In Stolberg sind am 12. April 2008 etwa 800 Neonazis zur „Kevin-Demo“ (Altermedia) aufmarschiert. Ziel des Protestzuges war der Tatort, an dem am vorherigen Wochenende der 19-jährige Kevin P. von einem inzwischen festgenommenen und geständigen 18-Jährigen mit Messerstichen tödlich verletzt worden war. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte die Bluttat weder einen politischen noch rassistischen Hintergrund, sondern private und persönliche Motive. Gegen die Vereinnahmung des Opfers als Märtyrer durch die rechtsextreme Szene, hatten die Eltern des Getöteten zuvor öffentlich Stellung bezogen. Auf der Neonazi-Seite Altermedia hieß es dazu: „Sollen wir auf diese Eltern Rücksicht nehmen?“ Nein, entschieden die Neonazis, denn sie brauchen Märtyrer. Schlicht und ergreifend verwerflich.
„Live-Ticker“ vom „Trauermarsch“
Doch damit nicht genug. Zu dem angeblichen Trauermarsch richteten Neonazis aus NRW einen „Live-Ticker“ ein, in dem sie über die Vorkommnisse berichteten. Im Stile der Frontberichterstattung heißt es unter anderem: „Insgesamt 10 Verletzungen, darunter wurde einem die Kniescheibe rausgeprügelt, ein Kamerad kann sein Auge nicht mehr öffnen, sowie mehrere Schläge im Kopf-Bereich.“ Daraus wird bei Altermedia unter der Überschrift: „Polizei blockiert Demonstration! – Ausschreitungen! – Nationalisten verletzt!“: „Pure Schikane, die man sich auf nationaler Seite keineswegs bieten lassen will. Es kommt zu „Ausbruchversuchen“ wobei es zu Rangeleien mit der Polizei kommt – Festnahmen und Verletzte! Ein Nationalist wird durch den Knüppeleinsatz der Polizei am Kehlkopf verletzt! Einem anderen soll die Kniescheibe kaputt geprügelt worden sein, andere bekommen Schläge im Kopfbereich! Weitere Verletzte gibt es außerdem durch den polizeilichen Einsatz von Pfeffergas.“ In dem Demonstrationsbericht von Christian Worch, Anmelder des Aufmarsches, ist von diesen angeblichen Verletzungen übrigens keine Rede, dort wird aber auch von „Angriffen der Polizei“ geschrieben.
Nach Polizeiangaben gab es 31 Festnahmen, unter anderem wegen Vermummungsversuchen, Mitführen von gefährlichen Gegenständen und Waffen sowie Verstöße gegen versammlungsrechtliche Auflagen. Mehrere verbotene Gegenstände wurden demnach sichergestellt, dazu gehörten Zwillen, Messer, eine Axt, Quarzhandschuhe und Pfefferspraydosen.
„Keine öffentliche Debatte nach München“!?!
Wie geradezu beeindruckend viele Neonazis die Realität komplett ausblenden können, zeigt folgender Absatz bei Altermedia: „Außerdem tritt ein Vertreter des Freien Netzes aus Sachsen ans Mikrophon, der mit Blick auf die gutbürgerlichen Mahnungen gegenüber vermeintlich rechter Gewalt folgerichtig betonte, stattdessen jene Taten ins Licht zu rücken, bei denen zum Beispiel in München Ausländer Rentner verprügeln, bespucken oder beleidigen. Dort blieb der Aufschrei ebenso aus wie in Stolberg.“ Immerhin waren es NPD und andere Neonazis, die die Debatte über „kriminelle Ausländer“, nach der Gewalttat in München losgetreten von Roland Koch und Bild, noch abfeierten.
Die Neonazis haben sich damit aber offenbar noch längst nicht genug entblödet. In Neonazi-Foren werden Gewaltfantasien gegen Polizei, Linke und Nicht-Deutsche freien Lauf gelassen. Zudem wird das militante Auftreten bei der Stolberg-Demonstration als Erfolg gewertet. Und am 26. April wollen die Rechtsextremisten erneut das Gedenken an den getöteten Jugendlichen für ihre Zwecke missbrauchen – dann ruft die NPD zum Aufmarsch auf. Arme Armee.
Siehe auch: Wie Freunde einem Freund – und nicht Kameraden – gedenken.