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Friedrich Nietzsche: Es denkt

 

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Friedrich Nietzsche Philosophie
Friedrich Nietzsche: Fotografie aus dem Jahr 1882 © Hulton Archive/Getty Images

Es denkt

  • Nachdem Sie sich im obenstehenden Video mit dem Libet-Experiment vertraut gemacht haben, erörtern Sie: Die elektronischen Regungen im Gehirn entstehen 100 Millisekunden bevor die Probandin das Gefühl hat: Jetzt möchte ich den Knopf drücken. Was bedeutet das für unsere Vorstellung von einem wirklich existierenden „Ich“?

Wer das Dossier zur Philosophie der Aufklärung gelesen hat, wird vielleicht bei der kartesischen Frage nach der letzten Wahrheit hängen geblieben sein. Dabei ging es darum, was rein methodisch alles in Zweifel gezogen werden könnte: Alle Sinneswahrnehmungen, sagt Descartes, damit auch die Wahrnehmungen unseres eigenen Körpers, könnten getrübt und falsch sein. Was bleibt ist nach Descartes die als cogito ergo sum bekannte Gewissheit: „Ich denke, also bin ich“, die gemäß seiner Auffassung notwendig wahr sein muss. Denn ohne dass ich denke, kann der Gedanke, dass ich eben dies (oder etwas anderes) denke, nicht wahr sein. Anschließend an Descartes kann man die Frage stellen: Kann es sein, dass das „Ich“ bei „Ich denke“ noch weiter zerlegt werden muss?

Im Wissen um das Libet-Experiment sieht es wohl genau danach aus. Denn offenbar ist das Bewusstsein unserer selbst gar nicht in der Lage, unsere Handlungen zu bestimmen. Was aber, wenn wir das Denken als eine unserer Handlungen einordnen? Sind wir dann noch in der Lage, unser Denken gemäß der Vernunft selbständig zu verfassen? Oder sind unsere Gedanken vielleicht doch vorgegeben, und zwar durch physische Prozesse in unserem Gehirn, die wir letztlich als „Denken“ und als „Ich“ bezeichnen, die aber in Wirklichkeit von dem Organ Gehirn verursacht werden, ohne dass wir einen Einfluss auf sie hätten?

Die Folgen wären weitreichend. Wir müssten davon ausgehen, dass wir selbst nicht Herr unserer Gedanken sind. Mithin könnten wir nicht mehr selbst sagen „Ich denke“. Stattdessen müssten wir dieses Denken, was auch immer es wäre, einer Funktion unseres Gehirns zuschreiben, so dass das Denken einfach passiert. „Es denkt“, schlägt Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse als alternative Formulierung vor (Absatz 16). Vielleicht aber hat Nietzsche damit recht. Er war nicht der erste, der derart radikale Thesen über das „Ich“ verfasste: Ein Bündel von Wahrnehmungen, mehr nicht, sei der Geist, sagte bereits David Hume Jahre vor ihm.

Nietzsche: Die Sprache und die Wahrheit

  • Aufgabe zum Vorphilosophieren: Erörtern Sie, was der folgende Textauszug über Wahrheit aussagen kann.

„Wir reden von einer Schlange: Die Bezeichnung trifft nichts als das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen. Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche Einseitigen Bevorzugungen bald der bald jener Eigenschaften eines Dinges! Die verschiedenen Sprachen nebeneinander gestellt zeigen, dass es bei den Worten nie auf die Wahrheit, nie auf einen adäquaten Ausdruck ankommt. Denn sonst gäbe es nicht so viele Sprachen. […] Was also ist Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: Die Wahrheiten sind Illusionen, über die man vergessen hat, dass sie welche sind […]“ – zitiert aus F. Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne.

