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Schwerin 2008: Gespräch über Demokratie, Mittelmaß und Rechtskonservatismus

 

Seit ein paar Wochen ist manches anders im politischen Schwerin. Bisweilen wird nun nicht mehr nur über das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts oder die aktuelle Höhe der Steuersätze diskutiert. Zwei Verwaltungsbeamte führten vielmehr jüngst in einem Schweriner Café ein Gespräch über Demokratie, Mittelmaß und Rechtskonservatismus.


Folgender Dialog beruht auf einer wahren Begebenheit. Die Personen sind jedoch soweit anonymisiert, dass ihre Identität – hoffentlich – nicht aufgedeckt werden kann. Philia ist eine junge Frau, etwa 25 Jahre alt, Kennerin Stefan Georges. Philos ist etwa 40 Jahre alt und entstammt einer gutbürgerlichen Familie mit liberaler Tradition.

Philos: Sagen Sie mal: Finden Sie es problematisch, was der Brodkorb mit den Herren und Damen um die „Blaue Narzisse“ und die „Junge Freiheit“ macht?

Philia: Nein, aber er kann es sich nur deshalb leisten, weil es sonst keiner tut. Die haben doch in gewisser Hinsicht recht: Natürlich ist unsere demokratische Öffentlichkeit durch Macht strukturiert. Der „herrschaftsfreie Diskurs“ ist eine nette normative Idee, aber nicht die Realität. Und ich finde das sogar gut so.

Philos: Aber das kann doch nicht Ihr Ernst sein: Dass es diese Machtmechanismen gibt, kann nicht bestritten werden. Aber wir können das doch nicht auch noch feiern. Wenn sie diese Mechanismen bewusst unterstützen, werden Sie vielleicht demnächst selbst deren Opfer werden.

Philia: Der entscheidende Punkt ist doch folgender: Deutschlands Rechtsintellektuelle sind derzeit machtpolitisch harmlos. Solange nur Brodkorb über sie nüchtern, sachlich und diskursiv berichtet, bleibt auch alles harmlos. Was aber, wenn diese Leute an Einfluss gewinnen? Wen ziehen die dann in ihrem Schlepptau mit? Es geht mir gar nicht um Dieter Stein und Co. Aber auch in den 1920er Jahren war das so: Die „Konservative Revolution“ hat ein intellektuelles Milieu erzeugt, das von den meisten ihrer Anhänger gar nicht verstanden wurde. Dort sind archaische Motive mobilisiert worden, die die elitären Konservativen am Ende nicht mehr im Griff hatten. Und wenn dieser Zustand wieder drohen sollte, bin ich froh, dass wir auf unsere meinungsbildenden Machtapparate zurückgreifen können.

Philos: Wollen Sie ernsthaft Dieter Stein oder Karl Marx für das verantwortlich machen, was irgendwelche Idioten daraus schlussfolgern? Wollen sie jeden riskanten, ambitionierten Gedanken unter Generalverdacht stellen, weil es einen geben könnte, der ihn nicht oder falsch versteht? Eine solche Herangehensweise verabschiedet sich von demokratischer Liberalität. Demnach müssten Sie z.B. alles, was Stefan George geschrieben hat, verbieten.

Philia: Ich halte nichts von dieser idealisierten Vorstellung von Demokratie. In der Demokratie geht es um Interessen und Machtbündnisse. Demokratie bedeutet lediglich, dass viele an der Willensbildung mitwirken und einzelne ihre Macht nicht überstrapazieren können. Das ist alles, aber auch richtig so. Nur: „fair“ geht es nicht unbedingt zu. Ich beschäftige mich in der Tat emotionslos und sachlich mit George heute nur, weil wir es uns leisten können. Weil seine Anhänger marginalisiert sind. Es wäre für mich undenkbar, verträumt über Georges Ästhetik zu schreiben, während dessen Anhänger politisch auf dem Vormarsch sind. Dann würde ich mit voller Kraft mit politischen Texten dagegen halten und auch auf der Klaviatur der meinungsbildenden Machtapparate spielen.

Philos: Heute sind nicht die 1920er Jahre. Unsere demokratischen Institutionen sind stabil. Wir können und sollten uns eine gehörige Portion Liberalität leisten. Und vor allem: Ihr Plädoyer ist eines fürs Mittelmaß, für Belanglosigkeit, für Sattheit – ohne dass Sie selbst mittelmäßig sind. So gesehen ist das eine eigene Form der elitären Selbstgefälligkeit: Sie sitzen bequem in der Mitte, lesen George und ihre Mitmenschen bilden für Sie eine demokratische Knautschzone, die von außen undurchdringbar ist. Jeder riskante und ambitionierte Gedanke müsste sofort von der „Gedankenpolizei“ eingeholt werden, weil irgendwelche Leute ihn möglicherweise nicht verstehen. Das wäre langfristig nichts anderes als die intellektuelle und kulturelle Degeneration einer ganzen Gesellschaft: Die Leute werden abgefüttert, um nicht mehr denken zu können und auch nicht mehr zu müssen.

Philia: Das stimmt. Aber ich glaube, dass genau dieses „Mittelmaß“, wie Sie es nennen, ein einzigartiger Schutzwall gegen extremistische Angriffe und Zuspitzungen ist. An diesem demokratischen „Mittelmaß“ beißen sich Extremisten in einer liberalen Gesellschaft die Zähne aus. Und wenn ich wählen muss zwischen dieser gemäßigten, unambitionierten Gesellschaft, in der jeder dennoch seinen Platz finden kann, oder der Gefahr des extremistischen Ausbruches, weiß ich, was ich wähle.

Und jetzt darf diskutiert werden…

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de