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Studie ermöglicht Blick in den Abgrund

 

Einer kürzlich veröffentlichten Studie  mit dem Titel »Ein Blick in die Mitte« zufolge, ist eine rassistische, antidemokratische und autoritäre Gesinnung für einen großen Teil der Deutschen selbstverständlich. Leider gingen die erschütternden Ergebnisse der Studie, welche von Elmar Brähler und Oliver Decker  im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt wurde, in der allgemeinen EM-Euphorie nahezu unter.

Die Ergebnisse sind erschreckender Beleg dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus notwendiger denn je ist. Die extreme Rechte hat sich mit ihrer Ideologie offensichtlich im Zentrum der Gesellschaft verankern können.


Bereits vor zwei Jahren gab es eine repräsentative Umfrage »Vom Rand in die Mitte«, die eine drastische Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus belegte: 37 Prozent der Befragten meinten, dass Migranten nur nach Deutschland kämen, um »unseren Sozialstaat auszunutzen«. Etwa 39 Prozent fanden »Deutschland von Ausländern überfremdet«. Jeder vierte sehnte sich nach einer »einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«.
Die neue Untersuchung sollte nun zeigen, wie diese Einstellungen zustande kommen. Dafür wurden an mehreren Orten in Deutschland Diskussionsrunden organisiert. Die Teilnehmer sprachen dabei ihre rassistischen Vorurteile mit einer solchen »besorgniserregenden Selbstverständlichkeit« aus, dass die Wissenschaftler an ihren früheren Ergebnissen zweifelten. »Offenbar wurde die Ausländerfeindlichkeit in der ersten Studie unterschätzt«, sagte die Psychologin und Co-Autorin der Studie, Katharina Rothe.

Weiter herrscht generell ein großes Unwissen und Unverständnis über die Möglichkeiten der Mitwirkung in einer Demokratie, verbunden mit einer Geringschätzung des demokratischen Systems an sich. Viele der jungen Leute hofften auf “irgend einen Führer”, weil es so nicht mehr weitergehen könne.

Studie bestätigt Trend

Die Ergebnisse decken sich unter anderem mit denen der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld. Seit Jahren steige demnach eine »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«, wer nicht ins Raster passe, werde verachtet und gehasst. Die Ergebnisse der neuen Studie bestätigen auch, was zuvor bereits einfache Statistiken gezeigt haben: Es gab beispielsweise während der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren eine deutlich höhere Zahl rassistischer Angriffe als sonst – nur wurden sie kaum zur Kenntnis genommen, weil diese Zahlen nicht zum so genannten »Sommermärchen« passten. Der im Feuilleton allgemein als unbedenklich bewertete »Party-Patriotismus« hat offenbar nicht dazu geführt, dass der Rassismus abnimmt, wie etliche damals prognostizierten. Vielmehr wird Rassismus heute augenscheinlich offener formuliert als je zuvor – was laut Heitmeyer durchaus mit einem generell gestiegenen Nationalstolz zusammenhänge.

Erklärungsversuche

Um diese Entwicklung zu erklären, zitieren Brähler und Decker aus »Die Unfähigkeit zu trauern« von Alexander und Margarete Mitscherlich. Demnach trat an die Stelle des »kollektiven Narzissmus«, der durch den Zusammenbruch des Nationalsozialismus schwer geschädigt wurde, »der wirtschaftliche Aufschwung, das Bewusstsein, wie tüchtig wir sind«. Antidemokratische Einstellungen seien damals wie in einer Plombe verschlossen worden. Mit der zunehmenden Angst vor dem sozialen Abstieg öffne sich die Plombe wieder – und setze auch die autoritären und rechtsextremen Ansichten frei.

Verankert im Osten wie im Westen

Auffallend ist, dass der Studie zufolge rechtsextreme Ansichten in allen Teilen Deutschlands weit verbreitet sind – im Westen sogar noch stärker als im Osten. Das wirkt angesichts der jüngsten Wahlerfolge der NPD in Sachsen zunächst befremdlich. Die Autoren erklären aber die Feststellung damit, dass sie nicht die Handlungen, sondern die zugrunde liegenden Haltungen untersucht haben. Für die potentiellen Opfer des Rassismus ist natürlich der Unterschied zwischen einer Einstellung und einer Handlung existenziell. Die Wahrscheinlichkeit, an einem brandenburgischen Baggersee von rechtsextremen Schlägern malträtiert zu werden, ist für Migranten ungleich höher als zum Beispiel an einem See in Bayern – selbst wenn die Vorurteile in beiden Bundesländern in gleichem Maße verbreitet sind.