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Ist der Dalai Lama ein Ethnopluralist? – Die etwas andere Osterbotschaft.

 

Auch wenn es einen zunächst irritieren mag: Der Dalai Lama verwendet zur Rechtfertigung der tibetischen Autonomie Argumente, wie sie scheinbar seit Jahrzehnten auch in neu-rechten Kreisen vertreten werden. Demnach stützt er seine Position auf einen Kulturalismus, der im Laufe des 20. Jahrhunderts rechts wie links weite Verbreitung gefunden hat und eben auch von relevanten Teilen der NPD geteilt wird.

Vom Imperialismus zum Ethnopluralismus

Diese lagerübergreifende Zuwendung zum Kulturalismus hat insbesondere innerhalb der Linken zu massiven Irritationen über das Konzept der „Identität“ geführt, wie der französische Philosoph Pierre-André Taguieff zurecht anmerkt: „Antirassisten fordern den absoluten Respekt der Unterschiede der Kollektive, damit also das Recht auf den Unterschied, und zugleich wollen sie den Übergang zu einer Situation, in der die interethnische und interkulturelle Mischung Wertschätzung genießt.“ (Taguieff 2000: 25) Während die Linke nun bis heute mühsam daran bastelt, das „Lob der Differenz“ mit der multiethnischen Pluralität zu versöhnen, hat die politische Rechte eine ganz eigene Lösung für das Problem gefunden. Denn seit nunmehr vier Jahrzehnten findet in ganz Europa ein fundamentaler Wandel rechten Denkens statt, der sich auch in den Programmdokumenten der NPD nachweisen lässt. Diese Metamorphose ist im Kern durch drei wesentliche theoretische Operationen gekennzeichnet (Brodkorb 2003):

1. Von der Natur zur Kultur: Während die traditionelle Rechte im Zeitalter des Vormarsches der Naturwissenschaften dem Begriff der Natur Priorität einräumte und ihre kollektivistischen Theorien auf biologistische Rassentheorien stützte, stellt die moderne Rechte auch aufgrund einer postmodern geprägten geistesgeschichtlichen Gesamtkonstellation den Begriff der Kultur ins Zentrum ihrer Überlegungen. Der Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, formulierte dies wie folgt: „Der Mensch, sofern er Mensch ist, ist ein Kulturwesen. Die Natur legt den Rahmen fest, in dem sich die Kultur ausdrücken kann, aber sie legt nicht deren Form fest.“ (de Benoist 1985: 59)

2. Vom Sozialdarwinismus zum Werterelativismus: Mit dem Verlust des naturalistischen Ansatzes war der Rechten zugleich die Möglichkeit genommen, weiterhin vom Sozialdarwinismus und damit der Idee eines Wertunterschiedes zwischen Menschen und Völkern auszugehen. Diese Konzeption wurde ersetzt durch einen positivistischen Werterelativismus. An die Stelle der Begriffe „Untermensch“ und „Minderwertigkeit“ treten die Konzepte der „Differenz“ und prinzipiellen „Andersartigkeit“. Der Andere ist nicht mehr an sich, also eine quasi-metaphysische Bedrohung, sondern nur, wenn er im Eigenen anwesend ist. Es geht nicht mehr um die Vernichtung des Anderen, sondern um dessen entschiedene Fernhaltung.

3. Vom Imperialismus zum Ethnopluralismus: Die traditionelle Rechte war bekanntermaßen auf Expansion angelegt. Im Zeitalter des Kolonialismus und des Imperialismus drängte auch der Nationalsozialismus auf die Eroberung fremder Räume. Mit der Neuen Rechten drehte sich die Richtung um: Seitdem geht es großen Teilen der Rechten nicht mehr um die Eroberung der Welt, sondern um den Rückzug auf das „angestammte“ Territorium sowie um die „Reinhaltung“ der eigenen Kultur. Die Erhaltung „Vielfalt der Völker“ wurzelt demnach in der Erhaltung der „Vielfalt der Kultur“: „Ich bin der Ansicht, daß die kulturellen Unterschiede, die Vielfalt der Völker und der Kulturen den eigentlichen Reichtum der Menschheit ausmachen.“ (de Benoist 1999: 9) Um dieses Ziel zu erreichen, müsse Migration verhindert und ggf. wieder rückgängig gemacht.