Können wir die Welt mit unserer Sprache wahrheitsgemäß beschreiben? Zunächst einmal sollten wir dazu überlegen, was wir als Wahrheit bezeichnen. Ein Beispiel: „Ein Buch liegt neben mir“ ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist. Wir nehmen an, dass der Satz nicht wahr ist, wenn neben mir kein Buch liegt. Jemand könnte diese Aussage („Neben mir liegt kein Buch“) treffen, ohne dass es für sie eine Grundlage gibt. Dann könnte der Satz sich zwar zufällig als zutreffend erweisen. Jedoch würden wir nicht behaupten, es handle sich um Wissen, denn es könnte ja genau so gut auch nur zufällig so sein, wie beschrieben. So ergibt sich eine klassische Definition von Wissen: Es ist gerechtfertigte, wahre Meinung.

Beleuchten wir jedoch den Wahrheitswert sprachlicher Äußerungen mit einem anderen Beispiel: „Neben mir liegt eine Bremse auf dem Tisch“. Nun wird es etwas schwieriger. Denke ich an ein Insekt, oder denke ich an eine Vorrichtung, die bewegliche Dinge anhalten lässt? Das müsste ich Ihnen mitteilen, damit Sie den Wahrheitswert der Aussage beurteilen können. Erst wenn wir uns über unsere Sprachverwendung unterhalten hätten, könnten wir hier weiter urteilen. Und vielleicht wäre sogar eine Sprache denkbar, in der es für eines der beiden Dinge keinen Begriff gibt, der unser deutsches Wort „Bremse“ beschreibt.

Ein vielzitiertes Beispiel ist, dass es in manchen Sprachen mehrere verschiedene Begriffe für verschiedene Arten von Schnee gibt. Wie sollten wir, als Außenstehende, über die Wahrheit solcher Sätze urteilen? Und was, wenn die Begriffe der anderen Sprache und unserer Sprache möglicherweise in einer Weise entgegengesetzt sind, nach der die Begriffe in einer anderen Sprache nicht wahr sein können?

Ludwig Wittgenstein führt in seiner Theorie der Sprachspiele ein weiteres populäres Beispiel an. Er verwendet im Gedankenexperiment den Begriff „Käfer“ für den unbekannten Inhalt einer Schachtel:

„Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schauen; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. Da könnte es ja sein, dass Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja man könnte sich vorstellen, dass sich ein solches Ding fortwährend veränderte. Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? So wäre er nicht der der Bezeichnung des Dings.“ [Quelle: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. (1953) § 293.]

Wittgenstein bringt dieses Gedankenexperiment im Kontext seiner Überlegungen zum Schmerz und wie man sich sprachlich darauf bezieht. Jeder hat nur seine eigenen Schmerzen, der Zugang der anderen zu dem Schmerz einer Person ist indirekt.

  • Diskutieren Sie: Sind Schmerzen wie die Käfer in der Box? Jeder könnte andere Schmerzen haben, sie könnten sich fortwährend ändern? (Diese Aufgabe stammt aus Joachim Eberhardts Gedankenexperiment-Lexikon.)

Weitere Materialien zu Nietzsche:

BBC-Biografie zu Nietzsche (Quelle: YouTube)

Sternstunde Philosophie: Friedrich Nietzsche: Das Leben bejahen, Schweizer Radio und Fernsehen (Quelle: srf)

BR Alpha: Denker des Abendlandes –  Schopenhauer und Nietzsche (Quelle: BR)

Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im Außermoralischen Sinne: Ein Kerngedanke kurz erklärt (Quelle: YouTube)

Was ist wahr? Überblick zu aktuellen Wahrheitstheorien (Quelle: www.gawagai.de)

Friedrich Nietzsche: Biografische Daten

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), Philosoph, betrachtete sich als Psychologe. In seiner Philosophie war er stark beeinflusst von der Philosophie Schopenhauers. Hauptwerke umfassen Also sprach Zarathustra, Zur Genealogie der Moral, Die fröhliche Wissenschaft, Menschliches, Allzumenschliches, Der Antichrist.

Tabellarische Biografie (Quelle: dhm.de)

Ausführliche Biografie (Quelle: deutsche-biografie.de)

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