Die Wahlen rücken näher, die Verantwortlichen werden nach Jahren des Todschweigens und Ignorierens offenbar langsam nervös: Thüringens Innenminister Manfred Scherer (CDU) hat laut ddp zu mehr Zivilcourage im Kampf gegen rechtsextreme Parteien aufgerufen. Angesichts der Kommunalwahlen im kommenden Jahr seien „alle Bürger gefordert, dazu beizutragen“, Erfolge der NPD in den Kommunen und Kreisen zu verhindern, sagte er demnach in Erfurt anlässlich der Eröffnung der neuen Geschäftsstelle der „Mobilen Beratung in Thüringen Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus“ (MOBIT). Er gehe fest davon aus, dass die NPD den Einzug in den Landtag verpassen werde. In den Gemeinden indes sei dies wegen des Wegfalls der Fünf-Prozent-Hürde schwerer zu verhindern, fügte Scherer hinzu.
Wie ernst die Verantwortlichen in Thüringen aber bislang die Bedrohung durch organisierte und/oder prügelnde Rechtsextremisen genommen hat, zeigt sich an der Tatsache, dass Thüringen im Jahr 2008 noch immer das einzige Ost-Bundesland ohne Landesprogramm gegen Rechtsextremismus ist. Dabei ist es seit Jahren zu beobachten, dass Neonazis konzentriert am Aufbau von Strutkturen in dem Bundesland arbeiten. Zurzeit ist die NPD zwar mit internen Machtkämfen beschäftigt, aber genau das zeigt, dass es mittlerweile Macht und Einfluss zu verteilen gibt, um den sich die Neonazis überhaupt streiten können.
Stärkung demokratischer Werte und einer aktiven Bürgergesellschaft
Astrid Rothe-Beinlich, Landessprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen und Mitglied im Bundesvorstand schrieb im März 2008 über die Lage in Thüringen: „Thüringen muss die rote Laterne nicht nur bei der Förderung solcher Projekte wie denen aus dem CIVITAS-Programm (oder auch jetzt unter neuem Namen und mit Feuerwehrcharakter) abgeben, nein, Thüringen muss auch dringend aufpassen, dass es nicht das letzte Bundesland ohne Landesprogramm zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus und Rassismus bleibt. Um deutlich zu machen, dass es bei dieser Forderung nicht um Parteipolitik geht, soll beispielhaft auf die Programmziele in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen sein, die sich nahezu gleichen. Dort geht es um die Wahrnehmung von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus als andauernde Themen mitten in der Gesellschaft.
Es geht um die Stärkung demokratischer Werte und einer aktiven Bürgergesellschaft. Es geht um die Mobilisierung der Bürger gegen totalitäres Denken und für Toleranz und Demokratie. Es geht um Qualifizierung und Beratung von Fachkräften, um den Opferschutz und um die Vernetzung von staatlichen Institutionen mit Nichtregierungsorganisationen.“
Landesprogramm gefordert
Bei der Eröffnung der Mobit-Geschäftsstelle forderte DGB-Landeschef Steffen Lemme ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus. Ziel müsse es sein, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus sowie Antisemitismus „im Keim zu ersticken“ und nicht erst nach begangenen Taten einzugreifen. Aus diesem Grund seien zusätzliche Förderungen für präventive Maßnahmen gegen Rechtsextremismus notwendig.
Der Thüringer DGB hat laut einem ddp-Bericht für den Freistaat einen eigenen Landesbeauftragten gegen Rechtsextremismus gefordert. DGB-Landeschef Steffen Lemme sagte demnach, die Stelle sollte in der Staatskanzlei angesiedelt sein, in verschiedene Ministerien einwirken können und über einen “ordentlichen Etat” verfügen. In den Schulen fehle es an ausreichender Bildung beispielsweise über das Ende der Weimarer Republik und die Nazizeit.
Zuvor hatte Lemme betont, die Zahl der NPD-Aufmärsche habe zugenommen, die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten oder Bedrohungen sei gestiegen. Daher müsse ein Landesbeauftragter gegen Rechtsextremismus in Innen-, Kultus- und Sozialministerium dafür sorgen, “dass eine strukturierte Gegenoffensive aufgebaut wird.
