicht beklagen. Das norwegische Fernsehen berichtete täglich mehrere Stunden und erreichte dabei regelmäßig Einschaltquoten über 30 Prozent, Schachfans konnten die Partien aus Tromsø live und kommentiert im Internet verfolgen, Spieler und Spielerinnen aus allen Ländern der Welt gaben vor, während und nach den Runden kurze Interviews, die wenig später bei Youtube zu sehen waren.

Schon früher nutzte man moderne Medien, um Schach der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nicht immer und nicht oft, aber zum Beispiel in Moskau 1925, dem ersten Schachturnier der Geschichte, das allein mit staatlichen Mitteln finanziert wurde – Ausdruck und Zeichen der staatlich geförderten Schachbegeisterung in der noch jungen Sowjetunion.

In zwanzig Runden traten zehn der besten Spieler der Sowjetunion und elf der besten Spieler der Welt gegeneinander an. Sieger war am Ende überraschend Efim Boguljubow, ein in Russland geborener Meister, der sich zwar nach Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland niedergelassen hatte, aber damals noch offiziell Sowjetbürger war. Platz zwei ging an den Ex-Weltmeister Emanuel Lasker, Platz drei an den amtierenden Weltmeister José Raul Capablanca aus Kuba.

Am Rande des Turniers entstand Schachfieber, ein Stummfilm, in den man Aufnahmen vom Turnier und seiner Teilnehmer hineinmontierte. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der so vom Schach besessen ist, dass er den Termin seiner Hochzeit vergisst. Seine Verlobte will daraufhin nichts mehr von ihm wissen und irrt voller Kummer durch die Straßen Moskaus. Zufällig trifft sie Weltmeister Capablanca, der sie trösten will und zum Schachturnier einlädt, an dem er teilnimmt. Dort wird auch sie vom Schachfieber gepackt, versöhnt sich mit ihrem Verlobten und einem Happy End steht nichts mehr im Wege. Weltmeister Capablanca spielt sich in diesem Film selber und hat so der Nachwelt ein filmisches Bild seiner Person und seines Auftretens hinterlassen.

Schachfieber war der erste Film, den der sowjetische Regisseur, Schauspieler und Filmtheoretiker Wsewolod Illarionowitsch Pudowkin (28. Februar 1893 bis 30. Juni 1953), allein inszenierte. 1926, ein Jahr nach Schachfieber drehte Pudowkin den Film Die Mutter, der laut Wikipedia „neben Panzerkreuzer Potemkin von Sergei Eisenstein zu den wichtigsten Filmen der sowjetischen Filmgeschichte“ gehört.

Schach und moderne Medien 1925: Der Film Schachfieber

Schach und moderne Medien 2014: Tshepiso Lopang, Olympiateilnehmerin aus Botswana, im Quickchat mit dem englischen Großmeister Daniel King

 

 

Magnus Carlsen auf dem Egotrip?

Premierministerin bei
Beliebtes Motiv: Premierministerin Erna Solberg bei der Partie Ivan Saric gegen Magnus Carlsen – Quelle: Statsministerens kontor

Nach seiner zweiten Niederlage hatte Magnus Carlsen keine Lust mehr. Er hatte schon gegen den Deutschen Arkadij Naiditsch verloren und gegen den Kroaten Ivan Šarić. Und so trat er zur letzten Partie des norwegischen Teams bei der Schacholympiade am Donnerstag gegen Malaysia gar nicht mehr an. Er soll Tromsø, den Austragungsort, zu diesem Zeitpunkt sogar schon verlassen haben.

Dabei hatten sich alle so gefreut. Eine Schacholympiade im Land des Weltmeisters, des Schach-Models. Ganz Norwegen, so schien es, drängte sich um Carlsens Brett. Vor der Partie gegen Šarić kam sogar die norwegische Premierministerin Erna Solberg vorbei und machte den ersten Zug. Es half nichts. Zwei Niederlagen bei einer Schacholympiade, das war einem amtierenden Weltmeister noch nie passiert.

Das Team der Norweger landete am Ende nur auf einem enttäuschenden 29. Platz. Schon kam der Verdacht auf, Carlsen nehme das Turnier nicht ernst, bereite sich nicht gewissenhaft vor und spiele egoistisch. Doch stimmt das wirklich?

