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Deutschland – Italien 1:2

 
  • Deutschland scheitert im EM-Halbfinale an Italien
  • Zwei Tore durch Balotelli
  • Wie weiter?

Kein schöner Schland (Foto: Joern Pollex/Getty Images)

Fazit

Das war’s dann. Die schwarz-rot-goldenen Perücken, Hawaiiketten und Autospiegelflaggen landen wieder auf dem Dachboden, für zwei Jahre zumindest. Die deutsche Nationalelf ist ausgeschieden, wieder Halbfinale, wieder Italien, wieder kein Titel, wieder Tränen.

Und jetzt wieder viel Gerede. Woran lag es? An Löw? Am Rasen? An Waldi? Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl, die dieses Aus erklären mussten, versuchten es in der Nacht schon einmal. Beide waren sich uneinig, und das ist noch harmlos formuliert. Beckmann stellte sofort alles infrage. Ob die Mannschaft zu selbstgefällig sei, ob es mit flachen Hierarchien nie mit dem Titel klappt, solche Sachen. Scholl war davon genervt, wurde richtig pampig. An diesem Tag wurden Fehler gemacht, klar, aber das große Ganze ist schon okay, sagte er sinngemäß. So ähnlich wird in den nächsten Tagen überall diskutiert werden. An den Stammtischen, im Büro, in der Otto-Fleck-Schneise.

Vielleicht muss Joachim Löw dieses Spiel wirklich auf seine Kappe nehmen. Wie im Viertelfinale gegen Griechenland brachte er mit Gomez, Kroos und Podolski überraschend drei Neue. Der Unterschied: Heute spielten alle schlecht. Die Gegentore fielen aber nach individuellen Fehlern. Beim ersten Tor spielte Cassano mit Hummels Brummkreisel, seine Flanke köpfte Balotelli ein. Beim zweiten Tor schätzen Podolski und Lahm einen langen italienischen Ball falsch ein, wieder traf der geschmähte Balotelli.

Löw korrigierte seine Fehler in der Halbzeitpause, zehn, fünfzehn Minuten sah es nach einem Wunder von Warschau aus. Dann wechselte Prandelli, der auch schon mal das ein oder andere Taktikseminar besucht hat. Die Italiener hätten nach Kontern daraufhin das 3:0, 4:0. 5:0, sogar das 6:0 machen können, wären sie nicht ausgerutscht oder hätten den Ball vorbeigestolpert. Es gab dann noch ein Elfmetertor, Özils einziges Turniertor. Aber das war’s.

Eins noch: Gratulation, Italien. Habt einen schönen italienischen Sommer. Aber zieht Euch irgendwann wieder was über.

Antonio Cassono mag es luftig Foto: Michael Regan/Getty Images

Jogi Löw im TV-Interview: „Die Tore sind durch Fehler hinten entstanden…Mats muss nur stehen bleiben…Waren nach dem 0:1 fahrig…Mannschaft hat in der 2. Halbzeit großes Herz gezeigt…Wenn Italien 2:0 führt, wird es schwierig…Man sollte jetzt nicht den Fehler machen, alles zu hinterfragen…Die Mannschaft hat insgesamt ein gutes Turnier gespielt…Die Mannschaft wird sich weiterentwickeln.“

Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl drehen gleich das ganz große Rad. Puh, Jungs, müsst ihr gleich Meta werden? Schlaft doch erst mal ’ne Nacht drüber, okay?

Philipp Lahm sagt: „Wie die Gegentore gefallen sind, das darf uns nicht passieren.“

Aus, das war’s. Italien steht im Finale. Die Deutschen fahren nach Hause.

93. Minute Wilde Szenen in Warschau, Neuer macht den Libero, schießt und köpft den Ball nach vorne. Ich bin fix und fertig.

92. Minute Tooor für Deutschland, Mesut Özil, Elfmeter, weil Handspiel. Noch zweieinhalb Minuten Nachspielzeit. Uiuiui, der Puls geht noch mal hoch. Man hat ja schon Pferde vor Pizzerien kotzen sehen.

88. Minute Die letzten deutschen EM-Sekunden ticken herunter. Ich weiß ja: Dieses Blog soll lustig sein. Fällt grad schwer, gebt uns ein paar Minuten, ja?