“Gefährliche Gleichgültigkeit”
Im Jahr 2007 erlangten die Opferberatungsstellen in den östlichen Bundesländern und Berlin nach eigenen Angaben Kenntnis von insgesamt 861 rechts motivierten Gewalttaten, 67 davon in Thüringen. Der Deutschlandfunk berichtete im Mai 2008 über die Vorbereitungen der NPD auf die Kommunalwahlen in Thüringen. Viel Widerstand gegen die Rechtsextremisten gebe es nicht, die Bevölkerung reagiere eher mit einer gefährlichen Gleichgültigkeit. Zudem verfügen die Rechtsextremisten über eine gewisse Infrastruktur in Thüringen, erst im April hielt die GFP ihr Jahrestreffen in Suhl ihre Jahrestagung ab. Auch das Collegium Humanum und der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger sind/waren in dem Bundesland besonders aktiv. Auch das “Fest der Völker” findet regelmäßig hier statt.
Kein Jugendproblem
Etwa 15 Prozent der Thüringer haben laut MDR rechtsextreme Einstellungen oder sympathisieren mit ihnen. Das ist eines der Ergebnisse des Thüringen Monitors 2007. Die alljährliche Befragung von Einwohnern des Freistaats durch die Universität Jena hat zudem ergeben, dass rechtsextreme Einstellungen eher bei älteren Menschen und solchen mit geringer Bildung anzutreffen sind.
Der Konfliktforscher Heitmeyer betonte im Interview dazu: “Die feindseligen Mentalitäten werden vor allem von den Älteren vertreten – und die Jüngeren bringen dann die Gewalt ins Spiel. Und dann wird eine Gesellschaft plötzlich nervös. Was die Älteren an Denkmustern jeden Tag am Stamm- oder am Abendbrottisch transportieren, das wird überhaupt nicht thematisiert. Es geht nicht darum, sich gegen rechtsextreme Gruppen zu versammeln, sondern die Stadtgesellschaft ist das Problem. Wenn man die Älteren nicht mit ins Boot bekommt, dann hat man ganz schlechte Karten. […]
Man darf sich nicht fixieren auf Jugendgruppen, denn sonst kann man die Wechselwirkung zwischen den Älteren und den Jüngeren, die feindselige Einstellungen übernehmen, nicht unterbrechen. Wenn das nicht passiert, reproduziert sich das Problem immer wieder. Dann laufen wir da immer wieder hinterher.”
Nichts aus den Fehlern in anderen Ländern gelernt?
Die Situation in Thüringen im Jahr 2008 erinnert übrigens stark an die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2006. Je näher die Landtagswahl damals rückte, desto aktionistischer wurde Landesregierung. Besonders die CDU tat sich mit halbgaren Vorschlägen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus hervor. Beispielsweise sollte laut einem CDU-Vorschlag die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden.
Damals hieß es auf NPD-BLOG.INFO: „Dabei fordern Experten immer wieder, dass sich die demokratischen Parteien endlich inhaltlich mit der NPD auseinandersetzen. “Die NPD ist nicht nur ein Haufen von Spinnern, sondern sie transportiert auch Stimmungslagen und Mentalitäten, die in der Bevölkerung vorhanden sind. Diese Auseinandersetzung scheuen die etablierten Parteien”, sagt der Politikwissenschaftler Roland Roth von der FH Magdeburg-Stendal auf Anfrage. Roth weist in dem Zusammenhang auf eine Studie vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld, wonach beispielsweise rund 40 Prozent der sächsischen Bevölkerung massiv fremdenfeindlich eingestellt ist.“
Zwei Jahre sind seitdem vergangen.
Siehe auch: Eine Stadt, die sich “fremdenfreundlich” nennt. , Aktion wegschauen geht weiter – auch Thüringen schönt offenbar Statistiken., Neonazis schlagen in Thüringen Bürgermeister nieder, Urteil für rechten Schläger als Einladung für Gewalttäter