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Nyback gegen Carlsen zu Beginn der Partie Quelle: Georgios Souleidis chess 24

Die Schachfans sind in den vergangenen Jahren verwöhnt vom nahezu perfekten Spiel Carlsens. Ihre Erwartungen wurden mit jedem seiner Siege weiter nach oben geschraubt. Doch auch Magnus Carlsen kann nicht zaubern. Die meisten seiner Gegner bei dieser Olympiade gehören zur erweiterten Weltspitze. Und wenn die sich zu keinem Fehler hinreißen lassen und sehr vorsichtig agieren – schließlich geht es gegen den Weltmeister – ist es auch schwer für Carlsen, zu gewinnen.

Schon zu Beginn der Olympiade fragen sich einige, warum es dem stärksten Schachspieler der Welt nicht gelungen war, die Nummer 279 der Weltrangliste Tomi Nyback zu schlagen. Schließlich trennten die beiden gut 300 Elo-Punkte, beim Schach ein Klassenunterschied. Doch Nyback forcierte das Spiel, die Partie endete remis. Dass Carlsen wieder eine nahezu perfekte Partie gespielt hatte, ging inmitten der Verwunderung unter. Die Erwartungshaltung vieler ist eben nicht an die Leistung, sondern an den Erfolg gekoppelt.

Es wurde auch viel über Carlsens Experimentierfreudigkeit diskutiert. Hinter vorgehaltener Hand wurde ihm jene als Egoismus ausgelegt, da er sich ohne Rücksicht auf das Mannschaftsergebnis in neuen Dingen versuchte und so den Erfolg seines Teams gefährdete. In der Tat experimentierte Carlsen viel bei dieser Olympiade und geriet dadurch oftmals an den Rand einer Niederlage.
Besonders in den Runden fünf und sechs, als es mit Levon Aronian und Fabiano Caruana gegen die Nummer zwei und drei der Weltrangliste ging, stand Carlsen mehr als nur gefährdet, zum Teil gar auf Verlust. Viele Beobachter attestierten ihm Übermut, insbesondere bei der Eröffnungswahl gegen Caruana, als er zur skandinavischen Verteidigung griff. Diese genießt auf Topniveau zu Recht einen zweifelhaften Ruf und Carlsen kam schnell in Nachteil. Der Verdacht kam auf, er wolle seinen engsten Konkurrenten zeigen, er könne alles gegen sie spielen und verliere doch nicht. Besonders brisant ist, dass er tatsächlich aus den zwei Partien 1,5 Punkte mit den schwarzen Steinen erspielt hat.
Neuen Antrieb bekam die Ego-Diskussion nach der Partie gegen den Kroaten Šarić. Carlsen wählte eine selten gespielte Abfolge, die als sehr riskant gilt. Das Ergebnis war eine Niederlage gegen die Nummer 75 der Weltrangliste, der Weltmeister war komplett chancenlos. Dessen riskanter Partieanlage wurde mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als der starken Leistung von Šarić. Und auch in dieser Partie wurde Carlsen unbedingter Siegeswille als Überheblichkeit und Desinteresse gesehen. Risikobereitschaft wird scheinbar nur dann positiv gesehen, wenn sie auch Erfolg bringt.


Besonders deutlich wurde dies nach der Partie gegen den polnischen Superstar Radosław Wojtaszek, derzeit die Nummer 26 der Welt. In den höchsten Tönen wurde Carlsens Spiel gefeiert, zu Recht. Der Weltmeister überspielte den Sekundanten seines WM-Gegners Vishwananthan Anand und ließ dabei die hohe Kunst der Leichtigkeit aufblitzen. Das Experiment war geglückt, die Lobeshymnen kamen prompt.

Die Unterstellung, Carlsen würde seine Gegner nicht ernstnehmen, läuft ins Leere. Der Weltmeister macht sich einfach seine Stärke zu Nutze, sich besser in unbekannter Stellung zurecht zu finden als andere. Darauf gründet sein Erfolg, warum sollte er das ändern? Ein Spieler dient seiner Mannschaft dann am besten, wenn er sich nicht verbiegt, sondern seinem Spielstil treu bleibt. Dass solche Experimente auch schief gehen können, ist ihm vollkommen bewusst und gehört zum Risiko.