Der Buddhismus: Eine Philosophie der individuellen Leistung

Vor diesem Hintergrund kann es daher nur wenig verwundern, dass auch Rechte derzeit dem Dalai Lama und den Tibetern beispringen. Sie berufen sich dabei wie einst der Kommunist Lenin auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Das tut auch der Dalai Lama. Interessant ist es daher, ihn selbst zu hören.
Das Politmagazin „Cicero“ veröffentliche bereits in seiner Januarausgabe ein Gespräch mit dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, in dem er mit Blick auf China von einem „kulturellen Völkermord“ (Cicero 1/2008: 33) an den Tibetern sprach – eine Formulierung, die heute um die Welt geht. Der Dalai Lama beklagt in diesem Interview mit Blick auf junge tibetische Flüchtlinge, dass ihnen die Möglichkeit zu wirklicher Identität genommen werde: „Sie sprechen ihre eigene Sprache nur schlecht, reden stattdessen Chinesisch, eine Sprache, die sie ebenso wenig beherrschen.“ (ebd.)
Dem Dalai Lama geht es aber eben nicht, wie der NPD, um die Bewahrung eines „nationalen Kollektivs“, zu dessen Zweck eine vermeintlich „deutsche Kultur“ mobilisiert wird. Das, was der Dalai Lama erhalten will, ist die gesellschaftliche Grundlage für eine Weltanschauung, die weder mit den Lehren der Kommunistischen Partei Chinas noch dem westlichen Liberalismus vereinbar ist. Der Dalai Lama ist Repräsentant einer zutiefst anti-materialistischen, spirituellen Weltanschauung, einer kulturellen Höchstleistung, die wir mit dem Namen Buddhismus verbinden – und die mit „Nationen“ rein gar nichts zu tun hat. Mit dem Untergang des in Tibet gegebenen gesellschaftlichen Milieus wäre auf Dauer zugleich die Basis der Pflege des buddhistischen Erbes in Gefahr. Es geht in Wahrheit also nicht um die Tibeter, sondern um die „Zufluchtnahme zu den drei Kostbarkeiten“ (Dalai Lama 2002: 17): Buddha, Dharma (die Lehre) und Sangha (die Gemeinschaft). Und in genau diesem Sinne ist der Dalai Lama dazu bereit auf eine staatliche Unabhängigkeit Tibets zu verzichten: „Ich verlange nichts weiter als eine echte Autonomie, so wie sie in der chinesischen Verfassung vorgesehen ist. Wenn die chinesische Regierung uns eine echte Autonomie gesteht, welche die Rettung unserer Kultur, unserer Sprache, der Spiritualität und der Umwelt Tibets garantiert, spricht nichts gegen die aktuellen Grenzen.“ (Cicero 1/2008: 33) Wenn gleichzeitig NPD-Abgeordnete die „deutsche Kultur“ (oder das, was sie dafür halten) meinen verteidigen zu müssen, selbst jedoch nicht einmal der deutschen Sprache mächtig sind, ist eine Gleichsetzung dieser Motivation mit der des Dalai Lama eine Beleidigung. Für wen, versteht sich dabei von selbst.
Denn der Buddhismus ist ja gerade im Unterschied zu dumpfen Nationalismen eine Philosophie der individuellen Leistung: Die bloße Teilhabe an einem eingebildeten Ganzen ermöglicht gerade nicht die individuelle Selbstaufwertung. Jeder muss den Weg der „Erleuchtung“ (Dalai Lama 2002: 112) selbst beschreiten. Buddhist ist man nicht durch Geburt, sondern durch das erfolgreiche Beschreiten eines Weges. Kein „Kollektiv“ kann einem dies abnehmen. Und schließlich sollte nicht vergessen werden, dass der Buddhismus eine durch und durch universalistische Philosophie ist, also genau dem widerspricht, was Ethnopluralisten für sich reklamieren: Während das Lebenselixier der Ethnopluralisten die vermeintlich unüberbrückbare kulturelle Differenz zwischen Menschengruppen ist, geht es dem Buddhisten gerade um interkulturelle Verständigung, um die Zurückführung des Verschiedenen auf das Gemeinsame. Der Buddhismus nimmt dabei nicht nur alle Menschen, sondern alle leidfähigen Lebewesen in den Blick.

Literatur:

Brodkorb, Mathias (2003): Metamorphosen von Rechts, Dampfboot

Dalai Lama (2002): Die vier edlen Wahrheiten, Frankfurt am Main
– ders( :2008): „Ich will eine echte Autonomie“, in: Cicero 1/2008, Berlin, S. 32-36

De Benoist, Alain (1985): Kulturrevolution von rechts, Krefeld
– ders. (1999): Aufstand der Kulturen, Berlin

Taguieff, Pierre-André (2000): Die Macht des Vorurteils, Hamburg

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de