86. Minute Einwurf aus Kiew: „Де Баллак? Термiново знайдiть його, i випустiть на поле, бо цi хлопцi грають гiрше за школярiв!“ Wir hier in Berlin können nur eingeschränkt zustimmen.

83. Minute Die Italiener vergeben eine Konterchance nach der anderen. Rutschen aus oder knödeln vorbei. Sieht man sonst nur auf dem Bolzplatz.

81. Minute Die Fluchquote in der Redaktion steigt. Die Spielerbeschimpfungen auch. Bitte lesen Sie hier nicht weiter !“&ampÖzil;$()/Kroos“(&$=“$“)//=)/“)/R!

79. Minute Italien hat den anfänglichen Zweithalbzeitssturmlauf der Deutschen durch seine Einwechslungen gut in den Griff bekommen. Schon lange keine deutsche Chance mehr. Dafür Pirlo, Pirlo, Pirlo. Der Hannibal Lecter des Weltfußballs.

Andrea Pirlo – mit Sauerstoffmaske, oder so. (Foto: Claudio Villa/getty)

75. Minute Riesenchance schon wieder für Marchisio. Kommentar vom linken Schreibtisch. „Das wird kein hoher Sieg mehr.“

72. Minute Wir sind hier etwas ratlos. Sollen wir die Schland-Autospiegelflaggen abziehen, die Brotdose vollschimmeln lassen, die künstlichen Wimpern abnehmen? Ist in 20 Minuten wirklich alles vorbei? Kaum zu glauben.

67. Minute Marchisio schießt etwa 15 Zentimeter am Tor vorbei. Sonst hätten wir schon mal zusammen packen können.

65. Minute Die da singen, sind übrigens die Deutschen. Also die deutschen Fans.

 

60. Minute An die werdenden Mütter dieser Welt: Soll ihr Sohn mal EM-Torschützenkönig werden, nennen Sie ihn Mario. Schon drei EM-Marios mit drei EM-Toren an der Spitze der EM-Torschützenliste (Gomez, Mandzukic, Balotelli). In 30 Minuten ist nur noch einer im Turnier.

55. Minute Özil hechelt mit dem Ball bis zur Grundlinie, legt zurück auf Khedira. Der aber hat tausend italienische Stiefel gegen sich. Starke Phase jetzt der Deutschen. Weitermachen!

49. Minute Lahm kommt im Strafraum zum Abschluss, schnibbelt den Ball aber drüber. Aber das sieht jetzt besser aus. Mehr Tempo, Kombinationen. Bereit für das Wunder von Warschau?

46. Minute Löw wechselt trotz anderer Forderungen zumindest Reus ein (für Podolski) und Klose (für Gomez).

 

Halbzeit Kein schlechter deutscher Beginn, aber dann. Löws Umstellungen nahmen wir grübelnd zur Kenntnis. Was wollte uns Jogi damit sagen? Vielleicht weiß er es selbst nicht. Kroos kann Pirlo nicht den Ball klauen, Podolski ist ein Totalausfall, Gomez nicht zu sehen. Dazu kommt die deutsche Abwehr mit den langen, schnellen Bällen auf das Anarchisten-Duo Balotelli und Cassano gar nicht klar, auch wenn es am Ende zwei individuelle Fehler von Hummels und Lahm/Podolski waren. Wir fordern Reus, Klose, Müller, Götze, Schürrle, Flick, Köpke!

43. Minute Die deutsche Mannschaft versucht sich jetzt in die Halbzeit zu schleppen. Sie bekommt das Spiel nicht zu fassen, wie es so schön heißt. Ja, das ist alles schwer zu fassen.

36. Minute Tor für Italien, wieder Balotelli. Langer Ball von Montelivo, Lahm verschätzt sich komplett und Balotelli schweißt den Ball ins Dreiangel. Hui, was ist denn hier los?

35. Minute Italiens Taktik geht bisher auf wie ein Pizzateig. Starkes Pressing, ein frühes Tor, ruhiger Spielaufbau bei Ballbesitz. Wenn die Deutschen den Ball haben, wird es sofort ziemlich eng.