Auf der einen Seite lieben die Schachfans Magnus Carlsen für seine Originalität. Dafür, dass er das Schach wieder belebt hat. Auf der anderen Seite wird er als überheblich bezeichnet, wenn seine Experimente angeblich zu weit gehen. Das ist ein Widerspruch. Ein Egotrip war sein Auftritt bei der Schacholympiade sicherlich nicht. Vielmehr hat Carlsen das gemacht, was er sonst auch tut: Verdammt gutes und vor allem außergewöhnliches Schach gespielt. Und verlieren? Ja, auch Magnus Carlsen darf das.

 

Chinas Aufstieg zur Weltmacht im Schach

Eine Runde ist bei der Schacholympiade im norwegischen Tromsø noch zu spielen und es deutet sich ein Überraschungssieger an: China hat gute Chancen, den wichtigsten Mannschaftswettbewerb im Schach zu gewinnen. Chinas Männerteam hat noch keinen Wettkampf verloren und führt mit einem Punkt vor Ungarn. Gewinnen die Chinesen in der Schlussrunde am Donnerstag gegen Polen, sind sie sicher Sieger, sogar ein Unentschieden könnte reichen. Es wäre das erste Gold für China beim Open-Wettbewerb der Schacholympiade. Und die Krönung einer Entwicklung, dem Ergebnis des sogenannten Big-Dragon-Plan, der in den siebziger Jahren nach dem Tod von Mao Zedong und mit der allmählichen Öffnung des Landes begann. Weiterlesen…

 

Das Leben als Schachprofi

Für viele talentierte Sportler und Künstler stellt sich irgendwann die Frage, ob sie ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Beim Schach ist das nicht anders. Die Vorstellung sich abseits der geregelten 40-Stundenwoche mit Schach selbst zu verwirklichen, erscheint auch für uns Hobbyspieler auf den ersten Blick sehr attraktiv. Doch wie sieht eigentlich der Alltag eines Schachprofis aus?

Für professionelle Schachspieler gibt es mehrere Einnahmequellen: Die Schwierigste ist die des Spielens selbst. Während die Elite um Magnus Carlsen um Preisgelder im fünf- bis sechsstelligen Bereich kämpft (nur bei der Weltmeisterschaft geht es dann auch mal um Millionenbeträge), muss sich das Gros der sterblichen Profis mit weitaus weniger zufrieden geben. Nicht selten bekommt der Sieger eines offenen Turniers, den Opens, weniger als 1000 Euro. Dabei ist die Konkurrenz aus dem In- und Ausland groß. Da tröstet es auch nicht, dass vom Veranstalter häufig freie Kost und Logis gestellt wird, damit dieser sein Turnier mit großen Namen aufwerten kann. Geld gibt es nur bei Siegen. Wer schlecht spielt, geht leer aus.

Deshalb spielen viele Profis auch für Mannschaften im Ligabetrieb. Im Gegensatz zum rein ergebnisorientierten Turniermodus, kann man dort mit festen, also erfolgsunabhängigen Einnahmen rechnen. Dabei kann es pro Partie je nach Spielstärke und finanziellem Background des Vereins mehrere Tausend Euro Honorar geben. Meist sind es 150 bis 500 Euro pro Partie.

Um möglichst viele Ligaeinsätze zu bekommen, spielen die Profis in mehreren Ländern gleichzeitig. Dies ist beim Schach ausdrücklich erlaubt. Auch viele starke Amateure nutzen die Möglichkeit Schach und Reisen miteinander zu verbinden. Durch das Mehrfachspielrecht kommt es immer wieder vor, dass man innerhalb kurzer Zeit gegen den gleichen Gegner oder gar einen Mannschaftskollegen spielen muss. So spielte mein Berliner Mannschaftskamerad Lars Thiede in der deutschen Bundesliga an einem Wochenende gegen die Schachlegende Zoltan Ribli. Keine fünf Tage später saßen sich die beiden erneut gegenüber, dieses Mal in der österreichischen Bundesliga. Bei dem jährlich stattfindenen European Chess Club Cup, der Championsleague im Schach, müssen sich viele Profis entscheiden, für welchen Verein sie an den Start gehen wollen. Ein Luxusproblem, das aber meist nur den ganz starken Spielern vorbehalten bleibt.

