Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie
Herr, Knecht und Arbeit
- Nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit und setzen Sie sich mit etwas Knete an einen Tisch. Alternativ können Sie auch einen Stift und ein Blatt verwenden. Sie brauchen keine weiteren Werkstoffe oder Gegenstände. Beschäftigen Sie sich mit dem, was vor Ihnen liegt.
Vielleicht haben Sie in den vergangenen Minuten etwas zu Papier gebracht oder geknetet. In diesem Fall überlegen Sie sich: Was haben Sie da produziert? Woraus besteht es? Warum haben Sie genau dies produziert und nichts anderes? Anders ausgedrückt: Was sagt das Produzierte über Sie aus?
Überlegen Sie nun: Wie stehen Sie im Verhältnis zum produzierten Ding?
Diskutieren Sie diese Frage mit anderen Lesern.
Möglicherweise halten Sie die Feststellung für trivial, dafür dürfte sie aber unmittelbar einsichtig erscheinen: Als Sie gerade etwas produziert haben, waren Sie Subjekt und Ihr Werkstück war das Objekt Ihres Handelns. Nun können Sie sich zurücklehnen und auf das Werkstück blicken. An ihm erkennen Sie die investierte Arbeit und können feststellen, dass Sie selbst diese Arbeit investiert haben.
Dies ist eine Seite der Dialektik von Herr und Knecht: Der Knecht erkennt sich erst durch seine Arbeit als selbstständig, also wenn er etwas anderes als von sich verschieden setzt. Dazu muss er etwas mit dem Gegenstand tun, also ihn bearbeiten. In einem sehr weiten Sinne könnte das heißen: Ich denke über etwas nach – daran erkenne ich, wie ich über den Gegenstand denke. So erkenne ich mich als selbständiges Subjekt. Oder ich arbeite, dadurch erkenne ich, dass ich es bin, der gearbeitet hat. Dieser Gedanke aus der Phänomenologie des Geistes von Hegel ist ein Baustein für viele spätere philosophische Positionen. Er taucht auf in der Soziologie, bei den französischen Existenzialisten und bei Adornos Definition von Aufklärung.
Ein Originalauszug der Kernstelle des Textes von Hegel beschreibt die Arbeit des Knechts auf Seite 52: „Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben, und zu einem Bleibenden; weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat. Diese negative Mitte oder das formierende Tun ist zugleich die Einzelnheit oder das reine Fürsichsein des Bewußtseins, welches nun in der Arbeit außer es in das Element des Bleibens tritt; das arbeitende Bewußtsein kommt also hierdurch zur Anschauung des selbstständigen Seins als seiner selbst.“
Hegel belässt es nicht ausschließlich bei der Dialektik von Arbeitendem und Gegenstand, also Subjekt und Objekt. Er erweitert zusätzlich zur Subjekt-Objekt-Dialektik das Szenario um zwei Rollen: Derjenige, der arbeitet, hat in Hegels Gedankenexperiment die Rolle des Knechts und arbeitet auf Anweisung eines Herrn. Diesem Herrn stellt sich das Produkt der knechtischen Arbeit nicht als Arbeitsgegenstand dar. Denn in dem Moment, in dem der Knecht am Ding arbeitet, muss der Herr dies nicht tun. Folglich kann der Herr das Produkt nur nutzen. Der Knecht jedoch hat sich in der Arbeit seine Selbständigkeit als Subjekt gegenüber dem Ding, dem Objekt, zur Anschauung gebracht. Diese Möglichkeit entgeht dem Herrn, da er ja nicht am Ding arbeitet. Während der Herr also passiv bleibt und lediglich konsumiert, hat der Knecht die Möglichkeit, sich selbst als ein Arbeitstätiger zu erkennen.
Bleiben wir jedoch noch bei der Subjekt-Objekt-Dialektik im ersten Sinne. Wir können die Dialektik auf die Gestaltung des eigenen Lebens und die eigene Identität übertragen:
- Erörtern Sie: Ab wann kann ich überhaupt davon sprechen, Bestimmer über mein eigenes Leben zu sein?
- Der Autor dieses Textes hatte Ihnen zu Beginn einen Arbeitsauftrag gegeben. Überlegen Sie im Sinne der Herr-Knecht-Dialektik, wer von Ihnen nun der Selbständigere mit Bezug auf die Knetleistung ist.
Loriots Kosakenzipfel
- „Jodelschnepfe! Winselstute!“: Bei späteren Autoren tritt der Entwurf des eigenen Lebens als „Objekt“ der Arbeit auf. Betrachten Sie das Video von Loriot und erörtern Sie: Welche Personen können sich als Subjekt ihres Handelns verstehen? Woran erkennen wir dies?
Diskutieren Sie diese Fragen im Kommentarbereich.
Weitere Materialien zu Hegel:
- Hegel: Einführung in sein Denken (Quelle: youtube.de)
- Marx und die Hegelsche Dialektik (Quelle: youtube.de)
- Denker des Abendlandes: Hegel und Marx (Quelle: www.br.de)
- Hegel, Phänomenologie des Geistes (Quelle: gutenberg.spiegel.de)
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Biografische Daten
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), Philosoph, einer der wichtigsten deutschen Idealisten.
Tabellarische Biografie (Quelle: Zeno.org)
Ausführliche Biografie (Quelle: deutsche-biographie.de)
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