29. Minute Aufregung auch in Kiew: Die Journalistin aus der Ukraine brüllt: „Йоахiм Льов дуже сексуально гризе палець.“ Austin, der letzte Libero Nigerias, sagt: A Fe klose! Wer weiß, was das alles heißt, bekommt ein Obolon, gekühlt.

24. Minute Italiens Bauern holen gerade ihre Traktoren aus den Schuppen.

Noch nicht abgeerntet: Balotelli, Foto: Dario Gambarin/Ansa/dpa

20. Minute Tor für Italien, Mario Balotelli. Das ging dann doch etwas zu einfach für das italienische Stürmerduo. Cassano dreht sich mirnichtsdirnichts um Hummels, Badstuber lässt Balotelli köpfen. Der erste deutsche Rückstand des Turniers, und der erste dicke Doppelpatzer der deutschen Innenverteidigung. Aber besser jetzt als in der 119. Minute.

17. Minute Dieser Pirlo, unglaublich. Wackelt über den Platz, als hätte er drei Kilo Tiramisu genascht und würde jeden Moment einfach umfallen. Und er sieht nicht nur aus wie ein abgewrackter Schlagerstar, er heißt auch so. Heute bei der ZDF-Schlagerparade Andrea Pirlo mit ihrem neuen Hit: „Ich mag so gerne Löffelchen.“ Am Keyboard Daniele De Rossi, Percussion Angelo Montelivo.

14. Minute BREAKING: Hummels mit seinem ersten Foul des Turniers, an Balotelli. Übrigens ist heute internatIONALER CAPS-LOCK-DAY

13. Minute Ungewöhnlicher Patzer von Buffon. Ich wette, er weiß, wie das Spiel ausgeht.

9. Minute Wir überlegen hier, uns auch bald mit einem Ableseservice selbständig zu machen.

 

5. Minute Schon jetzt zu erkennen: Die Italiener gehen sehr früh drauf. Die Deutschen spielen aber trotzdem schon gut rundherum. Erste Möglichkeiten: Hummels Kopfball und abgeblockter Khedira-Schuss.

1. Minute Die Spiele mögen beginnen.

20.44 Uhr Die Kapitäne tragen die Anti-Diskriminierungserklärung vor. Es lesen ein Klassensprecher (GER) und ein Rockstar (ITA).

20.40 Uhr Schon gesagt, dass ich Hymnen mag? Ach was, ich liebe sie, obwohl sie ja schon ein wenig nationalistische Kackscheiße sind. Die von Italien mag ich besonders. Dieses vorsichtige Vorspiel, dann Italia mit Inbrunst und wenn man denkt, es ist vorbei, geht es noch mal los. Dada-da-dada-da…. Auch textlich wissen die Italiener, was sie wollen: „Lasst uns die Reihen schließen, Wir sind bereit zum Tod, Wir sind bereit zum Tod, Italien hat gerufen! Lasst uns die Reihen schließen, Wir sind bereit zum Tod, Wir sind bereit zum Tod, Italien hat gerufen! Ja!“ Die deutsche Hymne dagegen ist ziemlich lahm.

20.36 Uhr Selbst die Blankeneser Trainerlegende und Taktik-Papst Oliver Fritsch kann sich noch keinen Reim auf die Aufstellung von Kroos machen. Wir probieren mal, mit letzter Tinte: „Der Jogi setzt auf Kroos, damit der Pirlo geht nicht loos.“ Grass wäre stolz auf uns.

 

20.31 Uhr Wer nicht hören will, wie Mehmet sich den Mund wund redet, kann hier noch etwas schmökern: Philipp Lahm hat sich interviewen lassen. Uns hat er gesagt, dass das EM-Spiel gegen Portugal das schwerste seines Lebens war. Eike Kühl, der mir hier EM-müde gegenüber sitzt, hat sich in Mario Balotelli eingefühlt, kam aber mit voller Haarpracht zurück. Die Kollegen der SZ haben ihr A-Z online gestellt, von „Ausgerechnet Schnellinger“ bis „Zoff“. Freunde des gepflegten Verschiebens können den Taktikriemen der Spielverlagerer konsumieren (Zitat: „Spielstarke Innenverteidiger, ein schnelles und breites Vertikalspiel, einen Lückensucher wie Özil in den Reihen und polyvalente Pressingspieler – all diese Faktoren sind gute Voraussetzungen, um eine Raute zu knacken.“) Und in Düsseldorf wird jetzt schon gefeiert. Wenn sie das alles gelesen haben, wissen Sie mehr als ich.