Nur die Stärksten, als inoffizieller Orientierungspunkt gilt die Grenze von 2650 Elo-Punkten, verdienen also ordentlich. So verwundert es nicht, dass viele deutsche Nachwuchstalente sich in den vergangenen Jahren für eine Art Zwitterlösung entschieden haben. Sie versuchen sich meist neben dem Studium oder der Ausbildung als „Semiprofi“ und verwenden nur so viel Zeit für das Schach, wie es die berufliche Ausbildung erlaubt. Dass sich das lohnen kann hat gerade erst der Nationalspieler Georg Meier gezeigt. Er holte als Semiprofi bei den Dortmunder Schachtagen gegen die Weltspitze über 50 Prozent der möglichen Punkte und wurde Zweiter hinter dem Italiener Fabiano Caruana. Meier nutzte sein schachliches Talent, um in den USA zu studieren und nach dem Collegeprinzip Sport und Ausbildung miteinander zu verbinden. Und obwohl Meier fast zu den besten 100 Schachspielern der Welt gehört, kommt auch für ihn eine Vollprofikarriere nicht Betracht.

Nicht-Profi Meier besiegt den ehemaligen Weltmeister Wladimir Kramnik
Schachamateur Georg Meier besiegt den ehemaligen Weltmeister Wladimir Kramnik – Quelle: Dortmunder Schachtage

Eine weitere Möglichkeit Geld zu verdienen: die Trainertätigkeit. Wissen weitergeben und dadurch regelmäßiges Einkommen erzielen wird bei vielen Profis immer mehr Haupt- statt Nebentätigkeit. Durch das Internet sind große Distanzen etwa via Skype problemlos überwindbar, sodass sich der Trainer weltweit nach Schülern umschauen kann. Es gibt Einzel- und Gruppentraining, die Zielgruppe reicht vom völligen Anfänger bis hin zum Vollprofi selbst. Dabei arbeitet der Profi als sogenannter Sekundant, er assistiert also einem anderen Profi vor oder während eines großen Wettkämpfes, damit der sich auf das Spielen konzentrieren kann. Allerdings sind diese Tätigkeiten rar und sehr begehrt.

In den vergangenen Jahren hat sich für Schachspieler eine weitere Einnahmemöglichkeit aufgetan: Das Internet. Neben dem klassischen Schreiben von Artikeln und Büchern bietet das Netz ganz neue Möglichkeiten sich zu präsentieren. Seien das Schachblogs oder Lehrvideos auf YouTube. Partien von großen Wettkämpfen werden live übertragen und häufig von Großmeistern in Echtzeit kommentiert. Zu den Profis, die sich im Internet präsentieren, gehören auch viele Aktive, die zu der Top 100 der Welt gehören und sich bisher fast ausschließlich als Spieler einen Namen gemacht haben. So betreibt der mehrfache Nationalspieler Jan Gustafsson zusammen mit anderen Schachenthusiasten und einem finanzstarken Investor im Rücken seit einiger Zeit eine neue Website, auf der laut eigener Aussage alles zu finden sein soll, was das Schachherz begehrt. Schachgrößen wie Paco Vallejo Pons, Peter Svidler und selbst Vizeweltmeister Vishwanathan Anand geben dort in Lehrvideos ihr Wissen preis.

Jan Gustafsson- Schach im neuen Format – Quelle: Georgios  Souleidis

Der Trend geht also weg vom spezialisierten Turnierspieler hin zum Allrounder, der sich immer wieder neu erfinden muss. Ein Umstand, mit dem einige besser zurecht kommen als andere. Mit dem erweiterten Betätigungsfeld entfernen sich Profis jedoch immer mehr von der ursprünglichen Idee, quasi spielend Geld zu verdienen. Der Profi von morgen kann sich auf einen offenen, aber auch weiterhin hart umkämpften Markt einstellen, an Nachwuchs gerade aus dem Ausland mangelt es nicht. Wer mit Schach gutes Geld verdienen möchte muss also entweder über eine ausserordentliche Spielstärke verfügen oder er sucht sich seine Nische.

