Nach dem Volksfest inklusive Hetzjagd auf acht Inder in der sächsischen Kleinstadt Mügeln hatte sich die Chance eröffnet, das eigentliche Problem des Rechtsextremismus in Deutschland zu thematisieren; nämlich die feindlichen Einstellungsmuster bei den Älteren, die von den Jüngeren übernommen würden – und sich ständig reproduzierten, wie es der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer formulierte. Auch die kontraproduktiven Neuerungen an den Bundsprogrammen für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus interessierten auf Grund des noch nicht gestopften Sommerloches plötzlich die breite Öffentlichkeit. Ende des vergangenen Jahres, als das Thema wirklich aktuell war und es um diese Neuausrichtung ging, war das noch ganz anders.
Jetzt ist das Kind `Bundesprogramme` in den Brunnen gefallen – geklärt wird nun noch die Schuldfrage. In der Schusslinie – vollkommen zu Recht: Familienministerin von der Leyen und die Union, welche die alten Programmen so entstellten, dass deren Wirkung erfolgreich verpufft ist: Unbequeme Initiativen, die Missstände in den Kommunen aufzeigten, haben es jetzt deutlich schwerer. Und die Gelder werden nach dem Gießkannenprinzip so großflächig verteilt, dass sie ohne Flurschaden für um das Image besorgte Lokalpolitiker versickern. Zu allem Überfluss geriert sich die Union und von der Leyen nun auch noch als Förderer der Anti-Rechtsextremismus-Programme, obwohl das Gegenteil der Fall ist: Die Union wollte diese Programme kürzen und Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus auf den Weg bringen. Eine Vorstellung, die viele Beobachter durchaus belustigte: Initiativen gegen Linksextremismus und Islamismus in Anklam und Riesa wären sicherlich interessant geworden.
Kalkül oder Unwissenheit?
Immerhin lagen die Themen `feindliche Einstellungen in bürgerlichen Kreisen` und `Programme gegen Rechtsextremismus` also auf dem Tisch. Besser spät als gar nicht, möchte man richtigerweise einwerfen. SPD-Chef Beck hat es aber nun geschafft, diese Diskussion durch eine inhaltsleere NPD-Verbotsdebatte zu ersetzen. Dabei hat Beck zwei Dinge nicht zu erklären vermocht: Was genau hat Mügeln mit der NPD zu tun? Die NPD ist Symptom des Rechtsextremismus – nicht die Ursache. Und zweitens: Warum sollte eine Diskussion über ein NPD-Verbotsverfahren beim 15. Mal innerhalb von drei Jahren konstruktiver sein, als bei den 14 Mal zuvor?
Hinter Becks Vorstoß könnten also zwei Motive stehen: Ablenken von der inhaltlichen Debatte über feindliche Einstellungen beim “Kleinen Mann” – diese Auseinandersetzung würde auch für die SPD schmerzhaft sein – und möglicherweise weitere Wählerstimmen kosten. Denn auch bei SPD-Anhängern sind solche Einstellungen durchaus verbreitet, wie mehrere Studien belegen. Die andere Variante erscheint noch naheliegender: Komplette Ahnungslosigkeit gepaart mit dem Anspruch, sich als SPD-Chef zu allen relevanten Theman äußern zu müssen. Frei nach dem Motto: Es wurde schon alles gesagt, aber nicht von Jedem. An dieser Stelle sei an Becks Vorschlag erinnert, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln… Außerdem braucht die SPD sicherlich ein Thema, über das man sich etwas profilieren kann. Dafür wird dann auch mal wieder die braune NPD-Sau durch die Republik getrieben – wohl wissend, dass die Debatte nutzlos ist, da die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht erfüllt werden können. Denn da stehen der Verfassungsschutz und dessen bezahlte Informanten in der NPD im Weg.
Thema verbrannt…
In der kommenden Woche wird der Medienhype um das Thema Rechtsextremismus wieder zusammensacken. Was bleibt? Die inhaltliche Diskussion wurde ein wenig vorangetrieben, die Öffentlichkeit auf bestimmte Mechanismen hingewiesen; dazu eine weitere Episode in der unendlichen Geschichte “erneutes NPD-Verbotsverfahren”. Weitere werden folgen: Denn die NPD nützt den großen Parteien als Stellvertreter für das Böse. Um dies klar zu stellen und um im kindlichen Einteilungsschema zu verharren: Die NPD ist übel, sogar sehr übel. Doch sie ist nicht das eigentliche Problem. In einer intakten, toleranten Gesellschaft hätten die Irrenhaus-Parolen dieser völkischen Partei keine Chance. Genausowenig wie rassistische Schläger auf Stadtfesten.
Leider ein frommer Wunsch. So muss auf die nächste Gelegenheit gewartet werden, wenn sich Medien und Politik wieder intensiv für das Thema interessieren, um dann erneut einige Diskussionen anzustoßen. So lange, bis irgendjemand diese Debatte mit dem Vorschlag, die NPD zu verbieten, wieder abwürgt.