20.21 Uhr Die Italiener haben auch eine Aufstellung, diese hier: Buffon – Balzaretti, Barzagli, Bonucci, Chiellini – Marchisio, Pirlo, De Rossi – Montolivo – Cassano, Balotelli

20.10 Uhr Ich bin zum Glück nicht allein. Die Kollegen Kühl und Jochheim schmeißen minütlich ihre Expertise in die Berliner Runde hier. Im Stadion in Warschau sitzt Oliver Fritsch, der twittert und gut aufpasst. Und in Kiew schaut Steffen Dobbert, diesmal nicht mit Funtik, dem Schwein, auch nicht mehr in der deutschen Botschaft. Nein, Steffen hat auf dem Bolzplatz Austin, Michael, Anderson und Briggs getroffen, die sagen, sie seien die besten Nigerias. Seit Wochen suchen sie einen Fußballklub in Kiew. Heute Abend jubeln sie für Deutschland und lassen unseren Reporter dabei sein.

Gomez spielt also, wir können uns auf ein haariges Duell freuen.

 

19.40 Uhr Ganz frisch flattern hier die Aufstellungen rein. Hui, und da wurde wieder munter durcheinandergewürfelt: Neuer – Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm – Schweinsteiger, Khedira – Kroos, Özil, Podolski – Gomez. Also Gomez für Klose, Kroos und Podolski für Schürrle und Reus. Grübel, grübel.

Vorbemerkungen:

Das WM-Halbfinale 2006 war eine Art 9/11 für Fußballsympathisanten. Jeder weiß noch, wo er war, als es passierte. Sie wissen es auch noch, oder? Ich saß in einer Studentenkneipe, brechend voll, in Frankfurt-Bockenheim, und verstand nicht, warum die Italiener das machten. Es war doch unsere Party, ihr Spielverderber. Ich erinnere mich sogar, ein paar Wochen aus Trotz keine Pizza mehr gegessen zu haben. Ich schäme mich heute dafür. Aber nicht sehr doll. Weil ich schnell wieder rückfällig wurde, als mein Sandwichmaker kaputt ging. Was will ich eigentlich sagen? Ach ja, ich habe immer noch etwas Angst vor den Italienern.

Der Text meines Kollegen Oliver Fritsch hat mir bei der Bewältigung geholfen. Er wirkte angstlindernd – und er hat recht: Verderben wir den Spielverderbern einfach das Spiel. Die Truppe ist viel besser als damals, besser als die Italiener. Die werden nämlich gerade arg überschätzt, behaupte ich einfach mal. Wer sich gegen die erschreckend schwachen Engländer in ein Elferschießen zittern muss, den kann man doch nicht ernst nehmen. Und erst ihre Leistungsträger: Andrea Pirlo, eine klapprige Vespa unter dicken Sportmaschinen. Balotelli, dem man auf dem Feld beim Denken zusehen kann. Und Buffon, Weltmeister ja, aber auch Wettmeister.

Die älteren Kollegen scheinen noch etwas skeptischer, sie holen dann immer den Fußball-Almanach vom Dachboden. Darin steht, dass die Deutschen bei einem großen Turnier noch nie gegen Italien gewonnen haben. Sie reden dann von 1970, als alles noch Schwarz-Weiß war, oder 1982, als die Farben so bunt waren, dass sie in den Augen brannten. Aber das ist alles Quatsch. Einem Özil, einem Podolski, einem Lahm sind 1970 und 1982 herzlich egal. Sie wollen einfach nur gewinnen. Nicht mehr und nicht weniger. Sollen sie machen. Damit wir uns so etwas nicht mehr anhören müssen. Wie damals, 2006. Sie wissen ja noch, wo Sie waren.