 

Ärger in der Schachfamilie

Am 20. Juli 1924 wurde in Paris der Weltschachverband Fide (Fédération Internationale des Échecs) gegründet. Der Verband gab sich das Motto Gens una sumus, „Wir sind eine Familie“ und Familienfeiern sollte es bei Schacholympiaden geben. Die finden seit 1927 unregelmäßig, seit 1950 alle zwei Jahre statt, die nächste beginnt am 1. August im norwegischen Tromsø. Mit Querelen im Vorfeld. Weiterlesen…

 

Natürlich ist Schach Sport

Im Mai beschloss das Bundesministerium des Inneren, Schach nicht mehr zu fördern. Fehlende Eigenmotorik, kein Sport, lautete die Begründung. In der Kasse des Deutschen Schachbunds drohten bald 130.000 Euro zu fehlen. Im Juni nahm der Haushaltausschuss des Bundestags den Zug des BMI zurück. Schach wird auch künftig gefördert. Aber es bleiben Fragen: Ist Schach förderungswürdig? Ist Schach Sport? Weiterlesen

 

Ist Schach ein Sport?

Schach ist kein Sport mehr. Zumindest kein förderungswürdiger. Diese Nachricht dürfte in den vergangenen Wochen niemandem entgangen sein, der sich für Schach interessiert. Das Bundesministerium des Inneren (BMI) hat dem Deutschen Schachbund die jährliche Förderung in Höhe von 130.000 Euro gestrichen. Der Grund: Eine im Dezember 2013 in Kraft getretene Richtlinie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die Sportarten ohne „eigenmotorische Aktivität des Sportlers“ für nicht förderungswürdig erklärt.

In der Schachwelt wollte man das nicht kampflos hinnehmen. Die entsprechenden Webseiten waren voller Diskussionen um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme und Aufrufe zum Protest. Von einer DDR-isierung des Sports war die Rede, weil die Fördermaßnahmen auf den Spitzensport zugeschnitten seien. Schach sah sich als Bauernopfer. Es gab sogar eine parlamentarische Anfrage der Grünen zu diesem Thema sowie eine Petition gegen die Kürzung. Mit Erfolg: Am Donnerstag beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, dass die Streichung der Mittel zurückgenommen wird.

Doch der drohende Ausschluss aus der Welt des echten Sports brachte Aufruhr in die Schachszene. Die meisten Debatten drehten sich um die erwähnte „eigenmotorische Aktivität“. Wehmütig wurden Vergleiche gezogen zwischen Schießen und Motorsport auf der einen und Schach auf der anderen Seite. Man fragte sich, warum ein geringer eigenmotorischer Anteil im einen Fall völlig ausreicht, um als Sport anerkannt zu sein und gefördert zu werden, in dem anderen aber nicht mehr.

Die von den Regularien geforderte „eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers“ im Schach ist tatsächlich eher überschaubar. Allerdings: Bewegung und Reaktionsschnelligkeit werden wichtiger, je weniger Bedenkzeit die Spieler haben. Im Gegensatz etwa zum Poker existieren beim Schach sogar einige wenige reglementierte Bewegungsabläufe (es darf nur mit einer Hand gezogen und insbesondere geschlagen werden), an denen gute Spieler so zuverlässig erkannt werden, wie ein guter Tennisspieler an seiner Rückhandtechnik. Jegliches Bewegungsmoment beim Schach leugnen kann nur jemand, der noch nie eine umkämpfte Blitzphase einer Partie erlebt hat. Und nur jemand, der noch nie eine sechsstündige Turnierpartie oder ein neunrundiges Schnellschachturnier mitgespielt hat, kann bezweifeln, dass Schachspieler nach dem Wettkampf durchaus körperliche Erschöpfung verspüren können.

Doch auch in einem viel weiteren Sinne kann man sich die Frage stellen, ob Schach ein Sport ist. Neben der Eigenmotorik gibt es eine Vielzahl anderer Kriterien, an denen sich eine Sportart messen lassen sollte und bei dem Schach Probleme bekommt. Wir haben einige etwas genauer angeschaut:

1. Regularien

Jeder Sport hat seine eigenen Regeln, ohne geht es nicht. Sie aufzustellen und einzuhalten bildet einen elementaren Teil eines Sports. Doch der Schachspieler ist ein Gewohnheitstier. Neue Bestimmungen werden von der Fide oder vom Schachbund erlassen, aber nicht immer von der breiten Masse aufgenommen, wie sich zuletzt bei der neuen Spielervereinbarung in der 2. Bundesliga gezeigt hat. Dort soll vor allem der Deutsche Schachbund in Person des Schiedsrichters mehr  Möglichkeiten haben, Spieler zu kontrollieren, die im Verdacht stehen, mithilfe von Computern zu betrügen. Doch Schachspieler möchten sich ungern auf neue Spielregeln einlassen, erst recht, wenn sie dadurch vermeintliche Privilegien verlieren.

Oft braucht es beim Schach einige Überzeugungsarbeit, um neue Regeln durchzusetzen. Besonders krass ist dieses Phänomen beim Thema Karenzzeit zu beobachten. In keiner anderen Sportart ist es den Akteuren gestattet, zu spät zum Wettkampf zu kommen und trotzdem antreten zu dürfen. Man stelle sich vor, ein Marathonläufer beginnt seinen Lauf eine halbe Stunde nach Beginn des offiziellen Massenstarts. So ähnlich ist es bei klassischen Partien, wo jeder Spieler am Anfang der Partie zwei Stunden Bedenkzeit zur Verfügung hat.

Bis heute ist es in vielen Klassen und Turnieren erlaubt, bis zu einer Stunde zu spät zu kommen und den Gegner warten zu lassen. Zwar läuft ab Beginn der Partie bereits die eigene Bedenkzeit, sodass die Verspätung auf eine gewisse Art bestraft wird. Doch das ist es vielen Spielern wert, sei es um das Frühstück auszudehnen oder sich intensiver auf den Gegner vorzubereiten. Als Verbände versuchten, diesen Passus aus dem Regelwerk zu streichen, leisteten die Spieler Widerstand. Die Gründe waren meist aberwitzig: Als Berufstätige hätten sie keine Zeit, könnten halt nicht früher kommen, sagten einige Spieler.

Oder die sogenannte Sofia-Regel: Sie verbietet eine einvernehmliche Punkteteilung zwischen beiden Akteuren vor einer bestimmten Anzahl von Zügen. Nur in Ausnahmefällen darf so etwas im Einverständnis mit dem Schiedsrichter vereinbart werden. Die Regel geht zurück auf ihre Premiere bei einem Weltklasseturnier, das vor wenigen Jahren in der bulgarischen Hauptstadt ausgetragen wurde. Eine Partie sollte nicht zu früh friedlich beendet werden, weil sonst der kämpferische, sportliche Aspekt zu kurz gerate. Bis heute ist diese Regel eine Ausnahme und findet sich hauptsächlich dort, wo Sponsoren und mediale Aufmerksamkeit sind (Bundesliga, Weltklasseturniere). In unterklassigen Ligen gibt es sie nicht. Zu groß ist der Widerstand der Spieler, die sich um ihre Rechte beschnitten sehen. Dies ist beispielhaft für die Haltung vieler Schachspieler, die zwar einerseits für das Schach den Status einer Sportart fordern, im Gegenzug aber nicht bereit sind, dafür einen Preis zu zahlen.

2. Mediale Darstellung

Ein Sport, der um Aufmerksamkeit buhlt, kann sich der Entwicklung der Medien kaum entziehen. So verwundert es nicht, dass die Turniere an denen die Weltstars teilnehmen, sich in den vergangenen Jahren eigene Standards wie Livekommentierungen, Videoübertragungen und ausführliche Rundenberichte auferlegt haben. Eine erfreuliche Entwicklung, doch auch hier wirft das Licht Schatten.

So wird zwar viel Wert darauf gelegt, berühmte und starke Spieler vor die Kamera zu holen, die dem eingeweihten Kenner die jeweiligen Finessen der Stellung erklären. Eine Berichterstattung für den Laien findet jedoch so gut wie nicht statt. Dem Spielgeschehen zu folgen ist für einen Durchschnittseuropäer um einiges schwieriger, als sich zum ersten Mal den Superbowl anzuschauen. Schach muss den Spagat zwischen Laienberichterstattung und der für Fortgeschrittene besser in den Griff bekommen. Ein Sport muss für jeden zugänglich gemacht werden, sonst wird es schwierig.

Auch was die interne Berichterstattung angeht, gibt es Verbesserungspotenzial. Die Darstellung auf den bekannten Internetseiten und Magazinen ist des Sports oft nicht würdig. Da werden immer wieder die Namen von Weltklassespielern verwechselt, es gibt klare fachliche Fehler, und sonderlich aktuell ist das Ganze oft auch nicht. Zudem mangelt es manchem Autor an Feingefühl, was die Außendarstellung des Schachs angeht. Dem Sport würde es jedenfalls guttun, wenn er die Klischees des einsamen, introvertierten Junggesellenzeitvertreibs nicht selbst noch bestätigen würde.

3. Soziales

Sport ist immer auch Hobby und ein soziales Ereignis. Häufig übt man seinen Sport über Jahrzehnte aus und findet Freunde fürs Leben. Der Verein und seine Mitspieler werden zur zweiten Familie, man trifft sich auch abseits von Training und Wettkämpfen und trinkt zusammen ein Bier. Ganze Wochenenden werden dem Vereinsleben gewidmet. Beim Schach gibt es so etwas eher selten. Viele Schachspieler kommen zum Vereinsabend oder Punktspiel des Spielens wegen. Das wars dann oft auch.

Schach ist ein Einzelsport, Mannschaftsbetrieb hin oder her. Beim Schach beschäftigt man sich vor allem mit sich selbst und seinen Fähigkeiten. Eine Identifikation mit seinem Verein erscheint den meisten nicht wichtig, da Schach zu einem großen Teil der Selbstverwirklichung dient und somit sehr ichbezogen ist. Schach ähnelt in dieser Hinsicht weniger dem Status einer Sportart, denn eines Hobbys, bei dem die eigenen Interessen mehr in den Vordergrund gerückt werden als das große Ganze.

Schach hat also auch abseits der Problematik der eigenmotorischen Aktivität noch andere Besonderheiten, die auf den ersten Blick für einen Sport ungewöhnlich sind. Es sind vor allem Barrieren, die eines Tages überwunden werden müssten. Das Zeug dafür hat das königliche Spiel allemal.

 

Ich spiele wie Magnus Carlsen

 

Magnus Carlsen - Nicht nur im Schach hat er seinen eigenen Stil
Magnus Carlsen – nicht nur im Schach hat er seinen eigenen Stil. (Copyright Getty Images)

Zugegeben, was da in der Überschrift steht, ist eine sehr gewagte Aussage, wenn man sie auf die reine Spielstärke reduzieren würde. So ist die Aussage aber nicht gemeint, sie stammt auch nicht von mir selbst. Die Internetseite chesspersonality.com ermittelte anhand von 20 mehr oder weniger repräsentativen Fragen meinen Spielstil. Dabei geht es nicht um die Messung der individuellen Spielstärke, sondern vielmehr um eine Typisierung des eigenen Stils, ähnlich wie bei Fragen aus Frauenmagazinen, bei denen man herausfinden kann, welcher Beziehungstyp man ist. Weiter„Ich spiele wie Magnus Carlsen“

 

„Männer haben mehr Sitzfleisch“

Elisabeth Pähtz, geboren 1985, ist die beste und bekannteste deutsche Schachspielerin und auch die einzige, die Schach professionell betreibt. Bereits mit 14 Jahren besiegte sie die Schachmannschaft des FC Bayern München, 2002 und 2005 wurde sie Mädchenweltmeisterin ihrer Altersklasse.

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Elisabeth Pähtz, 2014 bei der Schnellschach-WM der Frauen in Khanty-Mansijsk. Copyright: Nikolay Bochkarev/ugrasport.com

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